IPR: Stellvertretungsstatut, Anknüpfung der
Rechtsscheinvollmacht an den Handlungsort; Abgrenzung zum
Gesellschaftsstatut; Revisibilität der fehlerhaften Ermittlung ausländischen
Rechts (Verletzung von § 293 ZPO)
BGH, Urteil vom 20. Juli 2012 - V ZR
142/11 - OLG Oldenburg
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
In Fällen mit
Auslandsberührung richtet sich die Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft für
das Handeln ihres Organs, das seine Vertretungsbefugnis bei einem
Distanzgeschäft überschreitet, jedenfalls dann nach der an dem Ort der
Abgabe der Willenserklärung geltenden Rechtsordnung, wenn diese zugleich
über die organschaftliche Vertretungsmacht entscheidet (Fortführung von BGHZ
43, 21 ff.).
Zentrale Probleme:
Derselbe komplexe Sachverhalt
wir in BGH v.20.7.2012 - V ZR
135/11, dieses Mal unter dem Gesichtspunkt des auf die Stellvertretung
anwendbaren Rechts, s. dazu ab Tz. 27. Zum
ebenfalls angesprochenen Problem der Revisibilität s. nunmehr
BGH v. 4.7.2013 - V ZB 197/12. Zur
fehlerhaften Ermittlung ausl. Rechts s.
BGH v. 14.1.2014 - II ZR 192/13.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Die Klägerin, ein Unternehmen mit Sitz in
Texas/USA, und die Beklagte zu 1, ein Unternehmen brasilianischen Rechts,
streiten im Rahmen einer Hauptintervention der Klägerin um das Eigentum an
angereichertem Uran 235. In dem im Hinblick auf die Interventionsklage
ausgesetzten Hauptprozess verlangt die Beklagte zu 1 ihrerseits die
Herausgabe des Urans von der Beklagten zu 2, einem deutschen Unternehmen.
2 Die Anreicherung des Urans erfolgte in den achtziger Jahren des letzten
Jahrhunderts im Auftrag der Beklagten zu 1 durch die U. Ltd. (künftig: U. )
in Großbritannien. Anschließend lagerte die Beklagte zu 1 unter anderem das
in elf Zylindern befindliche Uran in einem von der Beklagten zu 2 in
Deutschland betriebenen Lager für Kernbrennstoffe ein; der schon vor dieser
Einlagerung zwischen den Beklagten bestehende Lagervertrag war dem Schweizer
Recht unterstellt.
3 Am 7. März 1994 schloss die Beklagte zu 1 mit der NEAG, einer
Aktiengesellschaft Schweizer Rechts, unter anderem über dieses Uran einen
Sachdarlehensvertrag (loan agreement) nach brasilianischem Recht. Nach
dessen Bestimmungen war das Uran von dem Darlehensgeber, der Beklagten zu 1,
in dem Lager der Beklagten zu 2 an den Darlehensnehmer, die NEAG, zu
liefern; das Eigentum sollte bei der Lieferung übergehen. Im April 1994 wies
ein als Vertreterin der NEAG auftretendes und mit dieser konzernmäßig
verbundenes Unternehmen, die NTC mit Sitz in Colorado/USA, die Beklagte zu 1
an, das Uran zum 25. April 1994 auf das Materialkonto der SPC, eines
Tochterunternehmens der Beklagten zu 2, zu übertragen. Aufgrund dessen
erteilte das Vorstandsmitglied der Beklagten zu 1, Direktor S. , der
Beklagten zu 2 mit Schreiben vom 18. April 1994 folgende, auf die Zylinder
nebst Inhalt bezogene Anweisung:
„bitte übertragen Sie das oben genannte Material zum 25.4.1994 auf
Materialkonto der SPC bei der [Beklagten zu 2]. ...
Wir bitten Sie, der SPC zu bestätigen, dass die ... Zylinder mit
angereichertem UF 6 für die SPC gehalten werden und jederzeit an einen
anderen Ort verlagert werden können. Die SPC ist darüber informiert, dass
die ... Zylinder Eigentum der [Beklagten zu 1] sind."
