Abgrenzung von Gefälligkeit und Vertrag;
gesetzliche und vertragliche Haftungsbegrenzung im Gefälligkeitsverhältnis
(ergänzende Auslegung)
BGH, Urteil vom 26. April 2016 - VI
ZR 467/15 - OLG Koblenz
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Zu den Anforderungen an die
Annahme einer Abrede über eine Haftungsbeschränkung, wenn ein Schaden bei
einem Gefälligkeitserweis unter Nachbarn entstanden ist (Bewässern des
Gartens).
Zentrale Probleme:
Eine Klassikerproblematik zur
Frage der Abgrenzung von Gefälligkeit und Vertrag und sich daraus ergebender
Folgefragen. Dabei geht es um folgende Problembereiche: (1) Liegt ein
Vertrag oder eine nur außerrechtliche Gefälligkeit vor (s. dazu auch BGH NJW 1992, 498
und
BGH
NJW 1995, 3389)? (2) Sind gesetzliche Haftungsmilderungen für
bestimmte Verträge auf die Haftung aus §§ 823 ff BGB im Rahmen von
Gefälligkeitshandlungen entsprechend anwendbar? (3) Unter welchen
Voraussetzungen kann insbesondere bei Gefälligkeiten von einem konkludenten
oder von einem im Wege ergänzender Vertragsauslegung ermittelten
Haftungsausschluss ausgegangen werden (s. dazu auch
BGH NJW 2009, 1482)?.
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Zur gleichen Problematik im Rahmen der GoA s.
BGH v. 23.7.2015 - III
ZR 346/14.
©sl 2016
Tatbestand:
1 Die Klägerin nimmt den Beklagten aus übergegangenem
Recht wegen
eines Wasserschadens in Anspruch, der am Haus ihres Versicherungsnehmers,
dem Nachbarn des Beklagten, entstanden ist und den sie als
Gebäudeversicherer reguliert hat.
2 Während eines Kuraufenthalts seines Nachbarn übernahm es der Beklagte,
dessen Haus zu versorgen und den Garten zu bewässern. Am 29. Juni 2011
bewässerte der Beklagte den Nachbargarten mit einem an eine Außenzapfstelle
des Hauses montierten Wasserschlauch. Anschließend drehte er die am Schlauch
befindliche Spritze zu, stellte aber nicht die Wasserzufuhr zum Schlauch ab.
In der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 2011 löste sich der weiter
unter Wasserdruck stehende Schlauch aus der Spritze. In der Folge trat aus
dem Schlauch eine erhebliche Menge Leitungswasser aus, lief in das Gebäude
des Nachbarn und führte zu Beschädigungen im Untergeschoss. Die
Klägerin leistete an den Nachbarn, ihren Versicherungsnehmer,
Entschädigungszahlungen. Sie macht nun aus übergegangenem Recht einen
Anspruch in Höhe des Zeitwertschadens von 11.691,53 € geltend. Der Beklagte
ist für Schäden bei Nachbarschaftshilfe und Gefälligkeitshandlungen privat
haftpflichtversichert. Der Privathaftpflichtversicherer hat eine
Regulierung abgelehnt.
3 Die Klägerin meint, der Beklagte habe grob fahrlässig gehandelt, als er
den Wasserhahn nicht wieder verschlossen habe. Er hafte zudem auch bei
einfacher Fahrlässigkeit, da von einer Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und
grobe Fahrlässigkeit nicht auszugehen sei.
4 Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten
hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision beantragt die Klägerin die Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
5 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Versicherungsnehmers der
Klägerin aus § 823 Abs. 1 BGB und damit einen Erstattungsanspruch der
Klägerin aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG verneint. Der Schaden habe sich
im Rahmen eines reinen Gefälligkeitsverhältnisses unter Nachbarn ereignet.
Für den allein in Frage kommenden Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB liege eine
stillschweigende Abrede des Beklagten und seines Nachbarn vor, wonach die
Haftung des Beklagten für einfache Fahrlässigkeit ausgeschlossen sei.
