Aufwendungsersatz bei Auftrag und
Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) gem. §§ 683, 670 BGB: Schäden als
"Aufwendung"; Abgrenzung zwischen Gefälligkeit und Vertrag; außerrechtliche
"Gefälligkeit ohne Auftrag" in Abgrenzung zur GoA
BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - III
ZR 346/14 - OLG Celle
Fundstelle:
NJW 2015, 2880
JuS 2016, 70 (Mäsch)
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Wenn minderjährige Mitglieder
eines Amateursportvereins von ihren Familienangehörigen oder Angehörigen
anderer Vereinsmitglieder zu Sportveranstaltungen gefahren werden, handelt
es sich grundsätzlich - auch im Verhältnis zum Sportverein - um eine reine
Gefälligkeit, die sich im außerrechtlichen Bereich abspielt, sodass
Aufwendungsersatzansprüche gegen den Verein (hier: Ersatz eines
Verkehrsunfallschadens) ausscheiden.
Zentrale Probleme:
Eine sehr interessante Entscheidung zum Auftragsrecht
und zur GoA. Die Klägerin fuhr ihre Enkelin zu einem Auswärtsspiel deren
Sportvereins. Dabei erlitt sie Schäden, deren Ersatz sie nun
vom Sportverein verlangt. Da ein Schadensersatzanspruch mangels einer
Pflichtverletzung oder einer deliktischen Handlung des Vereins nicht in
Betracht kommt, war das nur
über einen Aufwendungsersatzanspruch nach § 670
BGB möglich. Eigentlich umfasst der Begriff der „Aufwendungen“ im Sinne von
§ 670 BGB nur freiwillige Vermögensopfer. Allerdings werden unter
Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 110 HGB auch Schäden, die der
Beauftragte erleidet, unter den Begriff der Aufwendungen subsumiert, sofern
sie sich unmittelbar aus der Geschäftsführung selbst ergeben oder aus
Gefahren resultieren, die typischerweise mit der Tätigkeit verbunden sind
(und nicht etwa auf eine allgemeines Lebensrisiko zurückgehen). Da es sich
hierbei nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, kann der von der
Klägerin in der Vorinstanz geltend gemachte Anspruch auf Schmerzensgeld (§
253 II BGB) von vorneherein nicht in Betracht.
Als Grundlage für einen solchen Aufwendungsersatz kann zunächst ein Auftrag
(§ 662 BGB) in Betracht kommen. Ein Klassikerproblem ist dabei - wie immer
bei unentgeltlichem Tätigwerden -- die Abgrenzung zwischen Gefälligkeit und
Vertrag (s. dazu etwa
BGH
NJW 1992, 498; BGH
NJW 1995, 3389; BGH NJW 2009, 1141
und BGH v. 21.6.2012 - III ZR
291/11 sowie BGH v. 20.9.2017
- VIII ZR 279/16). Da aber hier wohl keine Aufforderung des Vereins vorlag, das
Kind zu transportieren (s. dazu bei Rn. 14), kam nur eine
GoA in Betracht, also ein Aufwendungsersatzanspruch aus § 683 S. 1 i.V.m. §
670 BGB. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen wird aber in diesem Rahmen
ebenso wie bei der Frage des Auftrags zwischen einer GoA und einer
außerrechtlichen Gefälligkeit gemacht. Die Kriterien sind dieselben wie bei
der Abgrenzung zwischen Gefälligkeit und Vertrag, wo Ansatzpunkt der
Rechtsbindungswille der Parteien ist (s. bei Rn. 8).
Ansatzpunkt im Rahmen der GoA ist dabei - was der Senat offen lässt -
entweder der Begriff des "Geschäfts" oder derjenige eines
"Geschäftsübernahmewillens" (s. bei Rn. 9).
S. dazu auch die
Pressemitteilung des BGH Nr. 124/15 vom 23.7.2015
©sl 2015
Tatbestand:
1 Die Parteien streiten um den Ersatz von Schäden,
die die Klägerin bei einem Verkehrsunfall erlitten hat.
2 Die Enkelin der Klägerin spielt in der Mädchen-Fußballmannschaft
des beklagten Vereins. Die Mannschaft nahm am 9. Januar 2011 in B. an der
Hallenkreismeisterschaft teil. Die Klägerin, die ihre Enkelin zu dieser
Veranstaltung bringen wollte, verunfallte mit ihrem PKW auf der Fahrt von H.
nach B. und zog sich dabei erhebliche Verletzungen zu. Die A.