4 Hintergrund dessen war, dass sich die NTC ihrerseits mit einem dem Recht
des US-Bundesstaates Colorado unterstellten Vertrag vom 8. April 1993
verpflichtet hatte, der SPC Uran zu überlassen. Einer Absichtserklärung der
NTC vom 18. April 1994 zufolge sollte der SPC unter anderem das in Rede
stehende Uran zur Verfügung gestellt werden.
5 Die Beklagte zu 2 schrieb daraufhin der SPC - nachrichtlich der Beklagten
zu 1 - am 20. April 1994, dass sie das Uran gemäß Anweisung der Beklagten zu
1 zum 29. April 1994 auf das Materialkonto der SPC übertragen werde. Am 29.
April 1994 wandte sich das Vorstandsmitglied S. der Beklagten zu 1 an die
SPC mit der Bitte, das Uran nunmehr dem von der SPC für die NTC geführten
Materialkonto gutzuschreiben. Dies bestätigte die SPC der NTC am 3. Mai
1994. Die Lager- und Versicherungskosten für das Uran stellte die Beklagte
zu 2 der Beklagten zu 1 im September 1994 zunächst nur noch für die Zeit bis
zum 28. April 1994 in Rechnung.
6 Die Klägerin hatte ihrerseits der NTC im Rahmen eines Sachdarlehens Uran
zur Verfügung gestellt. Im November 1994 vereinbarten die Klägerin und die
NTC, dass die NTC die SPC zwecks Rücklieferung anweisen solle, das in den
elf Zylindern befindliche Uran auf das Materialkonto der Klägerin
umzubuchen. Die Umbuchung wurde der Klägerin durch die SPC bestätigt.
7 Im Februar 1995 fiel die NTC in Konkurs. Die Beklagte zu 1 erklärte
daraufhin gegenüber der NEAG die Anfechtung sämtlicher Erklärungen ihres
Vorstandmitglieds S. . Im September 1995 stellte die Beklagte zu 2 der
Beklagten zu 1 Lager- und Versicherungskosten auch für die Zeit vom 29.
April bis zum 31. Dezember 1994 in Rechnung. Im April 1996 fiel die NEAG in
Konkurs.
8 Das Landgericht hat dem Antrag der Klägerin entsprechend festgestellt, der
Beklagten zu 1 stehe gegen die Beklagte zu 2 kein Anspruch auf Herausgabe
der Zylinder zu, und hat die Beklagte zu 2 zur Herausgabe der Zylinder an
die Klägerin verurteilt. Die Klägerin hat diese Entscheidung
zwischenzeitlich vollstreckt und die Zylinder aus der Bundesrepublik
Deutschland ausgeführt. Die - zugleich als Streithelferin der Beklagten zu 2
eingelegte - Berufung der Beklagten zu 1 ist nach einer Vorlage an den
Europäischen Gerichtshof erfolglos geblieben. Mit Urteil vom 22. Februar
2010 (II ZR 286/07, NJW-RR 2010, 983) hat der II. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das
die Berufung anschließend erneut zurückgewiesen hat. Mit der von dem
Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte zu 1, die das
Rechtsmittel nur für sich selbst eingelegt hat, die Zurückweisung des
Feststellungsantrags erreichen. Nach einem Hinweis des Senats hat die
Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die
Beklagte zu 1 hat der Erledigungserklärung widersprochen.
Entscheidungsgründe:
I.
