Verjährung von Ersatzansprüchen des Vermieters
nach § 548 I 2 BGB: Fristbeginn; Begriff des "Zurückerhaltens";
Wissenszurechnung
BGH, Urteil vom 23. Oktober 2013 -
VIII ZR 402/12 - LG Berlin
Fundstelle:
NJW 2014, 684
Amtl. Leitsatz:
Für die Frage der Verjährung
von Ersatzansprüchen des Vermieters setzt die Rückerlangung der Mietsache
außer der Übertragung des Besitzes an der Wohnung vom Mieter an den
Vermieter die Kenntnis des Vermieters von der Besitzaufgabe voraus.
Zentrale Probleme:
Es geht um die praktisch
bedeutende Regelung des § 548 BGB, um die sich einige (auch
klausurrelevante) Fragen ranken, s. dazu etwa
BGHZ
61, 227 und
BGH NJW 2006, 2399
(Schutzwirkung für Dritte, Anwendung auf konkurrierende Ansprüche),
BGH NJW 2005, 739 sowie
BGH NJW 2012, 144, wo es
ebenfalls um den Beginn der Verjährung ging. Nach § 548 I verjähren
aus Rechtssicherheitsgründen Schadensersatzansprüche des
Vermieters wegen Beschädigung der Mietsache in nur 6 Monaten, nachdem er die
Mietsache "zurückerhält" (beachte: auf das Vertragsende kommt es nicht an!).
Solche Schadensersatzansprüche ergeben sich auf vertraglicher Grundlage aus
§ 280 I BGB, wenn der Mieter die Grenzen des vertraglichen Gebrauchs nicht
gewahrt hat (s. auch § 538 BGB). Warum der Senat hier zusätzlich § 281 BGB
zitiert, ist dabei unklar: Es dürfte sich hier i.d.R. nicht um
Schadensersatz statt der Leistung handeln. Diese kurze Frist zieht viele
(examensrelevante) Fragen nach sich: So etwa die Anwendung auf
konkurrierende Deliktsansprüche (s. dazu
BGH v. 23.6.2010 - XII
ZR 52/08) sowie die Anwendung zugunsten Dritter anwendbar
sein, die nicht Partei des Mietvertrages sind, aber in dessen Schutzbereich
einbezogen sind(s. dazu
BGHZ
61, 227; BGH NJW 2005, 739
und BGH NJW 2006, 2399). Hier geht es nun - wie
in BGH NJW 2012, 144 - um den Fristbeginn. Der
Senat legt dar, dass für das "Zurückerhalten" nicht alleine Besitzerwerb
(dieser erfolgte hier durch die Übergabe an die Hausmeisterin als
Besitzdiener i.S.v. § 855 BGB), sondern auch die Kenntnis hiervon
erforderlich ist. Somit kam es hier darauf an, ob sich der Vermieter die
Kenntnis der Hausverwalterin analog § 166 BGB zurechnen lassen musste.
Nach § 548 II BGB gilt übrigens dasselbe für Ersatzansprüche des Mieters
wegen Ersatz von Aufwendungen. Diese Norm hat der BGH analog angewendet auf
Bereicherungsansprüche wegen rechtsgrundlos vorgenommener
Schönheitsreparaturen, s. BGH NJW
2011, 1866 Rn. 12.
©sl 2013
Tatbestand:
1 Die Kläger nehmen die Beklagten auf
Zahlung von Schadensersatz aus einem zum 31. Dezember 2009 beendeten
Wohnraummietverhältnis in Anspruch.
2 Mit jeweils am 30. Juni 2010 beim Mahngericht eingegangenen
Mahnbescheidsanträgen haben die Kläger gegen die Beklagten das Mahnverfahren
eingeleitet, das nachfolgend ohne vorwerfbare Verzögerungen in das streitige
Verfahren übergeleitet worden ist. Soweit für das Revisionsverfahren von
Interesse, erheben die Beklagten die Einrede der Verjährung. Sie meinen,
eventuelle Ansprüche der Kläger seien verjährt, weil sie - unstreitig - nach
ihrem Auszug aus der Wohnung die Wohnungsschlüssel am 20. Dezember 2009 an
die im gleichen Haus wohnende Hauswartsfrau, die Zeugin V. , übergaben.
