Haftungsprivilegierung
von Kindern im Straßenverkehr gem. § 828 Abs. 2 BGB
BGH, Beschluss vom 11. März
2008 - VI ZR 75/07
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Fährt ein Kind mit einem
Fahrrad gegen ein mit geöffneten hinteren Türen am Fahrbahnrand stehendes
Fahrzeug, entfällt seine Haftung nach § 828 Abs. 2 BGB.
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu
BGH NJW 2005, 354
= BGHZ 161, 180 und BGH
NJW 2007, 2113 sowie
BGH NJW 2008, 147. Die Entscheidung führt die
bisherige Rechtsprechung fort.
©sl 2008
Gründe:
I.
1 Der Senat hat den Parteien gemäß § 552a ZPO folgenden Hinweis gegeben:
2 1. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Insbesondere ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des
Rechts nicht erforderlich, weil die für die angefochtene Entscheidung
maßgeblichen Grundsätze durch die - teilweise nach Erlass des
Berufungsurteils ergangenen - Urteile des erkennenden Senats zum
Anwendungsbereich des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB geklärt sind.
3 Danach ist eine teleologische Reduktion des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB
vorzunehmen, wenn sich keine typische Überforderungssituation des Kindes
durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat.
Hiernach hat der Senat das Haftungsprivileg verneint in Fällen, in denen
Kinder der privilegierten Altersgruppe mit einem Kickbord oder Fahrrad gegen
ein ordnungsgemäß geparktes Kraftfahrzeug gestoßen sind und dieses
beschädigt haben (vgl. Senatsurteile BGHZ 161,
180; vom 30. November 2004 - VI ZR 365/03 - VersR 2005, 380 und vom 21.
Dezember 2004 - VI ZR 276/03 - VersR 2005, 378).
4 Aus den Senatsentscheidungen ergibt sich auch, dass bei dem
Haftungsprivileg nicht grundsätzlich zwischen dem fließenden und dem
ruhenden Verkehr zu unterscheiden ist, wenn es auch im fließenden Verkehr
häufiger als im so genannten ruhenden Verkehr eingreifen mag. Das schließt
jedoch nicht aus, dass sich in besonders gelagerten Fällen auch im ruhenden
Verkehr eine spezifische Gefahr des motorisierten Verkehrs verwirklichen
kann (vgl. Senatsurteil BGHZ 161, 180, 185 und vom 21. Dezember 2004 - VI ZR
276/03 - aaO, jeweils m.w.N.). Zudem ergibt sich aus den Senatsurteilen,
dass auf eine typische Fallkonstellation der Überforderung des Kindes durch
die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe
im motorisierten Straßenverkehr abzustellen ist. Darauf, ob sich diese
Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das Kind aus anderen
Gründen nicht in der Lage war, sich verkehrsgerecht zu verhalten, kommt es
nicht an. Um eine klare Grenzlinie für die Haftung von Kindern zu ziehen,
hat der Gesetzgeber diese Fallgestaltungen einheitlich in der Weise
geregelt, dass er die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von Kindern für den
Bereich des motorisierten Verkehrs generell heraufgesetzt hat (vgl.
Senatsurteile vom 14. Juni 2005 - VI ZR 181/04 - VersR 2005, 1154, 1155; vom
17. April 2007 - VI ZR 109/06 - VersR 2007, 855, 856, vorgesehen für
BGHZ 172, 83; vom 16. Oktober 2007 - VI ZR 42/07
- VersR 2007, 1669, 1670).
5 2. Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze beachtet und im Ergebnis
richtig entschieden, so dass die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat.
6 Die Instanzgerichte haben zu Recht schon aufgrund des Klägervortrags eine
typische Überforderungssituation für die Beklagte bejaht. Im Unterschied zu
den Fallgestaltungen, bei denen der erkennende Senat das Eingreifen des
Haftungsprivilegs verneint hat, kann man unter den hier gegebenen Umständen
schon nicht davon ausgehen, dass der Kläger sein Fahrzeug zum
Unfallzeitpunkt ordnungsgemäß geparkt hatte. Dem steht entgegen, dass die
hinteren Türen auf der Fahrer- und der Beifahrerseite zum Zeitpunkt der
Kollision offen standen und sich unstreitig sowohl der Kläger als auch der
Zeuge E. an den geöffneten Türen befunden und sich bewegt haben. Dies schuf
eine besondere Gefahrenlage für das als Verkehrsteilnehmer auf der Straße
fahrende Kind, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Da es
zudem erst 20 m vor diesem Fahrzeug aus einer anderen Straße eingebogen war,
liegt insgesamt eine typische Fallkonstellation der Überforderung eines
Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit
der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr vor.
II.
7 Die Parteien haben innerhalb der Ihnen gesetzten Frist keine weitere
Stellungnahme abgegeben. Da das Berufungsgericht richtigerweise eine Haftung
der Beklagten verneint hat, ist die Revision des Klägers somit nach § 552a
ZPO mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
|