Ausgleichsanspruch des Gesamtschuldners nach § 426 I BGB: Selbständigkeit des Anspruchs, Verjährung, (kein) Einfluß der Verjährung des Anspruchs des Gläubigers gegen den Ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner, keine Einredeerstreckung, keine "gestörte Gesamtschuld" bei Verjährenlassen durch den Gläubiger; Abgrenzung zum übergegangenen Anspruch aus § 426 II BGB


BGH, Urteil vom 9. Juli 2009 - VII ZR 109/08


Fundstelle:

NJW 2010, 62


Amtl. Leitsatz:

Der Ausgleichsanspruch des Gesamtschuldners, der den Anspruch des Gläubigers erfüllt hat, wird grundsätzlich nicht davon berührt, dass der Anspruch des Gläubigers gegen den anderen Gesamtschuldner verjährt ist (Fortführung von BGH, Urteil vom 9. März 1972 - VII ZR 178/70, BGHZ 58, 216).


Zentrale Probleme:

Im Anschluß an BGH v. 18.6.2009 - VII ZR 167/08 befaßt sich der BGH erneut mit dem Ausgleichsanspruch des in Anspruch genommenen Gesamtschuldners. Dessen Anspruch auf Ausgleich aus § 426 I BGB entsteht (anders als der nach §§ 426 II, 312, 398 BGB anteilig übergegangene Anspruch des Gläubigers, dessen Verjährung unbeeinflußt weiterläuft) mit dem Entstehen der Gesamtschuld und wandelt dabei seinen Inhalt von einem anteiligen Befreiungsanspruch zu einem Zahlungsanspruch (s. BGH v. 18.6.2009 - VII ZR 167/08). Er wird von der Verjährung der auf den Gesamtschuldner übergegangenen Hauptforderung nicht beeinflußt. Hier war allerdings der Anspruch des Gläubigers gegen den anderen Gesamtschuldner verjährt. Dieser wird jetzt vom leistenden Gesamtschuldner in Regreß genommen und wendet gegen § 426 I ein, daß er, hätte ihn der Gläubiger in Anspruch genommen, die Zahlung nach § 214 BGB hätte verweigern können. Diesen Einwand hat der Senat nicht zugelassen: Der Anspruch aus § 426 I verjährt eigenständig in der gesetzlichen Verjährungsfrist. Diese war hier noch nicht abgelaufen.
Die Situation, in welcher ein Gläubiger die Forderung gegen einen der Gesamtschuldner verjähren läßt (weil er etwa nur gegen den anderen vorgeht und nur dort die Verjährung zB nach §§ 203 ff BGB gehemmt ist) ist damit auch nicht mit derjenigen einer "gestörten Gesamtschuld" vergleichbar (s. dazu
BGHZ 103, 338), die insgesamt zur Anspruchsreduktion führen könnte. Es ist gerade das Privileg des Gläubigers bei der Gesamtschuld, willkürlich gegen einen der Gesamtschuldner vorzugehen (§ 421 BGB), s. dazu die Argumentation bei Tz. 15 ff.
Die Entscheidung legt sehr lehrreich die unterschiedlichen Regreßvarianten des Gesamtschuldners nach § 426 I und § 426 II BGB dar. Der Vorteil des nach § 426 II BGB übergegangenen Anspruchs ist demgegenüber, daß hier evtl. akzessorische Sicherungsrechte nach § 401 BGB mit übergehen.
S. auch BGH NJW 2010, 861.

©sl 2009


Tatbestand:
 

1 Die Klägerin ist Haftpflichtversicherer der Ingenieurgemeinschaft H & S (künftig: Versicherungsnehmerin). Sie macht gegen den Beklagten aus nach § 67 VVG a.F. übergegangenem Recht einen Ausgleichsanspruch gemäß § 426 Abs. 1 BGB geltend.

2 Die Versicherungsnehmerin war von der L. GmbH (künftig: Auftraggeberin) mit der Objektüberwachung eines Bauvorhabens in D. beauftragt. Der Beklagte erbrachte für dieses Bauvorhaben Dachdecker- und Spenglerarbeiten, die am 28. September 1995 abgenommen wurden.

