Gefährdungshaftung des
Fahrzeughalters nach § 7 StVG: Verwirklichung der typischen Betriebsgefahr
BGH, Urteil vom 27.
November 2007 - VI ZR 210/06
Fundstelle:
NJW-RR 2008, 764
Amtl. Leitsatz:
Allein durch das
vorsätzliche Inbrandsetzen eines ordnungsgemäß auf einem Parkplatz
abgestellten Kraftfahrzeuges verwirklicht sich nicht dessen Betriebsgefahr
im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG bei einem Übergreifen des Brandes auf ein
anderes Kraftfahrzeug. Hinzukommen muss vielmehr, dass der Brand oder dessen
Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einem bestimmten
Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des
Kraftfahrzeuges steht.
Zentrale Probleme:
§ 7 StVG setzt eine Schaden "beim Betrieb" des Kfz voraus.
In diesem Zusammenhang steht in der Rspr. immer wieder die Frage der
"typischen Betriebsgefahr" im Vordergrund. Dieser Begriff wird sehr weit
gefasst (s. z.B.
BGH NJW 2005, 2081),
hier aber zu recht verneint. Anders, wenn sich das Fahrzeug wegen eines
technischen Defekts selbst entzündet, s.
BGH v. 21.1.2014 - VI ZR 253/13. Zur gleichen Problametik bei der
Tierhalterhaftung nach § 833 BGB s.
BGH v. 20.12.2005 - VI ZR 225/04.
©sl 2008
Tatbestand:
1 Die Kläger begehren Schadensersatz wegen eines Fahrzeugbrandes.
2 Der Beklagte zu 1 stellte in den Abendstunden des 18. Mai 2003 seinen bei
der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten PKW auf einem öffentlichen
Parkplatz ab. In der Nacht setzte ein Unbekannter den PKW in Brand. Das
brennende Fahrzeug rollte dann auf den in der Nähe stehenden, bei der
Klägerin zu 1 versicherten LKW der Klägerin zu 2 zu und setzte diesen
ebenfalls in Brand.
3 Die Klage, mit der die Klägerinnen aus eigenem bzw. übergegangenem Recht
Schadensersatz verlangen, ist vom Landgericht abgewiesen worden. Auf die
Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil
abgeändert und die Beklagten antragsgemäß als Gesamtschuldner zur Zahlung
verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die
Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
4 Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass sich die
Schadensersatzpflicht der Beklagten aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 Abs. 1 Nr. 1
PflVG ergebe, weil der LKW der Klägerin zu 2 "bei dem Betrieb" des PKW des
Beklagten zu 1 beschädigt worden sei. Mit dem Brand des PKW habe sich eine
der typischen Gefahren von Kraftfahrzeugen realisiert. Aufgrund der
entzündlichen und zum Teil explosiven Stoffe wie Öl, Benzin oder Diesel sei
ein solches Fahrzeug leicht in Brand zu setzen und entfalte während des
Brennvorganges starke Hitzewirkungen. Dies erschwere erfahrungsgemäß nicht
nur den Löschvorgang, sondern gefährde auch die unmittelbare Umgebung in
erheblicher Weise. Dabei komme es nicht darauf an, ob sich das betreffende
Fahrzeug - wie hier unstreitig - zudem bewegt habe. Eine solche
Beweglichkeit, ob mit oder ohne Motorkraft, stelle lediglich eine andere
typische Gefahr eines Kraftfahrzeuges dar, die sich entweder allein - oder
wie hier der Fall - im Zusammenwirken mit anderen typischen Gefahren
verwirklichen könne. Die Haftung der Beklagten sei auch nicht nach § 7 Abs.
2 StVG ausgeschlossen, weil der Unfall nicht durch höhere Gewalt verursacht
worden sei. Zwar handele es sich bei dem Brandanschlag auf den PKW um ein
Ereignis, welches nicht mit den allgemeinen Gefahrenquellen des
Straßenverkehrs zusammenhänge, sondern räumlich von außen in den Verkehr
eingreife. Das Ereignis sei aber nicht so außergewöhnlich, dass der Halter
mit ihm nicht rechnen müsse. Dabei habe sich ein typisches Risiko des
Straßenverkehrs verwirklicht, das sowohl vorhersehbar als auch vermeidbar
sei, indem man sein Fahrzeug nur auf bewachten Parkplätzen, in Tiefgaragen
oder sonstigen geschützten Räumlichkeiten abstelle.
II.
5 Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
6 Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich in dem
Schadensfall allein durch das vorsätzliche Inbrandsetzen des ordnungsgemäß
auf einem Parkplatz abgestellten PKW nicht dessen Betriebsgefahr im Sinne
des § 7 Abs. 1 StVG verwirklicht.
