(Große) Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) bei der Gewerbemiete aufgrund
von hoheitlichen Betriebsschließungen in Folge der COVID-19-Pandemie; keine
pauschale Verteilung des Risikos sondern Einzelfallbetrachtung der
Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag; Abgrenzung zum
Sachmangel im Mietrecht (§ 536 BGB)
BGH, Urteil vom 12. Januar 2022 - XII ZR 8/21 - OLG
Dresden
Fundstelle:
noch nicht bekannt
BGHZ 232, 178
Amtl. Leitsatz:
a) Die durch die
COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts führt
nicht zu einem Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur
Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum
vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise
unmöglich.
b) Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer
hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt
grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf
Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1
BGB in Betracht.
c) Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an
dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale
Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des
Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen,
die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der
pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.
Zentrale Probleme:
Eine sehr lehrreiche Entscheidung zur sog. "großen"
Geschäftsgrundlage. Über den Kontext (pandemiebedingte Betriebsschließungen
und Verdienstausfall) hinaus vorf allem deshalb, weil sämtliche
Tatbestandsvoraussetzungen von § 313 BGB geradezu schulmäßig erörtert
werden. Zunächst stellt der Senat zu recht fest, dass es sich bei den
behördlichen Betriebsschließungen nicht um einen Mangel der Mietsache
handelt, weil diese in keinerlei Zusammenhang mit Beschaffenheit, Zustand
oder Lage der Mietsache steht, sondern allein das vom Mieter zu tragende
Verwendungsrisiko betrifft (s. dazu bereits
BGH v. 13.7.2011 - XII ZR 189/09 zum
Rauchverbot in Gaststätten). Im Zusammenhang mit § 313 BGB ist der
Wegfall der Geschäftsgrundlage als solcher zweifellos zu bejahen. Auch
spricht das typische Vertragsrisiko (wie wohl stets bei einer Störung der
sog. "großen" Geschäftsgrundlage) nicht gegen das Eingreifen von § 313 BGB.
Eine Einzelfallbetrachtung ist aber bei der Frage der Unzumutbarkeit des
Festhaltens am unveränderten Vertrag veranlasst. Zu recht wendet sich der
Senat gegen eine pauschale häftige Reduzierung der Miete. S. dazu auch
BGH v. 19.4.2023 - XII ZR
24/22.
©sl 2022
Tatbestand:
1 Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung von Gewerberaummiete für
den Monat April 2020.
2 Die Parteien schlossen im September 2013
einen Mietvertrag über Gebäude und Parkplätze in S. Die Vermietung erfolgte
„ausschließlich zu gewerblichen Zwecken zur Nutzung als Verkaufs- und
Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren
des täglichen Ge- und Verbrauchs“. Seit dem 1. Januar 2019 beträgt die
monatliche Bruttomiete 7.854,00 €. Zusätzlich trägt die Beklagte als
Mieterin im Vertrag näher beschriebene Nebenkosten.
§ 5 Nr. 3 des
Mietvertrags enthält folgende Regelung: „Wenn die Gas-, Strom- und
Wasserversorgung oder Entwässerung durch einen nicht von dem Vermieter zu
vertretenden Umstand unterbrochen wurde oder wenn Überschwemmungen oder
sonstige Katastrophen eintreten, steht dem Mieter ein Recht auf
Mietminderung oder Schadensersatz nicht zu.“
3 Aufgrund der sich
verbreitenden Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19-Pandemie) erließ das
Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen
Zusammenhalt am 18. März 2020 auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 IfSG die
„Allgemeinverfügung Vollzug des Infektionsschutzgesetzes
Maßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie Verbot von Veranstaltungen“, nach
deren Ziffer 1 in Sachsen grundsätzlich alle Geschäfte geschlossen wurden,
soweit sie nicht unter die in der Allgemeinverfügung ausdrücklich benannten
- hier nicht relevanten - Ausnahmen fielen. Diese Allgemeinverfügung trat am
19. März 2020 um 0:00 Uhr in Kraft und wurde ab dem 22. März 2020, 0:00 Uhr
von der „Allgemeinverfügung Vollzug des Infektionsschutzgesetzes Maßnahmen
anlässlich der Corona-Pandemie Verbot von Veranstaltungen“ des Sächsischen
Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt vom 20.
März 2020 ersetzt, nach deren Ziffer 2, übereinstimmend mit der
Allgemeinverfügung vom 18. März 2020, Geschäfte grundsätzlich geschlossen
wurden, soweit nicht die in der Allgemeinverfügung vom 20. März 2020
formulierten Ausnahmen eingriffen. Aufgrund der genannten
Allgemeinverfügungen war das Textileinzelhandelsgeschäft der Beklagten im
Mietobjekt vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 geschlossen.
4 Nach entsprechender Ankündigung mit Schreiben vom 24. März
2020 zahlte die Beklagte die Miete für den Monat April 2020 nicht und
rechnete gegen die Mietzahlungspflicht für die Zeit vom 20. bis 30. April
2020 mit der aus ihrer Sicht überzahlten Miete für die Zeit vom 19. bis 31.
März 2020 auf. Die folgenden Mietzahlungen erbrachte die Beklagte
vollständig.
5 Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur
Zahlung der Miete für den Monat April 2020 in Höhe von 7.854,00 € nebst
Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Auf die Berufung
der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil
aufgehoben und die Beklagte - unter Abweisung der Klage im Übrigen - zur
Zahlung von 3.720,09 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten
verurteilt. Hiergegen wenden sich die Klägerin, die ihr Klagebegehren
vollständig weiterverfolgt, und die Beklagte, die nach wie vor
Klageabweisung begehrt, mit ihren vom Oberlandesgericht zugelassenen
Revisionen.
Entscheidungsgründe:
6 Die
Revisionen der Klägerin und der Beklagten sind begründet. Sie führen zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das
Oberlandesgericht.
I.
7 Das Oberlandesgericht hat seine in ZMR
2021, 476 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet:
8 Die
Beklagte könne sich nicht darauf berufen, der Anspruch auf Zahlung der Miete
als Gegenleistung zur Verpflichtung der Klägerin als Vermieterin
zur Überlassung des Gebrauchs der Mieträume sei gemäß § 326 Abs. 1 BGB
entfallen. Soweit es um die Gebrauchsuntauglichkeit des Mietobjekts gehe,
würden die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts, zu denen auch
diejenigen über die Unmöglichkeit gehörten, von den mietrechtlichen
Gewährleistungsregelungen nach §§ 536 ff. BGB verdrängt, wenn das Mietobjekt
- wie hier - bereits vom Vermieter an den Mieter überlassen worden sei.
9 Die Regelung in Art. 240 § 2 EGBGB entfalte keine Sperrwirkung, die
eine Anwendung der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften bei
behördlichen Betriebsuntersagungen in Folge der COVID-19-Pandemie
ausschließe.
