Rechte des Käufers bei Sachmangel vor
Gefahrübergang; Voraussetzungen des Rücktritts, Einschränkungen nach § 323 V
S. 2 BGB (Unerheblichkeit); Abnahmepflicht des Käufers bei Mangelhaftigkeit
der Kaufsache (offengelassen)
BGH, Urteil vom 6. Februar 2013 -
VIII ZR 374/11 - OLG Hamm
Fundstelle:
NJW 2013, 1365
Amtl. Leitsatz:
a) Ein Neuwagenkäufer, der die Entgegennahme des
ihm angebotenen Fahrzeugs wegen vorhandener Karosserie- und Lackmängel
ablehnt und deren Beseitigung verlangt, verliert hierdurch nicht den
Anspruch darauf, dass das Fahrzeug technisch und optisch in einen Zustand
versetzt wird, der der beim Neuwagenkauf konkludent vereinbarten
Beschaffenheit "fabrikneu" entspricht.
b) Bei der im Rahmen des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB vorzunehmenden
Interessenabwägung indiziert der Verstoß gegen eine
Beschaffenheitsvereinbarung in der Regel die Erheblichkeit der
Pflichtverletzung (Bestätigung des Senatsurteils
vom 17. Februar 2010 - VIII ZR 70/07, NJW-RR 2010, 1289).
Zentrale Probleme:
Es geht um eine vordergründig einfache Frage: Der
Käufer eines Neuwagens nimmt diesen nicht entgegen, weil Karosserie und Lack
Mängel aufweisen. Die vom Verkäufer vorgenommene Behebung der Mängel führt
nicht zu einem einem Neuwagen vergleichbaren Zustand, worauf der Käufer
zurücktritt. Wichtig ist, dass hier Mangels Gefahrübergang der
Anwendungsbereich des Gewährleistungsrechts (noch) nicht eröffnet ist.
Deshalb ist hier für den Rücktritt allein § 323 BGB einschlägig, d.h. § 437
Nr. 2 BGB ist nicht mitzuzitieren. Praktisch wichtig ist das zunächst für
die Beweislast: Vor Gefahrübergang trifft nämlich nach allgemeinen
Grundsätzen den Verkäufer die Beweislast, dass die angebotene Sache
mangelfrei und damit erfüllungstauglich ist (§ 363 BGB e contrario). Auch
ist der Anwendungsbereich des § 439 BGB noch nicht eröffnet, d.h. der Käufer
hat seinen ursprünglichen Erfüllungsanspruch und keinen
Nacherfüllungsanspruch (und damit auch kein Wahlrecht hinsichtlich des modus!).
Weiter ergibt sich bei einem (wie hier) behebbaren Mangel (es war eine
Gattungsschuld!) aus § 266 BGB, dass der Käufer - vorbehaltlich § 242 BGB -
eine mangelhafte Sache nicht annehmen muss. Damit ist der Anwendungsbereich
von § 323 V S. 2 BGB, der den Rücktritt bei einer unerheblichen
Pflichtverletzung ausschließt, eigentlich gar nicht eröffnet, denn diese
Norm setzt voraus, dass eine nicht vertragsgemäße Leistung
erbracht wurde. Das war hier gerade nicht der
Fall. Man käme allenfalls dann zu § 323 V S. 2 BGB, wenn man eine Pflicht
des Käufers zur Annahme der mangelhaften Sache herleiten könnte. Das kann
aber nur in Extremfällen nach § 242 BGB der Fall sein. Die dort anzulegenden
Maßstäbe dürften aber noch unterhalb der Schwelle des § 323 V S. 2 BGB
anzusiedeln sein, d.h. grundsätzlich muss der Käufer auch bei unerheblichen
Mängeln berechtigt sein, die Annahme zu verweigern. Der BGH lässt dieses
Problem - wie schon in
NJW-RR 2010, 1289 Rn. 21 f - leider wiederum offen, weil
jedenfalls kein unerheblicher Mangel vorliege (nunmehr aber geklärt:
BGH v. 26.10.2016 - VIII
ZR 211/15). Kurz: Wenn der Mangel
erheblich ist und ein Rücktritt selbst bei Entgegennahme der Leistung nicht
nach § 323 V S. 2 BGB ausgeschlossen wäre, besteht jedenfalls keine
Abnahmepflicht. Damit bringt der BGH den Fall allein auf die "Schiene" von §
323 V S. 2 BGB und bestätigt dabei seine bisherige Rspr. zur Frage der
Erheblichkeit bzw. Unerheblichkeit i.S.v. § 323 V 2 BGB. Sicherlich richtig
ist dabei die Erwägung, dass das Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit in
aller Regel die Erheblichkeit indiziert (s. dazu die Anm. zu
BGH v. 29. Juni 2011 - VIII ZR 202/10
sowie zu BGH NJW-RR 2010, 1289
und BGH NJW 2011, 3708).
