(Kein) Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens
bei Operation durch einen anderen als den vereinbarten Operateur
BGH, Urteil vom 19. Juli 2016 - VI ZR
75/15 - OLG Koblenz
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Der Einwand rechtmäßigen
Alternativverhaltens, der darauf zielt, der Patient sei mit der Vornahme des
Eingriffs durch einen anderen Operateur einverstanden gewesen, ist nicht
erheblich, weil dies dem Schutzzweck des Einwilligungserfordernisses bei
ärztlichen Eingriffen widerspricht (§ 823 Abs. 1 BGB).
Zentrale Probleme:
(Nicht nur) Im Arztrecht kommt es nicht selten zur
Frage der Entlastung durch rechtmäßigen Alternativverhaltens: Steht
fest, dass ein Arzt dem Patienten durch fehlerhaftes und rechtswidriges
Handeln einen Schaden zugefügt hat, so muss der Arzt beweisen, dass der
Patient den gleichen Schaden auch bei rechtmäßigem und fehlerfreiem
ärztlichem Handeln erlitten hätt, s. dazu
BGH NJW
2012, 2024 und
BGH v. 7.2.2012 - VI
ZR 63/11. Allerdings darf diese
Entlastungsmöglichkeit nicht dem Schutzzweck der verletzen Pflicht
entgegenlaufen. So war das hier: Der Patient hatte eine eine Einwilligung
zur Opertaion durch den Chefarzt erteilt, wurde aber vom beklagten Oberarzt
operiert. Da hierzu keine Einwilligung (jetzt: § 630d BGB) vorlag, war der
Eingriff damit rechtswidrig. Der Nachweis, dass der Chefarzt die Operation
nicht anders durchgeführt hätte und deshalb dieselben (schicksalhaften)
postoperativen Komplikationen aufgetreten wären, wird hier nicht zugelassen,
weil er dem Schutzzweck des Einwilligungserfordernisses (Selbstbestimmung!)
widerspricht.
Zu den vertragsrechtlichen Fragen des Honorars in Fällen dieser Art s.
OLG Koblenz v. 21.2.2008 - 5 U
1309/07.
©sl 2016
Tatbestand:
1 Der Kläger macht gegen die Beklagten
Ansprüche auf Schmerzensgeld und Feststellung wegen einer von dem Beklagten
zu 2 durchgeführten Operation geltend.
2 Der Kläger stellte sich am 31. August 2011 wegen eines Morbus Dupuytren an
der linken Hand zur chirurgischen Handoperation im Klinikum der Beklagten zu
3 vor. Er wurde von dem Beklagen zu 1, dem Chefarzt der Beklagten zu 3,
untersucht. Am 14. September 2011 schloss er eine Wahlleistungsvereinbarung
mit der Beklagten zu 3 ab, in der Chefarztbehandlung vereinbart ist.
Am 19. September 2011 wurde der Kläger stationär aufgenommen und von dem
Beklagten zu 2, dem - nicht liquidationsberechtigten - stellvertretenden
Oberarzt der Beklagten zu 3 operiert. In die Operation durch den
Beklagten zu 2 hatte der Kläger nicht eingewilligt. Postoperativ
stellten sich bei dem Kläger an der operierten Hand erhebliche
gesundheitliche Beeinträchtigungen ein.
3 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hatdie
Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO
zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger
seine Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
4 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit hier
noch erheblich - ausgeführt, dem Kläger sei darin beizupflichten, dass der
Eingriff mangels einer rechtsgültigen Einwilligung widerrechtlich gewesen
sei. Gleichwohl scheide eine Haftung aus, weil es an einem
ersatzfähigen Schaden fehle. Zwar sei für eine hypothetische
Einwilligung, wie das Landgericht sie erörtert habe, kein Raum. Der Kläger
habe sich bewusst für den Beklagten zu 1 als Operateur entschieden. Es gebe
keinen Anhalt dafür, dass er auf einen entsprechenden Gegenvorschlag hin
einer Operation durch den Beklagten zu 2 zugestimmt hätte. Indessen
hätten die Beklagten den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens erhoben,
indem sie vorgetragen hätten, der Eingriff wäre in seiner konkreten
Ausführung nicht anders verlaufen, wenn ihn der Beklagte zu 1 vorgenommen
hätte. Das sei unbestritten geblieben und werde außerdem dadurch
gestützt, dass der Beklagte zu 2 nach den Feststellungen des
Sachverständigen fehlerfrei operiert habe. Der Kläger stünde genauso da,
wenn die Operation, wie von ihm erwartet und konsentiert, vom Beklagten zu 1
vorgenommen worden wäre. Wenn der Kläger das in der Berufungsinstanz
erstmals in Abrede stelle, könne er damit nicht mehr gehört werden (§ 531
Abs. 2 ZPO).