10 Ein zur Minderung der Miete führender Mietmangel sei
durch die staatlich angeordnete Schließung nicht begründet worden. Ohne die
staatliche, nicht objektbezogene und von der Klägerin nicht zu
beeinflussende Anordnung sei das Mietobjekt uneingeschränkt nutzbar und die
Mieträume seien - im Rahmen der Beschränkungen der Corona-Schutzverordnung -
frei zugänglich gewesen. Lediglich die von der Beklagten beabsichtigte
Verwendung sei - vom Mietobjekt unabhängig - untersagt gewesen. Auch wenn
Störungen, die außerhalb der Mietsache liegen, grundsätzlich einen Mangel
begründen könnten und für den hier vereinbarten Betrieb eines
Textileinzelhandelsgeschäfts die Möglichkeit des Zugangs des Publikums eine
Voraussetzung sei, werde dem Vermieter damit nicht das Risiko der objekt-
und lageunabhängigen Nutzbarkeit der Mieträume übertragen.
11 Infolge
des Auftretens der COVID-19-Pandemie und der staatlichen
Schließungsanordnung aus den Allgemeinverfügungen vom 18. bzw. 20. März 2020
sei jedoch eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags
i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB eingetreten, die eine Anpassung des Vertrags dahin
auslöse, dass die Kaltmiete für die Dauer der angeordneten Schließung auf
die Hälfte reduziert werde.
12 Zur Geschäftsgrundlage der
Parteien als Vermieterin und Mieterin von Geschäftsräumen für die Nutzung
als Textileinzelhandelsgeschäft habe die Vorstellung gehört, dass es nicht
zu einer Pandemie mit weitgehender Stilllegung des öffentlichen Lebens
infolge pandemiebedingter Nutzungsuntersagungen und -beeinträchtigungen
kommen würde. Das Auftreten der Pandemie mit den entsprechenden
weitreichenden staatlichen Eingriffen in das wirtschaftliche und soziale
Leben bedeute eine schwerwiegende Änderung der für die
Vertragslaufzeit vorgestellten Umstände. Damit sei das tatsächliche
Element der Störung der Geschäftsgrundlage verwirklicht. Es liege
eine Systemkrise und damit ein Fall der Störung der großen
Geschäftsgrundlage vor, weil durch sie das allgemeine soziale und
wirtschaftliche Gefüge nachhaltig erschüttert worden sei. Ohne dass
es hierauf entscheidend ankommen würde, spreche für diese Annahme auch
der Inhalt des mit Wirkung vom 31. Dezember 2020 neu geschaffenen Art. 240 §
7 Abs. 1 EGBGB.
13 Im Rahmen der Störung der großen
Geschäftsgrundlage sei das hypothetische Element regelmäßig erfüllt, weil
die Parteien den Vertrag dann nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen
hätten. Zudem sei zu beachten, dass es sich bei der Änderung der
zur Geschäftsgrundlage gehörenden Umstände um sehr wesentliche
Rahmenbedingungen für den Betrieb des Textileinzelhandelsgeschäfts der
Beklagten gehandelt habe. Daher hätten im maßgeblichen Zeitpunkt des
Vertragsschlusses verständige und wirtschaftlich denkende Vertragspartner
dieses beide gleichermaßen betreffende und nicht zu beeinflussende Risiko
nicht einseitig zu Lasten eines Vertragspartners verteilt.
14
Das normative Element des § 313 Abs. 1 BGB sei ebenfalls erfüllt.
Es gehe hier nicht um ein „normales“ Risiko der Gebrauchstauglichkeit bzw.
der Verwendung des Mietobjekts durch den Mieter, sondern um weitgehende
staatliche Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben aufgrund einer
Pandemie, die als Systemkrise eine Störung der großen Geschäftsgrundlage
sei. Das mit der Störung der großen Geschäftsgrundlage verbundene
Risiko könne regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden. Von
der vertraglichen Risikozuweisung werde deshalb dieses von den
Vertragsparteien nicht vorhergesehene und die Geschäftsgrundlage des
Vertrags betreffende Geschehen nicht erfasst. Das Festhalten am
unveränderten Mietvertrag sei der Beklagten nicht zumutbar, weshalb der
Mietvertrag nach § 313 Abs. 1 BGB entsprechend anzupassen sei.
15 Vorliegend sei eine Absenkung der Kaltmiete um 50 %
gerechtfertigt, weil keine der Vertragsparteien eine Ursache für die Störung
der Geschäftsgrundlage gesetzt oder sie vorhergesehen habe. Es sei
demzufolge angemessen, die damit verbundene Belastung gleichmäßig auf beide
Parteien zu verteilen. Offenbleiben könne, ob die Zahlung staatlicher Hilfen
an einen der Vertragspartner des Mietvertrags zu einer weiteren Anpassung
der Höhe der Miete führen würde, weil nicht habe festgestellt werden können,
dass die Klägerin oder die Beklagte solche staatlichen Hilfen erhalten habe.
Der Klägerin sei auch keine Teilnutzung des Mietobjekts im Sinne eines
„Außer-Haus-Verkaufs“ bzw. eines entsprechenden Liefer- und Abholservice
möglich, wie dies etwa bei Gaststätten erlaubt gewesen sei.
16 Dies führe
dazu, dass die Beklagte für den Monat April 2020 anstelle der vertraglich
vereinbarten Miete von 7.854,00 € nur 5.366,90 € zahlen müsse, während sie
für den Monat März 2020 6.207,19 € zu zahlen gehabt hätte, also mit ihrer
vollständigen Mietzahlung die Miete in Höhe von 1.646,81 € überzahlt
habe. In dieser Höhe habe die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung gegen die
Forderung der Klägerin auf Zahlung der Miete für April 2020 erklärt, so dass
sich im Ergebnis der Anspruch der Klägerin von 5.366,90 € auf 3.720,09 €
reduziere.
II.
17 Diese Ausführungen halten in einem
wesentlichen Punkt der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
18 1. Zu Recht
ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die
Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und der
Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts,
insbesondere des § 313 Abs. 1 BGB, nicht durch Art. 240 § 2 EGBGB, mit dem
die Kündigungsmöglichkeit des Vermieters wegen eines coronabedingten
Zahlungsverzugs des Mieters ausgesetzt wurde, ausgeschlossen ist.
19 a) Zwar
wird in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum teilweise
die Auffassung vertreten, der Gesetzgeber habe mit Einführung
dieser Vorschrift durch Art. 5 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der
COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.
März 2020 (BGBl. I S. 569) eine Sonderregelung getroffen, mit der die
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Rechte und Pflichten von
Mietvertragsparteien abschließend geregelt werden sollten (vgl. Jung BB
2021, 329, 331 f.; Klimesch/ Walther ZMR 2020, 556, 557; LG München II
Urteil vom 6. Oktober 2020 - 13 O 2044/20 - BeckRS 2020, 34263). Die
überwiegende Auffassung lehnt mit dem Berufungsgericht eine entsprechende
Sperrwirkung des Art. 240 § 2 EGBGB hingegen ab (ebenso OLG München NJW
2021, 948, 950; KG GE 2021, 570, 572; OLG Frankfurt NZM 2021, 395, 396
f.; LG Mönchengladbach Urteil vom 2. November 2020 - 12 O 154/20 - BeckRS
2020, 30731 Rn. 39; LG München I Urteil vom 25. Januar 2021 - 31 O 7743/20 -
BeckRS 2021, 453 Rn. 53 ff.; Münch-KommBGB/Häublein 8. Aufl. EGBGB Art. 240
§ 2 Rn. 6; BeckOGK/Martens [Stand: 1. Oktober 2021] BGB § 313 Rn. 239;
BeckOGK/Geib [Stand: 1. Oktober 2021] EGBGB Art. 240 § 2 Rn. 18 und 20;
BeckOK BGB/Wiederhold [Stand: 1. August 2021] EGBGB Art. 240
§ 2 Rn. 10; Brinkmann/Thüsing NZM 2021, 5, 9 f.; Herlitz NJ 2021, 56, 58;
Zehelein NZM 2020, 390, 401; Streyl NZM 2020, 817, 823; Warmuth COVuR 2020,
16, 17; Klose NZM 2021, 832 f.).
