Keine Anwendung von § 314 BGB auf die fristlose
Kündigung von Wohnraum; Subsidiarität von § 314 BGB gegenüber speziellen
Tatbeständen der außerordentlichen Kündigung
BGH, Versäumnisurteil vom 13. Juli
2016 - VIII ZR 296/15 - LG Düsseldorf
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
§ 314 Abs. 3 BGB findet auf
die fristlose Kündigung eines (Wohnraum-) Mietverhältnisses nach §§ 543, 569
BGB keine Anwendung.
Zentrale Probleme:
Ein Standard-Konkurrenzproblem: Die allgemeine
Regelung für die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen in § 314 BGB findet
keine Anwendung, wenn es für das betreffende Dauerschuldverhältnis eine
spezielle Kündigungsregelung bezgl. einer außerordentlichen Kündigung aus
wichtigem Grund gibt. Durch einen Rückgriff auf § 314 BGB könnten dann
nämlich zB die strengen Voraussetzungen und Fristen, die etwa das
Wohnraummietrecht oder das Dienst- und Arbeitsrecht vorsehen, umgangen
werden.
Auch deshalb ist die Qualifikation eines Dauerschuldverhältnisses als
typischer Vertrag oder als Vertrag sui generis bzw. gemischter Vertrag
wichtig. So ist § 314 BGB etwa beim Fitnessstudiovertrag anwendbar, s.
BGH NJW 2012, 1431.
Offen lassen kann man das nur, wenn sowohl § 314 BGB als auch die
speziellere Norm erfüllt sind, so etwa geschehen in
BGH v. 7.3.2013 -
III ZR 231/12.
Hier ging es konkret darum, ob zugunsten des Mieters die Ausschlussfrist des
§ 314 III BGB anzuwenden ist, wenn der Vermieter wegen eines qualifizierten
Zahlungsverzugs gem. § 543 II 1 Nr. 3b BGB zur Kündigung berechtigt ist, mit
dieser Kündigung aber 7 Monate abwartet. Der BGH verneint das. Im
Wohnraummietrecht kann man freilich in einem solchen Fall entweder an der
von § 543 I BGB vorausgesetzten Unzumutbarkeit der Fortsetzung des
Mietverhältnisses zweifeln oder aber Verwirkung annehmen. Im vorliegenden
Fall wäre ersteres aber deshalb nicht möglich, weil die Rspr. bei den in §
543 II BGB genannten gründen eine weitere Abwägung nach
Zumutbarkeitskriterien nicht mehr zulässt (s.
BGH v. 4.2.2015 - VIII ZR 175/14).
©sl 2016
Tatbestand:
1 Die Beklagte mietete im Jahr 2006 von der Klägerin
eine Wohnung in Düsseldorf, deren Miete zuletzt monatlich 619,50 € zuzüglich
Vorauszahlung auf die Nebenkosten betrug. Die Beklagte zahlte die Mieten für
die Monate Februar und April 2013 nicht. Die Klägerin mahnte die Zahlung
dieser Beträge deswegen mit Schreiben vom 14. August 2013 an. Mit Schreiben
vom 3. September 2013 teilte die Beklagte mit, sie habe diese Mieten leider
nicht überwiesen und entschuldige sich dafür, beglich die Mietrückstände
aber in der Folgezeit nicht. Daraufhin erklärte die Klägerin mit Schreiben
vom 15. November 2013 die fristlose Kündigung.
2 Das Amtsgericht hat der auf Räumung und Herausgabe sowie auf Zahlung einer
Betriebskostennachforderung für das Jahr 2012 in Höhe von 1.577,50 € nebst
Zinsen gerichteten Klage - bis auf einen Betrag von 515,21 € nebst Zinsen -
stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das
amtsgerichtliche Urteil unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung
teilweise abgeändert, indem es die Klage auf Räumung und Herausgabe der
Wohnung abgewiesen hat. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
erstrebt die Klägerin die vollständige Wiederherstellung des
amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision hat Erfolg.
4 Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu
entscheiden, da die Beklagte in der mündlichen Revisionsverhandlung trotz
ordnungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das
Urteil indessen nicht auf der Säumnis der Beklagten, sondern auf einer
Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 - VIII ZR 110/60, BGHZ 37,
79, 81 f.).
I.
5 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für
das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
6 Die Klage auf Räumung sei unbegründet. Zwar habe sich die Beklagte zum
Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung mit zwei Monatsmieten im Verzug
befunden. Dabei könne dahinstehen, ob die Miete wegen der von der Beklagten
behaupteten Mängel der Mietsache gemäß § 536 BGB gemindert gewesen sei, weil
es jedenfalls am Zugang einer Mängelanzeige gefehlt habe. Die Beklagte sei
daher gemäß § 536c Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB mit der Geltendmachung ihrer
Rechte ausgeschlossen.