9 Das Berufungsgericht hält sowohl den Leistungs- als auch den
Feststellungsantrag für begründet, weil die Klägerin das - nach deutschem
Sachrecht zu beurteilende - Eigentum an dem Uran erlangt habe. Nach der
Anreicherung des Materials durch die U. sei zunächst die Beklagte zu 1
Eigentümerin
gewesen. Diese habe das Eigentum im April 1994 auf Geheiß der NEAG an die
SPC übertragen; den erforderlichen Eigenbesitz habe die SPC dadurch erlangt,
dass die Beklagte zu 2 das Uran aufgrund der durch Herrn S. erteilten - der
Beklagten zu 1 zurechenbaren und von dieser auch nicht wirksam angefochtenen
- Anweisung vom 18. April 1994 nicht mehr der Beklagten zu 1, sondern der
SPC vermittelt habe. Die Klägerin habe ihrerseits im November 1994 das
Eigentum an dem Uran von der NTC erworben, die durch die Übereignung eine
ihr obliegende vertragliche (Rück-)Lieferpflicht erfüllt habe; der Besitz
sei dadurch übertragen worden, dass die SPC das Uran weisungsgemäß auf das
von ihr für die Klägerin geführte Materialkonto umgebucht habe. Darauf, ob
die NTC zu dem Zeitpunkt der Übereignung an die Klägerin Eigentümerin des
Urans gewesen sei, komme es nicht an, da die SPC die Verfügung der NTC
genehmigt habe. Vorschriften des Vertrags über die Gründung der Europäischen
Atomgemeinschaft vom 25. März 1957 (EAGV) stünden der Wirksamkeit der
Eigentumsübertragungen nicht entgegen, weil die Lieferung des Urans an die
Beklagte zu 1 durch die U. für die Versorgung der Gemeinschaft
neutral gewesen sei und die nachfolgenden Übertragungen aus diesem Grund
nicht von dem EAGV erfasst würden.
II.
10 Die Revision der Beklagten zu 1 hat keinen Erfolg.
11 1. Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist lediglich die gegen
die Beklagte zu 1 gerichtete Klage, mit der die Klägerin die fehlende
Berechtigung der Beklagten zu 1, die Uranzylinder von der Beklagten zu 2
heraus zu verlangen, feststellen lassen will. Die Entscheidung des
Berufungsgerichts ist rechtskräftig, soweit der Klägerin der
Herausgabeanspruch gegen die Beklagte zu 2 zuerkannt worden ist. Die
Beklagte zu 1 hat nämlich - anders als in den vorangegangenen
Rechtsmittelverfahren - die Revision ausdrücklich nur für sich selbst und
nicht zugleich auch als Streithelferin der Beklagten zu 2 eingelegt. Eine
notwendige Streitgenossenschaft (§ 62 ZPO) zwischen den Beklagten, bei deren
Vorliegen die gerichtliche Entscheidung durch das Rechtsmittel eines
Streitgenossen insgesamt zur Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht
gestellt wäre, wurde durch die Hauptintervention der Klägerin nicht
begründet (vgl. RGZ 100, 60, 61 f.; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 64
Rn. 16; Zöl-ler/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 64 Rn. 5).
12 2. Die Hauptsache hat sich erledigt, nachdem die Entscheidung über den
Herausgabeanspruch in Rechtskraft erwachsen ist. Weil die Klägerin das Uran
zuvor bereits aus der Bundesrepublik Deutschland ausgeführt hatte, hat sie
ihr mit der Hauptintervention verfolgtes Rechtsschutzziel vollständig
erreicht. Damit ist das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche
Interesse an der erstrebten Feststellung entfallen, bei dem es sich um eine
Prozessvoraussetzung handelt und das daher auch in der Revisionsinstanz von
Amts wegen zu prüfen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Januar 2007 - I ZR
87/04, NJW 2007, 3002, 3003; MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, 3. Aufl., § 256
Rn. 35 jeweils mwN). Es setzt voraus, dass der Rechtslage des Klägers eine
gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil geeignet
ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juni 1998 - V ZR
43/97, NJW 1998, 3055, 3056; MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, aaO, Rn. 37,
jeweils mwN). Das gilt auch in der besonderen prozessualen Situation der
Hauptintervention (§ 64 ZPO), sofern der Interventionskläger - wie
regelmäßig und auch hier - seinen Anspruch auf die Sache, über die bereits
zwischen anderen Personen ein Rechtsstreit anhängig ist, durch die
Kombination einer Leistungsklage (gegen den Beklagten des
Ausgangsrechtsstreits) und einer Feststellungsklage (gegen den Kläger des
Ausgangsrechtsstreits) verfolgt (vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald,
Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 52 Rn. 17; MünchKomm-ZPO/Schultes, 3. Aufl.,
§ 64 Rn. 15). Denn in diesem Fall rechtfertigt sich das Interesse an der
Feststellung, dass der in dem Ausgangsrechtsstreit geltend gemachte Anspruch
nicht besteht, ebenfalls aus der Rechtsunsicherheit, die sich für den
Interventionskläger daraus ergibt, dass er mit dem dortigen Kläger um die
von beiden beanspruchte Sache konkurriert.