20 b) Die letztgenannte Auffassung trifft
zu. Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich weder aus dem Wortlaut der
Vorschrift noch aus der Gesetzesbegründung schließen, dass der Gesetzgeber
mit Einführung des Art. 240 § 2 EGBGB die Folgen, die sich aus den
umfangreichen hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie
insbesondere für gewerbliche Mietverhältnisse ergeben können, abschließend
regeln wollte.
21 aa) Nach seinem eindeutigen Wortlaut enthält Art. 240 § 2
Abs. 1 Satz 1 EGBGB nur eine Beschränkung des Kündigungsrechts des
Vermieters, sofern die Nichtleistung der vom Mieter geschuldeten Mietzahlung
allein auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Die Vorschrift
geht daher davon aus, dass - anders als bei den in Art. 240 § 1 EGBGB
genannten Dauerschuldverhältnissen - die Verpflichtung des Mieters zur
Mietzahlung grundsätzlich weiter bestehen bleibt. Regelungen zur Höhe der
Miete oder zu sonstigen Auswirkungen der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung
auf die Verpflichtung des Mieters zur Mietzahlung enthält die Vorschrift
jedoch nicht. Auch aus der zeitlichen Beschränkung des
Kündigungsausschlusses bis zum 30. Juni 2022 in Art. 240 § 2 Abs. 4 EGBGB
kann nicht darauf geschlossen werden, dass der Gesetzgeber für
die Zahlungspflicht des Mieters eine abschließende Regelung treffen wollte.
Die Vorschrift zeigt zwar ebenfalls, dass das Gesetz grundsätzlich von einer
fortbestehenden Zahlungspflicht des Mieters ausgeht. Ob der Mieter in dem
maßgeblichen Zeitraum jedoch die volle vereinbarte Miete schuldet, folgt
daraus nicht.
22 bb) Auch der Gesetzeszweck lässt nicht darauf schließen,
dass Art. 240 § 2 EGBGB eine abschließende Sonderregelung darstellt, die der
Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und
der Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts
entgegensteht.
23 Zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes zur Abmilderung
der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und
Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 569) sah der Gesetzgeber
die Gefahr, dass es aufgrund der umfangreichen behördlichen Maßnahmen zur
Eindämmung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus im März 2020 zu erheblichen
Einkommensverlusten bei einer Vielzahl von Menschen kommt, wodurch diese bis
zur Aufhebung der Maßnahmen nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sein
könnten, ihre laufenden Verbindlichkeiten zu begleichen. Dieses Problem
sollte dadurch gelöst werden, dass für den Bereich des Zivilrechts ein
Moratorium für die Erfüllung bestimmter vertraglicher Ansprüche aus
Dauerschuldverhältnissen eingeführt werden sollte, das betroffenen
Verbrauchern und Kleinstunternehmern, die wegen der COVID-19-Pandemie ihre
vertraglich geschuldeten Leistungen nicht erbringen können, im Zeitraum bis
zum 30. Juni 2020 einen Zahlungsaufschub gewährt (BT-Drucks. 19/18110 S. 1).
Entgegen diesem in Art. 240 § 1 EGBGB niedergelegten Grundsatz hat der
Gesetzgeber im Bereich des Mietrechts hingegen von einem
Leistungsverweigerungsrecht des Mieters abgesehen und nur das Recht des
Vermieters zur Kündigung von Mietverhältnissen wegen
Zahlungsverzugs eingeschränkt, sofern Mietschulden aus dem Zeitraum vom 1.
April 2020 bis 30. Juni 2020 auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
beruhen. Die Verpflichtung der Mieter zur Zahlung der Miete sollte jedoch im
Grundsatz bestehen bleiben (BT-Drucks. 19/18119 S. 35).
24 Zweck der
gesetzlichen Regelung war es, Mieter und Pächter vor dem Verlust ihres
Lebensmittelpunkts und ihrer Existenzgrundlage zu schützen, wenn diese
unverschuldet durch die Pandemie in Zahlungsverzug geraten sollten. Hätte
der Gesetzgeber mit der Einführung von Art. 240 § 2 EGBGB tatsächlich
eine abschließende Regelung im Hinblick auf die Auswirkungen der Maßnahmen
zur Pandemiebekämpfung treffen wollen, würde sich die Vorschrift jedoch
zum Nachteil des gewerblichen Mieters auswirken. Denn dieser wäre auch
dann, wenn er die von ihm angemieteten Gewerberäume aufgrund einer
hoheitlichen Betriebsschließungsanordnung nicht entsprechend seinem
Geschäftszweck nutzen kann, stets zur Zahlung der vollständigen Miete
verpflichtet. Das Risiko, während der Pandemie die Mietsache nicht oder nur
eingeschränkt nutzen zu können, wäre damit vollständig auf den Mieter
verlagert. Art. 240 § 2 EGBGB, der erkennbar dem Mieterschutz dienen sollte,
würde dadurch zu einer Vorschrift, die letztlich dem Schutz des Vermieters
dient, dem unabhängig von den Auswirkungen der Pandemiebekämpfungsmaßnahmen
auf die Nutzbarkeit des Mietobjekts der Anspruch auf vollständige Miete
erhalten bliebe (ähnlich auch BeckOK BGB/Wiederhold [Stand: 1. August 2021]
EGBGB Art. 240 § 2 Rn. 10; BeckOGK/Martens [Stand: 1. Oktober 2021] BGB §
313 Rn. 240). Dafür, dass der Gesetzgeber eine solche weitreichende Regelung
dahin, dass der Mieter während der COVID-19-Pandemie das Verwendungsrisiko
allein zu tragen hat, treffen wollte, bestehen keine Anhaltspunkte. Dagegen
spricht auch die Kürze der Zeit, in der dieses Gesetzgebungsvorhaben
umgesetzt worden ist (vgl. OLG Frankfurt NZM 2021, 395, 397;
MünchKommBGB/Häublein 8. Aufl. Art. 240 § 2 EGBGB Rn. 6; Zehelein NJW 2020,
1169, 1172). Mithin hat der Gesetzgeber nur das von ihm als dringlich
identifizierte Problem, dass Mieter von Wohn- und Geschäftsräumen aufgrund
der zu erwartenden negativen wirtschaftlichen Auswirkungen ihren
Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen und deshalb die angemieteten
Räumlichkeiten verlieren könnten, schnell einer vorübergehenden Lösung
zuführen und die Stellung der Mieter im Hinblick auf die Kündbarkeit
des Mietverhältnisses verbessern wollen.
