Abgrenzung
Gefälligkeit/Auftrag bei Fahrgemeinschaft; Schäden als "Aufwendungen"
i.S.v. § 670 BGB (Fahrgemeinschaft) BGH, Urteil v. 14.11.1991 - III ZR 4/91
(Hamm)
Amtl. Leitsatz:
Wird eine Arbeitnehmerin, die sich nicht arbeitsfähig
fühlt, von ihrer Arbeitskollegin während der Arbeitszeit mit
dem Kraftfahrzeug nach Hause gebracht, handelt es sich in der Regel um
eine Gefälligkeit ohne rechtlichen Bindungswillen der Beteiligten.
Dies gilt mangels besonderer Anhaltspunkte auch dann, wenn die betreffende
Arbeitskollegin im Rahmen einer sog. Fahrgemeinschaft - gegen eine Unkostenbeteiligung
- die andere morgens im Kraftfahrzeug in die gemeinsame Arbeitsstätte
mitnimmt und sie nach Dienstende zurückbringt.
Die Bekl. und die Zeugin S waren in der Polsterwarenfabrik
T in O. beschäftigt. Sie bildeten für den Weg zu ihrer Arbeitsstelle
und zurück eine Fahrgemeinschaft. Die Zeugin S holte die Bekl. in
ihrem Pkw morgens zu Hause ab und brachte sie nach dem Ende der Arbeitszeit
wieder zurück. Die Bekl. beteiligte sich an den Kosten der Zeugin
S mit einem Betrag von monatlich 30 DM. Am Vormittag des 28. 10. 1987 wurde
die Bekl., die zur Arbeit erschienen war, auf ihre Bitte von ihrem Arbeitgeber
beurlaubt, weil sie sich wegen des Todes ihres Großvaters nicht arbeitsfähig
fühlte. Während der Frühstückspause fuhr die Zeugin
S die Bekl. mit dem Pkw des Kl. nach Hause. Auf der Rückfahrt von
dort zu ihrer Arbeitsstelle geriet die Zeugin S mit dem Pkw ohne Beteiligung
anderer Verkehrsteilnehmer ins Schleudern und stürzte in den Straßengraben.
Dabei wurde sie erheblich verletzt. Der Pkw des Kl. erlitt einen Totalschaden.
Die Zeugin S trat ihre Ansprüche gegen die Bekl. an den Kl. ab. Der
Kl. verlangt von der Bekl. Ersatz der Schäden an seinem Pkw. Er hat
Zahlung von 8490,32 DM gefordert und vorgetragen: Die Fahrt sei im Rahmen
der zwischen den Arbeitskolleginnen bestehenden Fahrgemeinschaft im ausschließlichen
Interesse der Bekl. unternommen worden, so daß diese Ersatz für
die Unfallschäden leisten müsse. Die Zeugin S sei aus nicht erklärlichen
Gründen in einer langgezogenen Linkskurve auf der Hauptstraße
in O. von der Fahrbahn abgekommen. Die Bekl. hat sich darauf berufen, die
Zeugin S habe die Fahrt aus reiner Gefälligkeit unternommen. Der Unfall
sei von der Zeugin S grob fahrlässig verschuldet worden, da diese
auf gerader Strecke mit dem Pkw ins Schleudern geraten sei.
Das LG hat die Bekl. zur Zahlung von 3910,16 DM
nebst Zinsen verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Das BerGer.
hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Die - zugelassene - Revision
des Kl., mit der er die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils
erstrebt, blieb erfolglos.
Aus den Gründen:
1. Das BerGer. sieht die auf abgetretene Ansprüche
der Zeugin S gestützte Klage in erster Linie deshalb als unbegründet
an, weil zwischen der Bekl. und der Zeugin S hinsichtlich der Heimfahrt
der Bekl. in der Arbeitspause am 28. 10. 1987 kein Vertrag, sondern nur
ein Gefälligkeitsverhältnis bestanden habe.
Die zwischen der Zeugin S und der Bekl. damals
bestehende Fahrgemeinschaft sei für die Frage nach der rechtlichen
Bindung der hier interessierenden Gefälligkeitsfahrt ohne Bedeutung.