Es ist bedauerlich, dass der Senat die entscheidende Frage hier wiederum
offen lässt: Wichtigste Aufgabe der Revision ist nicht die Lösung des
Einzelfalls, sondern die Klärung von Grundsatzfragen (s. § 543 II ZPO).
S. dazu auch den Telefonkommentar in Ausgabe
5/2013 der NJW-Audio-CD. Zum Maßstab der Unerheblichkeit s. auch
BGH v. 28.5.2014 - VIII ZR 94/13.
©sl 2013
Tatbestand:
1 Im November 2009 bestellte der
Kläger bei der Beklagten, einer B. - Vertragshändlerin, einen PKW B. als
Neuwagen zum Preis von 39.000 €. Hierauf leistete der Kläger eine Anzahlung
von 10.000 €; der Restbetrag sollte vereinbarungsgemäß über ein bei der B.
Bank aufgenommenes Darlehen bereitgestellt werden. Eine am 29. Dezember 2009
vorgesehene Fahrzeugübergabe scheiterte, weil der Kläger wegen
Beschädigungen des Fahrzeugs im Bereich der linken hinteren Seitenwand und
des Kofferraumdeckels die Entgegennahme verweigerte. Ein von ihm eingeholtes
Sachverständigengutachten kam zu dem Ergebnis, dass die hintere linke
Seitenwand im Radbogenbereich verformt, die Stoßstange im hinteren linken
Flankenbereich angeschlagen sowie Motorhaube und Kofferraumdeckel an der
Lackoberfläche milchig blass seien. Nach einer vom damaligen
Bevollmächtigten des Klägers unter Fristsetzung bis zum 15. Januar 2010
verlangten Nachbesserung lehnte der Kläger - unter anderem gestützt auf ein
weiteres Sachverständigengutachten, welches die Nachbesserung für nicht
ordnungsgemäß erachtete - die Annahme des ihm am 14. Januar 2010 zum zweiten
Mal zur Übergabe angebotenen Fahrzeugs erneut ab. Im März 2010 erklärte er
schließlich den Rücktritt vom Kaufvertrag, nachdem die Beklagte sich zuvor
unter Hinweis auf ein von ihr selbst eingeholtes Sachverständigengutachten
darauf berufen hatte, das Fahrzeug sei nunmehr mängelfrei.
2 Die auf Rückerstattung der geleisteten Anzahlung, Freistellung von den zur
Fahrzeugfinanzierung eingegangenen Verbindlichkeiten sowie Ersatz der
Gutachterkosten gerichtete Klage hat das Berufungsgericht unter Abänderung
des der Klage stattgebenden erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Mit der
vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger, der im März 2012 aus im
Einzelnen streitigen Gründen das Fahrzeug nach vorheriger Ablösung des
hierfür aufgenommenen Kredits von der Beklagten ausgehändigt erhalten hat,
die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, hilfsweise die
Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das
Berufungsgericht.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision hat Erfolg.
I.
4 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
5 Zwar sei das verkaufte Fahrzeug nicht nur bei der für den 29. Dezember
2009 vorgesehenen ersten Übergabe, sondern auch zum maßgeblichen Zeitpunkt
der späteren Rücktrittserklärung mängelbehaftet gewesen. Gleichwohl könne
der Kläger auf diese Mängel keinen Rücktritt vom Kaufvertrag stützen.