Versicherungs-AG, bei der der Beklagte eine Sportversicherung unterhält,
lehnte die bei ihr angemeldeten Ansprüche der Klägerin ab. Nach den
Versicherungsbedingungen würden nur Vereinsmitglieder und zur Durchführung
versicherter Veranstaltungen "offiziell eingesetzte" Helfer
Versicherungsschutz genießen; zu diesem Personenkreis gehöre die Klägerin
jedoch nicht. Die Klägerin hat daraufhin den Beklagten auf Ersatz
ihres materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch genommen.
3 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin
hat das Oberlandesgericht (R+S 2014, 624) den Beklagten - unter
Zurückweisung der Berufung bezüglich des begehrten Schmerzensgeldes - zur
Zahlung von 2.811,63 € nebst Zinsen verurteilt. Hiergegen richtet sich die
vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.
Entscheidungsgründe
4 Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet und führt zur
Wiederherstellung der klagabweisenden Entscheidung des Landgerichts.
I.
5 Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin gegen den
Beklagten ein Anspruch auf Ersatz ihres materiellen Schadens nach
den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683 Satz 1, § 670
BGB) zu. Familienangehörige von Vereinsmitgliedern nähmen, wenn sie
diese zu Sportveranstaltungen führen, nicht ausschließlich deren Interessen
wahr. Es liege vielmehr auch im Interesse des beklagten Vereins, dass sich
seine Mitglieder an Meisterschaften oder sonstigen sportlichen
Veranstaltungen beteiligten. Der Beklagte habe über die Trainer die
Mannschaftsmitglieder der Fußballjuniorinnen des SC H. zur Teilnahme an der
Kreismeisterschaft eingeladen. Die Enkelin der Klägerin habe zur Mannschaft
gehört. Sinn und Zweck des Beklagten als Sportverein sei es nicht nur, dass
die Vereinsmitglieder trainierten, sondern auch, dass sie an Turnieren,
Meisterschaften und ähnlichen Ereignissen teilnähmen, um sich im sportlichen
Wettkampf mit anderen zu messen und über den Sport Kontakte zu anderen
Vereinen und Vereinsmitgliedern zu pflegen. Die Übernahme der
Geschäftsführung - Transport der Enkelin zur Kreismeisterschaft - habe damit
auch im Interesse des Beklagten gelegen. Erleide aber ein berechtigter
Geschäftsführer bei Ausführung des Auftrags Schäden, seien ihm diese
grundsätzlich analog § 670 BGB zu erstatten, da die Übernahme des mit der
Ausführung des Auftrags verbundenen Schadensrisikos einem freiwilligen
Vermögensopfer gleichzusetzen sei. Zwar scheide ein Anspruch aus, wenn sich
im Schaden nicht ein tätigkeitsspezifisches, sondern lediglich das
allgemeine Lebensrisiko verwirklicht habe. Hier habe das auftragsspezifische
Risiko aber gerade in der Teilnahme am Straßenverkehr gelegen, sei mithin
kein nebensächlicher Bestandteil der Geschäftsführung, sondern ihr
alleiniger Inhalt gewesen.
II.
6 Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
7 1. Bei der Fahrt der Klägerin von H. nach B. handelte es sich um
eine Gefälligkeit, die keinen Aufwendungsersatzanspruch für den erlittenen
Schaden begründet.
8 a) Im Bereich der rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisse wird
zwischen einem Auftrags- und einem Gefälligkeitsverhältnis unterschieden. Ob
jemand für einen anderen ein Geschäft im Sinne des § 662 BGB besorgt oder
jemandem nur eine (außerrechtliche) Gefälligkeit erweist, hängt vom
Rechtsbindungswillen ab. Maßgeblich ist insoweit, wie sich dem objektiven
Beobachter - nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des
Einzelfalls mit Rücksicht auf die Verkehrssitte - das Handeln des Leistenden
darstellt. Eine vertragliche Bindung wird insbesondere dann zu bejahen sein,
wenn erkennbar ist, dass für den Leistungsempfänger wesentliche Interessen
wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die
Leistungszusage verlässt oder wenn der Leistende an der Angelegenheit ein
eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat. Ist dies hingegen
nicht der Fall, kann dem Handeln der Beteiligten nur unter besonderen
Umständen ein rechtlicher Bindungswillen zugrunde gelegt werden. Ein
Bindungswille wird deshalb in der Regel beim sogenannten
Gefälligkeitshandeln des täglichen Lebens, bei Zusagen im gesellschaftlichen
Bereich oder bei Vorgängen, die diesen ähnlich sind, zu verneinen sein
(vgl. Senat, Urteil vom 14. November 1991 - III ZR 4/91, NJW 1992,
498 zur Gefälligkeitsfahrt; siehe auch Senat, Urteile vom 3. November 1983 -
III ZR 125/82, BGHZ 88, 373, 382 und vom 21. Juni 2012 - III ZR 291/11, NJW
2012, 3366 Rn. 14 f; BGH, Urteile vom 22. Juni 1956 - I ZR 198/54, BGHZ 21,
102, 106 f; vom 2. Juli 1968 - VI ZR 135/67, JZ 1969, 232, 233; vom 17. Mai
1971 - VII ZR 146/69, BGHZ 56, 204, 210 und vom 18. Dezember 2008 - IX ZR 12/05,
NJW 2009, 1141 Rn. 7 f).