25 cc) Schließlich lassen sich auch
der Gesetzesbegründung keine ausreichenden Hinweise dafür entnehmen, dass
der Gesetzgeber die Auswirkung der Maßnahmen zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie auf Mietverhältnisse abschließend regeln wollte. Zwar ist
an mehreren Stellen der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass der Mieter
grundsätzlich zur Leistung der Miete verpflichtet bleibt (vgl. BT-Drucks.
19/18110 S. 4, 35 f.). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass ihm
damit jede Möglichkeit genommen werden sollte, Auswirkungen der
COVID-19-Pandemie auf sein Mietverhältnis und insbesondere auf die Höhe der
geschuldeten Miete nach allgemeinen Grundsätzen geltend machen zu können
(vgl. Streyl NZM 2020, 817, 823; BeckOGK/Martens [Stand: 1. Oktober 2021]
BGB § 313 Rn. 240.2). Zum einen enthält die Gesetzesbegründung den Hinweis,
dass die Mieter „nach allgemeinen Grundsätzen zur Leistung verpflichtet“
bleiben (BT-Drucks. 19/18110 S. 35). Dies deutet bereits darauf hin, dass
die allgemeinen Regelungen des mietrechtlichen Gewährleistungsrechts und des
allgemeinen Schuldrechts weiterhin Anwendung finden sollen (a.A. Jung BB
2021, 329, 331). Zum anderen lassen sich diese Formulierungen auch mit der
unterschiedlichen Behandlung von Miet- und Pachtverhältnissen
gegenüber anderen Dauerschuldverhältnissen im Gesetz erklären. Denn mit dem
Hinweis, dass die Verpflichtung des Mieters zur Mietzahlung bestehen bleibt,
wird in der Gesetzesbegründung deutlich gemacht, dass dem Mieter, abweichend
von der Grundregel des Art. 240 § 1 EGBGB für andere
Dauerschuldverhältnisse, kein zeitlich begrenztes Leistungsverweigerungsrecht eingeräumt, sondern nur
die Kündigungsmöglichkeit des Vermieters wegen Zahlungsverzugs
eingeschränkt wird (BT-Drucks. 19/18110 S. 35 f.). Zur Höhe der geschuldeten
Miete verhält sich die Gesetzesbegründung jedoch ebenso wenig wie zu der
Frage, welche sonstigen rechtlichen Auswirkungen die pandemiebedingten
Beschränkungen des Wirtschaftslebens insbesondere auf gewerbliche
Mietverhältnisse haben sollen. Letztlich wird in der Gesetzesbegründung als
Gesetzeszweck allein die Bestandssicherung des Mietverhältnisses genannt.
26 2. Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen,
dass die Miete in dem streitgegenständlichen Zeitraum nicht nach § 536 Abs.
1 BGB gemindert war, weil die auf den Allgemeinverfügungen des Sächsischen
Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt vom 18.
und 20. März 2020 beruhende Betriebsschließung nicht zu einem Mangel des
Mietgegenstands i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB geführt hat.
27 a) Ob eine
staatlich angeordnete Geschäftsschließung wegen der COVID-19-Pandemie einen
Mangel der Mietsache darstellt, ist umstritten. Teilweise wird dies mit der
Begründung bejaht, die Schließungsanordnung knüpfe unmittelbar an das
Mietobjekt und dessen Lage im Epidemiegebiet an und beziehe sich daher nicht
auf die persönlichen oder betrieblichen Umstände des Mieters (vgl.
OLG Nürnberg MDR 2021, 56; LG Kaiserlautern Urteil vom 13. April 2021 - 4
O 284/20 - juris; Jauernig/Teichmann BGB 18. Aufl. § 536 Rn. 12a;
BeckOGK/Geib [Stand: 1. Oktober 2021] EGBGB Art. 240 § 2 Rn. 16; Selk NZM
2021, 369, 374 ff.; Sentek/Ludley NZM 2020, 406, 410; Krepold WM 2020, 726,
729 ff.; Säcker/Schubert BB 2020, 2563).
28 Die überwiegende Auffassung in
der Rechtsprechung und im Schrifttum lehnt hingegen das Vorliegen eines
Mangels i.S.v. § 536 Abs. 1 BGB ab (vgl. OLG München NJW 2021, 948, 949; OLG
Karlsruhe NJW 2021, 945 f.; KG GE 2021, 570, 571; OLG Schleswig NZM 2021,
605, 607; OLG Frankfurt NZM 2021, 395, 397 f.;
Butenberg/Drasdo/Först/Hannemann/Heilmann NZM 2020, 493,
497; Häublein/Müller NZM 2020, 481, 484 f.; Leo/Götz NZM 2020, 402, 403;
Zehelein NZM 2020, 390, 392 ff.; Sittner NJW 2020, 1169, 1171; Sachsinger
ZMR 2020, 1002 ff.; Gerlach/Manzke ZMR 2020, 551, 554; Klimesch/Walther ZMR
2020, 353, 354; Both in Zehelein Miete in Zeiten von Corona § 3 Rn. 18 ff.;
Klose NZM 2021, 832, 833 f.). Zur Begründung wird überwiegend darauf
abgestellt, dass eine pandemiebedingte Betriebsuntersagung ein
Gebrauchshindernis darstelle, das nicht auf
Beschaffenheit, Zustand oder Lage der Mietsache beruhe, sondern allein das
Verwendungsrisiko des Mieters betreffe.
29 b) Die letztgenannte Meinung
trifft im Ergebnis zu. Die behördliche Untersagung der Öffnung der Filiale
der Beklagten stellt keinen Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 BGB
dar.
30 aa) Unter einem Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB ist die für
den Mieter nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustands der Mietsache
von dem vertraglich geschuldeten zu verstehen, wobei sowohl tatsächliche
Umstände als auch rechtliche Verhältnisse in Bezug auf die Mietsache als
Mangel in Betracht kommen können. Öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse
und Gebrauchsbeschränkungen, die dem vertragsgemäßen Gebrauch eines
Mietobjekts entgegenstehen, begründen nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs allerdings nur dann einen Sachmangel im Sinne der §§ 536
ff. BGB, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen und
nicht in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters ihre Ursache
haben (Senatsurteil vom 2. November 2016 - XII ZR 153/15 - NJW 2017, 1104
Rn. 15 mwN).
31 Ergeben sich aufgrund von gesetzgeberischen Maßnahmen erst
während eines laufenden Mietverhältnisses Beeinträchtigungen des
vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Mietobjekts, kann auch dies
einen Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen. Voraussetzung hierfür
ist jedoch, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte
Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem
Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht. Andere
gesetzgeberische Maßnahmen, die den geschäftlichen Erfolg beeinträchtigen,
fallen dagegen in den Risikobereich des Mieters. Denn der Vermieter von
Gewerberäumen ist gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB lediglich
verpflichtet, den Mietgegenstand während der Vertragslaufzeit in einem
Zustand zu erhalten, der dem Mieter die vertraglich vorgesehene Nutzung
ermöglicht. Das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache trägt bei der
Gewerberaummiete dagegen grundsätzlich der Mieter. Dazu gehört vor allem das
Risiko, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich die
Gewinnerwartung des Mieters aufgrund eines nachträglich eintretenden
Umstandes nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des
gewerblichen Mieters. Das gilt auch in Fällen, in denen es durch
nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen zu einer
Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs des Mieters kommt (Senatsurteil vom 13.