Die Fahrgemeinschaft habe sich nur auf den gemeinsamen Weg zur Arbeitsstätte
und den Rückweg bezogen, nicht auf eine zwischenzeitliche Fahrt während
der Arbeitszeit, die allein im Interesse der Bekl. erfolgt sei. Hiergegen
wendet sich die Revision ohne Erfolg. 2. Ob durch Erklärungen oder ein sonstiges
Verhalten ein Auftragsverhältnis zustande kommt oder nur eine Gefälligkeitshandlung
ohne rechtliche Bindungen vorliegt, hängt von den Umständen des
Einzelfalles ab und ist daher im wesentlichen eine Sache tatrichterlicher
Würdigung. Diese bindet grundsätzlich das RevGer. (§ 561
II RevGeres sei denn, daß sie rechtsfehlerhaft vorgenommen worden
ist (BGHZ 56, 204 (209) = NJW 1971, 1404 = LM § 662 BGB Nr. 11). Die
Revision wendet sich gegen die Annahme des BerGer., zwischen den Parteien
sei ein bindender Auftrag über die Heimfahrt der Bekl. am 28. 10.
1987 nicht geschlossen worden, und bringt hiergegen vor, das Gericht habe
bei seiner Auslegung wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen
(§ 133 BGB), insbesondere den Zusammenhang mit der seit mehreren Monaten
zwischen den Beteiligten bestehenden Fahrgemeinschaft nicht ausreichend
gewürdigt. Diese Rüge ist nicht begründet.
a) Die Wertung des BerGer., daß es sich
bei der Bereitschaft der Zeugin S, die Bekl. in der Frühstückspause
nach Hause zu bringen, für sich gesehen um eine typische Gefälligkeit
des täglichen Lebens ohne rechtliche Bindung gehandelt hat, läßt
Rechtsfehler nicht erkennen.
aa) Ein Rechtsgeschäft liegt nur vor, wenn
bei den Beteiligten der Wille bestand, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen
einzugehen und entgegenzunehmen. Allein dann kann auch von einer Geschäftsbesorgung
i. S. des § 662 BGB die Rede sein (BGHZ 56, 208 = NJW 1971, 1404 =
LM § 662 BGB Nr. 11). Ob ein Rechtsbindungswille vorhanden ist, ist
nicht nach dem nicht in Erscheinung getretenen inneren Willen des Leistenden
zu beurteilen, sondern danach, ob der Leistungsempfänger unter den
gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die
Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen mußte. Es
kommt darauf an, wie sich dem objektiven Beobachter das Handeln des Leistenden
darstellt. Eine vertragliche Bindung wird insbesondere dann zu bejahen
sein, wenn erkennbar ist, daß für den Leistungsempfänger
wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er
sich auf die Zusage verläßt oder wenn der Leistende an der Angelegenheit
ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat. Ist dies hingegen
nicht der Fall, kann dem Handeln der Beteiligten nur unter besonderen Umständen
ein rechtlicher Bindungswille zugrunde gelegt werden. Ein Bindungswille
wird deshalb in der Regel bei dem sogenannten Gefälligkeitshandeln
des täglichen Lebens, bei Zusagen im rein gesellschaftlichen
Verkehr oder bei Vorgängen, die diesen ähnlich sind, zu verneinen
sein (Senat, BGHZ 88, 373 (382) = NJW 1984, 1533 = LM § 661 BGB Nr.
5; BGHZ 92, 164 (168) = NJW 1985, 1778 = LM § 276 (Fb) BGB Nr. 31;
BGHZ 21, 102 = NJW 1956, 1313 = LM § 662 BGB Nr. 3 (L); BGHZ 56, 204
= NJW 1971, 1404 = LM § 662 BGB Nr. 11; BGH, NJW 1968, 1874 = LM §
832 BGB Nr. 9; Erman-Hauß, BGB, 8. Aufl., Vorb. § 662 Rdnr.
4; Palandt-Heinrichs, BGB, 49. Aufl., Einl. 2 vor § 241; Steffen,
in: RGRK, 12. Aufl., Vorb. § 662 Rdnr. 12 ff.; Staudinger-Wittmann,
BGB, 12. Aufl., Vorb. § 662 Rdnr. 18; Kramer, in: MünchKomm,
2. Aufl., Vorb. § 241 Rdnrn. 28 ff.; vgl. auch Senat, BGHRBGBB §
661 Architektenwettbewerb 2). Die Annahme einer Rechtspflicht und des sich
daraus ergebenden Schadensersatzrisikos muß zudem für den Handelnden
zumutbar sein (BGH, NJW 1974, 1705 = LM § 762 BGB Nr. 4).
bb) Von diesen Grundsätzen geht das BerGer.