Eine derartige Haftungsbeschränkung könne im Wege der ergänzenden
Vertragsauslegung zwar der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zufolge nur
ganz ausnahmsweise und unter Hinzutreten besonderer Umstände angenommen
werden. Voraussetzung sei grundsätzlich, dass der Schädiger, wäre die
Rechtslage vorher zur Sprache gekommen, einen Haftungsverzicht gefordert und
sich der Geschädigte dem ausdrücklichen Ansinnen einer solchen Abmachung
billigerweise nicht hätte versagen können. Dabei spreche zwar das Bestehen
eines Haftpflichtversicherungsschutzes auf Seiten des Schädigers regelmäßig
gegen eine Haftungsbeschränkung. In Fällen einer unentgeltlichen
Hilfeleistung im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses könne aber allein
das Bestehen einer Haftpflichtversicherung eine Haftung des Gefälligen nicht
begründen. Besondere Umstände, die die Annahme einer Haftungsbeschränkung
rechtfertigten, lägen dann vor, wenn es sich um eine typisch alltägliche und
unentgeltliche Gefälligkeit unter Freunden, Nachbarn und Kollegen handle und
ein Schaden im Zusammenhang mit den bei der Ausübung der Gefälligkeit
eigentümlichen Gefahren entstehe, der durch eine Versicherung des
Geschädigten abgedeckt sei. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt.
Da bei der Inanspruchnahme einer Haftpflichtversicherung üblicherweise eine
Selbstbeteiligung, eine Prämienerhöhung oder die Kündigung des Vertrages
drohten, müsse sich der Gefällige auf eine Haftungsbeschränkung berufen
können. Anderenfalls sei zu erwarten, dass sich kaum noch jemand zu einer
solchen oder ähnlichen Hilfeleistung bereit erklären würde.
6 Der Beklagte habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Der konkret
eingetretene Schadensverlauf sei als solcher nicht ohne weiteres für den
Beklagten erkennbar gewesen. So sei es nicht so naheliegend, dass es jedem
einleuchten müsse, dass das aus dem sich außerhalb des Hauses befindlichen
Schlauch laufende Wasser nicht nur im Boden versickern, sondern in das
Untergeschoss des Gebäudes eindringen und dort zu einem erheblichen Schaden
führen würde.
II.
7 Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Der Versicherungsnehmer der Klägerin und Nachbar des Beklagten hat gegen
diesen einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, der gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG
auf die Klägerin übergegangen ist. Eine Beschränkung der Haftung des
Beklagten auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit liegt nicht vor.
8 1. Das Berufungsgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen,
dass die Versorgung des Nachbarhauses einschließlich der Bewässerung des
Gartens durch den Beklagten im Rahmen eines reinen
Gefälligkeitsverhältnisses erfolgte, in welchem es an einem
Rechtsbindungswillen fehlt. Für den bei der Ausführung der
Gefälligkeit entstandenen Schaden kommen daher keine vertraglichen,
sondern nur deliktische Ansprüche in Betracht
(Senatsurteil vom 9. Juni
1992 - VI ZR 49/91, VersR 1992, 1145, 1147). Das
Berufungsgericht hat weiter ohne Rechtsfehler angenommen, dass der Beklagte
durch das Versäumnis, am 29. Juni 2011 den Außerwasserhahn zu schließen, was
zu einem Schaden am Gebäude seines Nachbarn führte, die
Haftungsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB erfüllt hat, wobei ihm
jedenfalls einfache Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Zutreffend ist
das Berufungsgericht ferner davon ausgegangen, dass gesetzliche
Haftungsbeschränkungen, insbesondere solche, die für unentgeltliche Verträge
gelten (z.B. §§ 521, 599, 690 BGB), auf die deliktische Haftung im Rahmen
der unentgeltlichen Nachbarschaftshilfe nicht, auch nicht entsprechend,
anwendbar sind. Dagegen spricht neben den grundsätzlichen Bedenken,
dass es an einer echten Anspruchskonkurrenz zwischen deliktischen und
vertraglichen Ansprüchen fehlt (vgl. hierzu
Senatsurteil vom 9. Juni 1992 - VI
ZR 49/91, aaO, 1147), schon die Tatsache, dass es
für den ebenfalls unentgeltlichen Auftrag als vertragliche Entsprechung zur
Hilfe unter Nachbarn eine gesetzliche Haftungsbeschränkung nicht gibt.