Juli 2011 - XII ZR 189/09 - NJW 2011,3151 Rn. 8 f. mwN).
32 bb) Auf dieser
rechtlichen Grundlage führt die auf den Allgemeinverfügungen des Sächsischen
Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt vom 18.
und 20. März 2020 beruhende Schließung des Einzelhandelsgeschäfts der
Beklagten nicht zu einem Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1
BGB, weil die mit der Schließungsanordnung zusammenhängende Gebrauchsbeschränkung nicht auf der konkreten
Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache beruht, sondern an
den Geschäftsbetrieb der Beklagten als Mieterin anknüpft.
33 (1) Durch
Ziffer 1 der Allgemeinverfügung des Sächsischen Staatsministeriums für
Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt vom 18. März 2020 wurde mit
Wirkung zum 19. März 2020 im gesamten Freistaat Sachsen die Schließung aller
Geschäfte und Einrichtungen angeordnet, die nicht der Grundversorgung der
Bevölkerung dienen. Damit sollte die dynamische Ausbreitung des
SARS-CoV-2-Virus eingedämmt werden, um die besonders vulnerablen
Personengruppen vor einer Ansteckung mit dem neuartigen Virus zu schützen
und eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Da eine besonders hohe Ansteckungsgefahr dort gesehen wurde, wo es zu einem
Zusammentreffen einer Vielzahl von Menschen kommt, sollte durch die
Schließung aller Geschäfte und Einrichtungen, die nicht der täglichen
Daseinsvorsorge dienen, eine deutliche Reduzierung menschlicher Kontakte
erreicht werden (vgl. Allgemeinverfügung des Sächsischen Staatsministeriums
für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt vom 18. März 2020, S. 4).
34 Die mit der Schließungsanordnung verbundene Gebrauchsbeschränkung der
Beklagten beruhte damit nicht auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand
oder der Lage des Mietobjekts. Die behördlich angeordnete
Geschäftsschließung knüpft allein an die Nutzungsart und den sich daraus
ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung
des SARS-CoV-2-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes
untersagt werden sollte. Durch die Allgemeinverfügung wird jedoch weder der
Beklagten die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen noch der
Klägerin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten
verboten. Das Mietobjekt stand daher trotz der Schließungsanordnung
weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung.
35 (2) Eine
Mangelhaftigkeit der Mietsache lässt sich auch nicht damit begründen, dass
durch die behördliche Schließungsanordnung faktisch der Zugang zu den
Mieträumen für potentielle Kunden der Beklagten verhindert oder beschränkt
war. Zwar ist der ungehinderte Zugang zu den Mieträumen gerade bei der
Vermietung von Gewerberäumen Voraussetzung für eine vertragsgemäße Nutzung
des Mietobjekts, wenn das dort betriebene Gewerbe auf
Kundenverkehr angewiesen ist. Eine Zugangsbehinderung kann daher einen
Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen (vgl.
Schmidt-Futterer/Eisenschmid Mietrecht 15. Aufl. § 536 BGB Rn. 210 mwN).
Um
eine Ausuferung des Mangelbegriffs zu verhindern, ist aber
Voraussetzung hierfür, dass die Zugangsbeschränkung unmittelbar mit der Lage
oder der Beschaffenheit des Mietobjekts in Verbindung steht. Dies kann etwa
der Fall sein, wenn durch Baumaßnahmen der öffentlichen Hand im Umfeld des
Mietobjekts der Zugang zu den Mieträumen erschwert ist (vgl.
Schmidt-Futterer/Eisenschmid Mietrecht 15. Aufl. § 536 BGB Rn. 210 mwN). Im
vorliegenden Fall beruht die Zugangsbeeinträchtigung jedoch nicht auf der
konkreten baulichen Gegebenheit der Mietsache, sondern auf einer
hoheitlichen Maßnahme, die flächendeckend für alle im gesamten Bereich des
Freistaats Sachsen liegenden Geschäfte ein Öffnungsverbot anordnete, die
nicht zu den in den Allgemeinverfügungen genannten Ausnahmen zählen. Auf die
konkreten Umfeldbedingungen kam es dabei nicht an. Deshalb ist entgegen der
Auffassung der Beklagten auch die Belegenheit des Mietobjekts im
Pandemiegebiet für die Einordnung als Mangel ohne Bedeutung (vgl. OLG
München NJW 2021, 948, 949).
36 (3) Das Vorliegen eines Mangels i.S.v. § 536
Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich auch nicht daraus, dass die
Mietvertragsparteien im vorliegenden Fall als Mietzweck die „Nutzung als
Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller
Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“ vereinbart haben. Der
Umfang der mit der Vereinbarung eines Mietzwecks übernommenen
Leistungspflicht des Vermieters ist grundsätzlich durch Auslegung nach dem
objektiven Empfängerhorizont aus Sicht eines Mieters gemäß §§ 133, 157 BGB
zu ermitteln. Ohne besondere Umstände, die hier nicht vorgetragen wurden,
gehören nur rechtliche Umstände, die die körperliche Beschaffenheit, den
Zustand oder die Lage der Mietsache betreffen oder Einfluss auf sie
haben, zu der vom Vermieter geschuldeten Leistung (vgl. Streyl NZM 2020,
817, 819). Für öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen, Verbote oder
Gebrauchshindernisse, die sich aus betriebsbezogenen Umständen ergeben oder
in der Person des Mieters ihre Ursache haben, hat der Vermieter hingegen
ohne eine anderslautende Vereinbarung nicht einzustehen (vgl.
Günter NZM 2016, 569, 570). Ein redlicher Mieter darf daher das
Leistungsversprechen seines Vermieters im Zweifel nicht dahin verstehen,
dieser wolle ihm die vereinbarte Nutzung unter allen erdenklichen Umständen
gewährleisten (Häublein/Müller NZM 2020, 481, 484). Deshalb konnte im
vorliegenden Fall die Beklagte nicht davon ausgehen, dass die Klägerin mit
der Vereinbarung des konkreten Mietzwecks eine unbedingte Einstandspflicht
auch für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Falle
einer Pandemie übernehmen wollte (vgl. OLG München NJW 2021, 948, 949).
37
(4) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich ein Mangel
der Mietsache im Falle der pandemiebedingten Schließung von gewerblich
genutzten Mieträumen auch nicht aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts.
38
Zwar hat das Reichsgericht (RGZ 87, 277, 280; 89, 203, 205) in Fällen, in
denen die Durchführung von Tanzveranstaltungen wegen des Ersten
Weltkriegs polizeilich untersagt worden war, für eine gepachtete
Gastwirtschaft, in der vorwiegend Tanzveranstaltungen durchgeführt wurden,
das Vorliegen eines Mangels bejaht. Nach Auffassung des Reichsgerichts hat
das polizeiliche Tanzverbot den Pachtgegenstand selbst betroffen. Denn
dieser sei der Eigenschaft einer Tanzwirtschaft beraubt worden und deshalb
mit einem die Tauglichkeit zu der vertragsgemäßen Nutzung mindernden Fehler
i.S.v. § 537 BGB a. F. behaftet.