6 Zum erstgenannten Zeitpunkt sei das Fahrzeug an der hinteren linken
Seitenwand im Bereich des Radbogens und der angrenzenden
Stoßfängerverkleidung beschädigt gewesen und habe Eindellungen und Kratzer
aufgewiesen. Darüber hinaus hätten sich Lackkratzer am gesamten Pkw sowie
einige wenige Lackeinschlüsse befunden. Allein schon die Beschädigung im
hinteren linken Bereich habe dabei einen Mangel begründet. Denn der Käufer
eines Neufahrzeugs könne ein völlig unbenutztes und unbeschädigtes Fahrzeug
erwarten, so dass jede nicht ganz unerhebliche Beschädigung, wie sie hier am
Radlauf vorgelegen habe, einen Mangel darstelle, der die vereinbarte
Beschaffenheit der Fabrikneuheit aufgehoben habe. Die Beurteilungsgrundlage
habe sich allerdings nachfolgend dadurch geändert, dass der Kläger
Nachbesserung verlangt habe. Zwar möge das Fahrzeug aufgrund der hierbei
durchgeführten Arbeiten nicht mehr "fabrikneu" gewesen sein. Die fehlende
Neuwagenqualität könne jedoch nicht mehr als Mangel gewertet werden;
zumindest sei eine Berufung des Klägers auf die mangelnde Fabrikneuheit
treuwidrig und deshalb nicht zu berücksichtigen, nachdem er die Beklagte in
Kenntnis der Tatsache, dass umfängliche Arbeiten erforderlich seien,
dahingehend selbst zur Nacherfüllung aufgefordert habe. Er könne deshalb
nicht nachträglich geltend machen, dass die von ihm verlangte Reparatur die
Neuwagenqualität beseitigt habe.
7 Nach wie vor bestünden zwar Mängel am Fahrzeug, da trotz der
Nachbesserungen der Beklagten nahezu umlaufend um das gesamte Fahrzeug
Oberflächenverkratzungen und Lackschäden vorhanden seien, die von dem zu
erwartenden gewöhnlichen Zustand eines Neufahrzeugs abwichen. Zudem fänden
sich - ihre Bewertung als weiterer Mangel dahingestellt - am hinteren linken
Radlauf im Reparaturbereich Hologrammerscheinungen,
Oberflächenunregelmäßigkeiten im Untergrund und eine verbliebene Kante. Der
hier vorhandene Schaden sei zwar im Grundsatz sach- und fachgerecht behoben.
Allerdings bleibe die Reparatur in ihrer handwerklichen Ausführung hinter
dem technisch erreichbaren Reparaturerfolg zurück und entspreche deshalb -
wie für einen Fachmann stets zu erkennen - keiner perfekten Reparatur.
8 Eine Rückabwicklung des Kaufvertrages scheitere indes daran, dass
die Pflichtverletzung der Beklagten gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB als
unerheblich anzusehen sei. Zwar seien für eine weitere
Nachbearbeitung des Fahrzeugs zwecks Behebung der noch vorhandenen Schäden
Kosten im Bereich von 2.000 € bis maximal 3.000 € und damit unter Umständen
mehr als sieben Prozent des Fahrzeugkaufpreises anzusetzen. Das
entscheidende Gewicht im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung und der dabei
vorzunehmenden Interessenabwägung komme hier aber nicht den reinen
Mängelbeseitigungskosten, sondern dem Umstand zu, dass sämtliche Mängel
lediglich optischer Natur und auch für den sorgfältigen Betrachter kaum
wahrnehmbar seien, so dass sie "bei einer Gesamtbetrachtung nicht derart
unzuträglich (seien), dass sie eine Rücktrittsreife begründen (könnten)".
II.
9 Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt
nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den vom Kläger gemäß § 323
Abs. 1 BGB erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag für unwirksam gehalten, weil
es rechtsfehlerhaft die in den festgestellten Mängeln zum Ausdruck kommende
Pflichtverletzung für unerheblich und den Rücktritt deshalb gemäß § 323 Abs.