aus. Daß eine Arbeitnehmerin ihre Arbeitskollegin, die sich aus Trauer
über den Tod ihres Großvaters nicht arbeitsfähig fühlt
und sich deshalb von ihrem Arbeitgeber freistellen läßt, nach
Hause bringt, sieht das BerGer. rechtsfehlerfrei als kameradschaftliches
Verhalten, als Entgegenkommen an, das anders zu bewerten ist als etwa eine
Fahrt zu einer dringend gebotenen ärztlichen Hilfeleistung (vgl. OLG
Hamm, MDR 1974, 312). Im letzteren Falle kann, für den Helfenden erkennbar,
ein dringendes Interesse daran bestehen, ihn zu binden und, soweit rechtlich
möglich, an der Gefälligkeitsbereitschaft festzuhalten. Das BerGer.
hält es dagegen für nicht vertretbar, der Zeugin S eine Verpflichtung
zur Durchführung der Fahrt aufzuerlegen, von der sie sich nur unter
den erschwerten Umständen des § 671 BGB hätte lösen
können, wenn sie ohne wichtigen Grund (§ 671 II BGB) zu der Gefälligkeit
nicht mehr bereit gewesen wäre. Diese tatrichterliche Erwägung
ist nicht zu beanstanden, auch wenn eine Kündigung zur Unzeit nach
§ 671 II 2 BGB nicht unwirksam ist, sondern lediglich eine Schadensersatzpflicht
des Kündigenden nach sich zieht.
b) Die Revision rügt zu Unrecht, das BerGer.
habe den Zusammenhang der in Rede stehenden Fahrt mit der zwischen den
Bet. bestehenden verbindlichen Fahrgemeinschaftsvereinbarung verkannt.
Das BerGer. hat eine mögliche Verknüpfung gesehen und ausgeführt,
die Fahrgemeinschaft habe sich nur auf die gemeinsame Fahrt zur Arbeitsstelle
und zurück bezogen, nicht aber auf eine zwischenzeitliche Fahrt, die
allein im Interesse der Bekl. erfolgt sei. Hierin ist ein Rechtsfehler
nicht zu erkennen.
Die Umstände mögen hier dafür sprechen,
daß ein Auftragsverhältnis der Beteiligten hinsichtlich der
gemeinsamen Fahrt zu ihrer Arbeitsstelle und zurück bestanden hat.
Nach den von dem BerGer. zutreffend wiedergegebenen Gesichtspunkten, die
für eine Abgrenzung des auf rein gesellschaftlicher Ebene liegenden
Gefälligkeitsverhältnisses zu dem auch unentgeltlichen, aber
rechtlich bindenden Auftrag als Gefälligkeitsvertrag maßgeblich
sind, ging die tägliche Mitnahme der Bekl. in dem von der Zeugin S
gesteuerten Pkw möglicherweise über ein bloßes Entgegenkommen,
eine unverbindliche Zusage hinaus. Eine Geschäftsbesorgung i. S. des
§ 662 BGB ist dann gegeben, wenn beiderseits der anhand objektiver
Kriterien feststellbare (Senat, BGHZ 88, 373 (382) = NJW 1984, 1533 = LM
§ 661 BGB Nr. 5) Wille bestand, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen
einzugehen und entgegenzunehmen; dies liegt insbesondere dann nahe, wenn
erkennbar ist, daß für den Leistungsempfänger wesentliche
Interessen auf dem Spiel stehen und er auf die Zusage vertraut (vgl. BGHZ
56, 204 (210) = NJW 1971, 1404 = LM § 662 BGB Nr. 11). Da die Zeugin
S die Bekl. regelmäßig gegen eine Unkostenbeteiligung von monatlich
30 DM zu Hause abholte und nach Arbeitsende wieder zurückbrachte und
sich die Bekl., die ihrem Arbeitgeber zu einem pünktlichen Erscheinen
verpflichtet war, hierauf auch verlassen mußte, deutet alles auf
einen Willen der Zeugin S hin, insoweit eine rechtliche Bindung einzugehen
(vgl. OLG Frankfurt, VersR 1978, 745 (746); OLG Stuttgart, MDR 1959, 388
m. Anm. Böhmer; Mädrich NJW 1982, 859 (860); Weimar, DAR 1975,
34 (35); Böhmer, VersR 1964, 807 ff.; Haberkorn, DAR 1959, 169; vgl.
auch BGHZ 46, 313 (315) = NJW 1967, 558 = LM § 708 BGB Nr. 1).