39 Diese Rechtsprechung kann auf den
vorliegenden Fall indes nicht übertragen werden, weil ihr noch ein anderes
Verständnis des mietrechtlichen Mangelbegriffs zugrunde lag (vgl. OLG
Frankfurt NZM 2021, 395, 397 f.). Zwischenzeitlich hat der Bundesgerichtshof
seine Rechtsprechung zum Vorliegen eines Mangels i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1
BGB insbesondere bei öffentlich-rechtlichen Gebrauchsbeschränkungen
fortentwickelt und hierbei gerade im Bereich der Vermietung von
Gewerberäumen verstärkt die grundsätzliche Risikoverteilung zwischen
Vermieter und Mieter in den Blick genommen (vgl.
Senatsurteil vom 13. Juli
2011 - XII ZR 189/09 - NJW 2011,3151 Rn. 9 mwN). Hinzu kommt, dass das
Reichsgericht die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage, über
die ein interessengerechter Ausgleich zwischen den Mietvertragsparteien bei
Einschränkung der Nutzbarkeit der Mietsache infolge von höherer Gewalt
wie Kriegsereignissen oder einer weltweiten Pandemie erreicht werden kann,
erst zu einem späteren Zeitpunkt entwickelt hat (vgl. RGZ 100, 129, 132 f.;
Münch-KommBGB/Finkenauer 8. Aufl. § 313 Rn. 23 mwN; Streyl NZM 2020, 817,
819).
40 3. Die Beklagte ist auch nicht deshalb von ihrer Verpflichtung zur
Mietzahlung befreit, weil der Klägerin ihre vertraglich geschuldete Leistung
zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen
Gebrauch geeigneten Zustand ganz oder teilweise unmöglich gewesen wäre (§§
326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB). Dabei kann dahinstehen, ob diese Regelungen
auch dann nach der Überlassung der Mietsache an den Mieter nicht mehr
anwendbar und von den speziellen Regelungen des mietrechtlichen
Gewährleistungsrechts (§§ 536 ff. BGB) verdrängt werden, wenn die Mietsache
- wie hier - keinen Mangel aufweist (vgl. dazu MünchKommBGB/Häublein 8.
Aufl. Vor § 536 Rn. 7; BeckOGK/Bieber [Stand: 1. April 2021] § 536 BGB Rn.
9; Staudinger/V. Emmerich BGB [2021] Vorb. zu §§ 536 ff. Rn. 5).
Wie bereits
ausgeführt, war es der Klägerin während des streitgegenständlichen Zeitraums
trotz der behördlichen Schließungsanordnung nicht unmöglich, der Beklagten
den Gebrauch der Mietsache entsprechend dem vereinbarten Mietzweck zu
gewähren. Die Klägerin hat daher auch während der Zeit der
Betriebsschließung die von ihr gemäß § 535 Abs. 1 BGB geschuldete Leistung
erbracht. Eine Einstandspflicht für den Fall einer hoheitlich angeordneten
Öffnungsuntersagung im Falle einer Pandemie hatte sie nicht übernommen.
41 4. Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer
hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt
allerdings ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf
Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1
BGB in Betracht. Dies hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend
erkannt; seine Erwägungen zu einer möglichen Vertragsanpassung sind jedoch
nicht frei von Rechtsfehlern.
42 a) Gemäß § 313 Abs. 1 BGB kann eine
Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur
Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsabschluss schwerwiegend
verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt
geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten.
Dabei
kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der
vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am
unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
43 aa)
Durch die
COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen weitreichenden Beschränkungen
des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens hat sich die
Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien abgeschlossenen Mietvertrag
schwerwiegend geändert.
44 (1) Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs wird die Geschäftsgrundlage eines Vertrags durch die bei
Vertragsabschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen der Parteien oder
die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten
Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen
Eintritt gewisser Umstände gebildet, sofern der Geschäftswille der Parteien
auf dieser Vorstellung aufbaut (vgl. BGH Urteil vom 1. Dezember 2012 - VIII
ZR 307/10 - NJW 2012, 1718 Rn. 26 mwN).
45 Unstreitig hatte keine der
Parteien bei Abschluss des Mietvertrags im Jahr 2013 die Vorstellung,
während der vereinbarten Mietzeit werde es zu einer Pandemie und damit
verbundenen erheblichen hoheitlichen Eingriffen in den Geschäftsbetrieb der
Beklagten kommen, durch die die beabsichtigte Nutzung der Mieträume
eingeschränkt wird. Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie wie Geschäftsschließungen, Kontakt-
und Zugangsbeschränkungen und der damit verbundenen massiven
Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in
Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ist im
vorliegenden Fall die sogenannte große Geschäftsgrundlage
betroffen.
Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass
sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen
Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht etwa durch Revolution, Krieg,
Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die
Sozialexistenz nicht erschüttert werde (MünchKommBGB/ Finkenauer 8. Aufl. §
313 Rn. 17; Palandt/Grüneberg BGB 80. Aufl. § 313 Rn. 5; OLG München NJW
2021, 948, 949 f.; KG GE 2021, 570, 572; OLG Frankfurt NZM 2021, 395;
Häublein/Müller NZM 2020, 482, 486 f.; Zehelein NZM 2020, 390, 398; Streyl
NZM 2020, 817, 821; Warmuth COVuR 2020, 16, 18). Diese Erwartung der
Parteien wurde dadurch schwerwiegend gestört, dass die Beklagte aufgrund der
zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlassenen Allgemeinverfügungen des
Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen
Zusammenhalt vom 18. März 2020 und 20. März 2020 ihr Geschäftslokal in der
Zeit vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen musste.
46 (2) Dafür, dass bei einer zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie behördlich
angeordneten Betriebsschließung die tatsächliche Voraussetzung des § 313
Abs. 1 Satz 1 BGB einer schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage erfüllt ist, spricht auch die durch Art. 10 des Gesetzes zur
weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung
pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-
und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Patentrecht vom 22. Dezember 2020
(BGBl. I S. 3328) eingefügte Vorschrift des Art. 240 § 7 EGBGB. Danach wird
vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur
Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend
verändert hat, wenn vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine
Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher
Einschränkung verwendbar sind (vgl. Klose NZM 2021, 832, 835).
47 Zwar wird
im Schrifttum vereinzelt die Auffassung vertreten, die Vorschrift, die zum
31. Dezember 2020 in Kraft getreten ist (vgl. Art. 14 Abs. 2 des
Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur
Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-,
Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Patentrecht
vom 22. Dezember 2020), entfalte eine echte Rückwirkung und könne deshalb
auf Sachverhalte, die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens abgeschlossen
waren, nicht angewendet werden (Klimesch IMR 2021, 47 f.).
48 In der
Gesetzesbegründung ist jedoch ausgeführt, dass die Vorschrift auch auf
zurückliegende Sachverhalte anwendbar sein soll (BT-Drucks. 19/25322 S. 24).
