Entbehrlichkeit der
Fristsetzung zur Nacherfüllung bei arglistigem Verschweigen eines
Sachmangels; Selbstvornahme der Nacherfüllung
BGH, Beschl. v. 28. Februar
2007 - V ZB 154/06
Fundstelle:
NJW 2007, 1534
Amtl. Leitsatz:
a) Der gesetzlichen
Anforderung an die Berufungsbegründung, den Rechtsfehler und dessen
Entscheidungserheblichkeit zu bezeichnen, ist bei einer auf zwei
selbständige Gründe gestützten klageabweisenden erstinstanzlichen
Entscheidung genügt, wenn der nur auf einen Rechtsgrund bezogene Angriff aus
Rechtsgründen auch den anderen Abweisungsgrund im angefochtenen Urteil zu
Fall bringt.
b) Das Berufungsgericht muss bei der Prüfung der Zulässigkeit eines auf eine
Begründung im erstinstanzlichen Urteil beschränkten Angriffs die
Auswirkungen auf den anderen Abweisungsgrund von sich aus auch dann
berücksichtigen, wenn der Berufungskläger hierzu keine Rechtsausführungen
gemacht hat.
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht - wie die Leitsätze
zeigen - eine prozessuale Problematik. Der BGH bestätigt aber in der
Entscheidung überdies seine Rechtsprechung zur "Selbstvornahme" der
Mängelbeseitigung (s. die Anm. zu BGHZ 162, 219
m.w.N.) sowie zur Entbehrlichkeit der Fristsetzung im Falle arglistiger
Täuschung (s. dazu die Anm. zu BGH NJW 2007, 835).
Daher konnte der Kl. hier die Kosten der Selbstbeseitigung des Mangels nach
§§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281I, II Alt. 2
bzw. 440 BGB als Schadensersatz statt der Leistung geltend
machen.
©sl 2007
Gründe:
I.
1 Mit notariellem Vertrag vom 25. Mai 2004 kaufte die Klägerin von den
Beklagten ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück in P. unter Ausschluss
der Gewährleistung. Zur Entsorgung des Wohnhauses diente eine
Kleinkläranlage, deren Errichtung zwar genehmigt, die aber von der
zuständigen Wasserbehörde nicht abgenommen worden war.
2 Die Behörde erließ nach dem Erwerb des Grundstücks durch die Klägerin
einen Verwaltungsakt, in dem sie der Klägerin die Neuherstellung der
Kleinkläranlage aufgab. Die Klägerin kam dieser Verfügung der Behörde nach.
3 Sie hat von den Beklagten die dadurch entstandenen Kosten als
Schadensersatz verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das
Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der
Rechtsbeschwerde will die Klägerin die Aufhebung des Beschlusses des
Oberlandesgerichts und auf ihre Berufung eine ihrem Antrag entsprechende
Sachentscheidung erreichen.
II.
4 Das Berufungsgericht meint, dass die Berufung nicht in der gesetzlichen
Form begründet worden sei.
5 Da die die Klage abweisende Entscheidung des Landgerichts auf zwei
selbständige Erwägungen gestützt worden sei, von denen jede für sich die
Entscheidung trage, hätte die Berufungsbegründung jeden dieser Gründe
angreifen müssen. Das sei nicht geschehen. Die Entscheidung des Landgerichts
beruhe auch auf der Erwägung, dass die Klägerin den Beklagten keine
Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben habe und daher von diesen keinen
Schadensersatz verlangen könne. Die Klägerin habe hingegen nur die
Ausführungen des Landgerichts zu der von diesem nicht festgestellten Arglist
der Beklagten angegriffen, jedoch nicht dargelegt, aus welchen Gründen die
Erwägungen des Landgerichts zur Klageabweisung wegen Fehlens einer
Aufforderung zur Nachbesserung unzutreffend seien.
III.
6 Das Rechtsmittel hat Erfolg.
7 1. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Berufungsgerichts ist nach
§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch zulässig. Eine
Rechtsbeschwerde gegen den eine Berufung als unzulässig verwerfenden
Beschluss ist allerdings nur dann zulässig, wenn einer der in § 574 Abs. 2
ZPO bezeichneten Zulassungsgründe vorliegt (BGHZ 155, 21, 22).
8 Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich hier daraus, dass die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Dieser Zulassungsgrund liegt auch dann
vor, wenn die angefochtene Entscheidung auf einem Rechtsfehler beruht, der
geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (Senat,
BGHZ 154, 288, 295; Beschl. v. 7. Okt. 2004, V ZR 328/03, NJW 2005, 153).