7 Die Kündigungserklärung vom 15. November 2013 sei aber gemäß § 314 Abs. 3
BGB unwirksam, weil sie nicht innerhalb einer angemessenen Frist ab
Kenntniserlangung der Klägerin von dem Kündigungsgrund erfolgt sei. Die
Vorschrift finde im Wohnraummietverhältnis Anwendung. Das Kündigungsrecht
sei ausgeschlossen, wenn seit der Kenntniserlangung des Vermieters von dem
Eintritt der Kündigungsvoraussetzungen längere Zeit vergangen sei und der
Mieter aufgrund konkreter Umstände davon ausgehen dürfe, dass der Vermieter
von seinem Kündigungsrecht keinen Gebrauch machen werde.
8 Für die Anwendung des § 314 Abs. 3 BGB spreche, dass es sich um eine
außerordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem
Grund handele. Die Interessenabwägung gehe in den Fällen des § 543 Abs. 2
Satz 1 Nr. 3 BGB zu Lasten des Mieters aus, weil der Vermieter erhebliche
finanzielle Einbußen durch Mietrückstände erleide. Es sei aber nicht
ersichtlich, warum der Vermieter noch weiter geschützt werden solle, indem
er das ihm zustehende Kündigungsrecht zeitlich unbegrenzt ausüben könne.
Vielmehr sei einem Vermieter, der trotz Kenntnis des Vorliegens der
Kündigungsvoraussetzungen nicht innerhalb einer angemessenen Frist von
seinem Kündigungsrecht Gebrauch mache, die Fortsetzung des Mietverhältnisses
bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder aber der sonstigen
Beendigung des Mietverhältnisses zuzumuten. In diesen Fällen sei der Mieter
schutzwürdiger, der aufgrund konkreter Umstände davon ausgehen dürfe, der
Vermieter werde von seinem Kündigungsrecht keinen Gebrauch mehr machen.
9 Die Beklagte habe darauf vertrauen dürfen, dass eine fristlose Kündigung
wegen der Mietrückstände aus Februar und April 2013 mehr als sieben Monate
später im November 2013 nicht mehr erfolgen werde. Es seien bis zum
Zeitpunkt der Kündigung keine weiteren Umstände hinzugetreten, die das
Zuwarten der Klägerin und die im Anschluss erfolgte Kündigung
nachvollziehbar machten, wie etwa die Entstehung weiterer Mietrückstände.
Der Umstand, dass die Klägerin die Beklagte zuvor gemahnt habe, stehe einem
schutzwürdigen Vertrauen auf Seiten der Beklagten nicht entgegen. Die
Beklagte habe davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin zwar darauf bestehe,
dass die offenen Mieten noch gezahlt werden, dies jedoch nicht zum Anlass
nehmen werde, das Mietverhältnis fristlos zu kündigen.
10 In diesem Zusammenhang gewinne auch der Umstand an besonderer Bedeutung,
dass es sich bei der Klägerin um eine Kirchengemeinde handele, der die
Beklagte zudem früher als Küsterin auch beruflich verbunden gewesen sei. Es
habe daher für die Beklagte durchaus nahegelegen, dass die Klägerin von
ihrem Kündigungsrecht aus sozialen oder auch ethischen Erwägungen keinen
Gebrauch machen werde.
II.
11 Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom
Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Wirksamkeit der fristlosen
Kündigung vom 15. November 2013 und die Begründetheit des hierauf gestützten
Anspruchs auf Räumung und Herausgabe der gemieteten Wohnung (§§ 546, 985
BGB) nicht verneint werden. Denn der Zeitablauf von sieben Monaten zwischen
der erstmaligen Kündigungsmöglichkeit wegen Zahlungsverzugs (5. April 2013)
und der Erklärung der Kündigung am 15. November 2013 steht der Wirksamkeit
der Kündigung nicht entgegen.
12 1. Das Berufungsgericht hat einen Räumungsanspruch der Klägerin (§§ 546,
985) verneint, weil die mit Schreiben vom 15. November 2015 erklärte
Kündigung der Klägerin das Mietverhältnis mit der Beklagten nicht beendet
habe. Dabei hat das Berufungsgericht - insoweit rechtsfehlerfrei - einen
Zahlungsverzug in Höhe von zwei Monatsmieten bejaht, der den Vermieter
grundsätzlich zur Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB
berechtigt. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Kündigung sei gleichwohl
unwirksam, weil sie erst sieben Monate nach der ersten Kündigungsmöglichkeit
und deshalb nicht in einer angemessenen Frist (§ 314 Abs. 3 BGB) erklärt
worden sei, ist indes mit Rechtsfehlern behaftet.