3 Das Amtsgericht hat der Klage unter Abweisung im Übrigen in Höhe von
1.563,46 € stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht
die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision erstreben die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen
Urteils.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision hat Erfolg.
I.
5 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
6 Den Klägern stehe der erstinstanzlich zugesprochene Zahlungsanspruch
infolge des Durchgreifens der erhobenen Verjährungseinrede nicht zu. Gemäß §
548 Abs. 1 BGB verjährten Ansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder
Verschlechterungen der Mietsache in sechs Monaten ab dem Zeitpunkt, in dem
er die Mietsache zurückerhalte.
7 Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin V. sei
davon auszugehen, dass eine Rückgabe der Wohnung durch die Beklagten
vorliegend am 20. Dezember 2009, jedenfalls aber noch vor dem 30. Dezember
2009 anzunehmen sei, so dass zum Zeitpunkt der Einreichung der
Mahnbescheidsanträge am 30. Juni 2010 etwaige Schadensersatzansprüche der
Kläger bereits verjährt gewesen seien.
8 Die Zeugin V. habe glaubhaft bekundet, dass sie nach vorheriger Absprache
mit der Hausverwaltung berechtigt sei, Schlüssel von den Mietern
entgegenzunehmen, jedoch nicht, die Abnahme selbst zu machen. Es könne offen
bleiben, ob die Zeugin V. konkret zur Entgegennahme der Wohnungsschlüssel
bevollmächtigt gewesen sei. Denn eine Rückgabe im Sinne von § 548 BGB liege
schon dann vor, wenn der Mieter die Sache einem Besitzdiener des Vermieters
zurückgebe. Die Zeugin V. sei als Besitzdienerin der Beklagten anzusehen,
weil es zu ihrem Tätigkeitsbereich gehört habe, Wohnungsbesichtigungen mit
Interessenten durchzuführen und nach Rücksprache mit der Hausverwaltung zum
Teil auch Schlüssel zurückzunehmen.
9 Selbst wenn man für die Rückgabe der Wohnung im Sinne des § 548 BGB nicht
bereits die willentliche Entgegennahme der Schlüssel durch den Besitzdiener
ausreichen lassen wolle, müssten sich der Vermieter oder die zuständige
Hausverwaltung spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem üblicherweise davon
auszugehen sei, dass ein (nicht vertretungsbefugter) Angestellter im
Geschäftsbetrieb erlangte Informationen an sie weitergebe, diese Kenntnis
analog § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Von einem Hauswart könne nach Treu
und Glauben erwartet werden, dass dieser den Vermieter bzw. die
Hausverwaltung von allen wesentlichen Vorkommnissen, die sich in seinem
Bereich zutrügen, unverzüglich unterrichte.
10 Auch unter Berücksichtigung der anstehenden Feiertage sei zu erwarten
gewesen, dass die Hauswartin, welche im Hinblick auf die Wohnung selber
keinerlei Prüfungs- oder Überlegungsaufgaben zu vollziehen gehabt habe, die
Information, dass die Beklagten die Sachherrschaft an der Wohnung durch
Rückgabe der Schlüssel an sie am 20. Dezember 2009 aufgegeben hätten,
jedenfalls noch vor dem 30. Dezember 2009 an den Vermieter oder die
Hausverwaltung weitergeben werde.
II.
11 Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom
Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Kläger
auf Zahlung von Schadensersatz gemäß §§ 280, 281 BGB gegen die Beklagten
nicht verneint werden. Die bisherigen Feststellungen des
Berufungsgerichts reichen nicht aus, die Schadensersatzforderung der Kläger
zum Zeitpunkt des Eingangs der Mahnbescheidsanträge bei Gericht am 30. Juni
2010 als gemäß § 548 Abs. 1 BGB verjährt anzusehen.
12 1. Nach § 548 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB beginnt die sechsmonatige
Verjährungsfrist für die Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen
oder Verschlechterungen der Mietsache in dem Zeitpunkt, in dem er die
Mietsache zurückerhält. Die Beendigung des Mietvertrags - hier zum 31.