Solche Folgen haben Entscheidungen, bei denen die Vorinstanz bei der
Auslegung oder Anwendung von Vorschriften des materiellen Rechts oder des
Verfahrensrechts gegen grundlegende, verfassungsrechtlich abgesicherte
Gerechtigkeitsanforderungen verstoßen hat und die Entscheidung deshalb von
Verfassungs wegen einer Korrektur bedarf (Senat, BGHZ 154, 288, 295; Beschl.
v. 7. Oktober 2004, V ZR 328/03, NJW 2005, 153).
9 Ein Verfahrensfehler, der im Rechtsbeschwerdeverfahren korrigiert werden
muss, ergibt sich dann, wenn Vorschriften, die die Zulässigkeit eines
Rechtsmittels regeln, fehlerhaft ausgelegt werden, so dass dadurch der
Zugang zur Rechtsmittelinstanz in einer aus Sachgründen nicht mehr zu
rechtfertigenden Weise erschwert und damit durch die Handhabung einer
verfahrensrechtlichen Vorschrift der Anspruch auf die Durchsetzung des
materiellen Rechts in unzumutbarer Weise verkürzt wird (BVerfGE 84, 366,
369; Beschl. v. 25. Juli 2005, 1 BvR 2419/03 und 1 BvR 2420/03, zitiert nach
juris). Eine solche Handhabung des Verfahrensrechts verletzt den aus dem
Rechtsstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitenden
Justizgewährungsanspruch.
10 2. Eine derartiger Verfahrensfehler liegt hier vor. Das Berufungsgericht
hat bei der Auslegung des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO, wonach der
Berufungskläger verpflichtet ist, die Umstände zu bezeichnen, aus denen sich
der dem Erstgericht vorgeworfene Rechtsfehler und dessen Erheblichkeit für
die angefochtene Entscheidung ergibt, die Anforderungen an die rechtlichen
Ausführungen überspannt.
11 a) Allerdings ist das Berufungsgericht - wie auch von der
Rechtsbeschwerdeführerin eingeräumt - bei der Auslegung der Norm von einem
rechtlich zutreffenden Ansatz ausgegangen. Hat das Erstgericht - wie hier -
die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig
tragende Erwägungen gestützt, muss der Kläger in seiner Berufungsbegründung
das Urteil auch in allen diesen Punkten angreifen und für jede der mehreren
Erwägungen darlegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt; andernfalls ist
sein Rechtsmittel unzulässig (BGHZ 143, 169, 171; BGH, Beschl. v. 10. Januar
1996, IV ZB 29/95, NJW-RR 1996, 572; Urt. v. 18. Juni 1998, IX ZR 389/97,
NJW 1998, 3126). Die Neugestaltung des Rechts der Berufung durch das
Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I. S. 1887) hat an diesen
Anforderungen nichts geändert (BGH, Beschl. v. 14. März 2005, II ZB 31/03,
NJW-RR 2005, 793; Beschl. v. 18. Oktober 2005, VI ZB 81/04, NJW-RR 2006,
285).
12 b) § 520 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO erfordert indes weder, dass der
Berufungskläger in der Begründung des Rechtsmittels zu allen für ihn
nachteilig beurteilten Streitpunkten im erstinstanzlichen Urteil Stellung
nimmt (BGH, Urt. v. 5. Okt. 1983, VIII ZR 224/82, NJW 1984, 177, 178; Urt.
v. 8. April 1991, II ZR 35/90, NJW-RR 1991, 1186, 1187), noch gebietet die
Vorschrift eine inhaltliche Trennung der Angriffe nach den Gründen der
erstinstanzlichen Entscheidung (BGH, Urt. v. 13. November 2001, VI ZR
414/00, NJW 2002, 682, 683). Der gesetzlichen Anforderung an die
Berufungsbegründung, den Rechtsfehler und dessen Entscheidungserheblichkeit
zu bezeichnen, ist auch bei einer auf zwei selbständige Gründe gestützten
klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung genügt, wenn der nur auf
eine Begründung bezogene Angriff aus Rechtsgründen auch den anderen
Abweisungsgrund im angefochtenen Urteil zu Fall bringt.
13 So ist es hier. Mit Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Angriffe
der Berufung gegen die vom Landgericht verneinte Arglist der Beklagten den
Anforderungen an deren ordnungsgemäße Begründung genügen, weil die
Klägerin Schadensersatz hätte verlangen können, ohne den Beklagten noch
unter Fristsetzung eine Gelegenheit zur Behebung des Mangels geben zu
müssen, wenn den Beklagten ein arglistiges Verschweigen des Mangels zur Last
gelegt werden müsste.