13 Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Vorschrift
des § 314 Abs. 3 BGB auf die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses
gemäß §§ 543, 569 BGB schon nicht anwendbar. Davon abgesehen wäre
die vom Berufungsgericht innerhalb der von ihm bejahten Anwendung des § 314
Abs. 3 BGB vorgenommene Beurteilung aber auch nach den Maßstäben dieser
Bestimmung rechtsfehlerhaft. Denn die Annahme, die Kündigung sei nicht in
angemessener Frist ausgesprochen worden, ist angesichts des vom
Berufungsgericht nicht berücksichtigten Umstands, dass die
Zahlungsrückstände trotz Mahnung fortbestanden und die Klägerin durch das
Zuwarten mit der Kündigung Rücksicht auf die Belange der Beklagten genommen
hat (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 2 BGB), nicht berechtigt. Die Sichtweise des
Berufungsgerichts liefe darauf hinaus, dass ein für die Mieter gerade
günstiges Zuwarten unterbliebe und der Vermieter gehalten wäre, zur
Vermeidung eigener Nachteile, frühestmöglich eine fristlose Kündigung
auszusprechen.
14 a) § 314 Abs. 3 BGB findet auf die fristlose Kündigung eines
(Wohn-raum-)Mietverhältnisses nach §§ 543, 569 BGB keine Anwendung.
15 Allerdings hat der Senat diese Frage bisher offen
gelassen (vgl. Senatsurteile vom 15. April 2015 - VIII ZR 281/13,
NJW 2015, 2417 Rn. 29; vom 11. März 2009 - VIII ZR 115/08, WuM 2009, 231 Rn.
17; Senatsbeschluss vom 13. April 2010 - VIII ZR 206/09, NZM 2011, 32 Rn. 5;
vgl. in diesem Zusammenhang ferner zur Gewerberaummiete BGH, Urteil vom 21.
März 2007 - XII ZR 36/05, NJW-RR 2007, 886 Rn. 21: dort wurde eine illoyale
Verspätung sowohl im Rahmen der Verwirkung als auch im Rahmen des § 314 Abs.
3 BGB verneint, ohne dass dessen Anwendbarkeit näher erörtert wurde), weil
sie nicht entscheidungserheblich war. Dem lag die Überlegung
zugrunde, dass es (bei Anlegung eines zutreffenden Maßstabes) im Falle einer
nach § 314 Abs. 3 BGB durchgreifenden illoyalen Verspätung typischerweise
ebenso an einer Unzumutbarkeit nach § 543 Abs. 1 BGB fehlen wird oder die
Voraussetzungen des Einwandes von Treu und Glauben, insbesondere der
Verwirkung, erfüllt sein werden (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April
2010 - VIII ZR 206/09, aaO Rn. 5 mwN), wohingegen es bei Einhaltung einer
angemessenen Frist nach § 314 Abs. 3 BGB ohnehin bei der Wirksamkeit der
fristlosen Kündigung nach § 543 BGB verbliebe.
16 b) Nunmehr gibt die vom Berufungsgericht zugelassene Revision
Anlass, die Frage zu klären, ob § 314 Abs. 3 BGB auf die fristlose Kündigung
eines Mietverhältnisses gemäß §§ 543, 569 BGB überhaupt Anwendung findet
oder ob es sich bei diesen Bestimmungen um abschließende Sonderregelungen
handelt.
17 aa) Schon der Wortlaut dieser Vorschriften spricht gegen eine
zeitliche Schranke für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung
(vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2010 - VIII ZR 206/09, aaO). § 543 BGB,
der - sei es als Generalklausel (Abs. 1), sei es als Regeltatbestände (Abs.
2) - die Voraussetzungen für die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses
regelt, bestimmt in seinen weiteren Absätzen im Einzelnen die Modalitäten
der Kündigung. Eine zeitliche Beschränkung für den Ausspruch der
Kündigung schreibt diese Bestimmung nicht vor. Ebenso wenig enthält sie
einen Verweis auf § 314 Abs. 3 BGB. Auch § 569 BGB, der für
Wohnraummietverhältnisse die Vorschrift des § 543 BGB um weitere Tatbestände
und Kündigungsmodalitäten ergänzt, sieht weder eine Zeitspanne, innerhalb
derer die fristlose Kündigung auszusprechen ist, noch einen Verweis auf §
314 Abs. 3 BGB vor.
18 bb) Dies wird bestätigt durch die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck
gekommene Zielsetzung des Gesetzgebers. Aus den Gesetzesmaterialien zu §§
543, 569 BGB und zu § 314 BGB ergibt sich eindeutig, dass die Vorschriften
über die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses als abschließende
spezielle Regelung konzipiert sind und von der Einfügung einer Bestimmung,
wonach die Kündigung in "angemessener Frist" zu erfolgen habe, bewusst
abgesehen wurde.
