Umgehungsgeschäft beim Verbrauchsgüterkauf (§ 475 I 2 BGB) bei "Zwischenschaltung" eines Verbrauchers als "Strohmann"


OLG Celle, Urteil vom 15.11.2006, 7 U 176/05


Fundstelle:

ZGS 2007, 79


Amtl. Leitsatz:

Wird in den Geschäftsräumen eines Händlers ein von diesem beworbenes Fahrzeug im Namen eines nicht im KFZ-Brief eingetragen Dritten an einen Verbraucher verkauft und ist der PKW zu diesem Zeitpunkt weder bei dem Händler noch bei dem angeblichen Verkäufer, sondern bei einem anderen (Vor) Eigentümer versichert, so ist von einem Umgehungsgeschäft im Sinne von § 475 Abs. 1 S. 2 BGB auszugehen. Das Umgehungsgeschäft hat zur Folge, dass der Händler im Prozeß passivlegitimiert ist und der vollen für den Verbrauchsgüterkauf geltenden Sachmängelhaftung unterliegt.


Zentrale Probleme:

S. die Anm. zu BGH NJW 2005, 1039 und zu BGH NJW 2006, 1066 sowie OLG Saarbrücken MDR 2006, 1108 sowie insbesondere zu BGH v. 22.11.2006 - VIII ZR 72/06): Die Anwendung der §§ 474–477 setzt in persönlicher Hinsicht voraus, dass der Vertrag zwischen einem Verbraucher iSv. § 13 als Käufer und einem Unternehmer iSv. § 14 als Verkäufer geschlossen wird (sog. „B2C-Geschäft“). Maßgeblich ist grundsätzlich die Stellung als Vertragspartei des Kaufvertrages. Verkauft ein Unternehmer eine bewegliche Sache in offener Stellvertretung (anders im Fall der Verkaufskommission) im Namen eines Verbrauchers an einen Verbraucher (sog. „Agenturgeschäft“), liegt kein Verbrauchsgüterkauf vor. Geschieht dies (etwa im Gebrauchtwagen- oder Kunsthandel), um einen im Verhältnis „B2C“ nach § 475 nicht möglichen Haftungsausschluß zu ermöglichen (weil dann ein „C2C“-Geschäft vorliegt), kann darin ein unzulässiges Umgehungsgeschäft iSv. § 475 Abs. 1 S. 2 BGB liegen, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eigentlicher Vertragspartner der Unternehmer ist, weil ihn die Vor- und Nachteile aus dem Geschäft treffen. In Übereinstimmung mit der h.M. nimmt das OLG deshalb hier einen Vertrag zwischen dem Unternehmer und dem (nur "vorgeschobenen") Verbraucher an (so obiter auch BGH NJW 2005, 1039 und ausdrücklich nunmehr BGH v. 22.11.2006 - VIII ZR 72/06). Das ist mE aber nicht überzeugend: Das Umgehungsverbot soll dem Verbraucher nicht vor bestimmten Vertragspartnern, sondern vor bestimmten Vertragsinhalten schützen. Der vom Unternehmer als „Strohmann“ zwischengeschaltete/vertretene Verbraucher/Verkäufer bleibt damit Vertragspartei, jedoch wird ihm die Unternehmereigenschaft des „wirtschaftlichen“ Vertragspartners zugerechnet mit der Folge, daß der Gewährleistungsausschluß nach § 475 I 1 BGB unwirksam ist. Der Versuch des OLG, einen direkten Vertragsschluß zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher über § 117 BGB zu konstruieren, ist wenig überzeugend, weil § 117 BGB auf beiden Seiten eine Scheinabrede voraussetzt. Richtigerweise sollte es daher bei den Vertragsparteien bleiben und nur der Gewährleistungsausschluß nach § 475 I 2 BGB unwirksam sein.
Zu beachten ist freilich, daß, wenn der Unternehmer das Vertretungsverhältnis selbst verdeckt und nicht ausreichend offenlegt, ohnehin wegen der Verletzung des Offenkundigkeitsgrundsatzes des Stellvertretungsrechts (§§ 164 I, II BGB) ein Vertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher zustande kommt.

