Eintragung eines Kfz im Schengener
Informationssystem als Rechtsmangel; maßgeblicher Zeitpunkt
BGH, Urteil vom 26. Februar 2020 -
VIII ZR 267/17 - OLG Köln
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Eine bei Gefahrübergang
bestehende Eintragung eines Kraftfahrzeugs in das Schengener
Informationssystem (SIS) stellt einen Rechtsmangel dar, für den der
Verkäufer grundsätzlich haftet. Allein ein bei Gefahrübergang
vorliegendes tatsächliches Geschehen, das erst zu einem späteren Zeitpunkt
zu einer SIS-Eintragung führt, genügt demgegenüber nicht (im Anschluss an
BGH, Urteile vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15,
NJW 2017, 1666 Rn. 14, und vom 26. April 2017 -
VIII ZR 233/15, NJW 2017, 3292 Rn. 10).
Zentrale Probleme:
Ist ein verkauftes Kfz im Schengener Informationssystem
(SIS) eingetragen, stellt dies - unabhängig davon, ob dieser Eintrag
begründet ist, einen Rechtsmangel i.S.v. § 435 BGB dar. Der Käufer läuft
nämlich Gefahr, dass das Fahrzeug bei einem Grenzübertritt oder bei
Verkehrskontrollen beschlagnahmt wird. Damit kann er die ihm nach § 903 BGB
zugewiesenen Eigentümerbefugnisse nicht unbeschränkt ausüben. Das bisher
Gesagte hatte der BGH bereits entschieden (s. nur
BGH vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15). Im vorliegenden Sachverhalt
erfolgte der Eintrag in das System aber erst nach Gefahrübergang. Der Senat
wertet die allein vor Gefahrübergang liegenden Tatsachen, die Ursache für
den Eintrag im System war, vollkomen zu Recht nicht als Sachmangel.
©sl 2020
Tatbestand:
1 Die Parteien streiten nach dem Verkauf
eines Gebrauchtwagens über das Vorliegen der Voraussetzungen eines
Rücktritts vom Kaufvertrag infolge eines Rechtsmangels.
2
Mit Vertrag vom 12. Juli 2011 kaufte der Kläger vom Beklagten einen
gebrauchten Audi Q7 zu einem Kaufpreis von 36.250 €. Noch am selben
Tag wurde der Kaufpreis bezahlt und das Fahrzeug, zusammen mit einer von der
Stadt Köln ausgestellten Zulassungsbescheinigung II, in die der Beklagte als
Eigentümer eingetragen war, an den Kläger übergeben.
3 Rund
20 Monate später, am 6. März 2013, wurde der Kläger mit dem Fahrzeug bei der
Rückkehr aus der Türkei an der serbischen Grenze angehalten. Das Fahrzeug
wurde dort auf der Grundlage einer Interpol-Meldung mit der Begründung
beschlagnahmt, es werde in Rumänien als Gegenstand einer Straftat gesucht.
Über das Polizeipräsidium Dortmund erhielt der Kläger später zudem
die Mitteilung, dass das Fahrzeug seit dem 22. Mai 2014 im
Schengener Informationssystem (SIS) zwecks Sicherstellung ausgeschrieben
sei. Als Fahrzeughalter sei in Rumänien seit dem 22.12.2008 das
Unternehmen E. und die A. als Besitzerin gemeldet. An dieses Unternehmen
wurde das beschlagnahmte Fahrzeug in der Folge herausgegeben.
4
Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger den Beklagten auf
Verschaffung von Eigentum und Besitz an dem Audi Q7 in Anspruch genommen
und hilfsweise die Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises (36.250 €),
abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 6.889,78 €, insgesamt
29.805,82 €, nebst Zinsen begehrt. Bezüglich des Hilfsantrages
stützt er sich auf ein vorprozessuales Schreiben seines späteren
Prozessbevollmächtigten vom 13. April 2014, mit dem er die
Rückzahlung des Kaufpreises vom Beklagten verlangt, sowie auf einen im
Prozess ausdrücklich erklärten Rücktritt.
5 Das Landgericht
hat die Klage (vollständig) abgewiesen. Es hat es für erwiesen erachtet,
dass der ursprüngliche rumänische Eigentümer Strafanzeige wegen
"Vertrauensmissbrauch" (Nichtzahlung der Leasingraten) erstattet habe und
deshalb das Fahrzeugs nicht abhandengekommen sei. Der Kläger
habe deshalb gutgläubig das Eigentum an dem Fahrzeug erwerben können, so
dass weder ein Sach- noch ein Rechtsmangel vorliege.
6 Auf
die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche
Urteil abgeändert und den Beklagten - unter Zurückweisung des Rechtsmittels
im Übrigen - auf den Hilfsantrag des Klägers zur Zahlung von 29.137,01
€ nebst Zinsen verurteilt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt
der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
7 Die Revision hat Erfolg.
I.
8 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung
im Wesentlichen ausgeführt:
9 Hinsichtlich des Hauptantrags sei das
Rechtsmittel zurückzuweisen, nachdem auch der Kläger zuletzt nicht mehr in
Zweifel gezogen habe, dass der Beklagte ihm aus den vom Landgericht
angestellten Erwägungen das Eigentum an dem Fahrzeug verschafft habe.
