PR: Internationales Kindschaftsrecht; Konkurrenz
mehrerer Abstammungsstatute bei Feststellung der Vaterschaft
BGH, Beschluss vom 13. September 2017
- XII ZB 403/16 - OLG München
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Führt von den nach Art. 19
Abs. 1 EGBGB für die Feststellung der Vaterschaft alternativ berufenen
Rechtsordnungen zum Zeitpunkt der Geburt nur eine Rechtsordnung zur
rechtlichen Vaterschaft (hier: des italienischen Ehemanns der Mutter
aufgrund Anwendung deutschen Rechts), so kann diese grundsätzlich nur nach
dem gemäß Art. 20 EGBGB anwendbaren Anfechtungsstatut beseitigt werden (im
Anschluss an Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 - XII ZB 72/16 - zur
Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu
BGH v. 19.7.2017 - XII ZB 72/16 und
BGH v. 12.1.2022 - XII ZB 562/20
©sl 2017
Gründe:
I.
1 Die Antragsteller, beide italienische Staatsangehörige, begehren die
Eintragung des im Juli 2015 von der Antragstellerin geborenen Kindes und des
Antragstellers als dessen Vater im Geburtenregister. Die Antragsteller und
das Kind haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Die
Antragstellerin ist mit dem Beteiligten zu 5 verheiratet, der ebenfalls
italienischer Staatsangehöriger ist. Durch Beschluss des italienischen
Tribunale B.G. vom 16. Juli 2010 wurde die einvernehmliche Trennung von
Tisch und Bett der Ehegatten bestätigt.
2 Der Antragsteller erklärte am 11. August 2015 vor dem Standesamt die
Anerkennung der Vaterschaft. Die Antragstellerin und der Beteiligte zu 5
haben der Anerkennung zugestimmt. Das Kind hat nach § 4 Abs. 3 StAG die
deutsche Staatsangehörigkeit. Die Geburt ist bislang noch nicht beurkundet.
Das Amtsgericht hat beschlossen, dass die Eintragung in das Geburtenregister
wie beantragt erfolgen könne. Das Oberlandesgericht hat die dagegen
gerichtete Beschwerde des Standesamts (Beteiligter zu 4) zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Landratsamts als
Standesamtsaufsicht (Beteiligter zu 3).
II.
3 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
..... (wird ausgeführt)
7 2. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
8 a) Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner in FamRZ 2016, 1599
veröffentlichten Entscheidung ausgeführt, nach dem sich aus Art. 19
Abs. 1 Satz 1 EGBGB ergebenden deutschen Recht als Aufenthaltsstatut sei der
Beteiligte zu 5 als Ehemann der Mutter gemäß § 1592 Nr. 1 BGB rechtlicher
Vater des Kindes. Die Voraussetzungen der §§ 1594, 1599 BGB lägen
nicht vor. Insbesondere seien die Voraussetzungen des § 1599 Abs. 2 BGB
nicht gegeben, da die Ehe der Beteiligten zu 1 und 5 bis heute nicht
geschieden sei.
9 Jedoch könne die Vaterschaft nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EGBGB auch nach
dem Heimatrecht des potentiellen Vaters, mithin nach italienischem Recht,
festgestellt werden, wobei eine etwaige Rückverweisung auf das deutsche
Recht nach dem Sinn und Zweck des Art. 19 EGBGB nicht zu beachten sei. Nach
Art. 232 Abs. 1 Codice civile (C.c.) gelte zunächst auch im italienischen
Recht die Vermutung, dass ein Kind in der Ehe empfangen worden sei, wenn es
nach Ablauf von 180 Tagen nach der Eheschließung oder innerhalb von 300
Tagen vom Tag der Nichtigkeitserklärung, der Auflösung oder des Erlöschens
der zivilrechtlichen Wirkungen geboren worden sei. Nach Art. 232 Abs. 2 C.c.
gelte diese Vermutung nach Ablauf von 300 Tagen ab dem Ausspruch der
gerichtlichen Trennung oder ab der Bestätigung der einvernehmlichen Trennung
jedoch nicht mehr. Dann sei konstitutiv für den Status des Kindes die
Erklärung vor dem Standesbeamten darüber, dass es sich um ein eheliches Kind
handele, und die Aufnahme dieser Erklärung in die Geburtsurkunde.
Unterbleibe diese Erklärung, so handele es sich um ein nichteheliches Kind.
Bezüglich dieses nichtehelichen Kindes sei gemäß Art. 250 Abs. 1 C.c. eine
Anerkennung in der nach Art. 254 C.c. vorgesehenen Form durch Vater und
Mutter möglich (Art. 250 Abs. 4 C.c.). Die Anerkennung erfolge dann in der
Geburtsurkunde selbst oder in einer besonderen Erklärung, die nach der
Geburt oder nach der Empfängnis vor einem Standesbeamten abgegeben werde.
