Gefährdungshaftung des
Fahrzeughalters nach § 7 StVG: Verwirklichung der typischen Betriebsgefahr
(Selbstentzündung eines geparkten Kfz)
BGH, Urteil vom 21. Januar 2014 - VI ZR 253/13 - LG
Karlsruhe AG Karlsruhe
Fundstelle:
NJW 2014, 1182
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
a) Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es
maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und
zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang
oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des
Kraftfahrzeuges steht.
b) Steht der Brand eines geparkten Kraftfahrzeuges in einem ursächlichen
Zusammenhang mit dessen Betriebseinrichtungen, ist der dadurch verursachte
Schaden an Rechtsgütern Dritter im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG regelmäßig der
Betriebsgefahr zuzurechnen (Abgrenzung zum Senatsurteil vom
27. November 2007 - VI ZR 210/06, VersR 2008, 656).
Zentrale Probleme:
§ 7 StVG setzt eine Schaden "beim Betrieb" des Kfz voraus.
In diesem Zusammenhang steht in der Rspr. immer wieder die Frage der
"typischen Betriebsgefahr" im Vordergrund. Dieser Begriff wird sehr weit
gefasst (s. z.B.
BGH NJW 2005, 2081
sowie zuletzt
BGH v. 26.2.2013 -
VI ZR 116/12 und BGH v. 8.12.2015 - VI
ZR 139/15 sowie BGH v. 20.10.2020 - VI ZR
158/19). Aufgrund einer wertenden
Betrachtungsweise ist zu fragen, ob sich ein typisches Betriebsrisiko eines
Kfz verwirklicht hat. Dass sich ein Kraftfahrzeug aufgrund eines technischen
Defekts selbst entzündet, ist noch Bestandteil einer solchen
Betriebsgefahr, das heißt es liegt eine Schädigung „beim Betrieb“ des
Kraftfahrzeugs vor. Damit wird eine Gefährdungshaftung nach § 7 StVG
begründet. Anders wäre die Rechtslage im Fall einer Brandstiftung zu
beurteilen (s. dazu
BGH NJW-RR 2008, 764).
©sl 2014
Tatbestand:
1 Der Kläger macht gegen die Beklagten
Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung seines Fahrzeuges durch einen
Brand des Fahrzeuges der Beklagten zu 2 geltend.
2 Am Nachmittag des 21. Januar 2012 stellte die Beklagte zu 2 ihren bei der
Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Pkw in der Tiefgarage des von ihr
mitbewohnten Hausanwesens ab. Der Kläger parkte seinen Pkw neben dem
Fahrzeug der Beklagten zu 2. Am frühen Morgen des 23. Januar 2012
kurz nach 1.00 Uhr geriet der Pkw der Beklagten zu 2 aufgrund
Selbstentzündung durch einen technischen Defekt in Brand, wodurch auch der
Pkw des Klägers beschädigt wurde. Mit der vorliegenden Klage macht
der Kläger gegen die Beklagten als Gesamtschuldner den ihm hierdurch
entstandenen Schaden in Höhe von 2.924,20 € sowie vorgerichtliche
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 316,18 €, jeweils zuzüglich Zinsen, geltend.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat
das Landgericht die Beklagten in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils
antragsgemäß verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
beantragen die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen
Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
3 Nach der Beurteilung des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen
eines Schadensersatzanspruches aus § 7 Abs. 1 StVG vor. Für eine Zurechnung
der Betriebsgefahr genüge der nahe zeitliche und örtliche Zusammenhang des
Schadensereignisses mit einer bestimmten Betriebseinrichtung des
Kraftfahrzeuges. Dieser sei hier gegeben und zwar unabhängig davon, ob der
Brand durch einen Defekt im Bereich der Batterie oder durch einen sonstigen
technischen Defekt ausgelöst worden sei. In jedem Fall habe die
Selbstentzündung im Bereich einer Betriebseinrichtung des Fahrzeuges der
Beklagten zu 2 stattgefunden. Welche genau dies gewesen sei, könne
dahinstehen. Unter normativer Betrachtung des weiten Schutzzwecks
der Norm greife § 7 Abs. 1 StVG erst dann nicht mehr ein, wenn die
Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr
spiele. Hieraus ergebe sich jedoch nicht, dass der ursächliche
Zusammenhang von Schadensereignis und Betrieb des Kraftfahrzeuges durch den
Zeitraum zwischen Beginn und Ende einer Fahrt begrenzt werde. Spezifische
von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren könnten ebenso aus den für die
Fortbewegungs- und Transportfunktion des Fahrzeuges erforderlichen
Betriebseinrichtungen erwachsen, was auch nach dem Abstellen des
Kraftfahrzeuges gelte.