13 Daran fehlt es wegen der bereits erfolgten Vollstreckung ab dem Eintritt
der Rechtskraft des Urteils im Hinblick auf die gegen die Beklagte zu 2
gerichtete Herausgabeklage. Ob der Beklagten zu 1 ebenfalls ein
Herausgabeanspruch gegen die Beklagte zu 2 zusteht, ist für die bereits
gesicherte Rechtsposition der Klägerin ohne Belang, weil die Beklagte zu 1
einen solchen Anspruch jedenfalls nicht mehr mit Erfolg durchsetzen könnte.
14 3. Die einseitige Erledigungserklärung der Klägerin ist auch in der
Revisionsinstanz jedenfalls dann zulässig, wenn das zugrunde liegende
Geschehen unstreitig ist (vgl. BGH, Urteile vom 8. Februar 1989 - IVa ZR
98/87, BGHZ 106, 359, 368 und vom 5. Mai 1999 - XII ZR 184/97, BGHZ 141,
307, 316; Münch-Komm-ZPO/Lindacher, 3. Aufl., § 91 a Rn. 112, jeweils mwN).
Nichts anderes kommt in Betracht, wenn das erledigende Ereignis - wie hier -
in dem Eintritt der Rechtskraft des Berufungsurteils hinsichtlich eines
nicht angegriffenen Klageantrags begründet ist, da der Kläger andernfalls
keine Möglichkeit hätte, im Revisionsverfahren eine für sich günstige
Kostenfolge herbeizuführen.
15 4. Auf der Grundlage des geänderten Klageantrags erweist sich die
Revision als unbegründet. Das Berufungsgericht hat den gegen die Beklagte zu
1 gerichteten Feststellungsantrag ohne Rechtsfehler als zulässig und
begründet angesehen.
16 a) Einen Anspruch gemäß § 985 BGB hat der Senat nicht zu prüfen. Die
Beklagte zu 1 stützt ihr Herausgabeverlangen ausdrücklich nur auf eine
vertragliche Grundlage, weil sie davon ausgeht, dass das Eigentum an dem
Uran nach Art. 86 EAGV der Europäischen Atomgemeinschaft zusteht. Auch einen
- nach ihrer Ansicht wegen einer drohenden Umgehung der Bestimmungen des
EAGV ohnehin nicht zulässigen - gutgläubigen Erwerb behauptet sie nicht.
17 Das hat zur Folge, dass der Senat an der Prüfung eines Anspruchs gemäß §
985 BGB gehindert ist. Eine negative Feststellungsklage bewirkt lediglich
eine Umkehrung der Parteirollen mit der Folge, dass der Beklagte, der sich
des von dem Kläger bestrittenen Anspruchs berühmt, dessen Voraussetzungen
nach Grund und Höhe darzulegen hat (vgl. Senat, Urteil vom 25. Oktober 1991
- V ZR 196/90, NJW 1992, 1101, 1103; Zöller/Greger, aaO, § 256 Rn. 18). Zwar
ist das Gericht grundsätzlich nicht daran gehindert, den Lebenssachverhalt
unter eine andere als die vorgetragene Anspruchsgrundlage zu subsumie-ren
(vgl. Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 33. Aufl., § 308 Rn. 4; Musielak in
Musielak, ZPO, 9. Aufl., § 308 Rn. 15). Seine Prüfungskompetenz kann aber
beschränkt werden, sofern das Rechtsschutzziel unter verschiedenen
Voraussetzungen erreicht werden kann. In diesem Fall hat der Kläger - bzw.
im Fall der negativen Feststellungsklage der Beklagte - mit Blick auf die
jeweils unterschiedlichen Verteidigungsmöglichkeiten des Gegners die Wahl,
auf welche Grundlage er den Anspruch stützt (vgl. Musielak, aaO, § 308 Rn.