19 (1) Die Neufassung der mietrechtlichen Kündigungsbestimmungen im Rahmen
des Mietrechtsreformgesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1149) sollte die
bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze ablösen und das zuvor aus allgemeinen
Rechtsgrundsätzen hergeleitete fristlose Kündigungsrecht aus wichtigem Grund
sowie die über mehrere Einzelvorschriften verstreuten speziellen
Kündigungsgründe ablösen (BT-Drucks. 14/4553, S. 43). Mit Ausnahme der
Verlängerung der Schonfrist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) sollte damit eine
inhaltliche Änderung nicht verbunden sein (BT-Drucks. 14/4553, S. 64). Die
Regelung des § 314 BGB oder eine vergleichbare allgemeine Vorschrift gab es
zum damaligen Zeitpunkt nicht. Auch in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung war ein allgemeiner Grundsatz dieses Inhalts nicht entwickelt
worden.
20 Es war allerdings seit langem anerkannt, dass eine längere
Verzögerung der Kündigungserklärung Rechtsfolgen nach sich zieht, etwa in
der Weise, dass es bei Kündigungstatbeständen, die auf eine Unzumutbarkeit
der Vertragsfortsetzung abstellen, angesichts einer längeren
Kündigungsverzögerung an einer solchen Unzumutbarkeit und somit an einem
durchgreifenden Kündigungsgrund fehlen kann (vgl. dazu Senatsurteil
vom 23. September 1987 - VIII ZR 265/86, NJW-RR 1988, 77, unter II 2 a mwN
[zu § 554a BGB aF]). Ebenso stand und steht außer Frage, dass eine
fristlose Kündigung im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände treuwidrig,
insbesondere verwirkt sein kann (vgl. BGH, Urteile vom 29. April
2009 - VIII ZR 142/08, NJW 2009, 2297 Rn. 17; vom 18. Oktober 2006 - XII ZR
33/04, NJW 2007, 147 Rn. 11; vgl. ferner die frühere Rechtsprechung zur
Verwirkung eines Rechts zur fristlosen Kündigung des Mieters gemäß § 542 BGB
aF bei vorbehaltloser Weiterzahlung der Miete für eine gewisse Zeit, dazu
BGH, Urteil vom 31. Mai 2000 - XII ZR 41/98, NJW 2000, 2663 unter II 3).
21 (2) Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber bei der Mietrechtsreform
vom 19. Juni 2001 bewusst davon abgesehen festzulegen, dass die Kündigung
innerhalb einer "angemessenen Zeit" ab Kenntnis vom Kündigungsgrund zu
erfolgen hat (BT-Drucks. 14/4553, S. 44) Die Gesetzesbegründung verweist
darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung ein Kündigungsrecht verwirkt
werden könne und deshalb ein Bedürfnis für eine solche Festlegung nicht
bestehe. Zusätzlich wird darauf abgestellt, dass eine einheitliche konkrete
Ausschlussfrist angesichts der Vielgestaltigkeit der Mietverhältnisse nicht
festgelegt werden könne und eine "offenere" Bestimmung eine Auslegung durch
die Rechtsprechung erfordere und somit kaum etwas zur Vereinfachung des
Mietrechts beitragen könne. Wörtlich heißt es hierzu in den
Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 14/4553, S. 44):
"Es wird davon abgesehen, festzulegen, dass die Kündigung innerhalb einer
angemessenen Zeit seit der Kenntnis vom Kündigungsgrund zu erfolgen hat. Ein
Kündigungsrecht aus wichtigem Grund kann schon jetzt nach ständiger
Rechtsprechung verwirkt werden [...]. Eine einheitliche feste
Ausschlussfrist in Anlehnung an § 626 Abs. 2 BGB sowie §§ 6, 24 und 70 VVG
erscheint wegen der Vielgestaltigkeit der Mietverhältnisse (Wohnraum,
Geschäftsraum, Grundstücke, bewegliche Sachen) nicht möglich [...]. Eine
offenere Bestimmung wäre durch die Rechtsprechung in jedem Falle
auslegungsbedürftig. Die mögliche Regelung könnte damit nur wenig zur
Vereinfachung des Mietrechts beitragen."
