Selbständige Beratungspflicht des Verkäufers und Haftung aus pVV, Konkurrenz zu §§ 459 ff BGB 
BGH, Urteil v. 27.11.1998  - V ZR 344/97  (Celle) 
Fundstellen:

BGHZ 140, 111
NJW 1999, 638
WM 1999, 137
BB 1999, 177
ZIP 1999, 193
DB 1999, 328
LM H. 6 / 1999 § 675 BGB Nr. 259  Anm. Pfeiffer


Zentrale Probleme:

s. Anm zu BGH NJW 1999, 3192 sowie zu BGH NJW 2001, 2630


Amtl. Leitsätze:

a) Bei einem auf Steuerersparnis angelegten Immobilienverkauf kann die Erstellung eines "persönlichen Berechnungsbeispiels" über die beim Käufer auftretenden steuerlichen Auswirkungen Gegenstand eines besonderen Beratungsvertrags sein.
b) Die Verletzung einer vertraglich übernommenen Beratungspflicht löst auch dann einen Schadensersatzanspruch aus, wenn sie die objektbezogene Voraussetzung eines Steuervorteils (BGHZ 114, 263 = NJW 1991, 2556 = LM § 459 BGB Nr. 10) zum Gegenstand hat und nur auf Fahrlässigkeit beruht.



Sachverhalt:

Die Kl. kaufte von der Bekl. mit notariellem Vertrag vom 31.1./4. 3. 1991 eine Eigentumswohnung. Der "Gesamtaufwand für den Erwerb" setzte sich aus einem "reinen Wohnungskaufpreis" von 74412 DM und Renovierungskosten in Höhe von 19188 DM zusammen. Die Renovierungskosten hatte der Urkundsnotar aus dem bei ihm hinterlegten Gesamtaufwand an den Verwalter des Wohnungseigentums abzuführen. Der Kaufvertrag kam durch Vermittlung der Firma Z Vermittlungsgesellschaft für Kapitalanlagen mbH zustande, deren Mitarbeiterin der Kl. ein "persönliches Berechnungsbeispiel" über die Steuerersparnis in der Erwerbsphase erstellte. Dieses ging davon aus, daß die Renovierungskosten die Steuerschuld der Kl. im Anschaffungsjahr als sofort abzugsfähige Werbungskosten verminderten. Das Finanzamt behandelte die Renovierungskosten dagegen als Anschaffungsaufwand, der lediglich mit der Abnutzung des Gebäudes abschreibungsfähig sei. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Die Kl. hat den Kaufvertrag aus einer Reihe von Gründen angefochten und die Bekl. aus verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten auf Zahlung, zuletzt in Höhe von 128982,40 DM (Gesamtaufwand, Finanzierungsdisagio, Verluste aus Vermietung, Steuerberatungskosten) Zug um Zug gegen Rückübertragung des Eigentums sowie auf die Feststellung in Anspruch genommen, daß sie zum Ersatz weiterer, durch den Kauf verursachter Schäden verpflichtet sei.
Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Die Revision war dagegen erfolgreich und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. verneint eine wirksame Anfechtung des Kaufvertrags sowie unter Einbeziehung zusätzlicher Geschäftsbesorgungsverträge, darunter eines mit der T-GmbH (im folgenden: T) abgeschlossenen Steuerberatungsvertrags, Sittenwidrigkeit und Wucher. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß scheitere daran, daß die für die Firma Z aufgetretene Mitarbeiterin kein Verschulden an der objektiv unrichtigen Auskunft über die steuerlichen Auswirkungen des Renovierungsaufwands treffe. Die Bekl. habe unbestritten unter Vorlage zweier Schreiben der T dargelegt, daß sich die Rechtsprechung des BFH zu der steuerlichen Absetzbarkeit dieser Kosten erst nach der Erstellung des "persönlichen Berechnungsbeispiels" geändert habe. Die Mitarbeiterin habe somit nicht fahrlässig gehandelt, die künftige Entwicklung der Rechtsprechung sei für sie nicht vorhersehbar gewesen. Dies hält der Revision nicht stand.
II. Sie beanstandet zu Recht, daß sich das BerGer. mit der Darstellung der steuerlichen Rechtslage in den Schreiben der Steuerberatungsgesellschaft begnügt hat. Unbestritten konnte nur der Inhalt der beiden Schreiben sein, über die Richtigkeit der dort vertretenen Rechtsmeinung, mithin den Inhalt des deutschen Steuerrechtes, mußte sich das BerGer. selbst ein Urteil bilden. Hierbei wäre es ihm nicht verwehrt gewesen, sich der Hilfe eines Steuerfachmanns zu bedienen (BGH, BGHRZPOO § 293, Steuerrecht 1). Dessen Meinung hätte es allerdings in vollem Umfang überprüfen müssen, das Ergebnis dieser Überprüfung wiederum wäre, da es revisibles Recht, nämlich das Einkommensteuergesetz, zum Gegenstand hatte, uneingeschränkt der revisionsrechtlichen Kontrolle unterlegen.
Der Senat hat die vom BerGer. unterlassene Prüfung der Rechtsfrage nachgeholt. Danach wurde zwar erst durch das Urteil des BFH vom 30. 7. 1991 (BFHE 165, 245; seither st. Rspr., vgl. BFHE 167, 102; BFH, BFH/NV 1994, 852), mithin nach der Erstellung des "persönlichen Berechnungsbeispiels", endgültig geklärt, daß Reparaturaufwendungen beim sogenannten Erhaltungsmodell zu den Anschaffungskosten zählen und nicht, auch nicht in begrenztem Umfang (vgl. Abschn. 157 Abs. 5 EStR; BFHE 166, 203), als Erhaltungsaufwand sofort abzugsfähig sind. Anders als es das BerGer. dem Schreiben der Steuerberatungsgesellschaft entnimmt, stellt die Entscheidung vom 30. 7. 