9 2. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Beurteilung
des Berufungsgerichts, dass im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung von
einer Abrede des Beklagten und seines Nachbarn auszugehen sei, nach der die
Haftung des Beklagten für einfache Fahrlässigkeit ausgeschlossen sei.
10 a) Es kann nicht ohne weiteres angenommen
werden, dass jemand, dem eine Gefälligkeit erwiesen wird, auf deliktische
Schadensersatzansprüche verzichtet (Senatsurteil
vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91, aaO, 1147).
Eine Haftungsbeschränkung kann sich allerdings im
Wege ergänzender Vertragsauslegung auf der Grundlage des § 242 BGB ergeben
(Senatsurteil vom
10. Februar 2009 - VI ZR 28/08, VersR 2009, 558 Rn. 13
mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats kann eine
solche Beschränkung aber nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer
Umstände angenommen werden; denn sie stellt eine künstliche
Rechtskonstruktion aufgrund einer Willensfiktion dar, da sie von einem
Haftungsverzicht ausgeht, an den beim Abschluss der Abrede niemand gedacht
hat (Senatsurteile vom 13. Juli 1993 - VI ZR 278/92, VersR 1993,
1092, 1093; vom 9. Juni 1992
- VI ZR 49/91, aaO, 1147).
Voraussetzung ist grundsätzlich, dass der Schädiger, wäre die Rechtslage
vorher zur Sprache gekommen, einen Haftungsverzicht gefordert und sich der
Geschädigte dem ausdrücklichen Ansinnen einer solchen Abmachung
billigerweise nicht hätte versagen dürfen (Senatsurteil
vom 10. Februar 2009 - VI ZR 28/08, aaO, Rn. 16 mwN; vom
18. Dezember 1979 - VI ZR 52/78, VersR 1980, 426, 427; vom 14. November 1978
- VI ZR 178/77, VersR 1979, 136, 137). An diesen Voraussetzungen
fehlt es regelmäßig, wenn der Schädiger gegen Haftpflicht versichert ist.
Denn eine Haftungsbeschränkung, die nicht den Schädiger, sondern den
Haftpflichtversicherer entlastet, entspricht in der Regel nicht dem Willen
der Beteiligten (vgl. Senatsurteile vom
10. Februar 2009 - VI ZR 28/08,
aaO, Rn. 16; vom 13. Juli 1993 - VI ZR 278/92, aaO, 1093; vom
9. Juni 1992 - VI ZR 49/91,
aaO, 1147). Für die Annahme eines Haftungsverzichts genügt es ferner
nicht, dass der Schaden bei einem Gefälligkeitserweis entstanden ist und
zwischen Schädiger und Geschädigtem enge persönliche Beziehungen bestehen
(Senatsurteile vom 8. Januar 1965 - VI ZR 234/63, BGHZ 43, 72, 76 f.; vom
27. November 1979 - VI ZR 267/78, BGHZ 76, 32, 34 f.; vom 15. Januar 1980 -
VI ZR 191/78, VersR 1980, 384, 385; vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91, aaO,
1147; vom 10. Februar 2009 -
VI ZR 28/08, aaO, Rn. 16). Erforderlich ist
vielmehr grundsätzlich, dass der Schädiger keinen
Haftpflichtversicherungsschutz genießt, für ihn ein nicht hinzunehmendes
Haftungsrisiko bestehen würde und darüber hinaus besondere Umstände
vorliegen, die im konkreten Fall einen Haftungsverzicht als besonders nahe
liegend erscheinen lassen (Senatsurteile
vom 10. Februar 2009 - VI ZR 28/08,
aaO, Rn. 16; vom 13. Juli 1993 - VI ZR 278/92, aaO, 1093).