9 b) Genauso muss, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, im Bereich
der gesetzlichen Schuldverhältnisse zwischen der Geschäftsführung ohne
Auftrag nach §§ 677 ff BGB und der (außerrechtlichen) Gefälligkeit ohne
Auftrag unterschieden werden. Maßgeblich ist insoweit
ebenfalls, wie sich dem objektiven Beobachter - nach Treu und Glauben unter
Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit Rücksicht auf die
Verkehrssitte - das Handeln des Leistenden darstellt. Die
Abgrenzung erfolgt unter Berücksichtigung unter anderem der Art der
Tätigkeit, ihrem Grund und Zweck, ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen
Bedeutung für den Geschäftsherrn, der Umstände, unter denen sie erbracht
wird, und der dabei entstehenden Interessenlage der Parteien. Gefälligkeiten
des täglichen Lebens oder vergleichbare Vorgänge können insoweit regelmäßig
den Tatbestand der §§ 677 ff BGB nicht erfüllen. Hierbei kann dahinstehen,
ob die Wertungen, die über das Vorliegen des gesetzlichen
Schuldverhältnisses der Geschäftsführung ohne Auftrag oder des
Nichtschuldverhältnisses der "Geschäftsführung aus Gefälligkeit" bestimmen,
im Rahmen eines normativen Verständnisses des Begriffs des "Geschäfts" im
Sinne des § 677 BGB (so Staudinger/Bergmann, BGB, Neubearbeitung
2015, Vorbem zu §§ 677 ff Rn. 111; siehe auch Erman/Dornis, BGB, 14. Aufl.,
§ 677 Rn. 3; Schmid, Die Geschäftsführung ohne Auftrag, Rn. 1145 ff)
oder im Rahmen des "Geschäftsübernahmewillens" (so Palandt/Sprau,
BGB, 74. Aufl., Einf v § 677 Rn. 2; Gehrlein in Bamberger/Roth, BGB, 3.
Aufl., § 677 Rn. 1; Beuthien in Soergel, BGB, 13. Aufl., § 677 Rn. 4 iVm Fn.
20) berücksichtigt werden.
10 c) Die Abgrenzung zwischen Geschäftsführung ohne Auftrag und Gefälligkeit
ohne Auftrag obliegt grundsätzlich dem Tatrichter. Das Revisionsgericht kann
jedoch eine - wie hier - unterlassene Abgrenzung selbst vornehmen, wenn der
Tatrichter die hierzu notwendigen Feststellungen getroffen hat und keine
weiteren Feststellungen zu erwarten sind (vgl. nur Senat, Urteil vom 17.
November 2011 - III ZR 103/10, BGHZ 191, 310 Rn. 33 mwN) oder wenn es keiner
weiteren tatrichterlichen Feststellung bedarf, weil das Revisionsgericht
diese anhand des unstreitigen Inhalts der Akten selbst treffen kann (vgl.
BGH, Urteil vom 14. Mai 2014 - VIII ZR 266/13, BGHZ 201, 252 Rn. 25 mwN).