1991 aber keine Änderung der Rechtsprechung dar. Der BFH nimmt vielmehr auf seine frühere, zum gleichen Ergebnis gelangende Rechtsprechung zum sogenannten Bauherrenmodell (BFHE 158, 546) Bezug und führt aus, die dortigen Überlegungen kämen "erst recht" beim Erhaltungsmodell zum Tragen. Im gleichen Sinne hatten zuvor das FG Hamburg (EFG 1988, 625) und das FG Berlin (EFG 1983, 349) entschieden. In der Literatur war zwar im Anschluß an das Urteil des BFH vom 14. 11. 1989 der Versuch unternommen worden, das Erhaltungsmodell vom Bauherrenmodell abzugrenzen und seine steuerlichen Vorteile, wenigstens unter bestimmten qualifizierten Voraussetzungen, zu retten. Dies verdeutlichte aber nur, auf welch schwankendem Boden sich die steuerliche Rechnung der Vermittlerin befand. Deren Mitarbeiterin hätte, wenn sie sich des "persönlichen Berechnungsbeispiels" bediente, auf die Unsicherheit der steuerlichen Rechtslage aufmerksam machen müssen. Da sie dies unterlassen hat, hat sie gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen (§ 276 I 2 BGB).
III. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.
1. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens beim Vertragsschluß scheitert allerdings an der im Revisionsverfahren nicht angegriffenen Feststellung des BerGer., daß der Mitarbeiterin der Vermittlerin eine vorsätzliche Pflichtverletzung nicht zur Last fällt. Die Revisionserwiderung weist zu Recht darauf hin, daß die sofortige Absetzbarkeit des Renovierungsaufwands von den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§§ 21, 9 I 1u. 2 EStG) Gegenstand einer Eigenschaftszusicherung i.S. des § 459 II BGB sein kann. Nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 114, 263 [266f.] = NJW 1991, 2556 = LM § 459 BGB Nr. 109; vgl. auch bereits BGHZ 79, 183 = NJW 1981, 864 = LM § 459 BGB Nr. 57) kommt als zusicherungsfähige Eigenschaft der Kaufsache bei Steuervorteilen (dort nach § 7b EStG 1981 bzw. § 15 BerlinFG) zwar nicht die aus dem Gesetz folgende Ermäßigung der Steuerschuld selbst in Frage; wohl aber kann der Verkäufer den steuerlichen Vorteil in seinen objektgebundenen Voraussetzungen zusichern. Darum geht es hier, denn der Renovierungsaufwand, der nach dem "persönlichen Berechnungsbeispiel" den steuerlichen Vorteil nach sich ziehen sollte, ist nicht an die Person des Erwerbers, sondern an den Zustand der Sache geknüpft. Nur auf Fahrlässigkeit beruhende unzutreffende Erklärungen des Verkäufers, die sich auf zusicherungsfähige Eigenschaften der Kaufsache beziehen, begründen mit Rücksicht auf das Gewährleistungsrecht, das Schadensersatz nur bei Nichteinhaltung einer Zusicherung oder bei arglistigem Verschweigen eines Fehlers vorsieht (§ 463 BGB), keinen Ersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß (BGHZ 60, 319 [322] = NJW 1973, 1234 = LM § 459 BGB Nr. 33; BGHZ 114, 263 [266] = NJW 1991, 2556 = LM § 459 BGB Nr. 109).
2. Eine Haftung der Bekl. auf Schadensersatz kommt aber wegen der Verletzung einer besonderen vertraglichen Beratungspflicht in Frage. Die Rechtsprechung hat eine solche Beratungspflicht des Verkäufers als eine zusätzlich zur Gewährleistung übernommene Nebenpflicht oder, was hier in Frage kommt, als selbständige Hauptpflicht aus einem Beratungsvertrag (vgl. Hagen/Brambring, Der Grundstückskauf, 6. Aufl., Rdnr. 180) in Fällen bejaht, in denen der Verkäufer im Rahmen eingehender Vertragsverhandlungen und auf Befragen des Käufers jeweils einen ausdrücklichen Rat erteilt hatte (BGH, NJW 1958, 866 = LM § 459 Abs. 1 BGB Nr. 5; BGH, LM § 433 BGB Nr. 49 = WM 1977, 1027f.; BGHZ 88, 130 = NJW 1983, 2697 = LM § 477 BGB Nr. 39; BGH, NJW 1984, 2938 = LM § 477 BGB Nr. 41 = ZIP 1984, 962 [965]; vgl. auch Senat, NJW 1981, 1035 = LM § 249 [E] BGB Nr. 6 = WM 1981, 308). Die Verletzung einer solchen Beratungspflicht begründet eine Haftung des Verkäufers auch dann, wenn sich sein Verschulden auf Angaben über zusicherungsfähige Eigenschaften der Kaufsache bezieht und nur auf Fahrlässigkeit beruht.
