Wertersatz beim Rücktritt (hier: vom Werkvertrag):
Höhe des Wertersatzes (§ 346 II 2 BGB) bei mangelhafter Leistung, analoge
Anwendung der Minderungsberechnung (§ 638 III BGB)
BGH, Beschluss vom 14. Juli 2011 - VII
ZR 113/10
Fundstelle:
NJW 2011, 3085
Amtl. Leitsatz:
a) Der vom Besteller nach Rücktritt von einem
Bauvertrag geschuldete Wertersatz für die bei ihm verbleibende Bauleistung
ist auf der Grundlage des Werklohns zu ermitteln (Bestätigung von
BGH, Urteil vom 19. November 2008 - VIII ZR
311/07, BGHZ 178, 355).
b) Ein Mangel des Werkes ist durch eine analoge Anwendung des § 638 Abs. 3
BGB zu berücksichtigen.
Zentrale Probleme:
Der BGH äußert sich zu einer wichtigen Frage des
Rücktrittsfolgenrecht und bestätigt dabei die ganz hM in der Literatur: Ist
im Falle eines Rücktritts Wertersatz zu leisten (hier wohl gem. § 346 II Nr.
1 BGB, weil eine Werkleistung "nach der Natur des Erlangten" nicht als
solche herausgegeben werden kann), so ist für die Berechnung des
Wertersatzes eine vereinbarte Vergütung "zugrunde zu legen" (§ 346 II S. 2
BGB (s. dazu die Anm. zu BGHZ 178, 355,
zur abweichenden Rechtslage bei verbraucherschützenden
Widerrufsrechten s.
BGH NJW 2010,
2868 sowie
BGH v. 19.7.2012 - III ZR 252/11). War die Leistung mangelhaft, bedeutet das, dass in
analoger Anwendung der Regelungen zur Berechnung der Minderung (hier: § 638
III BGB, bei Kaufverträgen § 441 III) ein auf der Basis des Kaufpreises
geminderter Wert anzusetzen ist. S. dazu auch Medicus/Lorenz, SchuldR I Rn.
566; Köhler/Lorenz, SchuldR I - Prüfe dein Wissen, Fall 126.
©sl 2011
Gründe:
1 Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 543
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, denn die Rechtsfrage, wie im Falle des
Rücktritts gemäß § 634 Nr. 3 BGB ein nach § 346 Abs. 2 Satz 2 BGB
geschuldeter Wertersatz zu berechnen ist, bedarf nicht der Klärung durch den
Senat.
2 1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine
entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage
aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann
und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen
Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 27. März
2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291).
3 2. Die durch die Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage ist nicht
klärungsbedürftig.
4 a) Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 19. November 2008 - VIII ZR 311/07,
BGHZ 178, 355) hat entschieden, dass im Falle des Rücktritts wegen
Zahlungsverzugs bei der Berechnung des Wertersatzes die im Vertrag bestimmte
Gegenleistung zu Grunde zu legen ist. Eine Nichtanwendung des § 346 Abs. 2
Satz 2 BGB auf Grund einer teleologischen Reduktion in dem Fall, dass der
objektive Wert der Leistung, für die Wertersatz geschuldet wird, höher ist
als der Wert der Gegenleistung, hat der Bundesgerichtshof abgelehnt (vgl.
BGH, Urteil vom 19. November 2008 - VIII ZR
311/07, BGHZ 178, 355, Rn. 13 f.). Für den umgekehrten Sachverhalt gilt
nichts anderes (BGH, Urteil vom 19. November 2008
- VIII ZR 311/07, aaO Rn. 15).
5 b) Auch die Rechtsfrage, wie im Falle des Rücktritts wegen einer
mangelhaften Leistung gemäß § 634 Nr. 3 BGB ein nach § 346 Abs. 2 Satz 2 BGB
geschuldeter Wertersatz zu berechnen ist, ist nicht klärungsbedürftig. Die
Entscheidung des Berufungsgerichts entspricht der eindeutigen Gesetzeslage
und der entsprechend nahezu einhelligen Meinung der Literatur. Abweichende
Entscheidungen der Gerichte sind nicht bekannt und hat die
Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht aufgezeigt.
6 aa) Die Regelung des § 346 Abs. 2 Satz 2 BGB unterscheidet hinsichtlich
der Art der Berechnung des Wertersatzes nicht nach dem zugrunde liegenden
Rücktrittsgrund. Auch bei einem Rücktritt wegen einer mangelhaften Leistung
ist deshalb von einer Berechnung des Wertersatzes auszugehen, wie sie der
VIII. Zivilsenat (BGH, Urteil vom 19. November
2008 - VIII ZR 311/07, aaO) angenommen hat.