Auch in Rechtsprechung und Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die
Vorschrift auf Sachverhalte anwendbar ist, die zum Zeitpunkt ihres
Inkrafttretens abgeschlossen waren, über die aber noch nicht
rechtskräftig entschieden worden ist (OLG Karlsruhe NJW 2021, 945;
BeckOGK/Siegmund [Stand. 1. Oktober 2021] EGBGB Art. 240 § 7 Rn. 15;
Blatt/Stobbe IMR 2021,45). Diese Streitfrage kann jedoch
dahinstehen. Art. 240 § 7 EGBGB hat nur einen eng begrenzten
Regelungsgehalt. Die Vorschrift beschränkt sich auf die Vermutung, dass bei
Mietverträgen über gewerblich genutzte Räumlichkeiten
Gebrauchsbeschränkungen infolge von staatlich angeordneten Maßnahmen zur
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu einer schwerwiegenden Störung der
Geschäftsgrundlage führen. Der Regelungsgehalt der Vorschrift bezieht sich
damit nur auf das reale Element des § 313 Abs. 1 BGB (BT-Drucks. 19/25322 S.
20), das in den Fällen einer Störung der großen Geschäftsgrundlage ohnehin
unproblematisch erfüllt ist. Zu den weiteren Voraussetzungen für eine
Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage verhält sich die
Vorschrift nicht (BT-Drucks. 19/25322 S. 20 f.). Insbesondere sagt sie auch
nichts darüber aus, ob und gegebenenfalls in welcher Form eine
Vertragsanpassung erfolgen soll (BeckOGK/Martens [Stand. 1. Oktober 2021]
BGB § 313 Rn. 247; BT-Drucks. 19/25322 S. 21).
49 bb) Für eine
Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§
313 BGB) ist allerdings grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um
Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen
in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen.
Eine
solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die
Vertragspartei regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des
Risikos auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen (Senatsurteil
BGHZ 223, 290 = NJW 2020, 331 Rn. 37 mwN).
50 Entgegen der Auffassung der
Klägerin hat die Beklagte im vorliegenden Fall nicht vertraglich das
alleinige Verwendungsrisiko für den Fall einer pandemiebedingten Schließung
ihres Einzelhandelsgeschäfts übernommen.
51 Zwar können die
Mietvertragsparteien durch eine entsprechende vertragliche Abrede die
Risikoverteilung ändern. Ob das der Fall ist, ist durch Auslegung der
getroffenen Vertragsvereinbarungen zu ermitteln. Soweit die Klägerin
meint, vorliegend sei in § 5 Nr. 3 des Mietvertrags eine entsprechende
Vereinbarung getroffen worden, kann dem jedoch nicht gefolgt werden. Nach
ihrem eindeutigen Wortlaut bezieht sich diese Regelung nur auf Mängel- und
Schadensersatzansprüche des Mieters. Da Vertragsbestimmungen, mit denen die
Mietvertragsparteien die Risikoverteilung abändern wollen, grundsätzlich eng
auszulegen sind, kann aus dieser Regelung nicht geschlossen werden, dass die
Beklagte über den umfangreichen Verzicht auf mietrechtliche
Gewährleistungsansprüche in den von der Vertragsbestimmung erfassten
Ereignissen hinaus auch im Fall einer weltweiten Pandemie das alleinige
Risiko dafür übernehmen wollte, die Mietsache nicht vertragsgemäß verwenden
zu können.
52 cc) Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte kann auch davon
ausgegangen werden, dass die Parteien den Mietvertrag mit einem anderen
Inhalt abgeschlossen hätten, wenn sie bei Vertragsschluss im Jahr 2013 die
Möglichkeit einer Pandemie und die damit verbundene Gefahr einer hoheitlich
angeordneten Betriebsschließung vorausgesehen und bedacht hätten.
Es ist
anzunehmen, dass redliche Mietvertragsparteien für diesen Fall das damit
verbundene wirtschaftliche Risiko nicht einseitig zu Lasten des Mieters
geregelt, sondern in dem Vertrag für diesen Fall eine Möglichkeit zur
Mietanpassung vorgesehen hätten.
53 dd) Allein der Wegfall der
Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch noch nicht zu
einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als
weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der
vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am
unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Durch diese Formulierung kommt zum
Ausdruck, dass nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsschluss
bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung
oder eine Kündigung (§ 313 Abs. 3 BGB) rechtfertigt. Hierfür ist vielmehr
erforderlich, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die
betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt (Senatsbeschluss vom
3. Dezember 2014 - XII ZB 181/13 - FamRZ 2015, 393 Rn.
19 mwN; BGH Urteil vom 1. Februar 2012 - VIII ZR 307/10 - NJW 2012, 1718 Rn.
30 mwN). Deshalb kommt eine Vertragsanpassung zugunsten des Mieters
jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn ihm ein unverändertes Festhalten an
der vertraglich vereinbarten Miethöhe unter Abwägung aller Umstände
einschließlich der vertraglichen Risikoverteilung zumutbar ist (vgl. BGH
Urteil vom 11. Dezember 2019 - VIII ZR 234/18 - NJW-RR 2020, 523 Rn. 20
ff.).
54 (1) Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trägt grundsätzlich
der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache. Dazu gehört bei
der gewerblichen Miete vor allem die Chance, mit dem Mietobjekt Gewinne
erzielen zu können (Senatsurteil vom 21. September 2005 - XII ZR 66/03 - NJW
2006, 899, 901). Erfüllt sich die Gewinnerwartung des Mieters aufgrund eines
nachträglich eintretenden Umstandes nicht, so verwirklicht sich damit ein
typisches Risiko des gewerblichen Mieters. Das gilt auch in Fällen, in denen
es durch nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen zu einer
Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs des Mieters kommt (Senatsurteil vom
13.
Juli 2011 - XII ZR 189/09 - NJW 2011, 3151 Rn. 9).
55
Beruht die enttäuschte
Gewinnerwartung des Mieters jedoch auf einer hoheitlichen Maßnahme zur
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen
gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des
Mieters hinaus (vgl. OLG München NJW 2021, 948, 951 f.; KG GE 2021, 570,
572; Häublein/Müller NZM 2020, 482, 487; Streyl NZM 2020, 817, 822; Warmuth
COVuR 2020, 16; 20; Römermann NJW 2021, 265, 268). Die wirtschaftlichen
Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten
Betriebsschließung erlitten hat, beruhen nicht auf unternehmerischen
Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein
Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie
sind vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das
wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien
verantwortlich gemacht werden kann. Die Art der Maßnahmen zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie wurde zudem von dem Ziel bestimmt, menschliche Kontakte
aus Gründen des Infektionsschutzes weitgehend zu reduzieren. Die Maßnahmen
waren nach epidemiologischen Gesichtspunkten ausgewählt, knüpften dabei aber
grundsätzlich weder an spezifische Eigenschaften des vom Mieter geführten
Gewerbebetriebs noch an solche des Mietobjekts an (BeckOGK/Martens [Stand:
1. Oktober 2021] BGB § 313 Rn. 246). Durch die COVID-19-Pandemie hat sich
damit letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der
mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche
Regelung nicht erfasst wird. Diese Systemkrise mit ihren weitreichenden
Folgen hat vielmehr zu einer Störung der großen Geschäftsgrundlage
geführt.
Das damit verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein
zugewiesen werden (KG GE 2021, 570, 572; Häublein/Müller NZM 2020, 482,
487; Römermann NJW 2021, 265, 268). Schließlich ging auch der Gesetzgeber
bei der Schaffung des Art. 240 § 7 EGBGB davon aus, dass ohne entsprechende
vertragliche Regelungen Belastungen infolge staatlicher Maßnahmen zur
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie regelmäßig weder der Sphäre des Vermieters
noch des Mieters zuzuordnen sind (BT-Drucks. 19/25322 S. 21).