Dezember 2009 -ist (vom Berufungsgericht zutreffend gesehen) nicht
Voraussetzung für den Beginn der kurzen Verjährung (Senatsurteile
vom 12. Oktober 2011 - VIII ZR 8/11, NJW 2012, 144
Rn. 14 mwN; vom 15. März 2006 - VIII ZR 123/05, NJW 2006, 1588 unter II
2 a). Andererseits ist der Vermieter nicht dazu verpflichtet, die
Mietsache jederzeit - sozusagen "auf Zuruf" - zurückzunehmen, etwa wenn der
Mieter kurzfristig auszieht und den Schlüssel zur Wohnung an den Vermieter
zurückgeben will (Senatsurteil vom 12.
Oktober 2011 - VIII ZR 8/11, aaO Rn. 19).
13 a) Zweck des § 548 BGB ist es, zeitnah zur Rückgabe der Mietsache
eine möglichst schnelle Klarstellung über bestehende Ansprüche im
Zusammenhang mit dem Zustand der Mietsache zu erreichen
(Senatsurteile vom 29. Juni 2011 - VIII ZR 349/10, NJW 2011, 2717 Rn. 12;
vom 4. Mai 2011 - VIII ZR 195/10, NJW 2011, 1866
Rn. 12). Das bedeutet zum einen, dass der Vermieter in die Lage
versetzt werden muss, sich durch Ausübung der unmittelbaren Sachherrschaft
ungestört ein umfassendes Bild von den Mängeln, Veränderungen und
Verschlechterungen der Mietsache zu machen (Senatsurteil
vom 12. Oktober 2011 - VIII ZR 8/11, aaO Rn. 14 mwN). Zum anderen ist es
erforderlich, dass der Mieter den Besitz vollständig und eindeutig aufgibt,
wobei der Vermieter hiervon Kenntnis erlangen muss (BGH,
Urteile vom 23. Mai 2006 - VI ZR 259/04, NJW 2006, 2399 unter II 2 e aa;
vom 19. November 2003 - XII ZR 68/00, NJW 2004, 774 unter II 3 a - noch zu
der Vorgängervorschrift § 558 Satz 2 BGB aF). Ohne Kenntnis von der
Besitzaufgabe des Mieters an der Wohnung, etwa durch Rückgabe der
Wohnungsschlüssel an den Vermieter oder seinen Bevollmächtigten, ist der
Vermieter grundsätzlich nicht in der Lage, den Zustand der Wohnung zu
prüfen. Die Rückerlangung der Mietsache im Sinne von § 548 Abs. 1 Satz 2 BGB
setzt mithin außer der Übertragung des Besitzes an der Wohnung vom Mieter an
den Vermieter die Kenntnis des Vermieters von der Besitzaufgabe voraus
(vgl. OLG München, ZMR 2010, 285, 286).
14 b) Letzteres ist nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts
indes nicht der Fall.
15 aa) Noch zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass in
der Rückgabe der Wohnungsschlüssel von den Beklagten an die Hauswartin am
20. Dezember 2009 die erforderliche vollständige und unzweideutige
Besitzaufgabe der Beklagten als Mieter liegt. Auch begegnet
die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Zeugin V. als Besitzdienerin der
Vermieter gemäß § 855 BGB anzusehen ist, keinen rechtlichen Bedenken.
Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war
die Zeugin V. beauftragt, Wohnungsbesichtigungen durchzuführen und nach
Rücksprache mit der Hausverwaltung zum Teil auch Schlüssel zurückzunehmen.
Soweit die Zeugin V. also im Besitz von Schlüsseln war, sei es auch, um
Besichtigungen durchzuführen und gegebenenfalls für den Notfall Zutritt zu
den Wohnungen nehmen zu können, übte sie als Hauswartin die
Sachherrschaft über die Wohnungen im Rahmen ihres weisungsgebundenen
Angestelltenverhältnisses mit Wissen und Willen der Vermieter als
Besitzdienerin für die Vermieter aus (§ 855 BGB). Dies
allein reicht jedoch für die Rückgabe der Wohnung im Sinne von § 548 Abs. 1
Satz 2 BGB nicht aus.