-
11 b) Ob der Tatrichter nach diesen Grundsätzen zu Recht eine
Haftungsbeschränkung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung angenommen
hat, ist mit der Revision nur eingeschränkt angreifbar. Dies gehört
grundsätzlich zum Bereich der tatrichterlichen Feststellung und ist
revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht
Auslegungs- und Ergänzungsregeln oder Denk- und Erfahrungssätze verletzt
oder wesentliche Umstände unbeachtet gelassen hat (vgl. Senatsurteil vom 10.
Februar 2009 - VI ZR 28/08, aaO, Rn. 17; BGH, Urteil vom 30. März 1990 - V
ZR 113/89, BGHZ 111, 110, 115).
12 c) Dies ist hier der Fall. Das Berufungsgericht hat zwar richtig gesehen,
dass die Tatsache, dass der Beklagte für Schäden bei Nachbarschaftshilfe und
Gefälligkeitshandlungen privat haftpflichtversichert ist, ein Umstand ist,
der regelmäßig gegen die Annahme einer Haftungsbeschränkung spricht.
Rechtsfehlerhaft ist allerdings die weitere Begründung des
Berufungsgerichts, dass allein das Bestehen einer Haftpflichtversicherung
eine Haftung des Gefälligen nicht begründen könne. Denn begründet wird die
Haftung vorliegend allein durch § 823 Abs. 1 BGB, während das Bestehen einer
Haftpflichtversicherung auf Seiten des Schädigers für die Frage von
Bedeutung ist, ob die Haftung abweichend von der gesetzlichen Regelung
ausnahmsweise wirksam beschränkt worden ist. Für die Annahme einer
Haftungsbeschränkung genügt auch nicht der vom Berufungsgericht als
besonders bezeichnete Umstand, dass es sich vorliegend um eine alltägliche
und unentgeltliche Gefälligkeit unter Nachbarn handelt. Wie
ausgeführt, rechtfertigt selbst der Gefälligkeitserweis in einer engen
persönlichen Beziehung nicht ohne Weiteres die Annahme eines
Haftungsverzichts. Es fehlt vorliegend ferner an der Voraussetzung
eines nicht hinzunehmenden Haftungsrisikos. Wie das Berufungsgericht selbst
anführt, birgt das Bewässern eines Gartens durch den Nachbarn wie jedes
Tätigwerden für einen anderen Gefahrenmomente, ohne vordergründig
gefahrgeneigt zu sein.
Schließlich rechtfertigt der Umstand, dass der Schaden durch die
Gebäudeversicherung bei der Klägerin abgedeckt ist, nicht den Schluss auf
eine Haftungsbeschränkung (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1959 - II ZR
126/57, BGHZ 30, 40, 48; Grüneberg in Palandt, BGB, 75. Auflage, § 276 Rn.
37). Der deliktische Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin
gegen den Beklagten als Schadensverursacher wird durch die
Gebäudeversicherung nicht berührt; er ging, soweit eine Schadensregulierung
durch die Klägerin erfolgte, gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf diese über.
Die Willensfiktion einer Haftungsbeschränkung ginge demgegenüber im Ergebnis
zu Lasten der Klägerin und würde das Haftungsrisiko von dem Verursacher des
Schadens und dessen Haftpflichtversicherung ungerechtfertigt auf die
Versicherung des Geschädigten verschieben.
III.
13 Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben, ohne dass es darauf ankommt,
ob dem Beklagten grobe oder einfache Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist.
Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung des
Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei der Anwendung des Gesetzes auf den
festgestellten Sachverhalt erfolgt und nach letzterem die Sache zur
Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung des Beklagten
gegen das Urteil des Landgerichts ist zurückzuweisen.
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