56
Danach hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die
pandemiebedingte Schließung von Geschäften nicht allein das
Verwendungsrisiko der Beklagten betrifft und ihr daher auch nicht einseitig
aufgebürdet werden kann.
57 (2) Auch wenn die mit einer pandemiebedingten
Betriebsschließung verbundene Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache nicht
allein dem Verwendungsrisiko des Mieters zugeordnet werden kann, bedeutet
dies aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den
Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem
unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer
umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu
berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Eine pauschale Betrachtungsweise
wird den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift
nicht gerecht. Deshalb kommt eine Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne
Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der
Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das
Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der
beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht (vgl. auch OLG
München NJW 2021, 948, 952; OLG Hamm Urteil vom 24. September 2021 - 30 U
114/21 - juris Rn. 79; OLG Karlsruhe NJW 2021, 945, 947; Klose NZM 2021,
832, 839; a.A. KG GE 2021, 570, 572; OLG Köln NJW-RR 2021, 1218, 1221;
Zehelein NZM 2020, 390, 399 f.; Römermann NJW 2021, 265, 269;
Säcker/Schubert BB 2020, 2563, 2570; Klimesch/Walther ZMR 2020, 556, 557
f.).
58 Bei der vorzunehmenden Abwägung ist zunächst von Bedeutung,
welche
Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer
entstanden sind. Diese werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem
konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch
nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz
abzustellen ist (Streyl NZM 2020, 817, 825). Zu
berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat
oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der
Geschäftsschließung zu vermindern.
59 Da eine Vertragsanpassung nach den
Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer
Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der
Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu
berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich
dieser pandemiebedingten Nachteile erlangt hat (OLG München NJW 2021, 948,
952; OLG Karlsruhe NJW 2021, 945, 946 f.; KG GE 2021, 570, 572;
Häublein/Müller NZM 2020, 482, 489; Zehelein NZM 2020, 390, 401; Saxinger
ZMR 2020, 1002, 1007 f.; Tölle/Ehrentreich IMR 2021, 178, 179; Klimesch IMR
2021, 47; Güther ZMR 2021, 296 f.). Auch Leistungen einer
einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters können zu
berücksichtigen sein (OLG Frankfurt NZM 2021, 395, 402; Häublein/Müller NZM
2020, 482, 488 f.; vgl. auch den Verhandlungstermin des BGH am 26. Januar
2022 in dem Verfahren IV ZR 144/21). Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die
nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der
gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine
endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht
(Häublein/Müller NZM 2020, 482, 489). Eine tatsächliche Gefährdung der
wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist dagegen nicht erforderlich (KG GE
2021, 570, 572; OLG Frankfurt NZM 2021, 395, 402; Streyl NZM 2020, 817, 824;
Römermann NJW 2021, 265, 268).
60 Schließlich sind bei der gebotenen
Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen (vgl. OLG
München NJW 2021, 948, 952).
61 (3) Dabei obliegt es grundsätzlich der
Vertragspartei, die sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage beruft,
nachzuweisen, dass ihr ein Festhalten am unveränderten
Vertrag unzumutbar ist (MünchKommBGB/Finkenauer 8. Aufl. § 313 Rn. 135 mwN).
Im Falle einer pandemiebedingten Geschäftsschließung muss daher der Mieter
darlegen und gegebenenfalls beweisen, welche Nachteile ihm aus der
Betriebsschließung entstanden sind, die ihm eine vollständige Mietzahlung
für diesen Zeitraum unzumutbar machen (Saxinger ZMR 2020, 1002, 1007 f.;
Tölle/Ehrentreich IMR 2021, 178, 180), und welche zumutbaren Anstrengungen
er unternommen hat, um drohende Verluste auszugleichen. Behauptet der
Mieter, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben,
muss er darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er sich um mögliche
Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat. Gelingt ihm dies nicht, muss er sich
so behandeln lassen, als hätte er die staatlichen Unterstützungsleistungen
erhalten (Häublein/Müller NZM 2020, 481, 489). Wendet hingegen der
Vermieter ein, dass die vom Mieter behaupteten Verluste nicht auf der
COVID-19-Pandemie beruhen, trifft ihn hierfür die Darlegungs- und Beweislast
(BeckOGK/Martens [Stand: 1. Oktober 2021] BGB § 313 Rn. 251).
62 Auf dieser
Grundlage hat das Gericht in tatrichterlicher Verantwortung und unter
Berücksichtigung von § 287 ZPO für den konkreten Einzelfall die
Voraussetzungen des § 313 BGB festzustellen und gegebenenfalls eine
Vertragsanpassung vorzunehmen.
63 b) Nach diesen Grundsätzen ist die
Auffassung des Berufungsgerichts, im vorliegenden Fall sei der Mietvertrag
dahingehend anzupassen, dass die Beklagte für die Zeit der
Geschäftsschließung nur die hälftige Miete schuldet, nicht frei von
Rechtsfehlern.
64 Das Berufungsgericht hat verkannt, dass die Frage,
ob dem
Mieter ein Festhalten an dem Vertrag zumutbar ist, auch im Fall einer
pandemiebedingten Geschäftsschließung eine konkret auf den Einzelfall
bezogene Abwägung aller relevanten Umstände erfordert, die nicht durch
eine pauschale Aufteilung der Miete ersetzt werden kann. Deshalb lässt sich
die vom Berufungsgericht vorgenommene Absenkung der Kaltmiete um 50 % nicht
mit der gegebenen Begründung rechtfertigen, die mit der pandemiebedingten
Geschäftsschließung verbundenen Belastungen seien gleichmäßig auf beide
Mietvertragsparteien zu verteilen, weil keine der Parteien eine Ursache für
die Störung der Geschäftsgrundlage gesetzt habe. Das Berufungsgericht hätte
vielmehr tragfähige Feststellungen dazu treffen müssen, welche konkreten
wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem
streitgegenständlichen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese
Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags
erforderlich macht. Deshalb durfte das Berufungsgericht es auch nicht
dahinstehen lassen, ob die Beklagte für die Zeit der
Geschäftsschließung entsprechende staatliche Hilfen erhalten hat oder hätte
erhalten können. Die Beklagte hat zwar in den Instanzen vorgetragen, ihr
seien keine staatlichen Unterstützungsleistungen zugeflossen. Die Klägerin
hat diese Behauptung jedoch - auch noch im Berufungsverfahren - bestritten.
Hinzu kommt, dass die Beklagte nur die Miete für April 2020 ausgesetzt und
die weiteren Mieten im Jahr 2020 vollständig bezahlt hat. Auch dies hätte
für das Berufungsgericht Anlass sein müssen, sich die Frage vorzulegen, ob
der durch die Geschäftsschließung entstandene Umsatzrückgang tatsächlich so
erheblich war, dass der Beklagten die vollständige Zahlung der Miete für den
streitgegenständlichen Zeitraum unzumutbar war.
III.
65 Die
angefochtene Entscheidung ist daher gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und
die Sache ist nach § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen.
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