14 aa) Richtig ist zwar, dass der Anspruch des Käufers auf Schadensersatz
wegen einer nicht wie geschuldet erbrachten Leistung nach §§ 437 Nr. 3, 280
Abs. 1, 3 BGB voraussetzt, dass der Käufer dem Verkäufer erfolglos eine
angemessene Frist zur Nacherfüllung gem. § 439 Abs. 1 BGB bestimmt hat (BGHZ
162, 219, 221; BGH, Urt. v. 22. Juni 2005, VIII
ZR 1/05, MDR 2006, 141, 142; Urt. v. 7.
Dezember 2005, VIII ZR 126/05, NJW 2006, 988, 989). Kommt der Käufer dem
nicht nach, steht ihm gegen den Verkäufer ein Anspruch auf Erstattung der
Kosten einer selbst vorgenommenen Mängelbeseitigung grundsätzlich nicht zu
(BGH, aaO).
15 Das gilt jedoch nicht, wenn dem Verkäufer Arglist zur Last fällt. Hat der
Verkäufer beim Abschluss eines Kaufvertrags eine Täuschungshandlung
begangen, so hat er selbst die für eine Nacherfüllung erforderliche
Vertrauensgrundlage zerstört. In solchen Fällen hat der Käufer ein
berechtigtes Interesse daran, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem
Verkäufer Abstand zu nehmen, um sich vor eventuellen neuerlichen
Täuschungsversuchen zu schützen (Senat, Beschl. v.
14. Dezember 2006, V ZR 249/06, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
16 bb) Die vorgenannte Entscheidung des Senats ist zwar erst nach dem die
Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss ergangen. Der Senat ist
indes einer auch bereits zuvor ganz überwiegend im Schrifttum (vgl.
Anw-Komm-BGB/Dauner-Lieb, § 281 Rdn. 42 und § 323 Rdn. 28; AnwKomm-BGB/Büdenbender
§ 440 Rdn. 18; AnwKomm-BGB/Raab § 636 Rdn. 23; Bamberger/Roth/Faust, BGB, §
440 Rdn. 37; MünchKomm-BGB/Westermann, 4. Aufl., § 440 Rdn. 8; Erman/Grunewald,
BGB, 11. Aufl., § 440 Rdn. 3; Lorenz/ Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht,
Rdn. 521; KK-Schuldrecht/ Willingmann/Hirse, § 281 Rdn. 16 und § 323 Rdn.
17; KK-Schuldrecht/ Tonner/Crellwitz § 440 Rdn. 16; Palandt/Putzo, BGB, 65.
Aufl., § 440 Rdn. 8; PWW/Schmidt, BGB, § 440 Rdn. 8; Staudinger/Matusche-Beckmann,
BGB [2004], § 440 Rdn. 22; Schur, ZGS 2002, 243, 248; differenzierend
Lorenz, NJW 2004, 26 f; ders., NJW 2006, 1925, 1927; MünchKomm-BGB/Ernst, §
281 Rdn. 60 und § 323 Rdn. 130) und auch von vielen, wenn auch nicht von
allen Instanzgerichten vertretenen Rechtsauffassung beigetreten (LG Köln,
Urt. v. 30. August 2005, 5 O 479/04, Rdn. 25, zitiert nach juris;
LG Bonn, NJW 2004, 74, 75; differenzierend:
OLG Celle, OLGR 2005, 185, 186; a.A. LG Berlin, Urteil vom 1. Februar 2005,
5 O 176/04, Rdn. 161, zitiert nach juris).
17 Die herrschende Auffassung im Schrifttum und die veröffentlichte
Rechtsprechung der Instanzgerichte zu einer Rechtsfrage des allgemeinen
Kaufrechts hat ein Gericht jedoch auch dann zu beachten, wenn die streitige
Rechtsfrage durch das Revisionsgericht noch nicht entschieden worden ist.
Ein Berufungsgericht muss daher bei der Prüfung der Zulässigkeit eines auf
eine Begründung im erstinstanzlichen Urteil beschränkten Angriffs die
Auswirkungen auf den anderen Abweisungsgrund von sich aus auch dann
berücksichtigen, wenn der Berufungskläger in der Begründung hierzu keine
Rechtsausführungen gemacht hat. Ergibt sich jedenfalls aus dem Vortrag des
Rechtsmittelführers, dass nach einem in der Literatur und Rechtsprechung
verbreitet anzutreffenden Standpunkt die Folge ist, dass beide
Begründungselemente des angegriffenen Urteils in Frage gestellt werden, so
genügen diese Ausführungen den Anforderungen an eine ordnungsgemäße
Rechtsmittelbegründung.
18 Der die Berufung der Klägerin als unzulässig verwerfende Beschluss des
Berufungsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über
das Rechtsmittel an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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