II.
4 Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
Das Berufungsgericht hat mit Recht einen Schadensersatzanspruch des Klägers
gegen die Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG
bejaht.
5 1. Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort
genannten Rechtsgüter "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges" verletzt bzw.
beschädigt worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des
erkennenden Senats ist dieses Haftungsmerkmal entsprechend dem umfassenden
Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die
Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung
eines Kraftfahrzeuges erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die
Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten
Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem
Betrieb" eines Kraftfahrzeuges entstanden, wenn sich in ihm die von dem
Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der
insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das
Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist (vgl. Senatsurteile vom 5.
Juli 1988 - VI ZR 346/87, BGHZ 105, 65, 66 f.; vom 19. April 1988 - VI ZR
96/87, VersR 1988, 641; vom 6. Juni 1989 - VI ZR 241/88, VersR 1989, 923,
924 f.; vom 3. Juli 1990 - VI ZR 33/90, VersR 1991, 111, 112;
vom 27. November 2007 - VI ZR 210/06, VersR 2008,
656 Rn. 7; vom 31. Januar 2012 - VI ZR 43/11, BGHZ 192, 261 Rn. 17 und
vom 26. Februar 2013 - VI ZR 116/12, VersR 2013,
599 Rn. 15). Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem
Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen
Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der
Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge
muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm
erlassen worden ist (vgl. Senatsurteile vom 3. Juli 1962 - VI ZR
184/61, BGHZ 37, 311, 315 ff.; vom 27. Januar 1981 - VI ZR 204/79, BGHZ 79,
259, 262 f.; vom 6. Juni 1989 - VI ZR 241/88, aaO, 925; vom 3. Juli 1990 -
VI ZR 33/90, aaO; vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04,
VersR 2005, 992, 993; vom 31. Januar 2012 - VI ZR 43/11, aaO und vom
26. Februar 2013 - VI ZR 116/12, aaO).
Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an,
dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit
einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung
des Kraftfahrzeuges steht (vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 1972 -
VI ZR 86/71, VersR 1972, 1074; vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71, VersR
1973, 83; vom 10. Februar 2004 - VI ZR 218/03, VersR 2004, 529, 531; vom
27. November 2007 - VI ZR 210/06, aaO Rn. 9 und
vom 26. Februar 2013 - VI ZR 116/12, aaO).
6 2. Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht entgegen der
Auffassung der Revision die Beschädigung des Fahrzeuges des Klägers mit
Recht der vom Fahrzeug der Beklagten zu 2 ausgehenden Betriebsgefahr
zugerechnet. Der Schaden am Fahrzeug des Klägers stand in einem nahen
örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit dem Brand des
Kraftfahrzeuges der Beklagten zu 2, der nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts durch den technischen Defekt einer Betriebseinrichtung
dieses Fahrzeuges verursacht worden ist. Dass Dritte durch den Defekt einer
Betriebseinrichtung eines Kraftfahrzeuges an ihren Rechtsgütern einen
Schaden erleiden, gehört zu den spezifischen Auswirkungen derjenigen
Gefahren, für die die Haftungsvorschrift des § 7 StVG den Verkehr schadlos
halten will. Dabei macht es rechtlich keinen Unterschied, ob der Brand -
etwa durch einen Kurzschluss der Batterie - unabhängig vom Fahrbetrieb
selbst vor, während oder nach einer Fahrt eintritt. Wollte man die Haftung
aus § 7 Abs. 1 StVG - wie die Revision meint - auf Schadensfolgen begrenzen,
die durch den Fahrbetrieb selbst und dessen Nachwirkungen verursacht worden
sind, liefe die Haftung in all den Fällen leer, in denen unabhängig von
einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer
Betriebseinrichtung für den Schaden eines Dritten ursächlich geworden ist.
Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Schadensgeschehen
jedoch auch in diesen Fällen - im Gegensatz etwa zu einem vorsätzlichen
Inbrandsetzen eines ordnungsgemäß auf einem Parkplatz abgestellten
Kraftfahrzeuges (vgl. Senatsurteil vom 27.
November 2007 - VI ZR 210/06, aaO Rn. 11 f.) - durch das Kraftfahrzeug
selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren entscheidend (mit)geprägt
worden. Hierzu reicht es aus, dass der Brand oder dessen Übergreifen in
einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des
Kraftfahrzeuges steht (vgl. Senatsurteil vom 27.
November 2007 - VI ZR 210/06, aaO Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind im
Streitfall nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts
erfüllt.
|