5 Satz 2 BGB für ausgeschlossen erachtet hat.
10 1. Das Berufungsgericht hat unangegriffen festgestellt, dass an dem als
Neuwagen verkauften Fahrzeug auch bei dem zweiten Übergabeversuch noch
Oberflächenverkratzungen und Lackschäden vorhanden waren, die von dem zu
erwartenden gewöhnlichen Zustand eines Neufahrzeugs abweichen. Das begegnet
keinen rechtlichen Bedenken. Damit fehlte dem Fahrzeug die mit dem
Vertragsschluss konkludent vereinbarte, dem Begriff "Neuwagen" innewohnende
Beschaffenheit "fabrikneu". Denn Fabrikneuheit verlangt, dass sich das
Fahrzeug bei Übergabe an den Käufer in dem unbenutzten und unbeschädigten
Zustand befindet, wie es vom Hersteller ausgeliefert worden ist
(Senatsurteil vom 18. Juni 1980 - VIII ZR 185/79, aaO unter II 2 c). Dieser
Zustand war nach den festgestellten Oberflächenverkratzungen und Lackschäden
nicht mehr gegeben. Zudem waren die am hinteren linken Radlauf ausgeführten
Reparaturarbeiten nach den unangegriffenen Feststellungen des
Berufungsgerichts lediglich von "handwerklicher" und damit nicht von solcher
Qualität, wie sie für einen werksseitigen Herstellungszustand bei
Auslieferung des Fahrzeugs in unbeschädigtem Zustand zu erwarten war.
11 2. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht allerdings - wie die Revision
mit Recht rügt -, der Kläger könne aufgrund des von ihm erhobenen
Nachbesserungsverlangens die fehlende Fabrikneuheit des Fahrzeugs nicht mehr
als Mangel geltend machen oder sich darauf berufen, dass die von ihm
verlangte Reparatur die Fabrikneuheit beseitigt habe. An diese Auslegung des
Nachbesserungsverlangens des Klägers ist der Senat nicht gebunden. Zwar
handelt es sich hierbei um eine Individualerklärung, deren tatrichterliche
Auslegung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der
Revisionsinstanz nur eingeschränkt darauf überprüft werden kann, ob
gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder
Erfahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht
gelassen worden ist (vgl. nur Senatsurteile vom 7. Februar 2007 - VIII ZR
225/05, WM 2007, 1227 Rn. 13 mwN; vom 26. Oktober 2011 - VIII ZR 108/10,
juris Rn. 12). Solche Rechtsfehler liegen hier jedoch vor, weil die
Auslegung des Berufungsgerichts, ohne dass besondere Umstände festgestellt
oder sonst erkennbar sind, dem üblichen Bedeutungsgehalt eines
Nachbesserungsverlangens nicht gerecht wird.
12 a) Die in § 439 Abs. 1 BGB als eine der Modalitäten der
Nacherfüllung geregelte Nachbesserung zielt darauf ab, die gekaufte Sache in
einen vertragsgemäßen Zustand zu versetzen, wie er nach § 433 Abs. 1 Satz 2,
§ 434 Abs. 1 BGB geschuldet ist. Der Verkäufer schuldet deshalb nicht nur
bloße Verbesserungen eines bestehenden Mangelzustands, sondern eine
vollständige und nachhaltige Beseitigung des Mangels (Senatsurteil
vom 22. Juni 2005 - VIII ZR 281/04, BGHZ 163, 234, 242 f.; Erman/Grunewald,
BGB, 13. Aufl., § 439 Rn. 2; jurisPK-BGB/Pammler, 6. Aufl., § 439 Rn. 13
f.). Zwar steht es einem Käufer frei, Nachbesserung auch dann zu
verlangen, wenn eine Behebung des Mangels nicht vollständig möglich ist und
er - wenn auch gegebenenfalls unter Ausgleich eines dadurch verbleibenden
Minderwerts - bereit ist, sich mit einem Zustand der Sache im Umfang einer
möglichen Nachbesserung zu begnügen (vgl. Staudinger/Matusche-Beckmann,
BGB, Neubearb. 2004, § 439 Rn. 38). Dass er bei Stellung eines
Nachbesserungsverlangens aber bereit ist, einen Nachbesserungserfolg
unterhalb des Möglichen als noch vertragsgerecht hinzunehmen und dadurch auf
einen Teil der zu beanspruchenden Leistung zu verzichten, kann - da ein
Verzicht auf Rechte im Allgemeinen nicht zu vermuten ist, sondern
eindeutiger Anhaltspunkte bedarf (Senatsurteil vom 9. Mai 2012 -
VIII ZR 327/11, NJW 2012, 2270 Rn. 26 mwN) - nicht ohne Weiteres angenommen
werden. Dies hat das Berufungsgericht nicht bedacht.