3 Ende 1999 holte die Auftraggeberin ein Privatgutachten ein, aus dem sich die Mangelhaftigkeit der Werkleistung des Beklagten ergab. Mit Antrag vom 25. Januar 2001 leitete sie ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Versicherungsnehmerin ein. Diese verkündete dem Beklagten mit Schriftsatz vom 27. Februar 2001 den Streit. Das selbständige Beweisverfahren kam am 12. Juni 2003 zum Abschluss. Am 27. Juni 2005 erhob die Auftraggeberin gegen die Versicherungsnehmerin Klage auf Schadensersatz vor dem Landgericht D. Die Versicherungsnehmerin verkündete dem Beklagten mit Schriftsatz vom 25. August 2005 wiederum den Streit. Sie wurde durch Urteil vom 10. November 2006 verurteilt, an die Streithelfer der Auftraggeberin 61.417,20 € nebst Zinsen zu zahlen. Von dem ausgeurteilten Betrag entfielen 14.300 € nebst Zinsen auf Bauausführungsmängel der vom Beklagten erbrachten Leistungen.

4 Die Klägerin hat den vom Landgericht D. ausgeurteilten Betrag nebst Zinsen an die Berechtigten im November 2006 bezahlt.

5 Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 19.817,84 € verurteilt. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

6 Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

I.

7 Das Berufungsgericht erkennt der Klägerin unter Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil aus nach § 67 VVG a.F. übergegangenem Recht einen Anspruch nach § 426 Abs. 1 BGB zu. Zwischen der Versicherungsnehmerin und dem Beklagten bestehe ein Gesamtschuldverhältnis. Die Verantwortlichkeit des Beklagten für die streitgegenständlichen Mängel und die Höhe der Schadensersatzpositionen stünden aufgrund der Streitverkündung der Versicherungsnehmerin gegenüber dem Beklagten im Schadensersatzprozess zwischen der Auftraggeberin und der Versicherungsnehmerin fest. Im Innenverhältnis hafte der Beklagte gegenüber dem Architekten allein. Der Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Gewährleistungsanspruch der Auftraggeberin gegen den Beklagten bereits bei Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens gegen die Versicherungsnehmerin verjährt gewesen sei. Der Ausgleichsanspruch selbst sei nicht verjährt. Dieser sei frühestens mit der im November 2006 erfolgten Zahlung an die Auftraggeberin fällig geworden.

II.

8 Dies hält in einem entscheidungserheblichen Punkt der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

9 1. Die Revision nimmt hin, dass das Berufungsgericht die Versicherungsnehmerin und den Beklagten als Gesamtschuldner ansieht und dem Beklagten im Innenverhältnis die alleinige Haftung zuweist. Auch gegen die vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Höhe der Mängelbeseitigungskosten und der Zinsen erinnert die Revision nichts.

10 2. Zu Recht misst das Berufungsgericht dem Umstand, dass die Gewährleistungsansprüche der Auftraggeberin gegen den Beklagten bereits im Jahr 2000 verjährt sind, für den nach § 67 VVG a.F. auf die Klägerin übergegangenen Ausgleichsanspruch der Versicherungsnehmerin keine Bedeutung zu.

11 a) § 426 Abs. 1 BGB gewährt einen selbständigen Ausgleichsanspruch zwischen mehreren Gesamtschuldnern, der auch der selbständigen Verjährung unterliegt (BGH, Urteil vom 9. März 1972 - VII ZR 178/70, BGHZ 58, 216, 218; Urteil vom 29. Oktober 1970 - VII ZR 14/69, BauR 1971, 60, 61; Staudinger/ Noack (2005), § 426 BGB Rdn. 7 f.; a.A. Stamm, BauR 2004, 240). Die Verjährungsfrist bestimmt sich nach der allgemeinen Vorschrift über die regelmäßige Verjährung (§ 195 BGB) und ist von der Verjährung des nach § 426 Abs. 2 BGB übergeleiteten Anspruchs des Gläubigers gegen den Ausgleichspflichtigen unabhängig (vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 14/7052, S. 195). Eine Anpassung der Verjährungsfrist dahingehend, dass der Ausgleichsanspruch mit dem übergeleiteten Anspruch des Gläubigers verjährt (so Rüssmann, JuS 1974, 292, 296), findet im Gesetz keine Grundlage (vgl. Kniffka, BauR 2005, 274, 280).

