Rechtsmangel im
Mietrecht: Tatsächliche Nutzbarkeitseinschränkung; Gewährleistungsausschluss
nach § 536b Satz 1 BGB (Kenntnis des Mangels)
BGH, Urteil vom 16.
September 2009 - VIII ZR 275/08
Fundstelle:
NJW 2009, 3421
Amtl. Leitsatz:
a) Öffentlich-rechtliche
Nutzungsbeschränkungen vermieteter Wohnräume berechtigen den Mieter nicht
zur Mietminderung, wenn deren Nutzbarkeit mangels Einschreitens der
zuständigen Behörden nicht eingeschränkt ist.
b) Haben die Parteien eine bestimmte Wohnfläche als Beschaffenheit der
Mietsache vereinbart, sind die Flächen von Räumen, die nach dem Vertrag zu
Wohnzwecken vermietet sind (hier: ausgebautes Dachgeschoss), bei der
Wohnflächenermittlung unabhängig davon mit einzurechnen, ob sie bei einer
Flächenberechnung nach den Bestimmungen der Zweiten Berechnungsverordnung
als Wohnraum anzure-chen sind (Fortführung von BGH, Urteil vom 23. Mai 2007
- VIII ZR 231/06, NJW 2007, 2624, Tz. 13).
Zentrale Probleme:
Ein schöner Fall zum (Wohnungs-)Mietrecht: Da
der Vermieter dem Mieter nur die Gebrauchsüberlassung und nicht auch das
Eigentum schuldet, liegt die Problematik der Rechtsmängelhaftung bei der
Miete anders als beim Kauf. Dort begründet bereits die Existenz des Rechts
eines Dritten i.S.v. § 435 einen Rechtsmangel. Die §§ 536 III–536 c stellten
hingegen darauf ab, daß dem Mieter der vertragsmäßige Gebrauch der Mietsache
ganz oder zum Teil tatsächlich entzogen wird. Damit liegt ein Rechtsmangel
nicht bereits dann vor, wenn ein Dritter die Sache (z.B. als Eigentümer nach
§ 985) herausverlangen oder kraft einer Dienstbarkeit (§§ 1018 ff.) oder
aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften (z.B. baurechtliche
Nutzungsverbote) bestimmte Handlungen des Mieters verbieten kann. Der
vertragsmäßige Gebrauch ist vielmehr erst dann eingeschränkt, wenn ein
solches Recht auch tatsächlich geltend gemacht wird. S. auch
BGH v. 13.7.2011 - XII ZR 189/09
und BGH
v. 18.1.2017 - VIII ZR 234/15 sowie
BGH v. 12.1.2022 - XII ZR 8/21.
©sl 2009
Tatbestand:
1 Die Kläger waren von Januar 1989 bis Dezember 2007 Mieter eines
Einfamilienhauses der Beklagten in M. . Nach § 1 des Mietvertrages beträgt
die Wohnfläche 129,4 qm. Im Haus befinden sich Dachgeschossräume, die von
den Klägern bis etwa 2005 als Wohnraum genutzt wurden. Die Kläger machen
geltend, dass diese Räume wegen öffentlich-rechtlicher
Nutzungsbeschränkungen bei der Berechnung der Wohnfläche nicht zu
berücksichtigen seien, so dass die tatsächliche Wohnfläche nur 108,6 qm
betrage und somit um mehr als 10 % von der vereinbarten Wohnfläche abweiche.
2 Die Kläger haben Rückzahlung ihrer Auffassung nach überzahlter Miete in
Höhe von 3.384 € nebst Zinsen, Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe
von 543,59 € nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass sie ab
November 2007 nur zur Zahlung einer Miete in Höhe von 372,13 € zuzüglich
Betriebskosten verpflichtet sind. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen,
das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr
Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
4 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Es
könne offen bleiben, ob die Wohnfläche im vorliegenden Fall nach der
Wohnflächenverordnung oder nach der Zweiten Berechnungsverordnung zu
berechnen sei, denn die von den Klägern behauptete verminderte Wohnfläche
ergebe sich nur vor dem Hintergrund öffentlich-rechtlicher
Nutzungsbeschränkungen. Darin liege jedoch kein Mangel im Sinne des § 536
BGB. Beschränkungen wegen vornehmlich feuerpolizeilicher Gründe berührten
die Nutzbarkeit der Dachgeschossräume nicht unmittelbar. Aus dem Mietvertrag
ergäben sich keine Hinweise darauf, dass das Dachgeschoss nicht zu
Wohnzwecken genutzt werden könne. Da es ausgebaut gewesen sei, habe es nahe
gelegen, dass es den Klägern zu Wohnzwecken zur Verfügung stehe, zumal sie
es auch über einen sehr langen Zeitraum so genutzt hätten. Dass die Kläger
von dieser gegebenen vertraglichen Nutzungsmöglichkeit im
streitgegenständlichen Zeitraum keinen Gebrauch mehr gemacht hätten, berühre
ihre Verpflichtung zur Entrichtung der Miete nicht. Soweit die Kläger ferner
geltend gemacht hätten, dass die Dachgeschossräume schlechter beheizbar
seien, Leitungen über Putz lägen und kein Wohnbelag vorhanden sei, handele
es sich um offensichtliche Mängel, die von den Klägern bei der Anmietung
nicht gerügt worden seien und deshalb nach § 536b BGB nicht mehr geltend
gemacht werden könnten.
II.
5 Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision
zurückzuweisen ist.