15 mwN; Zöl-ler/Vollkommer, aaO, Einl. Rn. 70; vgl. auch Senat, Urteil vom
25. Mai 1984
- V ZR 199/82, BGHZ 91, 282, 283 f.). Aus diesem Grund ist bereits in dem
ersten Revisionsurteil vom 22. Februar 2010 darauf hingewiesen worden, dass
die Beklagte zu 1 den Rechtsgrund eines Herausgabeanspruchs gegen die
Beklagte zu 2 darlegen und beweisen müsse (BGH, Urteil vom 22. Februar 2010
- II ZR 286/07, NJW-RR 2010, 983 Rn. 35).
18 b) In Betracht kommt danach nur ein schuldrechtlicher Anspruch aus dem
zwischen den Beklagten geschlossenen Lagervertrag; diesen verneint das
Berufungsgericht im Ergebnis ohne Rechtsfehler.
19 aa) Auf einen solchen Anspruch stützt sich die Beklagte zu 1. Sie hat
zwar auch die Wirksamkeit des Lagervertrags nach dem EAGV in Zweifel
gezogen. Ihr Vorbringen in der Revisionsbegründung lässt sich aber insgesamt
nur so verstehen, dass sie einen vertraglichen Herausgabeanspruch - anders
als den auf das Eigentum gestützten Anspruch - für gegeben hält.
20 bb) Das Berufungsgericht hat diesen Anspruch der Sache nach zwar nur im
Zusammenhang mit der Frage geprüft, ob die Beklagte zu 1 den mittelbaren
Besitz an dem Uran verloren hat. Dabei ist es aber zu dem Ergebnis gelangt,
dass sich der nach dem Parteiwillen fortbestehende Lagervertrag ab dem 29.
April 1994 nicht mehr auf das hier in Rede stehende Uran erstrecken sollte
und die vertragliche Beziehung damit insoweit beendet war.
21 cc) Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach sich der Lagervertrag
nach dem Willen der Parteien nur auf das jeweils durch die Beklagte zu 1
eingelagerte Uran habe erstrecken sollen, und demnach entscheidend sei, für
wen die Beklagte zu 2 nach der im April 1994 zwischen den Parteien erfolgten
Korrespondenz den Besitz an dem Uran ausgeübt habe, begegnet keinen
Bedenken; auch die Revision erhebt dagegen keine Einwendungen. Die fehlende
Ermittlung des auf den Vertrag anwendbaren schweizerischen Rechts ist
unbeachtlich, weil dies nicht - wie es erforderlich wäre - mit einer auf §
293 ZPO gestützten Verfahrensrüge geltend gemacht worden ist (vgl. nur
Senat, Urteil vom 6. November 1998 - V ZR 224/97, ZfIR 1999, 264, 265).
22 dd) Die Revision wendet sich gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die
Beklagte zu 1 habe ihren mittelbaren Besitz verloren, was - nach der nicht
angegriffenen Auslegung des Lagervertrags - die Vertragsbeziehung insoweit
beendet habe. Ferner meint sie, die Beklagte zu 1 müsse sich die Anweisungen
des Direktors S. nicht zurechnen lassen. Diese Rügen haben keinen Erfolg.
23 (1) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte zu 1 habe ihren
mittelbaren Besitz aufgegeben und infolge ihrer Anweisungen habe die
Beklagte zu 2 nach April 1994 der SPC den Besitz vermittelt, ist - soweit es
um tatsächliche Umstände geht - als tatrichterliche Würdigung
revisionsrechtlich insbesondere daraufhin überprüfbar, ob das
Berufungsgericht ein Vorbringen, einen Beweisantrag oder das Ergebnis einer
Beweisaufnahme übersehen hat (vgl. MünchKomm-ZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 559 Rn.
13).
24 Gemessen daran ist die Entscheidung rechtsfehlerfrei. Das
Berufungsgericht hat den Sachverhalt umfassend und widerspruchsfrei
gewürdigt. Der Korrespondenz zwischen den Beklagten im April 1994 hat es
entnommen, dass nach dem 29. April 1994 nicht die Beklagte zu 1, sondern die
SPC mittelbare Besitzerin sein sollte. Dass eine interne Umbuchung bei der
Beklagten zu 2 unterblieben ist, hat es dabei unterstellt. Es hat das
Schreiben des Direktors S. der Beklagten zu 1 vom 18. April 1994 an die
Beklagte zu 2, das darauf folgende Schreiben der Beklagten zu 2 vom 20.