10 Der Antragsteller habe die nach italienischem Recht erforderliche
Erklärung vor dem Standesbeamten abgegeben, die gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB
auch bezogen auf das italienische Recht wirksam sei. Da sowohl die
Antragstellerin als auch der Beteiligte zu 5 dieser Erklärung zugestimmt
hätten, liege jedenfalls nach italienischem Recht eine wirksame Anerkennung
der Vaterschaft durch den Antragsteller vor und wäre dieser nach
italienischem Recht als Vater in die Geburtsurkunde einzutragen.
11 Da die aufgezeigten Anknüpfungsalternativen gleichrangig seien,
entscheide sich nach dem sogenannten Günstigkeitsprinzip, welche
Rechtsordnung im Einzelfall zur Anwendung komme. Es erscheine fraglich, ob
es sinnvoll sei und dem Kindeswohl entspreche, grundsätzlich in jeder
Fallkonstellation auf den Zeitpunkt der Geburt abzustellen und damit dem
biologischen Vater die Anerkennungsmöglichkeit solange zu nehmen, bis die
Vaterschaft des anderen mit Hilfe eines zeitraubenden Verfahrens beseitigt
sei. Dies sei nur dann angezeigt, wenn weder vor der Geburt des Kindes eine
Vaterschaftsanerkennung erfolgt sei noch eine solche zum Zeitpunkt des
Eintrags in das Geburtenregister vorliege. In solchen Fällen sei die
Anwendung des strengen Prioritätsprinzips gerechtfertigt. Ob auf den
Zeitpunkt der Geburt oder den Zeitpunkt der Eintragung in das
Geburtenregister abzustellen sei, lasse sich nicht generell festlegen.
Vielmehr sei für jeden Einzelfall konkret unter Berücksichtigung aller
Umstände zu prüfen, was dem Kindeswohl am meisten diene und daher für das
Kind am günstigsten sei. Die Abstammungswahrscheinlichkeit sei jedenfalls
dann vorrangig zu berücksichtigen und damit auf den Zeitpunkt der Eintragung
ins Geburtenregister abzustellen, wenn - wie hier - die
Vaterschaftsanerkennung nach ausländischem, dem deutschen gleichrangigen
Recht erfolgt sei, alle Beteiligten einschließlich des noch verheirateten
Ehemanns der Eintragung des biologischen Vaters zugestimmt hätten und eine
Eintragung ins Geburtenregister bislang noch nicht erfolgt sei. Bei dieser
Sachlage sei es weder aus erboder unterhaltsrechtlichen Gründen noch unter
dem Gesichtspunkt konkurrierender Vaterschaften geboten, zuerst den nach §
1592 Nr. 1 BGB vermuteten und dann nach Durchführung eines
Vaterschaftsanfechtungsverfahrens den biologischen Vater einzutragen. Das
auch kollisionsrechtlich maßgebliche Kindeswohl gebiete die Berücksichtigung
des biologisch wahrscheinlicheren Vaters. Es sei daher nicht gerechtfertigt,
sich allein auf die Kriterien der Rechtssicherheit und Statusklarheit zu
beschränken.
12 b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
13 aa) Wie der Senat - nach Erlass des angefochtenen Beschlusses
-entschieden hat, ist die rechtliche Vater-Kind-Zuordnung bereits
zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes festzustellen. Die Abstammung
im Sinne von Art. 19 EGBGB ist die rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung
kraft Gesetzes. Sinn und Zweck der mehrfachen Anknüpfung bestehen darin, dem
Kind nach Möglichkeit zu einem rechtlichen Vater zu verhelfen. Da die
statusrechtliche Eltern-Kind-Zuordnung kraft Gesetzes erfolgt, ist die
rechtliche Vaterschaft bereits mit der Geburt festzustellen als dem
Zeitpunkt, in dem das Kind die Rechtsfähigkeit erlangt (vgl.
Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 - XII ZB 72/16
- zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt Rn. 19 mwN).
14 Ist dem Kind schon bei der Geburt nach einer der von Art. 19 Abs.
1 EGBGB alternativ berufenen Rechtsordnungen nur ein Vater zugeordnet, so
steht dieser jedenfalls grundsätzlich als rechtlicher Vater des Kindes fest.
Eine erneute Beurteilung der Vater-Kind-Zuordnung zum Zeitpunkt der
Eintragung in das Geburtenregister ist nicht vorzunehmen, nachdem bereits
eine Vater-Kind- Zuordnung kraft Gesetzes erfolgt ist. Denn die
erstmalige rechtliche Festlegung der Vaterschaft darf nach Sinn und Zweck
der alternativen Anknüpfung in Art. 19 Abs. 1 EGBGB nicht bis zur späteren
Eintragung der Geburt im Geburtenregister in der Schwebe bleiben.
Anderenfalls bestünde für das Kind zunächst eine rechtliche Vaterlosigkeit,
die durch Art. 19 Abs. 1 EGBGB gerade vermieden werden soll. Die Eintragung
in das deutsche Geburtenregister eignet sich als zeitlicher Anknüpfungspunkt
der Vater-Kind-Zuordnung schon deswegen nicht, weil der Eintragung
hinsichtlich der Eltern-Kind-Zuordnung keine konstitutive Wirkung zukommt (Senatsbeschluss
vom 19. Juli 2017 - XII ZB 72/16 - zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt
Rn. 20 mwN).