13 b) Dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Nachbesserungsverlangen
des Klägers vom 14. Januar 2010 ist zwar zu entnehmen, dass er für die Frage
einer Nachbesserungsfähigkeit der von ihm beanstandeten Beschädigungen nicht
darauf abstellen wollte, ob sie vor oder nach Auslieferung durch den
Hersteller eingetreten waren (dazu Reinking/Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl.,
Rn. 557 f. mwN). Er konnte aber - wie die Revision mit Recht geltend macht -
grundsätzlich erwarten, dass ihm ein einem Neuwagen entsprechendes
mangelfreies Fahrzeug übergeben würde, der herbeizuführende
Nachbesserungserfolg also jedenfalls in technischer Hinsicht den
Fahrzeugzustand wiederherstellen würde, wie er werksseitig bei Auslieferung
des Fahrzeugs in unbeschädigtem Zustand vorgelegen hätte. Das gilt umso
mehr, als der Kläger bei seinem Nachbesserungsverlangen auf die ihm
zustehende Fabrikneuheit des Fahrzeugs hingewiesen und das Erfordernis einer
Makellosigkeit der Lackierung noch einmal eigens hervorgehoben hatte.
14 c) Den danach entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts geschuldeten
"fabrikneuen" Fahrzeugzustand hat die Beklagte auch bei ihrem zweiten
Übergabeversuch durch die von ihr vorgenommenen Nachbesserungsarbeiten nicht
erreicht. Das gilt für die zu diesem Zeitpunkt noch vorhandenen
Oberflächenverkratzungen und Lackschäden, die nach den getroffenen
Feststellungen "von dem ... zu erwartenden, gewöhnlichen Zustand eines
Neufahrzeugs" abwichen und zu deren möglicher Behebung ein weiterer
Nachbesserungsaufwand erforderlich gewesen wäre, und ebenso für die am
hinteren linken Radlauf ausgeführten Reparaturarbeiten.
15 3. Zutreffend hat das Berufungsgericht hiernach zwar die von ihm für
einschlägig erachteten Voraussetzungen eines Rücktrittsrechts des Klägers
nach § 323 Abs. 1 BGB bejaht. Denn der Kläger hatte das Fahrzeug bei
Erklärung seines Rücktritts noch nicht abgenommen, sondern als
erfüllungsuntauglich zurückgewiesen, nachdem es der Beklagten nach bereits
gescheitertem ersten Übergabeversuch trotz der ihr zur Nachbesserung
gesetzten Frist nicht gelungen war, das Fahrzeug in einen mangelfreien
Zustand zu versetzen (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 72. Aufl., § 434 Rn. 8a,
§ 437 Rn. 49; Bamberger/Roth/Faust, BGB, 3. Aufl., § 433 Rn. 41, § 437 Rn. 4). Allerdings
bedarf es auch vorliegend keiner Entscheidung über die bereits im
Senatsurteil vom 17. Februar 2010 (VIII ZR 70/07,
NJW-RR 2010, 1289 Rn. 21 f.) offen gelassene Frage, unter welchen
Voraussetzungen im Einzelnen dem Käufer ein Recht zur Zurückweisung einer
ihm angebotenen mangelhaften Kaufsache zusteht. Denn dem Berufungsgericht
kann jedenfalls nicht darin gefolgt werden, dass eine auf die festgestellten
Mängel gestützte Rückabwicklung des Kaufvertrages gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2
BGB an der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung scheitere, weil die Mängel
lediglich optischer Natur und kaum wahrnehmbar seien.