©sl 2006


Aus den Gründen:

II. Die zulässige Berufung des Klägers hat dem Grunde nach Erfolg, ist jedoch der Höhe nach nur teilweise begründet.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gemäß den §§ 437 Nr. 2, 323 BGB zu. Der Beklagte ist passivlegitimiert. Der Pkw war zum Zeitpunkt der Übergabe mit erheblichen Mängeln behaftet.

1. Der Kaufvertrag ist mit dem Beklagten zustande gekommen. Bei dem Kaufvertrag hat es sich um ein Umgehungsgeschäft des Beklagten gemäß § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB mit der Folge gehandelt, dass der Beklagte selbst als Vertragspartner anzusehen ist.

a) Eine Umgehung liegt vor, wenn eine vom Gesetz verbotene Regelung bei gleicher Interessenlage durch eine andere rechtliche Gestaltung erreicht werden soll, die objektiv nur den Sinn haben kann, das gesetzliche Verbot zu unterlaufen. Im Fall des § 475 BGB gilt dies insbesondere dann, wenn die Haftung des Verkäufers ohne wirtschaftlichen Grund verringert oder ausgeschlossen wird. Eine Umgehungsabsicht ist nicht erforderlich (OLG Saarbrücken MDR 2006, 1108 - aus juris; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl., Rn 1134 m.w.N.; Palandt/Putzo, BGB, 65. Aufl., § 475 Rn 6). So liegt der Fall hier.

aa) Der Zeuge K. hat sich als Hausmann bezeichnet und ausgesagt, er selbst sei nie im Kfz-Brief eingetragen gewesen und das streitgegenständliche Fahrzeug sei, solange es gefahren worden sei, bei dem Voreigentümer A. versichert gewesen. Auch wenn der Zeuge entsprechend der Behauptung des Beklagten telefonisch mit dem Kläger verhandelt haben sollte, ist der Senat nach den eigenen Angaben des Zeugen - der im übrigen mit dem Wagen nur wenige Tage gefahren sein will - der Überzeugung, dass er Strohmann für den Beklagten war, da dieser der Gewährleistungshaftung entgehen wollte. Die Hinweise des Beklagten am Telefon, er sei nicht der Eigentümer, finden in der im Internet veröffentlichten Verkaufsanzeige keine Stütze und vermögen ihm im übrigen nicht weiterzuhelfen.

bb)  ...

cc) Das Umgehungsgeschäft ist nicht nichtig, da die vereinbarten Rechtsfolgen ernstlich gewollt sind. Gleiches gilt bei einem Strohmanngeschäft (Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 117 Rn 5 f.).

b) Folge der Umgehung ist, dass der Beklagte als Vertragspartner zu betrachten ist und dieser sich als gewerbsmäßiger Händler nicht auf die anderweitige Vertragsgestaltung berufen kann, sondern die nach dem Gesetz vorgesehene Haftung zu übernehmen hat (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O; Palandt/Putzo, a.a.O., § 475 Rn 8; Reinking/Eggert, a.a.O., Rn 1140). Der Senat macht sich diese - aus § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB folgende - Auffassung ausdrücklich zu eigen.

c) Der Beklagte kann aus der von ihm zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 2005 (NJW 2005, 1039 ff) nichts herleiten. Der Bundesgerichtshof hat dort u. a. ausgeführt, dass nach einer im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung im Einzelfall eine Umgehung des für den Verbrauchsgüterkauf bezweckten Verbraucherschutzes anzunehmen sei, wenn das Agenturgeschäft missbräuchlich dazu eingesetzt werde, in ein Wahrheit vorliegendes Eigengeschäft des Unternehmers zu verschleiern. Nach Auffassung des Senats komme dabei entscheidende Bedeutung der Frage zu, die bei wirtschaftlicher Betrachtung die Chancen und Risiken des Gebrauchtwagenverkaufs zwischen dem bisherigen Eigentümer des Fahrzeugs und dem Fahrzeughändler verteilt sind. Dem Fall lag u. a. zugrunde, dass der aus dem Kaufvertrag ersichtliche Verkäufer zugleich ein anderes Fahrzeug bei dem Beklagten erworben hatte. Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist anders gelagert. Aufgrund der fehlenden Voreintragung des aus dem Kaufvertrag ersichtlichen Verkäufers im Kfz-Schein und der im Zeitpunkt des Verkaufs weiterhin bestehenden Versicherung bei dem Voreigentümer sind genügend Anhaltspunkte dafür gegeben, dass es sich um ein Umgehungsgeschäft handelt.