II.
5 Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der Begründung des
Berufungsgerichts können die von dem Kläger geltend gemachten Ansprüche
nicht verneint werden, § 280 Abs. 1, §§ 278, 823 Abs. 1, §§ 831, 253 Abs. 2
BGB.
6 Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die von dem
Beklagten zu 2 durchgeführte Operation ohne die erforderliche Einwilligung
des Klägers erfolgt. Zu Recht macht die Revision geltend, dass für
den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, der darauf zielt, ein
anderer Operateur hätte den Eingriff rechtmäßig vornehmen dürfen, im
vorliegenden Fall kein Raum ist.
7 1. Die Berufung des Schädigers auf rechtmäßiges
Alternativverhalten, d.h. der Einwand, der Schaden wäre auch bei einer
ebenfalls möglichen, rechtmäßigen Verhaltensweise entstanden, kann nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Zurechnung eines
Schadenserfolgs beachtlich sein. Dabei muss der Schutzzweck der jeweils
verletzten Norm darüber entscheiden, ob und inwieweit der Einwand im
Einzelfall erheblich ist (BGH, Urteile vom 24. Oktober 1985 - IX ZR
91/84, BGHZ 96, 157, 173 - zu pflichtwidrigem Verhalten eines Notars; vom
25. November 1992 - VIII ZR 170/91, BGHZ 120, 281, 286 - zu einer
fehlerhaften Ausschreibung; vom 9. März 2012 - V ZR 156/11, NJW 2012, 2022
Rn. 17).
8 2. Hier ist den Beklagten der Einwand des rechtmäßigen
Alternativverhaltens verwehrt, weil dies dem Schutzzweck des
Einwilligungserfordernisses bei ärztlichen Eingriffen (§ 823 Abs. 1 BGB)
widerspricht.
9 a) Von jeher leitet die Rechtsprechung das Erfordernis der
Einwilligung des Patienten in die Heilbehandlung zur Rechtfertigung des
Eingriffs in die körperliche Integrität aus dem Recht auf körperliche
Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und seinem Selbstbestimmungsrecht
als Ausfluss des Rechts auf Menschenwürde (Art. 1 GG) her.
Geschützt wird damit die Entscheidungsfreiheit des Patienten über seine
körperliche Integrität, über die sich der Arzt nicht selbstherrlich
hinwegsetzen darf. Die Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff bedeutet
nämlich in dem durch sie gezogenen Rahmen einen Verzicht auf den absoluten
Schutz des Körpers vor Verletzungen, die mit dem Eingriff verbunden sind,
darüber hinaus das Aufsichnehmen von Gefahren, die sich aus Nebenwirkungen
der Behandlung und möglichen Komplikationen ergeben. In diesem Sinn
muss die Frage einer Beeinträchtigung von Körper und Gesundheit durch den
Arzt weitgehend aus der Sicht des Patienten abgegrenzt werden, weil es um
die Selbstbestimmung geht, wenn er diese seine Rechtsgüter im Verlaufe einer
ärztlichen Behandlung und in deren Rahmen zur Disposition stellt (Senat,
Urteil vom 14. Februar 1989 - VI ZR 65/88, BGHZ 106, 391, 397 f.).
10 Daraus leiten sich Verhaltenspflichten des Arztes ab, die ihn
nicht nur zur Sorgfalt bei der Behandlung des Patienten verpflichten,
sondern auch dazu, sich dessen Einwilligung in diese Maßnahmen zu
versichern. Erklärt der Patient in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts,
er wolle sich nur von einem bestimmten Arzt operieren lassen, darf ein
anderer Arzt den Eingriff nicht vornehmen. Ist ein Eingriff durch
einen bestimmten Arzt, regelmäßig den Chefarzt, vereinbart oder konkret
zugesagt, muss der Patient rechtzeitig aufgeklärt werden, wenn ein anderer
Arzt an seine Stelle treten soll (Senat, Urteil vom 11. Mai 2010 - VI ZR
252/08, NJW 2010, 2580 Rn. 6). Fehlt die wirksame Einwilligung in die
Vornahme des Eingriffs, ist der in der ärztlichen Heilbehandlung liegende
Eingriff in die körperliche Integrität rechtswidrig (Senat, Urteil vom 14.
Februar 1989 - VI ZR 65/88, BGHZ 106, 391, 398).