April 1994 an die SPC und die Anweisung des Direktors S. vom 29. April 1994
an die SPC dahingehend gewürdigt, dass der mittelbare Besitz der Beklagten
zu 1 beendet werden sollte. In diesem Zusammenhang hat es erläutert, dass
die Erwähnung der im Eigentum der Beklagten zu 1 stehenden Zylinder allein
auf die Behälter bezogen war. Einbezogen hat es auch, dass die Beklagte zu 2
die Verwahrungskosten der Beklagten zu 1 zunächst nur bis zum 28. April 1994
in Rechnung stellte. Mit dem Schreiben der Beklagten zu 2 vom 16. Mai 1994
hat es sich befasst und ist nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass
diese den dort eingenommenen Rechtsstandpunkt anschließend korrigiert hat.
25 Ohne Erfolg stützt sich die Revision auf die unterbliebene ausdrückliche
Würdigung des Schreibens der Beklagten zu 1 vom 12. September 1994. Es ist
mit dem Ergebnis des Berufungsgerichts ohne weiteres in Einklang zu bringen,
weil darin von einer erfolgten Übertragung des Materials auf das Konto der
SPC und einem Eigentumserwerb der NEAG ausgegangen wird. Ebenso wenig hat
das Berufungsgericht gegen § 286 Abs. 1 ZPO verstoßen, indem es eine
ausdrückliche Würdigung des Schriftsatzes der Beklagten zu 2 vom 19.
November 2010 unterließ. Die Beklagte zu 2 hat darin - anders als die
Revision behauptet - gerade nicht die Auffassung vertreten, die Beklagte zu
1 habe auch nach April 1994 an ihrem Anspruch festgehalten; sie hat vielmehr
vorgetragen, ein Gläubigerwechsel sei aus ihrer Sicht eindeutig erfolgt,
zwar nicht durch die Umbuchung auf die - zu ihrem Konzern gehörige - SPC,
aber jedenfalls durch die Übertragung des Urans auf das Materialkonto der
NTC von Seiten der SPC. Ohnehin ist entscheidend, wie die Vertragspartner
der Beklagten zu 2 deren Schreiben verstehen mussten.
26 (2) Rechtsfehlerfrei ist auch die Annahme, Direktor S. habe die Beklagte
zu 1 bei der Beendigung des Lagervertrags bezogen auf das in Rede stehende
Uran wirksam vertreten.
27 (a) Richtig ist zunächst, dass sich die
Vertretungsmacht, die nach den tatbestandlichen Feststellungen nur auf der
Rechtsstellung des Direktors S. als Gesellschaftsorgan beruhen kann, nach
dem Gesellschaftsstatut richtet (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober
1991 - XI ZR 64/90, NJW 1992, 618; Palandt/Thorn, BGB, 71. Aufl., Anh. zu
Art. 10 EGBGB Rn. 2; Anh. zu Art. 12 EG-BGB Rn. 13). Maßgeblich ist nach den
zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts das an dem Sitz der
Gesellschaft geltende brasilianische Recht. Für das Revisionsverfahren ist
von der für die Beklagte zu 1 günstigen Würdigung des Berufungsgerichts
auszugehen, wonach sich aus dem brasilianischen Recht keine organschaftliche
Vertretungsmacht für die Anweisungen ergibt.
28 (b) Auch für die Frage, ob sich die Beklagte zu 1 die
Willenserklärungen ihres Direktors aufgrund eines Rechtsscheins zurechnen
lassen muss, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei das brasilianische
Recht herangezogen.