2. Das Fahrzeug war zum Zeitpunkt der Übergabe mit Mängeln behaftet.

a) Nach dem Gutachten des Sachverständigen - zu dem die Parteien keine Stellungnahme abgegeben haben - liegt bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug sowohl hinten rechts als auch frontal ein Unfallschaden vor, der über einen kleineren Blechschaden hinausgeht. Diese Schäden sind nicht sach- und fachgerecht repariert worden.

b) aa) Ferner ergibt sich aus der Aussage des Zeugen F., dass bereits bei der ersten Untersuchung in seiner Werkstatt eine defekte Benzinleitung vorhanden war. Der Zeuge F. hat ausweislich seiner schriftlichen Auskunft - gegen deren Verwertung als Urkundsbeweis (vgl. hierzu Zöller/Greger, ZPO, 25.Aufl., § 377 Rn 11) die Parteien auf Anfrage des Senats keine Einwendungen erhoben haben - mitgeteilt, er könne sich im Zusammenhang mit den Angaben „dunkler Audi“ und „Schaden in der Benzinleitung“ an einen I. (der Kläger heißt mit Vornamen I.) mit einem dunklen Audi und an eine defekte Benzinleitung erinnern, allerdings nicht an die Ursache dieses Schadens. Auf die genaue Ursache kommt es aber nicht an, zumal der Beklagte nicht behauptet, das Leck in der Benzinleitung sei nach Übergabe des Fahrzeugs entstanden.

Die Mitteilung des Sachverständigen, angesichts der Notreparatur könne er nichts zum damaligen Zustand der Benzinleitung (rostbedingtes Leck?) feststellen, steht der Annahme eines Mangels nicht entgegen.

bb) Der Beklagte hat hingegen seine Behauptung nicht bewiesen, mit einem Leck in der Benzinleitung habe der Kläger nicht von B. M. bis M. fahren können. Der Sachverständige konnte mangels näherer Anhaltspunkte zum Umfang des Verlusts des Benzins nicht ausschließen, dass der Kläger mit dem Leck von B. M. bis M. fahren konnte.

3. Der Kläger muss sich allerdings gem. § 346 Abs. 2 BGB eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer von insgesamt 2.399,88 EUR auf den Kaufpreis von 6.200 EUR anrechnen lassen. Es verbleibt ein vom Beklagten zu zahlender Betrag von 3.800,12 EUR.

Der Kläger ist seit Übergabe des Fahrzeugs 34.284 km gefahren. Der Senat legt eine Nutzungsentschädigung von 7 Cent pro gefahrenen Kilometer zugrunde. Hierfür war ausschlaggebend, dass für Fahrzeuge der Oberklasse - der streitgegenständliche Pkw ist ausweislich der Schwackeliste von Juli 1997 für das Jahr der Erstzulassung 1993 mit einem Neupreis von 80.950 DM angegeben - normalerweise eine Nutzungsentschädigung von 10 Cent pro Kilometer in Ansatz gebracht wird. Allerdings ist zu beachten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug zum Zeitpunkt der Übergabe bereits 11 Jahre alt war und einen hohen Kilometerstand von 238.000 km aufwies. Eine Minderung auf 7 Cent war unter Anwendung des § 287 ZPO jedoch erforderlich, um den bislang erfolgten Reparaturaufwand des Beklagten und die lediglich eingeschränkte Nutzbarkeit des Fahrzeugs angemessen berücksichtigen zu können.

4. Der Beklagte befindet sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs Gem. § 293 BGB im Annahmeverzug. Er ist mit Schreiben vom 09. September 2004 zur Abholung des Fahrzeugs binnen einer bestimmten Frist aufgefordert worden. Die Reaktion des Beklagten bestand darin, seine Stellung als Vertragspartner zu negieren.

5. Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus den §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 288 Abs. 1 BGB, ist jedoch erst seit dem 16. September - nicht dem 11. September - 2004 begründet. Dem Beklagten ist mit dem Schreiben vom 09. September 2004 eine Frist zur Zahlung bis zum 15. September 2004 gesetzt worden.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Regelung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO lagen entgegen der Anregung des Beklagten in diesem konkreten Einzelfall nicht vor.

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