15 Aufgrund der bereits seit Geburt bestehenden rechtlichen
Vaterschaft ist die Anerkennung durch einen anderen Mann nach § 1594 Abs. 2
BGB versperrt. Eine Anerkennung der Vaterschaft wird mithin erst
nach Beseitigung der rechtlichen Vaterschaft möglich (Senatsbeschluss vom
19. Juli 2017 - XII ZB 72/16 - zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt Rn.
24). Diese richtet sich grundsätzlich nach dem gemäß Art. 20 EGBGB
anwendbaren Anfechtungsstatut. Die auf die Beseitigung der
Vaterschaftszuordnung anwendbare Rechtsordnung ist auch dann nach Art. 20
EGBGB zu bestimmen, wenn diese nicht durch ein gerichtliches
Anfechtungsverfahren erfolgt, sondern - wie etwa nach § 1599 Abs. 2 BGB - im
Wege rechtsgeschäftlicher Erklärungen möglich ist (vgl.
Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 - XII ZB 72/16 - zur Veröffentlichung in
BGHZ bestimmt Rn. 28 ff. mwN und Senatsurteil vom 23. November 2011 - XII ZR
78/11 - FamRZ 2012, 616 Rn. 19).
16 bb) Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall nicht der
Antragsteller, sondern der Beteiligte zu 5 rechtlicher Vater des Kindes.
17 Denn nur für diesen waren schon bei Geburt die Voraussetzungen
der rechtlichen Vaterschaft erfüllt. Gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EGBGB gilt
das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes, hier mithin das deutsche
Recht. Nach § 1592 Nr. 1 BGB ist der mit der Mutter verheiratete Beteiligte
zu 5 rechtlicher Vater des Kindes. Demgegenüber lag eine Anerkennung durch
den Antragsteller bei Geburt des Kindes noch nicht vor. Da nach dem
gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EGBGB ebenfalls in Betracht kommenden
italienischen Recht zum Zeitpunkt der Geburt keine Vaterschaft (des
Antragstellers) bestand, bestimmt sich die (erstmalige) gesetzliche
Vater-Kind-Zuordnung mithin allein nach deutschem Recht.
18 Die rechtliche Vaterschaft ist auch nicht nachträglich beseitigt worden.
Aus dem darauf nach Art. 20 Satz 1 EGBGB anwendbaren deutschen Recht ergibt
sich eine solche Folge nicht, zumal eine Vaterschaftsanfechtung nach § 1599
Abs. 1 BGB nicht erfolgt ist. Ein sogenannter scheidungsakzessorischer
Statuswechsel nach § 1599 Abs. 2 BGB scheidet, wie das Oberlandesgericht
richtig gesehen hat, schon deshalb aus, weil die Ehe der Antragstellerin und
des Beteiligten zu 5 noch nicht geschieden ist. Die Trennung von Tisch und
Bett kann der Scheidung nicht gleichgestellt werden.
19 Zwar würde sich aufgrund der Anerkennung der Vaterschaft durch den
Antragsteller inzwischen auch aus dem italienischen Recht eine rechtliche
Vaterschaft ergeben, wobei offenbleiben kann, ob das italienische Recht
dieser Vaterschaft gegenüber der nach deutschem Recht begründeten
konkurrierenden Vaterschaft den Vorrang einräumen würde. Bei der Anerkennung
handelte es sich aber um die nach italienischem Recht erstmalige Begründung
der VaterKind-Zuordnung, die die frühere Begründung der Vater-Kind-Zuordnung
durch das deutsche Recht nicht in Frage stellt. Da es sich nicht um eine
nach Art. 20 EGBGB zu beurteilende Beseitigung der Vaterschaft handelte,
kommt es also auch nicht darauf an, ob etwas anderes gelten könnte, wenn die
ausländische Rechtsordnung dem Kind bei Geburt den - geschiedenen - Ehemann
der Mutter als Vater zuordnet und sodann mangels Anerkennungssperre der nach
der Geburt erklärten Anerkennung eine die Vaterschaft verdrängende Wirkung
beimisst (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 - XII ZB 72/16 - zur
Veröffentlichung in BGHZ bestimmt Rn. 26).
20 c) Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben, weil statt des
Antragstellers der Beteiligte zu 5 als Vater des Kindes einzutragen ist. Der
Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Da es wegen der
unzulässigen Wahl des Namens des Antragstellers als Geburtsname des Kindes
derzeit insoweit noch an einer wirksamen Bestimmung gemäß §§ 1617 ff. BGB
iVm Art. 10, 21 EGBGB fehlt (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 1 PStG), ist den
Beteiligten zunächst Gelegenheit zur Klärung und Nachholung zu geben, bevor
eine Eintragung erfolgt.
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