29 (aa) Als maßgebliche Anknüpfung für eine Anscheinsvollmacht hat
der Bundesgerichtshof den Ort angesehen, an dem der Rechtsschein entstanden
ist und sich ausgewirkt hat, weil die Haftung allein auf dem Rechtsschein
beruhe (BGH, Urteil vom 9. Dezember 1964 - VIII ZR 304/62, BGHZ 43,
21, 27; vgl. auch BGH, Urteil vom 5. Februar 2007 - II ZR 84/05, NJW 2007,
1529, 1530 Rn. 9 mwN); dabei ging es allerdings nicht um ein
Distanzgeschäft, bei dem - wie hier - der Ort der Abgabe der
Willenserklärung (Brasilien) und der ihres Zugangs (Deutschland)
auseinanderfallen. Die gewählte Formulierung ist als
unscharf kritisiert worden (Leible, IPRax 1998, 257, 260; Heinz,
Das Vollmachtsstatut [2011], S. 211 f.). Im Ergebnis ähnlich stellen Teile
der Literatur hinsichtlich der Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft für das
Handeln ihrer Organe auf das Recht des Ortes ab, an dem das Geschäft
stattfand (Münch-Komm-BGB/Kindler, Int. GesR, 5. Aufl. Rn. 585;
Staudinger/Großfeld, Int. GesR [1998] Rn. 285; Kaligin, DB 1985, 1449,
1452).
30 (bb) Andere plädieren für die Maßgeblichkeit des
Vollmachtsstatuts. Der enge Zusammenhang zwischen Vertretungsbefugnis und
Rechtsscheinhaftung erfordere die Anwendung derselben Rechtsordnung. Während
dies bei einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht wegen ihrer Anknüpfung an den
Gebrauchs- und Wirkungsort im Regelfall nicht zu anderen Ergebnissen führt,
unterliegt die Rechtsscheinhaftung bei einer organschaftlichen
Vertretungsmacht nach dieser Ansicht ohne Rücksicht auf den Handlungsort dem
Gesellschaftsstatut (Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales
Vertragsrecht, 6. Aufl., Rn. 2480; Heinz, aaO, S. 211 f.).
31 (cc) Im Ergebnis führen alle Ansichten zu der Anwendung brasilianischen
Rechts, es sei denn, man wollte den Ort des Zugangs der
Willenserklärung als maßgeblich ansehen. Diese Auffassung wird nur
vereinzelt vertreten (OLG Köln, IPRspr. 1966/67 Nr. 25, S. 80 f.;
Staudinger/Magnus, BGB [2010], Anh. II zu Art. 1 Rom I-VO Rn. 39: Ort, an
dem der Dritte vertraut). Die überwiegende Meinung sieht - wie das
Berufungsgericht - bei Distanzgeschäften stets den Ort der Abgabe der
Erklärung des Vertreters als maßgeblich sowohl für die Anknüpfung einer
rechtsgeschäftlichen Vollmacht als auch der Rechtsscheinhaftung an
(LG Karlsruhe, RIW 2002, 153, 155; Erman/Hohloch, BGB,
13. Aufl., Anh. I nach Art. 12 EGBGB Rn. 7; Kropholler, IPR, 6. Aufl., S.
306, 308; Hausmann in Reithmann/Martiny, aaO, Rn. 2433, 2480; weitere
Nachweise bei Heinz, aaO, S. 18, 162 ff.).
32 (dd) Der Senat hält die Anknüpfung an den Ort des Zugangs der
Willenserklärung auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten jedenfalls dann
nicht für richtig, wenn das an dem Handlungsort des Vertreters geltende
Recht - wie hier - zugleich über dessen Vertretungsbefugnis entscheidet.
An dieser Rechtsordnung muss sich der Geschäftspartner ausrichten, der auf
die Vertretungsmacht einer im Ausland handelnden Person vertraut.
33 (c) Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe das von
ihm ermittelte brasilianische Recht fehlerhaft angewendet, steht dem
entgegen, dass die Anwendung ausländischen Rechts jedenfalls gemäß §
545 Abs. 1 ZPO in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung (Art. 111
Abs. 1 und 2, Art. 112 Abs. 1 FGG-RG) nicht revisibel ist (vgl.
Senat, Urteil vom 18. Februar 2011 - V ZR 137/10, NJW-RR 2011, 515 Rn. 9).