10 In dem Hilfsantrag habe das Rechtsmittel aber Erfolg. Nach
wirksamer Rücktrittserklärung stehe dem Kläger ein Rückzahlungsanspruch aus
§ 346 Abs. 1 BGB zu. Das Fahrzeug habe bei der Übergabe an den
Kläger am 12. Juli 2011 an einem Rechtsmangel (§ 435 BGB) gelitten, der sich
in der späteren Aufnahme des Fahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste
manifestiert habe. Die durch die Eintragung in das SIS eröffnete
Zugriffsmöglichkeit staatlicher Behörden habe zu einer den Kläger
unmittelbar treffenden, individuellen Belastung des Fahrzeugs geführt, wie
dessen Beschlagnahme an der serbischen Grenze belege.
11 Entscheidend
für die Annahme eines Rechtsmangels sei aber nicht die Eintragung in das SIS
selbst, sondern das Vorliegen eines Sachverhalts, der dann in der Folge zu
einer Eintragung führen könne und im Streitfall auch dazu geführt habe.
Diese zu der späteren Beschlagnahme führende Ausgangslage habe vorliegend
seit der unterbliebenen Rückgabe des im Jahr 2009 als Leasingfahrzeug
genutzten Audi Q7 an die Leasinggeberin bestanden, einem Vorgang, der
zeitlich vor der am 12. Juli 2011 erfolgten Veräußerung seitens
des Beklagten an den Kläger gelegen haben müsse. Zwar sei in einem vom
Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die Eintragung in die
SIS-Fahndungsliste zeitlich vor der Veräußerung des zur Fahndung
ausgeschriebenen Fahrzeugs erfolgt; dies ändere aber nichts daran, dass es,
wie der Bundesgerichtshof ausgesprochen habe, für die Annahme eines
Rechtsmangels auf das Vorliegen eines Sachverhalts ankomme, der zu einem
späteren Zugriff staatlicher Behörden im Wege einer Beschlagnahme führen
könne.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung
nicht stand. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein
Rückzahlungsanspruch des Klägers aus § 346 Abs. 1 BGB aufgrund eines
wirksamen Rücktritts wegen des Vorliegens eines Rechtsmangels (§ 437 Nr. 2,
§ 435 Satz 1, § 440, 323 BGB) nicht bejaht werden. Entgegen der Auffassung
des Berufungsgerichts liegt ein Rechtsmangel nicht vor.
12 1. Nach §
435 BGB ist die Sache frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf die
Sache keine oder nur die im Kaufvertrag übernommenen Rechte gegen den Käufer
geltend machen können.
13 Wie das Berufungsgericht im Ansatz
zutreffend erkannt hat, können öffentlich-rechtliche Eingriffsbefugnisse,
Beschränkungen oder Bindungen in Bezug auf die Kaufsache einen Rechtsmangel
im Sinne des § 435 BGB begründen, soweit sie nicht an deren Beschaffenheit
anknüpfen; im letzteren Fall kann ein Sachmangel vorliegen (Senatsurteil
vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15, NJW 2017, 1666 Rn. 18 ff.).
Dementsprechend hat der Senat die im Zeitpunkt des Gefahrübergangs
aufgrund einer wegen des Verdachts eines Eigentumsdelikts bestehende
Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) als Rechtsmangel
angesehen (Senatsurteile vom 18. Januar
2017 - VIII ZR 234/15 aaO Rn. 14, 22 ff.; vom
26. April 2017 - VIII ZR 233/15, NJW 2017, 3292 Rn. 10). Denn
mit der SIS-Ausschreibung eines Kraftfahrzeugs zur Fahndung ist
die konkrete, im gesamten Schengen-Raum bestehende Gefahr verbunden,
dass das Fahrzeug bei einer Halteränderung oder bei einer polizeilichen
Kontrolle von staatlichen Behörden rechtmäßig sichergestellt oder
beschlagnahmt wird (Senatsurteil vom
18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15, aaO Rn. 24) mit der
Folge, dass es der Käufer - unabhängig von einem etwaig bestehenden, für die
Beurteilung eines Rechtsmangels nicht maßgebenden
Eigentumsherausgabeanspruch eines (Vor-)Eigentümers - nicht mehr ungestört
im In- und Ausland nutzen kann (Senatsurteil
vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15, aaO Rn. 22, 28).
14 2. Von
Rechtsfehlern beeinflusst ist - wie die Revision zu Recht rügt -
hingegen die Auffassung des Berufungsgerichts, ein solcher Rechtsmangel
liege hier deshalb vor, weil der Sachverhalt, der zu der - weit nach der
(anlässlich des Fahrzeugkaufs am 12. Juli 2011) erfolgten Übergabe des
Fahrzeugs erfolgten - Eintragung des Audi Q7 am 22. Mai 2014 in das SIS
geführt hat, bereits am 12. Juli 2011 vorgelegen habe.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt ein Rechtsmangel bei
Gefahrübergang nicht schon dann vor, wenn die letztlich zur späteren
Eintragung in das SIS führende Ausgangslage - hier die nicht erfolgte
Rückgabe des im Jahr 2009 als Leasingfahrzeug in Rumänien genutzten Audi Q7
an die Leasinggeberin - bereits bei der nach § 446 Satz 1 BGB den
Gefahrübergang herbeiführenden Übergabe des Fahrzeugs bestanden hat.