11 b) Vor diesem Hintergrund kann sich der Arzt, der ohne eine auf seine
Person bezogene Einwilligung des Patienten operiert hat, nicht darauf
berufen, dass der Patient mit der Vornahme des Eingriffs durch einen anderen
- zumal besser qualifizierten - Operateur einverstanden gewesen sei.
Könnte er sich mit diesem Einwand einer Haftung entziehen, bliebe der
rechtswidrige Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten
sanktionslos.
12 aa) Dem steht nicht entgegen, dass eine Haftung aus der (bloßen)
Verletzung der Aufklärungspflicht ohne einen von dem Arzt verursachten
Gesundheitsschaden nicht angenommen werden kann (vgl. Senat, Urteil
vom 27. Mai 2008 - VI ZR 69/07, BGHZ 176, 342 Rn. 19). Denn im
Streitfall hat schon der Eingriff selbst zu einer Verletzung der
körperlichen Integrität des Klägers geführt (vgl. Senat, Urteil vom
13. Januar 1987 - VI ZR 82/86 NJW 1987, 1481 unter II 3 b). Zudem ist sein
Vertrauen, das er in die oben genannten Verhaltenspflichten der Beklagten
gesetzt hat, enttäuscht worden.
13 Es kann die Beklagten nicht entlasten, dass die Operation
(möglicherweise) bei einem durch den Beklagten zu 1 durchgeführten Eingriff
die (genau) gleichen Folgen gehabt hätte. Sonst wäre das Vertrauen nicht
wirksam geschützt, das Patienten in die ärztliche Zuverlässigkeit und
Integrität setzen müssen, wenn sie ihre absolut geschützten Rechtsgüter im
Verlaufe einer ärztlichen Behandlung zur Disposition stellen.
14 bb) Diesem Ergebnis entspricht, wovon das Berufungsgericht auch
zutreffend ausgeht, dass die Voraussetzungen für eine hypothetische
Einwilligung nur dann vorliegen, wenn der Patient eine wirksame Zustimmung
zu dem konkreten, gerade durch den operierenden Arzt vorgenommenen Eingriff
erteilt hätte (Senat, Urteil vom 9. Juli 1996 - VI ZR 101/95, NJW 1996, 1015
unter II 3 c).
15 cc) Im vorliegenden Fall tritt ferner hinzu, dass der Kläger ausweislich
der mit der Beklagten zu 3 geschlossenen Wahlleistungsvereinbarung nur unter
der Voraussetzung einer Behandlung durch den Chefarzt zur Einwilligung
bereit war, § 823 Abs. 1 BGB. Der Patient schließt einen solchen Vertrag im
Vertrauen auf die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische
Kompetenz des von ihm ausgewählten Arztes, die er sich in Sorge um seine
Gesundheit gegen Entrichtung eines zusätzlichen Honorars für die
Heilbehandlung sichern will. Demzufolge muss der Wahlarzt die seine
Disziplin prägende Kernleistung persönlich und eigenhändig erbringen (Senat,
Urteil vom 11. Mai 2010 - VI ZR 252/08, NJW 2010, 2580 Rn. 7). Insbesondere
muss der als Wahlarzt verpflichtete Chirurg die geschuldete Operation
grundsätzlich selbst durchführen, sofern er mit dem Patienten nicht eine
Ausführung seiner Kernleistung durch einen Stellvertreter wirksam vereinbart
hat (vgl. zu den an eine solche Vereinbarung anzulegenden Maßstäben BGH,
Urteil vom 20. Dezember 2007 - III ZR 144/07, BGHZ 175, 76 Rn. 7 ff.). Vor
diesem Hintergrund ist im Streitfall zudem das Vertrauen des Klägers, das
dieser in die mit der Beklagten zu 3 geschlossene Wahlleistungsvereinbarung
und damit auch in die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene
medizinische Kompetenz des Beklagten zu 1 gesetzt hat, enttäuscht worden.
16 3. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Berufungsgericht das Bestreiten
des Klägers hinsichtlich des von dem Berufungsgericht angenommenen
hypothetischen Kausalverlaufs hätte zurückweisen dürfen (§ 531 Abs. 2 ZPO in
Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. Senat, Beschluss vom 3. März 2015 -
VI ZR 490/13, NJW-RR 2015, 1278 Rn. 10 ff.).
III.
17 Der Beschluss des Berufungsgerichts kann daher keinen Bestand haben,
sondern ist aufzuheben und mangels Entscheidungsreife zur Verhandlung und
neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1,
§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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