7 (1) Den Gesetzesmaterialien ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass bei
einem Rücktritt wegen einer mangelhaften Leistung deren objektiver Wert
entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 346 Abs. 2 Satz 2 BGB bei der
Berechnung des Wertersatzes zu Grunde zu legen ist. Im Gegenteil: §
346 Abs. 2 Satz 2 BGB hat seine Ausgestaltung gerade im Hinblick auf einen
Rücktritt wegen eines Mangels erhalten. Nach dem Regierungsentwurf sollte
sich die Wertersatzpflicht nach der im Vertrag bestimmten Gegenleistung
richten; nur bei Fehlen einer solchen Bestimmung sollten die objektiven
Wertverhältnisse entscheidend sein (Begründung der Bundesregierung
zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts,
BT-Drucks. 14/6857, S. 781).
Auf Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundesrates wurde die Formulierung
des § 346 Abs. 2 Satz 2 BGB geändert, weil bei einem Rücktritt wegen eines
Mangels die Gegenleistung nur als Ausgangspunkt der Berechnung des
Wertersatzes dienen könne (Stellungnahme des Bundesrates, Anlage 2
zu BT-Drucks. 14/6857, S. 22,
Ziff. 71).
8 (2) Im Hinblick auf die damit § 346 Abs. 2 Satz 2 BGB zugrunde liegende
Wertentscheidung des Gesetzgebers kommt eine Berechnung des Wertersatzes
nach dem objektiven Wert der Leistung (so aber Kohler, JZ 2002, 682, 689 f.)
nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 19.
November 2008 - VIII ZR 311/07, aaO).
9 bb) Erfolgt der Rücktritt wegen eines Mangels und kann die
empfangene Leistung nicht zurückgegeben werden, muss der Mangel bei der
Bemessung des Wertersatzes berücksichtigt werden. Dabei ist folgerichtig von
denselben Grundsätzen wie bei der Minderung auszugehen und dementsprechend
eine Herabsetzung in Analogie zu § 441 Abs. 3 bzw. § 638 Abs. 3 BGB
vorzunehmen.
10 (1) Der Vorschrift des § 346 Abs. 2 Satz 2 BGB ist die Berechnung
des Wertersatzes im Falle des Rücktritts wegen einer mangelhaften Leistung
nicht unmittelbar zu entnehmen. Nach den Gesetzesmaterialien ist
Ausgangspunkt der Berechnung die für die mangelfreie Leistung vereinbarte
Gegenleistung (Stellungnahme des Bundesrates, Anlage 2 zu
BT-Drucks. 14/6857, S. 22,
Ziff. 71), weil an den vertraglichen Bewertungen grundsätzlich festgehalten
werden soll (Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur
Modernisierung des Schuldrechts,
BT-Drucks. 14/6857, S. 781). Für eine Kürzung des als Gegenleistung
vereinbarten Entgelts um den Gewinnanteil aus Wertungsgesichtspunkten (so
Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 346 Rn. 10) ist daher und deshalb, weil
die Regelungen über die Rückabwicklung eines Vertrags aufgrund eines
vertraglichen oder gesetzlichen Rücktritts keinen Sanktionscharakter haben (BGH,
Urteil vom 19. November 2008 - VIII ZR 311/07, aaO), kein Raum.
11 (2) Der Mangel der Leistung ist vielmehr bei der Berechnung des
Wertersatzes durch eine analoge Anwendung des § 441 Abs. 3 bzw. § 638 Abs. 3
BGB zu berücksichtigen, wie dies auch der in der Literatur nahezu einhellig
vertretenen Meinung entspricht (vgl. MünchKommBGB/Gaier, 5. Aufl.,
§ 346 Rn. 45; Staudinger/Kaiser [2004], § 346 Rn. 104 f.; Faust in: jurisPK-BGB,
5. Aufl., § 346 Rn. 81 f.; A. Röthel in: Erman, BGB, 12. Aufl., § 346 Rn.
15; Grothe in: BeckOK BGB, Stand: 01.02.2007, § 346 Rn. 46; Hager in: AnwK-BGB,
§ 346 Rn. 46; PWW/Medicus/Stürner, 6. Aufl., § 346 Rn. 9; Faust in:
Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, 2002, 10. Kap. Rn. 11; Rolland in:
Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendlandt, Das neue Schuldrecht, 2002, § 4 Rn.
49; Schwab in: Schwab/Witt, Einführung in das neue Schuldrecht, 2002, S. 196
f.; Arnold/Dötsch, NJW 2003, 187, 188; Gaier, WM 2002, 1, 9 f.; Kaiser, JZ
2001, 1057, 1059). Nur damit wird gewährleistet, dass im Rahmen der
Rückabwicklung das zwischen den Parteien vereinbarte Verhältnis von Leistung
und Gegenleistung entsprechend der gesetzgeberischen Intention unverändert
bleibt.
12 3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet
wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision
zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
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