16 Der Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung
zur Frage, ob in der Eintragung eines Kraftfahrzeugs in die
SIS-Fahndungsliste ein Rechtsmangel liegt, darauf abgestellt, dass diese
Eintragung bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestand
(Senatsurteile vom 18. Januar 2017 - VIII ZR
234/15, aaO Rn. 14; vom 26. April 2015 - VIII
ZR 233/15, aaO). Grund hierfür ist der Umstand, dass der Käufer mit der
Aufnahme des Fahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste in der ungestörten Nutzung
der Kaufsache und damit in der Ausübung der ihm - nach Übergabe -
gebührenden Rechtsposition eines Eigentümers (§ 903 BGB) konkret
beeinträchtigt ist. Erst mit der Eintragung in das SIS verdichtet
sich das Risiko der Ausübung von Rechten Dritter - hier in Gestalt
strafprozessrechtlicher Zugriffsbefugnisse auf das verkaufte Fahrzeug -
so stark, dass mit dessen Verwirklichung unmittelbar und jederzeit gerechnet
werden muss.
16 An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest
mit der Folge, dass allein das Vorliegen eines tatsächlichen
Geschehens, das wegen seiner erst nach Gefahrübergang erkannten
strafrechtlichen Bedeutung für eine spätere SIS-Fahndung - und in deren
Folge für eine etwaige Beschlagnahme - in irgendeiner Weise kausal geworden
ist (hier die unterlassene Rückgabe des im Jahr 2009 in Rumänien
als Leasingfahrzeug genutzten Audi Q7 an den Leasinggeber) für die
Annahme eines Rechtsmangels nicht genügt.
17 Die
gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts hätte eine weder
sachlich gerechtfertigte noch zumutbare Ausdehnung der Haftung des
Gebrauchtwagenverkäufers zur Folge. Denn dieser müsste
selbst bei dem Verkauf von Fahrzeugen, die eine lückenlos dokumentierte
Historie aufweisen, auf lange Zeit für ein bei Gefahrübergang für ihn weder
erkennbares noch beherrschbares tatsächliches Geschehen einstehen, das
irgendwann einen staatlichen Zugriff auf das Fahrzeug ermöglicht.
19 3. Eine andere Beurteilung ist auch nicht mit
Rücksicht auf das Urteil des Senats zu einer nach § 111b StPO rechtmäßig
durchgeführten Beschlagnahme geboten (Senatsurteil
vom 18. Februar 2004 - VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 unter II 1, in
Bezug genommen durch Senatsurteil vom 18. Januar
2017 - VIII ZR 234/15, aaO Rn. 21). Denn dieses Urteil ist zu
einer speziellen Sachverhaltskonstellation ergangen und lässt sich nicht
dahin verallgemeinern, dass jegliche bei Gefahrübergang vorhandene Umstände,
die zu einem späteren Zeitpunkt zu einer behördlichen Sicherstellung des
Kaufgegenstandes führen, bereits die Annahme eines im Zeitpunkt des
Gefahrübergangs bestehenden Rechtsmangels rechtfertigen.
20
Der in dem Senatsurteil vom 18. Februar 2004 (VIII
ZR 78/03, aaO) zu beurteilende Sachverhalt zeichnete sich dadurch aus,
dass bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine Diebstahlsanzeige vorlag
und strafrechtliche Ermittlungen - auch gegen den Käufer des Fahrzeugs -
wegen des Verdachts der Hehlerei geführt wurden, in deren Folge es 16 Tage
nach der Übergabe zu einer (rechtmäßigen und danach richterlich bestätigten)
Beschlagnahme durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden kam (Senatsurteil
vom 18. Februar 2004 - VIII ZR 78/03, aaO). Somit drohte in jenem Fall
bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine alsbaldige behördliche
Beschlagnahme, die die Annahme eines bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden
Rechtsmangels begründen konnte. Eine derartig "verdichtete" Situation einer
unmittelbar drohenden behördlichen Beschlagnahme bestand angesichts der vom
Berufungsgericht zum zeitlichen Ablauf hier getroffenen Feststellungen bei
Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger jedoch nicht. Somit kann - unabhängig
davon, dass zur Frage der Rechtmäßigkeit der von den serbischen Behörden im
März 2013 vorgenommenen Beschlagnahme nichts festgestellt ist - auch
insoweit ein bei Gefahrübergang vorhandener Rechtsmangel nicht bejaht
werden.
III.
20 Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand
haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere tatsächliche
Feststellungen nicht zu treffen sind, entscheidet der Senat in der Sache
selbst (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Aufhebung der Entscheidung des
Berufungsgerichts, soweit diese zum Nachteil des Beklagten getroffen wurde,
und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
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