7 1. Das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" ist nach der Rechtsprechung
des BGH entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit
auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den
KFZ-Verkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem
KFZ ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser
Weise durch das KFZ mitgeprägt worden ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 105,
65, 66; 107, 359, 366; 115, 84, 86; vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04
-VersR 2005, 566, 567 und vom 26. April 2005 - VI
ZR 168/04 - VersR 2005, 992, 993). Diese weite Auslegung des
Tatbestandsmerkmals "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" entspricht dem
weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere
Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist sozusagen der Preis
dafür, dass durch die Verwendung eines KFZ - erlaubterweise - eine
Gefahrenquelle eröffnet wird. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem
Betrieb" eines Kraftfahrzeuges entstanden, wenn sich von einem Kraftfahrzeug
ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (vgl.
Senatsurteil vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04 - aaO).
8 Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm
orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden (vgl. Senatsurteile BGHZ
71, 212, 214; 115, 84, 86; vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04 - und vom 26.
April 2005 - VI ZR 168/04 - jeweils aaO). An einem auch im Rahmen der
Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die
Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist,
für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (vgl.
Senatsurteile BGHZ 79, 259, 263; 107, 359, 367; 115, 84, 87 und vom 26.
April 2005 - VI ZR 168/04 - aaO).
9 Für eine Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf
an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen
Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer
bestimmten Betriebseinrichtung des KFZ steht (vgl. Senat BGHZ 37, 311,
317 f.; 58, 162, 165; und vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04 - aaO m.w.N.).
Erforderlich ist, dass die Fahrweise oder der Betrieb des Fahrzeuges zu dem
Entstehen des Unfalls beigetragen hat (vgl.
Senatsurteil vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04 - aaO m.w.N).
10 2. Nach diesen Grundsätzen kann das angefochtene Urteil keinen Bestand
haben.
11 Nach dem - vom Berufungsgericht offen gelassenen und deshalb
revisionsrechtlich zu unterstellenden - Vorbringen der Beklagten ist der
Motor des PKW durch den Brand nicht in Gang gesetzt worden. Hiernach hat
allein die aufgrund der starken Hitzeentwicklung freigesetzte Energie den
PKW etwa 1 Meter bis 1,50 Meter vorrollen lassen, was für das Überspringen
des Feuers auf den LKW ohnehin keine Bedeutung hatte.
12 Bei einem solchen Hergang stand der Brandschaden an dem LKW der
Klägerin zu 2 weder in einem nahen örtlichen und zeitlichen
Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang noch einer
bestimmten Betriebseinrichtung des KFZ, sondern beruhte ausschließlich
darauf, dass ein unbekannter Dritter den auf dem Parkplatz abgestellten PKW
des Beklagten zu 1 vorsätzlich in Brand gesetzt hatte. In diesem Fall fehlt
es an dem im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen
Zurechnungszusammenhang, weil die Schädigung nicht mehr eine spezifische
Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den
Verkehr schadlos halten will (vgl. OVG Münster NZV 1995, 125, OLG
Karlsruhe VRS 83, 34; OLG Saarbrücken NZV 1998, 327; Grüneberg NZV 2001,
109, 112; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 7 Rn. 10,
Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl., § 7 StVG Rn.
13). Allein der Umstand, dass Kraftfahrzeuge wegen der mitgeführten
Betriebsstoffe oder der verwendeten Materialien leicht brennen, reicht nicht
aus, um eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG zu begründen. Hinzukommen muss
vielmehr, dass der Brand als solcher in irgendeinem ursächlichen
Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten
Betriebseinrichtung des KFZ steht (z. B. In-Brand-geraten durch Betätigen
von Fahrzeugeinrichtungen: OLG Saarbrücken VRS 99, 104 oder Selbstentzündung
infolge vorausgegangener Fahrt: OVG Koblenz NVwZ-RR 2001, 382). Dies gilt
auch dann, wenn der Brand eines Kraftfahrzeuges zu einem Kurzschluss in
einem Kabel zum Anlasser führt, der dadurch in Gang gesetzte Anlasser das
Kraftfahrzeug fortbewegt und dadurch das Feuer auf andere Gegenstände
übergreift (OLG Saarbrücken NZV 1998, 327; OLG Düsseldorf NZV 1996, 113).
13 3. Da die Klägerinnen einen solchen Sachverhalt - im Gegensatz zu dem für
das Revisionsverfahren als richtig zu unterstellenden Vortrag der Beklagten
- unter Beweisantritt behauptet haben, wird das Berufungsgericht nach
Aufhebung seines Urteils und Zurückverweisung der Sache im Rahmen der neuen
Verhandlung die erforderlichen Feststellungen zum Schadenshergang
nachzuholen haben. Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es sich
nicht um einen Fall höherer Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG handelt,
bestehen im Übrigen nach dem derzeitigen Sachstand keine rechtlichen
Bedenken.
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