Das BerGer. hat den Sachverhalt indes rechtsfehlerfrei
dahingehend gewertet, daß die Fahrt der Zeugin S am 28. 10. 1987
außerhalb einer der Bekl. gegenüber bestehenden Verpflichtung
aus der Fahrgemeinschaft erfolgt ist und eine (zusätzliche) reine
Gefälligkeit ohne rechtliche Bindungswirkung darstellte.
Auch wenn danach die Zeugin S verpflichtet war,
die Bekl. rechtzeitig vor Arbeitsbeginn abzuholen, sie zu ihrer Arbeitsstelle
mitzunehmen und sie nach Arbeitsende auf dem Rückweg zu Hause wieder
abzusetzen, sind gegen die Annahme des BerGer., daß diese einmalige
besondere Fahrt im alleinigen Interesse der Bekl. nicht von der rechtlichen
Bindung der Zeugin S erfaßt wurde, sondern daß die Zeugin S
ihre Arbeitskollegin aus Mitgefühl in der Frühstückspause
nach Hause bringen wollte, keine Bedenken zu erheben. Diese Wertung entspricht
der Lebenserfahrung. Es mag sein, daß sich die Zeugin S, da sie den
Nachhauseweg der Bekl. kannte und mit ihr in einer Fahrgemeinschaft verbunden
war, eher als andere Mitarbeiter dazu veranlaßt sah, ihr den Gefallen
zu erweisen und sie heimzufahren. Dies spricht jedoch nicht dagegen, daß
es sich lediglich um ein entgegenkommendes Verhalten der Zeugin, nicht
aber um die Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gehandelt hat,
zumal die Bekl. auch auf andere Weise hätte nach Hause gelangen können.
c) Die Revision bringt weiter vor, die Zeugin
S habe sich als rechtlich verpflichtet angesehen, die Bekl. auch bei dieser
Gelegenheit nach Hause zu befördern. Selbst wenn dies zuträfe,
hätte der Wille, auch bei der betreffenden Gelegenheit innerhalb der
gegebenen rechtlichen Verpflichtung zu handeln, der Bekl. gegenüber
zum Ausdruck kommen müssen (vgl. BGHZ 88, 373 (382) = NJW 1984, 1533
= LM § 661 BGB Nr. 5), was nach den Feststellungen des BerGer. nicht
geschehen ist.
Die Revision macht ferner geltend, die Bekl. habe
zunächst den Vorschlag der Zeugin S, sie nach Hause zu fahren, abgelehnt,
dann aber, ohne diese zu fragen, für sie beide die Erlaubnis zur Entfernung
von dem Arbeitsplatz eingeholt und sich erst danach wegen der Heimfahrt
erneut an die Zeugin S gewandt. Hieraus läßt sich gleichfalls
nichts zugunsten einer rechtlichen Bindung herleiten. Die Bekl. konnte,
auch ohne daß eine rechtliche Verpflichtung der Zeugin bestand, angesichts
des vorherigen eigenen Vorschlags der Zeugin mangels hiervon abweichender
Äußerungen davon ausgehen, daß sich an deren Bereitschaft,
für sie tätig zu werden, nichts geändert hatte. Daß
die Zeugin S an dem betreffenden Morgen den Wagen des mit ihr bekannten
Kl. benutzte, spricht entgegen der Meinung der Revision gleichfalls nicht
für eine Verpflichtung, die Bekl. in der Arbeitspause heimzufahren.
Sie hatte sich das Fahrzeug ausgeliehen, um es für ihre eigene Fahrt
und die Mitnahme der Bekl. zur Verfügung zu haben, nicht aber, um
mögliche weitere von der Bekl. etwa gewünschte Fahrten ausführen
zu können.
d) Da hiernach das BerGer. einen rechtlich erheblichen
Zusammenhang der zusätzlichen Beförderung mit den im Rahmen der
Fahrgemeinschaft durchzuführenden Fahrten rechtsfehlerfrei verneint
hat, bedarf auch nicht der Klärung, ob die Teilnehmer der Fahrgemeinschaft
überhaupt verpflichtet wären, über die von ihnen entrichtete
Unkostenbeteiligung hinaus auch für Schäden an dem benutzten
Transportmittel aufzukommen. Auf die weiteren Erwägungen, die das
BerGer. zur Begründung seines klagabweisenden Urteils hilfsweise herangezogen
hat, kommt es bei dieser Rechtslage nicht an.