16 Die Kläger als Vermieter sind damit - anders als das Berufungsgericht
offenbar meint - noch nicht in die Lage versetzt worden, sich durch die
nunmehr erlangte unmittelbare Sachherrschaft - vermittelt durch die Zeugin
V. als Besitzdienerin - ein Bild vom Zustand der Wohnung machen zu können.
Denn sie selbst hatten keine Kenntnis von der Wohnungsrückgabe,
während die Zeugin V. , die die Kenntnis hatte, nicht bevollmächtigt war,
Wohnungsabnahmen durchzuführen. Gleiches gilt für die Kenntnis der
von den Klägern bevollmächtigten Hausverwaltung. Feststellungen dazu, wann
die Kläger oder die sie vertretende Hausverwaltung tatsächlich Kenntnis von
der Schlüsselrückgabe an die Zeugin V. erhalten haben, hat das
Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - jedoch nicht getroffen.
17 bb) Entgegen der Hilfserwägung des Berufungsgerichts muss sich
ein Vermieter oder die zuständige Hausverwaltung auch nicht die Kenntnis von
der Schlüsselübergabe an den Hauswart spätestens ab dem Zeitpunkt analog §
166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen, zu dem üblicherweise davon auszugehen ist,
dass diese im Geschäftsbetrieb vom Hauswart erlangte Information an den
Vermieter oder die Hausverwaltung weitergegeben wird. Für eine
analoge Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB zur Kenntniserlangung durch einen
Besitzdiener ist kein Raum. Dies setzt voraus, dass die Zeugin V. als
"Wissensvertreterin" der Vermieter eingesetzt ist (zu den Voraussetzungen
vgl. Senatsurteil vom 20. Oktober 2004 - VIII ZR 36/03, NJW 2005, 365 unter
II 3 mwN). Dies ist nicht ohne weiteres der Fall.
18 Die Frage, ob ein Hauswart oder ein Hausmeister eine zum Empfang der
Schlüssel berechtigte Person ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls
ab. Insbesondere kommt es auf die konkrete Ausgestaltung seiner Tätigkeit
an, also ob er allgemein oder für den konkreten Fall vom Vermieter (oder der
von ihm bevollmächtigten Hausverwaltung) mit der Rücknahme der Wohnung
beauftragt ist (Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 11. Aufl., § 546 BGB Rn.
62). Die Kenntnis des Hauswarts von der Rückgabe der Wohnungsschlüssel ist
dem Vermieter oder der ihn vertretenden Hausverwaltung nur dann zuzurechnen,
wenn der Hauswart konkret damit beauftragt ist, die Wohnungsschlüssel zum
Zweck der Übergabe der Wohnung entgegenzunehmen. Ansonsten erhält der
Vermieter durch die Schlüsselrückgabe an den Hauswart zwar die
Sachherrschaft über die Wohnung zurück, er ist jedoch mangels Kenntnis davon
nicht in der Lage, sich daraufhin ein umfassendes Bild vom Zustand der
Wohnung zu machen.
19 2. Daraus folgt, dass sich die Kläger die Kenntnis der Zeugin V.
von der Schlüsselrückgabe zu der Wohnung am 20. Dezember 2009 oder in den
Tagen danach nur dann zurechnen lassen müssen, wenn die Beklagten mit
Einwilligung der hier die Kläger vertretenden Hausverwaltung die
Wohnungsschlüssel an die Zeugin V. herausgeben sollten oder durften.
20 Das Berufungsgericht lässt jedoch dahinstehen, ob die Zeugin V. , was von
den Klägern bestritten ist, im vorliegenden Fall zur Rücknahme der
Wohnungsschlüssel bevollmächtigt war, und meint, eine weitere Beweisaufnahme
hierzu sei nicht erforderlich. Hieraus ist ersichtlich, dass dem
Berufungsgericht die durchgeführte Beweisaufnahme durch Vernehmung der
Zeugin V. selbst nicht ausreichte, davon überzeugt zu sein, dass eine
Bevollmächtigung der Zeugin V. zur Rücknahme der Wohnungsschlüssel im
konkreten Fall vorlag.
III.
21 Hiernach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur
Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit
es zur Frage der Verjährung und gegebenenfalls zu Grund und Höhe des geltend
gemachten Anspruchs die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
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