Grundsätzlich zulässig ist demgegenüber die auf § 293 ZPO gestützte
Verfahrensrüge, mit der eine unzureichende oder fehlerhafte Ermittlung des
ausländischen Rechts geltend gemacht wird. Aus dieser Norm leitet sich nach
der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Pflicht des
Tatrichters ab, das für die Entscheidung eines Rechtsstreits maßgebende
ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wie der Tatrichter sich die
erforderliche Kenntnis des ausländischen Rechts verschafft, steht zwar in
seinem Ermessen. Die Entscheidungsgründe müssen aber erkennen lassen, dass
er dieses Ermessen tatsächlich ausgeübt hat (Senat, Urteile vom 6.
November 1998 - V ZR 224/97, ZfIR 1999, 264, 265 f.; vom 8. Mai 1992 - V ZR
95/91, NJW 1992, 3106 f.; vom 24. November 1989 - V ZR 240/88, NJW-RR 1990,
248, 249; BGH, Urteil vom 23. April 2002 - XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359
ff.).
34 Daran gemessen ist die Entscheidung rechtsfehlerfrei. Das sachverständig
beratene Berufungsgericht hat eingehend begründet, dass es die Anweisungen
zwar als Realakte ansehe, aber auch bei einem - unterstellten -
rechtsgeschäftlichen Charakter eine Vollmacht kraft Rechtsscheins nach
brasilianischem Recht anzunehmen sei. Seine Begründung bezieht sich zwar
weitestgehend auf das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten zu 1 und der
NEAG. Im Hinblick auf das Verhältnis der Beklagten untereinander hat es auf
diese Ausführungen aber Bezug genommen und deutlich gemacht, dass es die
festgestellten Voraussetzungen für eine Rechtsscheinhaftung nach
brasilianischem Recht dieser Rechtsbeziehung ebenfalls als gegeben ansieht;
eine solche Zurechnung auch in dem Verhältnis zu der Beklagten zu 2 lag auf
der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen schon deshalb nahe, weil
Direktor S. als Vorstandsmitglied dieser wiederholt und über einen längeren
Zeitraum hinweg Anweisungen erteilt hat.
35 Die Verfahrensrügen der Beklagten zu 1 haben keinen Erfolg. Dass das
brasilianische Recht im Grundsatz eine Rechtsscheinhaftung kennt, zieht die
Revision nicht in Zweifel. Ihre konkret erhobenen Rügen beziehen sich
ausnahmslos auf das Verhältnis der Beklagten zu 1 zu der NEAG. Auf das
Verhältnis der Beklagten untereinander lassen sie sich nicht übertragen. So
wird insbesondere beanstandet, dass das Berufungsgericht nicht geprüft habe,
ob nach brasilianischem Recht auch eine nicht der vereinbarten Form
entsprechende Willenserklärung aufgrund eines Rechtsscheins zugerechnet
werden könne. Diese Frage betrifft schon deshalb nicht das Verhältnis zu der
Beklagten zu 2, weil die Revision weder aufzeigt, dass der Lagervertrag
Formvorschriften für zu erteilende Anweisungen vorsah, noch, dass diese
missachtet worden sind. Auch der Vorwurf, das Berufungsgericht habe den
Ausschluss einer Rechtsscheinhaftung aufgrund des öffentlich-rechtlichen
Charakters des Handels mit angereichertem Uran nach brasilianischem Recht
nicht zutreffend erfasst, bezieht sich allein auf den mit der NEAG
geschlossenen Sachdarlehens-vertrag, nicht aber auf den Vertrag zwischen den
Beklagten; insoweit bedürfte es schon deshalb einer eigenständigen Rüge,
weil dieser Vertrag gerade nicht den Uranhandel, sondern nur die Lagerung
zum Gegenstand hatte. Schließlich bezieht sich auch der als übergangen
gerügte Sachvortrag nur auf das Verhältnis zwischen der Beklagten zu 1 und
der NEAG.
36 (d) Die von der Beklagten zu 1 erklärte Anfechtung der Erklärungen des
Direktors S. bezog sich ebenfalls nur auf den zwischen der Beklagten zu 1
und der NEAG geschlossenen Sachdarlehensvertrag und hat daher keine
Auswirkungen auf die Vertragsbeziehungen zwischen den Beklagten.
III.
37 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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