22 (3) Hieran hat die Einführung des § 314 BGB durch das
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138)
nichts geändert. Es erschien dem Gesetzgeber zwar geboten, bei einer
allgemeinen Überarbeitung des Leistungsstörungsrechts die Kündigung aus
wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen in das Bürgerliche Gesetzbuch
aufzunehmen. Dafür sprach sowohl die erhebliche praktische Bedeutung dieses
Rechtsinstituts als auch die seit langem gefestigte Rechtsprechung zu seinem
Anwendungsbereich (BT-Drucks. 14/6040, S. 177). Schon der
Gesetzgeber sah jedoch, dass § 314 BGB damit als lex generalis in einem
Konkurrenzverhältnis zu zahlreichen Vorschriften des Bürgerlichen
Gesetzbuchs und anderer Gesetze steht, in denen die Kündigung aus wichtigem
Grund bei einzelnen Dauerschuldverhältnissen besonders geregelt ist.
Wörtlich heißt es in der Gesetzesbegründung hierzu:
"Diese Einzelbestimmungen sollen nicht aufgehoben oder geändert werden,
sondern als leges speciales Vorrang vor § 314 RE haben." (BT-Drucks.
14/6040, S. 177).
23 Dementsprechend hat der Gesetzgeber des
Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zwar an manchen Stellen im Mietrecht
Anpassungen vorgenommen, so auch bei § 543 Abs. 4 Satz 1 BGB (vgl. die
Übersicht zu den Änderungen bei Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., Einf v §
535 Rn. 77a), jedoch davon abgesehen, in §§ 543, 569 BGB einen Verweis auf §
314 Abs. 3 BGB aufzunehmen.
24 Die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses ist also in §§
543, 569 BGB abschließend geregelt und eine Anwendung des § 314 Abs. 3 BGB
somit ausgeschlossen (ebenso MünchKommBGB/Gaier, 7. Aufl., § 314
Rn. 9; Erman/ Böttcher, aaO, § 314 Rn 5; Palandt/Grüneberg, aaO, § 314 Rn.
4; Palandt/ Weidenkaff, aaO, § 543 Rn. 44 f.). Die von Teilen der Literatur
(vgl. Häublein, ZMR 2005, 1 f; Staudinger/V. Emmerich, Neubearb. 2014, § 543
BGB Rn. 2, 90; Erman/Lützenkirchen, BGB, 14. Aufl., § 543 Rn. 12 ff., 49)
vertretene gegenteilige Auffassung verkennt die aus den Materialien
ersichtliche eindeutige Zielsetzung des Gesetzgebers.
25 2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus
anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Zwar finden - wie bereits oben
unter II 1 a ausgeführt - bei einer auf § 543 Abs. 2 BGB gestützten
Kündigungserklärung die Grundsätze von Treu und Glauben, insbesondere der
Verwirkung, Anwendung. Die vom Berufungsgericht beanstandete "Verzögerung"
der Kündigung erfüllt jedoch die Voraussetzungen der Verwirkung schon
deshalb nicht, weil es - offensichtlich - an einem Umstandsmoment (vgl. dazu
Senatsurteil vom 31. Juli 2013 - VIII ZR 162/09, BGHZ 198, 111 Rn. 66)
fehlt. Tragfähige Anhaltspunkte für ein Vertrauen der Beklagten, die
Klägerin werde von ihrem Recht zur fristlosen Kündigung wegen Verzugs mit
zwei Monatsmieten keinen Gebrauch machen, sind vom Berufungsgericht nicht
festgestellt und auch sonst nicht ersichtlich. Sie liegen insbesondere nicht
schon darin, dass es sich bei der Klägerin um eine Kirchengemeinde handelt
und die Beklagte früher bei ihr als Küsterin beschäftigt gewesen ist.
III.
26 Das Berufungsurteil kann demnach keinen Bestand haben, soweit bezüglich
der Räumung zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist; es ist daher
insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).
27 Der Senat entscheidet in der Sache selbst, da es keiner weiteren
Feststellungen mehr bedarf und die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563
Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten und
somit zur vollständigen Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Die
Räumungs- und Herausgabeklage ist begründet (§§ 546, 985 BGB), weil die
fristlose Kündigung der Klägerin vom 15. November 2013 das Mietverhältnis
beendet hat. Denn die Beklagte befand sich im Zeitpunkt der Kündigung mit
den Mieten für die Monate Februar und April 2013 in Verzug, so dass die
Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB berechtigt war.
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