6 1. Zutreffend ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen, dass
etwaige öffentlich-rechtliche Nutzungsbeschränkungen der Räume im
Dachgeschoss die Kläger nicht zur Minderung der Miete berechtigen, weil die
Nutzbarkeit dieser Räume mangels Einschreiten der zuständigen Behörden nicht
eingeschränkt war (vgl. OLG Köln, WuM 1998, 152, 153; OLG Düsseldorf,
DWW 2005, 20 und 2006, 286; MünchKommBGB/Häublein, 5. Aufl., § 536 Rdnr. 20;
Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 9. Aufl., § 536 BGB Rdnr. 76).
7 2. Zu Recht und von der Revision unbeanstandet hat das Berufungsgericht
ferner angenommen, dass die Kläger die Miete auch nicht wegen der
verminderten Wohnqualität des Dachgeschosses (fehlender Wohnbelag, auf Putz
verlegte Leitungen) mindern können, denn diese offensichtlichen Mängel
waren den Klägern bei der Anmietung bekannt, so dass ihnen die Rechte aus §§
536 und 536a BGB gemäß § 536b Satz 1 BGB nicht zustehen.
8 3. Schließlich ist dem Berufungsgericht auch darin beizupflichten, dass
die Kläger nicht wegen einer zu geringen Wohnfläche des angemieteten
Einfamilienhauses zur Mietminderung berechtigt sind. Die ausgebauten Räume
im Dachgeschoss sind den Klägern als Wohnraum vermietet worden und sind
deshalb - unabhängig davon, ob sie bei einer Flächenermittlung nach den
Bestimmungen der Zweiten Berechnungsverordnung als Wohnraum anzurechnen sind
- bei der Ermittlung der tatsächlichen Wohnfläche des von den Klägern
gemieteten Einfamilienhauses zu berücksichtigen.
9 a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Angabe der
Wohnfläche im Mietvertrag regelmäßig nicht als unverbindliche Beschreibung,
sondern als Beschaffenheitsvereinbarung anzusehen ist, die bei einer
Abweichung von mehr als 10 % zum Nachteil des Mieters zu einem Mangel der
Mietsache führt (Senatsurteile vom 24. März 2004 - VIII ZR 295/03, NJW 2004,
1947, unter II 2 a, sowie vom 23. Mai 2007 - VIII ZR 138/06, NJW 2007, 2626
Tz. 13 f., 17). Eine solche Beschaffenheitsvereinbarung haben die Parteien
mit der Angabe der Wohnfläche von 129,4 qm im Mietvertrag auch getroffen.
10 b) Der Begriff der Wohnfläche ist auslegungsbedürftig, denn er hat keinen
feststehenden Inhalt, und eine verbindliche Regelung zur Berechnung von
Flächen bei preisfreiem Wohnraum fehlt. Nach der Rechtsprechung des Senats
können für die Auslegung des Begriffs der Wohnfläche grundsätzlich auch beim
frei finanzierten Wohnraum die für den preisgebundenen Wohnraum geltenden
Bestimmungen herangezogen werden, es sei denn, die Parteien haben dem
Begriff der Wohnfläche im Einzelfall eine abweichende Bedeutung beigemessen
oder ein anderer Berechnungsmodus ist ortsüblich oder nach der Art der
Wohnung nahe liegender (Senatsurteile vom 24. März 2004 - VIII ZR 44/03, NJW
2004, 2230, unter II 1 b aa, cc, sowie vom 23. Mai 2007 - VIII ZR 231/06,
NJW 2007, 2624, Tz. 13). Nach der Rechtsprechung des Senats kommt somit
einer Vereinbarung der Parteien darüber, welche Flächen in die Berechnung
der Wohnfläche einzubeziehen sind, Vorrang zu. Eine solche Vereinbarung
liegt hier nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des
Berufungsgerichts vor.
11 Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Räume im Dachgeschoss nach
dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrag zu Wohnzwecken, also als
Wohnraum vermietet wurden. Es hat einen solchen vertraglichen Nutzungszweck
mit der Begründung bejaht, der Ausbau der - von den Klägern über lange Zeit
auch tatsächlich zu Wohnzwecken genutzten - Räume habe eine Wohnnutzung nahe
gelegt und der Mietvertrag enthalte keinen Hinweis darauf, dass sie nicht zu
Wohnzwecken hätten genutzt werden sollen. Diese Auslegung ist als
tatrichterliche Würdigung einer Individualvereinbarung nur beschränkt darauf
überprüfbar, ob gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte
Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder
Verfahrensvorschriften verletzt worden sind (BGHZ 135, 269, 273; 154, 132,
133). Ein derartiger Auslegungsfehler wird von der Revision nicht aufgezeigt
und ist auch nicht ersichtlich. Die Auslegung des Berufungsgerichts ist
möglich und daher für die Revisionsinstanz bindend (vgl. BGH, Urteil vom 25.
Februar 1992 - X ZR 88/90, NJW 1992, 1967, unter II 3 a).
12 Das Berufungsgericht hat die ausgebauten Räume des Dachgeschosses deshalb
bei der Berechnung der Wohnfläche zu Recht berücksichtigt. Da die
tatsächliche Wohnfläche - unter Berücksichtigung der einzubeziehenden
Flächen des Dachgeschosses - den Angaben im Mietvertrag entspricht, sind die
Kläger nicht zur Minderung der Miete wegen eines in einer
Wohnflächenabweichung liegenden Sachmangels berechtigt. |