16 a) Nach dieser Vorschrift ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn
die in der Mangelhaftigkeit der Kaufsache liegende Pflichtverletzung
unerheblich ist, das heißt, wenn der Mangel geringfügig ist (Senatsurteil
vom 29. Juni 2011 - VIII ZR 202/10, WM 2011, 2149 Rn. 19). Die
Beurteilung, ob eine Pflichtverletzung unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5
Satz 2 BGB ist, erfordert nach der Rechtsprechung des Senats eine umfassende
Interessenabwägung, in deren Rahmen ein Verstoß gegen eine
Beschaffenheitsvereinbarung aber die Erheblichkeit der Pflichtverletzung in
der Regel indiziert (Senatsurteil vom 17.
Februar 2010 - VIII ZR 70/07, NJW-RR 2010, 1289 Rn. 23 mwN). Ein solcher
Fall liegt hier vor.
17 b) Die von den Parteien getroffene
Beschaffenheitsvereinbarung ist auch im Rahmen des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB
und der dabei anzustellenden Interessenabwägung beachtlich.
Hieran gemessen erweist sich die Erwägung des Berufungsgerichts, sämtliche
Mängel seien trotz der für ihre Beseitigung aufzuwendenden Kosten im Bereich
von 2.000 € bis maximal 3.000 € geringfügig im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2
BGB, weil sie lediglich optischer Natur und auch für den sorgfältigen
Betrachter kaum wahrnehmbar seien, als rechtsfehlerhaft.
Abgesehen davon, dass mit der Entscheidung für den Kauf eines Neuwagens für
den Käufer gerade typischerweise auch optische Gesichtspunkte, insbesondere
eine verarbeitungstechnische Makellosigkeit der Karosserie, eine zumindest
mit entscheidende Rolle zu spielen pflegen, kommt dieser Kaufentscheidung
zugleich eine wirtschaftliche Bedeutung zu. Denn Fahrzeuge, die diesen
Karosseriestandard - wie hier - nicht oder nicht mehr annähernd aufweisen,
werden üblicherweise mit deutlichen Preisabschlägen gehandelt, da sie in der
Wertschätzung des Verkehrs nur noch zweite Wahl sind und deshalb allenfalls
noch als bereits in Gebrauch genommene Vorführwagen abgesetzt werden können
(vgl. auch Senatsurteil vom 17.
Februar 2010 - VIII ZR 70/07, aaO Rn. 25).
18 c) Ohne Bedeutung für die vorzunehmende Interessenabwägung ist es
schließlich, ob auf das Nachbesserungsverlangen des Klägers durch
Nachbesserungsarbeiten der Beklagten ein einem Neuwagen jedenfalls annähernd
entsprechender Karosseriezustand hätte erreicht werden können und ob - wie
die Revisionserwiderung geltend macht - mit Blick auf die für die
berücksichtigungsfähigen Mängel angesetzten Reparaturkosten im Bereich von
fünf Prozent des Kaufpreises gleichwohl von deren Geringfügigkeit und damit
einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung auszugehen wäre. Denn
für die Beurteilung der Frage, ob ein Mangel als geringfügig im Sinne des §
323 Abs. 5 Satz 2 BGB einzustufen ist, ist auf den Zeitpunkt der
Rücktrittserklärung des Käufers abzustellen (Senatsurteil
vom 15. Juni 2011 - VIII ZR 139/09, WM 2011, 2148 Rn. 9 mwN). Zu diesem
Zeitpunkt war es der Beklagten nach den nicht angegriffenen Feststellungen
des Berufungsgerichts jedoch trotz der ihr gemäß § 323 Abs. 1 BGB gesetzten
Frist nicht gelungen, die zuvor gerügten Schäden fachgerecht zu beseitigen.