12 b) Der Ausgleichsanspruch wird auch nicht in anderer Weise davon berührt, dass der Anspruch des Gläubigers gegen den Ausgleichspflichtigen verjährt ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2008 - III ZR 76/07, BGHZ 175, 221, 229; Urteil vom 9. März 1972 - VII ZR 178/70, BGHZ 58, 216, 218; RGZ 69, 422, 476).

13 aa) Entgegen der Auffassung der Revision ist der Ausgleichspflichtige nicht wie hinsichtlich des nach § 426 Abs. 2 BGB übergegangenen Anspruchs berechtigt, dem ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner alle Einreden entgegenzuhalten, die sich aus dessen Verhältnis zum Gläubiger ergeben (a.A. Stamm, BauR 2004, 240). Indem das Gesetz in § 426 Abs. 1 BGB einen selbständigen Ausgleichsanspruch schafft, gewährt es dem ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner eine Rechtsposition, die er allein durch die Überleitung des Gläubigeranspruchs nach § 426 Abs. 2 BGB nicht erhielte. Diese Begünstigung würde dem Anspruchberechtigten wieder genommen, wenn der Anspruch denselben Beschränkungen unterläge wie der übergeleitete Gläubigeranspruch.

14 bb) Die Verjährung des gegen den Beklagten gerichteten Gläubigeranspruchs kann nicht zum Nachteil des ausgleichsberechtigten Gesamtschuldners wirken. Dieser ist an der Rechtsbeziehung zwischen dem Gläubiger und dem weiteren Gesamtschuldner nicht beteiligt. Die Disposition, die der Gläubiger innerhalb dieses Rechtsverhältnisses durch (bewusstes oder unbewusstes) Verjährenlassen seiner Forderung gegenüber dem einen Gesamtschuldner trifft, kann nicht das Innenverhältnis der Gesamtschuldner zum Nachteil des anderen gestalten (vgl. MünchKommBGB-Bydlinsky, 5. Aufl., § 426 Rdn. 58; BGH, Urteil vom 9. März 1972 - VII ZR 178/70, BGHZ 58, 216, 219 f.; Kniffka, BauR 2005, 274, 280).

15 cc) Teilweise wird die Auffassung vertreten, dem Gläubiger, dessen Forderung gegen einen Gesamtschuldner schon vor der Leistung des anderen Gesamtschuldners verjährt sei, stehe deswegen unter Umständen gegen den anderen Gesamtschuldner nur ein reduzierter Anspruch zu (OLG Koblenz, Urteil vom 16. Januar 2008 - 1 U 1753/05, Textziffer 71, zitiert nach Juris; Staudinger/Noack (2005), § 426 Rdn. 10; Weise, BauR 1992, 685, 692; Esser/Schmidt, Schuldrecht Allgemeiner Teil, § 39 III 2 a; Keuk, JZ 1972, 528, 529). Dem Ausgleichsberechtigten könnte dann entgegengehalten werden, er habe (ganz oder teilweise) auf eine nicht bestehende Schuld geleistet und müsse insoweit den Gläubiger auf Rückzahlung in Anspruch nehmen.

16 Ob dies aufgrund besonderer Umstände der Fall sein kann, bedarf keiner Entscheidung. Umstände, die eine Reduzierung des Gläubigeranspruchs rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.

17 Der Gläubiger kann nach § 421 Satz 1 BGB die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder teilweise verlangen. Die Regelung trägt seinem Interesse Rechnung, nicht dadurch beeinträchtigt zu werden, dass mehrere Beteiligte auf der Schuldnerseite stehen (Glöckner, BauR 2005, 251). Macht er von seinem Recht Gebrauch, nur gegen einen von mehreren Gesamtschuldnern vorzugehen, und verjährt infolge seiner Untätigkeit gegenüber dem anderen Gesamtschuldner seine gegen diesen bestehende Forderung, kann ihm dies grundsätzlich nicht zum Nachteil gereichen. Allenfalls wenn sich das Verhalten des Gläubigers als rechtsmissbräuchlich darstellt, könnte eine Wirkung für den Anspruch gegen den anderen Gesamtschuldner bejaht werden. Allein das Verstreichenlassen der Verjährungsfrist, sei es wissentlich, aus Unkenntnis oder aus mangelnder Sorgfalt, genügt hierfür nicht. Andernfalls wäre der Gläubiger gehalten, gegen jeden Gesamtschuldner verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen, wovon ihn die Vorschriften über die Gesamtschuld, insbesondere § 425 BGB, gerade freistellen.