11 Die Klägerin hat ihre Enkelin nach B. fahren wollen, um dieser
die Teilnahme an der Kreismeisterschaft zu ermöglichen. Dies geschah aus
Gefälligkeit gegenüber ihrer Enkelin beziehungsweise deren sorgeberechtigten
Eltern. An dem Charakter der Fahrt als Gefälligkeit ändert sich nichts
dadurch, dass der Transport nicht ausschließlich im alleinigen Interesse der
Enkelin und ihrer Eltern, sondern auch im Interesse der Mannschaft und damit
des beklagten Sportvereins lag. Der "Bringdienst" der
minderjährigen Spielerinnen zu auswärtigen Spielen war nach den
tatrichterlichen Feststellungen Sache der Eltern beziehungsweise anderer
Angehöriger oder Freunde. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörungen vor
den Instanzgerichten angegeben, die Kinder seien immer privat gefahren
worden. Sie selbst habe viele Fahrten durchgeführt und dafür nie etwas
bekommen. Wenn sie nicht gefahren wäre, hätte man den Transport innerhalb
der Familie oder der übrigen Vereinsmitglieder so umorganisiert, dass eine
andere Person ihre Enkelin gefahren hätte. Dieser übliche Ablauf spricht
entscheidend dagegen, den auf freiwilliger Grundlage erfolgten Transport der
Kinder zu Auswärtsspielen durch Personen aus ihrem persönlichen Umfeld als
auf der Grundlage eines mit wechselseitigen Rechten und Pflichten
ausgestalteten Schuldverhältnisses erbracht anzusehen. Vielmehr handelt es
sich, wenn minderjährige Mitglieder eines Amateursportvereins von ihren
Familienangehörigen oder Angehörigen anderer Vereinsmitglieder zu
Sportveranstaltungen gefahren werden, grundsätzlich - auch im Verhältnis zum
Sportverein - um eine reine Gefälligkeit, die sich im außerrechtlichen
Bereich abspielt. Solange jedenfalls keine gegenteiligen Absprachen
getroffen werden, scheiden damit Aufwendungsersatzansprüche aus.
12 2. Die Revisionsgegenrüge der Klägerin - sie sei von der Spartenleiterin
des Beklagten gebeten worden, ihre Enkelin zu fahren; das Berufungsgericht
habe insoweit das Bestehen eines Auftragsverhältnisses, da von seinem
Rechtsstandpunkt aus unerheblich, dahin stehen lassen - ist unbegründet.
13 Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Landgericht erklärt,
sie sei von ihrem Schwiegersohn gebeten worden, ihre Enkelin zur
Kreismeisterschaft nach B. zu fahren. In einem nicht nachgelassenen
Schriftsatz nach der mündlichen Verhandlung hat sie durch ihren
Prozessbevollmächtigten vortragen lassen, sie habe sich mit ihrer Enkelin
zunächst zum Sammelpunkt am Gymnasium W. begeben und sei dort von der
Trainerin der Mannschaft gebeten worden, ihre Enkelin zu fahren. Mit der
Berufungsbegründung hat die Klägerin - nachdem das Landgericht in seinem
Urteil diese Schilderung als widersprüchlich bewertet hat - dann ausgeführt,
sie sei zunächst von ihrem Schwiegersohn gebeten worden, ihre Enkelin zum
Sammelpunkt und anschließend von dort nach B. zu fahren. Am Sammelpunkt habe
dann die Trainerin (Spartenleiterin) ihr den "Fahrauftrag" erteilt.
14 Dieser Vortrag ist nicht entscheidungserheblich. Selbst wenn man
die Darstellung der Klägerin zu den Vorgängen am Sammelpunkt als zutreffend
unterstellt, würde es sich - nach Maßgabe der Abgrenzungskriterien zu 1 a -
nicht um einen Auftrag im Sinne des § 662 BGB, sondern um ein
außerrechtliches Gefälligkeitsverhältnis handeln.
15 3. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als
richtig (§ 561 ZPO). Die Klägerin hat in den Vorinstanzen geltend gemacht,
der Beklagte hätte sie vor Antritt der Fahrt auf den fehlenden Schutz durch
die Sportversicherung hinweisen müssen; hätte sie davon Kenntnis gehabt,
hätte man die Fahrten innerhalb der Familie und der übrigen
Vereinsmitglieder so umorganisiert, dass ihr Schwiegersohn oder ein
Familienangehöriger eines anderen Vereinsmitglieds den "Bringdienst"
übernommen hätte. Dieser Vortrag ist unerheblich. Die Instanzgerichte sind
insoweit zutreffend davon ausgegangen, dass eine besondere individuelle
Aufklärungs- und Hinweispflicht des Beklagten, der in seinem Vereinshandbuch
auf die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf Vereinsmitglieder
ausdrücklich aufmerksam gemacht hat, gegenüber der Klägerin nicht bestand.
Hiergegen wendet sich die Klägerin in der Revisionsinstanz auch nicht.
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