Ein zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung erheblicher Mangel wird
nicht dadurch unerheblich, dass es der Beklagten möglicherweise zu einem
späteren Zeitpunkt noch hätte gelingen können, das Fahrzeug in einen der
getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung entsprechenden Zustand zu versetzen
(vgl. Senatsurteil vom 15. Juni 2011 - VIII ZR
139/09, aaO mwN).
19 4. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus einem anderen Grunde
als richtig. Denn die Umstände, die nach Erlass des Berufungsurteils
eingetreten sind und auf die die Beklagte ihr Begehren auf Zurückweisung der
Revision zusätzlich stützt, bedürfen zu ihrer Bewertung weiterer
tatrichterlicher Feststellungen.
20 In der Revisionsinstanz ist zwar unstreitig geworden, dass der Kläger
nach Erlass des Berufungsurteils das zur Finanzierung des Kaufs aufgenommene
Darlehen vollständig abgelöst und das Fahrzeug von der Beklagten auf sein
Verlangen ausgehändigt erhalten hat. Ob dies allerdings - wie die
Revisionserwiderung behauptet - vorbehaltlos geschehen ist und dann
möglicherweise als eine einvernehmliche Beseitigung der bereits
eingetretenen Rücktrittsfolgen oder als ein Verzicht des Klägers auf die ihm
aus dem Rücktritt erwachsenen Rechte verstanden werden könnte (vgl. OLG
Düsseldorf, ZGS 2004, 393, 394; Erman/Westermann, aaO, § 323 Rn. 24), oder
ob dies - wie von der Revision vorgetragen - vor dem Hintergrund einer
drohenden Inanspruchnahme des Klägers durch die Bank sowie einer ihm
nachteiligen Verwertung des an diese sicherungsübereigneten Fahrzeugs und
damit allein zur Schadensgeringhaltung geschehen ist, ist zwischen den
Parteien streitig. Dies hindert entgegen der Auffassung der
Revisionserwiderung eine Berücksichtigung der neu vorgetragenen Tatsachen
durch den Senat.
21 § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach der Beurteilung des Revisionsgerichts nur
dasjenige Parteivorbringen unterliegt, das aus dem Berufungsurteil und dem
Sitzungsprotokoll ersichtlich ist, ist nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zwar einschränkend dahin auszulegen, dass in bestimmtem
Umfang auch Tatsachen, die sich erst während der Revisionsinstanz ereignen,
in die Urteilsfindung einfließen können, soweit sie unstreitig sind oder ihr
Vorliegen in der Revisionsinstanz ohnehin von Amts wegen zu beachten ist und
schützenswerte Belange der Gegenseite nicht entgegenstehen (BGH, Urteile vom
12. März 2008 - VIII ZR 71/07, WuM 2008, 290 Rn. 25; vom 14. Oktober 2009 -
XII ZR 146/08, NJW 2009, 3783 Rn. 27; jeweils mwN). Die nach Schluss der
Tatsachenverhandlung vor dem Berufungsgericht eingetretenen Umstände sind
aber nur in Teilen unstreitig. Über weitere Umstände, die zu einer Bewertung
des Verhaltens der Parteien und dessen rechtsgeschäftlicher Aussagekraft für
die (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrages von wesentlicher Bedeutung sein
können, herrscht dagegen Streit, so dass es hierzu ergänzender
tatrichterlicher Feststellungen bedarf.
III.
22 Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist daher
aufzuheben (§ 561 Abs. 1 ZPO). Da der Kläger das zur Fahrzeugfinanzierung
aufgenommene Darlehen unter Entgegennahme des Fahrzeugs inzwischen selbst
abgelöst hat, findet das hierauf bezogene Freistellungsbegehren in den dazu
vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen keine ausreichend tragfähige
Grundlage mehr. Das Berufungsgericht wird deshalb die erforderlichen
Feststellungen zu den nachträglich eingetretenen Umständen zu treffen und
dem Kläger Gelegenheit zu geben haben, sein Klagebegehren entsprechend
anzupassen. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
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