So liegen die Dinge hier. Das "persönliche Berechnungsbeispiel" war das Ergebnis eingehender Vertragsverhandlungen. Es diente der Bekl. als Instrument zur Vermittlung des auf Steuerersparnis angelegten Erhaltungsmodells. Damit steht es einem auf Befragen des Käufers erteilten Rat gleich. Eine Haftung der Bekl. scheidet auch nicht deshalb aus, weil die T die objektbezogene Steuerberatung übernommen hatte. Der Vertrag der Kl. mit der Steuerberatungsgesellschaft wurde erst nach dem Kaufvertrag, nämlich am 25. 3. 1991/10. 5. 1993 abgeschlossen. Er hatte die steuerliche Abwicklung des "Erhaltungsmodells" zum Gegenstand. Hiervon ist die vorangegangene Beratung über die steuerliche Zweckmäßigkeit des Modells angesichts der Einkommensverhältnisse der Kl. zu unterscheiden. Sie lag nicht im Aufgabenbereich der T.
An der Beurkundungsbedürftigkeit des Kaufvertrags (§ 313 S. 1 BGB) nahm der Beratungsvertrag nicht teil; denn er diente zwar der Entschlußfassung über den Kauf, war vom Inhalt dieses Entschlusses aber nicht abhängig. Es lag mithin kein rechtlicher Zusammenhang zwischen den Geschäften i.S. der Erstreckung des Urkundserfordernisses auf das an sich formfreie Geschäft vor (vgl. Senat, NJW 1987, 1069 = LM § 313 BGB Nr. 113 = WM 1987, 215).
3. Die Revisionserwiderung hebt, allerdings unter dem Gesichtspunkt des vorvertraglichen Verschuldens, darauf ab, daß die Vermittlung des Immobilienerwerbs typischerweise Maklertätigkeit sei. Ohne nähere Feststellungen zum Inhalt des von der Bekl. erteilten Auftrags sei eine Aussage darüber, ob Firma Z deren Erfüllungsgehilfin gewesen sei, nicht möglich. Der Senat hat indessen den Grundstücksmakler, dem von einer späteren Kaufvertragspartei die Führung der wesentlichen Vertragsverhandlungen überlassen worden war, als deren Gehilfen bei der Erfüllung der vorvertraglichen Sorgfaltspflichten angesehen (Senat, NJW 1996, 451 = LM H. 3/1996 § 278 BGB Nr. 129 = WM 1996, 315). Die dazu erforderlichen Feststellungen sind im Berufungsurteil getroffen, denn danach hatte die Bekl. keinen Kontakt zu den Interessenten aufgenommen und der Vermittlerin freie Hand gelassen.
Allerdings geht es hier nicht um einen Verstoß gegen gesetzliche Pflichten im Vorfeld des Kaufvertrags, sondern um die vertragliche Übernahme der Beratung des Kaufinteressenten und die Erfüllung der hierbei eingegangenen Pflicht. Stellt sich indessen bei der Vermittlung des Kaufvertrags diese Aufgabe und ist sie vom Verkäufer dem Makler überlassen, so kann sich dessen stillschweigende Bevollmächtigung zum Abschluß des Beratervertrags aus den Umständen ergeben (§ 167 BGB). In einem solchen Falle sind an die Kundgabe des Willens, die Beratung für den Verkäufer zu übernehmen und auszuführen (§ 164 BGB), keine zu strengen Anforderungen zu stellen; dies gilt jedenfalls, wenn der Vermittler zweifelsfrei keinen Auftrag vom Käufer erhalten hat. Von diesen Voraussetzungen ist unter den Parteien auszugehen, denn die individuelle Beratung über die mit dem "Erhaltungsmodell" für den Käufer verbundenen Steuervorteile, im Streitfalle anhand des "persönlichen Berechnungsbeispiels", war eine wesentliche Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluß der Verkaufsbemühungen. Auf Vortrag, wonach die Firma Z (auch) im Auftrag der Kl. tätig geworden sei, vermag die Revisionserwiderung nicht zu verweisen.
IV. Die Sache ist nicht entscheidungsreif und deshalb an das BerGer. zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 565 I ZPO). Dieses wird zu entscheiden haben, ob die Kl. bei ordnungsgemäßer Beratung, mithin bei einem Hinweis auf die rechtliche Ungefestigtheit des steuerlichen Ansatzes, den Kaufvertrag abgeschlossen hätte. Ist dies zu verneinen, ist zu prüfen, ob der Kl. durch den Abschluß des Kaufs ein Schaden entstanden ist (vgl. die Rspr. des Senats zu dem insoweit gleichgelagerten Falle des Verschuldens bei Vertragsschluß, Senat, NJW 1998, 302 = LM H. 4/1998 § 249 [A] BGB Nr. 133 = WM 1997, 2303, und Senat, NJW 1998, 898 = LM H. 5/1998 § 249 [Fa] BGB Nr. 247 = WM 1998, 91). Liegt ein Schaden vor, kann die Kl., worauf ihre Anträge abzielen, verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn sie vom Vertragsschluß abgesehen hätte.