18 dd) Es muss daher hingenommen werden, dass der Ausgleichsverpflichtete im Innenausgleich im Endergebnis zur Leistung herangezogen werden kann, obwohl er sich dem Gläubiger gegenüber auf die Verjährung des Anspruchs berufen kann. Das ist ersichtlich im Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts nicht anders gesehen worden. So hat sich der Rechtsausschuss mit der Frage beschäftigt, ob die neuen Verjährungsregeln auch beim Gesamtschuldnerausgleich zu zweckmäßigen Ergebnissen führen. Er hat darauf hingewiesen, dass die Verkürzung der Verjährung von dreißig Jahren auf drei Jahre sachgerecht ist. Änderungsvorschläge, wie sie im Vorfeld der Schuldrechtsmodernisierung im Abschlussbericht der Schuldrechtskommission aus dem Jahre 1992 erarbeitet worden sind (Abschlussbericht S. 108 f.), sind im Gesetzgebungsverfahren nicht aufgenommen worden. Im Abschlussbericht war eine Regelung vorgeschlagen worden, wonach der Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 BGB wie der Anspruch des Gläubigers gegen den ausgleichsverpflichteten Gesamtschuldner verjährt. Es sollten jedoch Ausnahmetatbestände gelten, die es dem in Anspruch genommenen Gesamtschuldner für kurze Zeit erlauben, den ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner auch dann noch in Anspruch zu nehmen, wenn der Anspruch des Gläubigers gegen den ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner verjährt ist (§ 426a-KE).

19 3. Keinen Bestand hat das Berufungsurteil, soweit das Berufungsgericht meint, der Ausgleichsanspruch sei nicht verjährt.

20 a) Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist für den Beginn der Verjährung des Ausgleichsanspruchs dessen Entstehung in Form der Mitwirkung und Befreiung von der Verbindlichkeit gegenüber der L. GmbH und nicht erst die Zahlung der Klägerin an die Berechtigten maßgeblich.

21 aa) Nach gefestigter Rechtsprechung entsteht der Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB bereits in dem Augenblick, in dem die mehreren Ersatzpflichtigen dem Geschädigten ersatzpflichtig werden, also mit der Begründung der Gesamtschuld (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 1953 - VI ZR 82/52, BGHZ 11, 170, 174; Urteil vom 21. März 1991 - IX ZR 286/90, BGHZ 114, 117, 122; Urteil vom 28. April 1994 - VII ZR 73/93, BauR 1994, 621 = ZfBR 1994, 209; Urteil vom 15. Oktober 2007 - II ZR 136/06, BauR 2008, 381 = NZBau 2008, 121). Er besteht zunächst als Mitwirkungs- und Befreiungsanspruch und wandelt sich nach Befriedigung des Gläubigers in einen Zahlungsanspruch um.

22 bb) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat (Urteil vom 18. Juni 2009 - VII ZR 167/08, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt), folgt hieraus, dass der Ausgleichsanspruch unabhängig von seiner Ausprägung als Mitwirkungs-, Befreiungs- oder Zahlungsanspruch einer einheitlichen Verjährung unterliegt. Auch soweit er auf Zahlung gerichtet ist, ist er mit der Begründung der Gesamtschuld im Sinne des § 199 BGB entstanden.

23 b) Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die für die Beurteilung der Hemmung der Verjährung erforderlichen Feststellungen fehlen.

24 Festgestellt sind zwar die Daten der Schriftsätze, mit denen dem Beklagten der Streit verkündet worden ist. Es fehlen jedoch die Daten der für die Hemmung maßgeblichen Zustellungszeitpunkte. Das hat die Revision ausdrücklich gerügt. Diese Daten ergeben sich zwar aus den Akten des selbständigen Beweisverfahrens und aus den Akten des Vorprozesses. Diese konnten jedoch nicht zum Gegenstand der Revisionsverhandlung gemacht werden.