Erfüllungsanspruch aus Gewinnmitteilungen (§ 661a BGB): Rechtliche
Qualifikation als einseitiges Rechtsgeschäft oder geschäftsähnliche
Handlung; Verfassungskonformität von § 661a BGB; Begriff der "Strafe" i.S.v.
Art. 103 Abs. 2 GG; Abgrenzung zum Strafschadensersatz ("punitive damages")
BGH, Urteil vom 16. Oktober 2003 - III ZR
106/03 - OLG Celle
Fundstelle:
NJW 2003, 3620
LMK 2003, 217 (Anm. Lorenz)
Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung
angenommen, s. Beschl. des BVerfG v. 5.1.2004 - 1 BvR 2518/03 = NJW 2004,
762 (im Volltext unter
www.bverfg.de/entscheidungen/ rk20040105_1bvr251803.html
Amtl. Leitsatz:
§ 661a BGB ist nicht verfassungswidrig.
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu LG Braunschweig v.
10.1.2002 - 10 O 2753/00 sowie BGH NJW
2003, 426 ff.
S. ferner OLG Dresden v. 19.12.2001, 8 U 2256/01
Zur Internationalen Zuständigkeit s. EuGH Urteil v. 11.7.2002 Rs. C-96/00
"Gabriel",
OLG Frankfurt/M., Urt. v. 19.2.2002, 8 U 228/01.
Zu den wettbewerbsrechtlichen Aspekten s.
BGH NJW-RR 2001, 1574. S. nunmehr auch
BGH v. 1.12.2005 - III ZR 191/03.
Tatbestand:
Die Beklagte ist eine in
den Niederlanden ansässige Versandhandelsgesellschaft. Sie übersandte im
September 2001 dem in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Kläger ein
Schreiben, in dem es unter anderem hieß:
"Lieber Herr A. [= Kläger],
über 3 große Ereignisse kann ich Ihnen als Kunde unseres 'Spezialitäten'Programms
berichten:
1. Es hat am 11.09.2001 eine Ziehung stattgefunden.
2. Es war Ihr Name, sehr geehrter Herr A. , den mir der Justiziar
nannte.
3. Es war einer der höchsten Geldbeträge, der Ihnen zugeteilt wurde.
...
Also, beginnen wir mit Punkt Eins. Die Ziehung war wie gesagt am 11.09.2001,
10:30 Uhr ... es ging um die Gesamt-Gewinnsumme
von 33.000,00 DM ... in bar! ... 5 Hauptgewinne standen zur Vergabe bereit
...
Der Justiziar erhob sich, um die Gewinner namentlich zu nennen ...
Ja, und nun ist es tatsächlich wahr, daß Sie selbst darüber nachdenken
können, welchen Herzenswunsch Sie sich erfüllen möchten. Denn Ihr Name ist
dabei! ...
Dann kam der Höhepunkt der Ziehung:
Die Geldbeträge wurden den genannten Gewinnern zugeteilt. Und als wiederum
Ihr Name genannt wurde, konnte ich die Spannung und die Vorfreude kaum noch
aushalten ...
Es sind 9.000 DM! Ja, 9.000,00 DM in bar, die Ihnen und Ihrer
Ziehungs-Nummer eindeutig zugeteilt wurden! ...
Meine dringende Bitte:
Schicken Sie jetzt Ihren Einlöse-Scheck und Ihre
Spezialitäten-Test-Anforderung ein, damit wir die Gewinn-Auszahlung
vollziehen können!"
Dem Schreiben der Beklagten
war ein von "Herr S. H. ,Justiziar" unterzeichnetes
"Gewinn-Ziehungs-Protokoll" beigefügt, das den Kläger als "Gewinn-Empfänger"
eines "Gewinn-Betrag(es): 9.000,00 DM" auswies.
Entsprechend der im Schreiben der Beklagten gegebenen Anleitung sandte der
Kläger den "Einlöse-Scheck" und die "Spezialitäten-Test-Anforderung" mit
einer Warenbestellung über 78,68 DM zurück. Die Beklagte zahlte den
angeblichen Gewinn nicht.
Der Kläger macht geltend, die Beklagte schulde ihm aufgrund einer
Gewinnzusage (§ 661a BGB) 4.601,63 € (= 9000.- DM) nebst Zinsen. Die
Beklagte hat gerügt, die angerufenen deutschen Gerichte seien nicht
international zuständig. Im übrigen sei § 661a BGB verfassungswidrig.
Amtsgericht und Berufungsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin ihren
Antrag, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist
unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat
die deutschen Gerichte für international zuständig erachtet. Die in den
Niederlanden ansässige Beklagte könne vor einem deutschen Gericht verklagt
werden, weil in der Bundesrepublik Deutschland sowohl die internationale
Zuständigkeit für Verbrauchersachen (Art. 13, 14 des Übereinkommens über die
gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968, BGBI.
1972 II S. 774, im folgenden EuGVÜ) als auch der unerlaubten Handlung (Art.
5 Nr. 3 EuGVÜ) begründet sei. § 661 a BGB verstoße nicht gegen das Verbot
der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG), weil es sich bei dieser
Vorschrift nicht um ein allgemeines Strafgesetz handele. Die Regelung sei
auch nicht wegen aus dem Rechtsstaats-, insbesondere aus dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herzuleitender Beschränkungen von
Doppelsanktionen verfassungswidrig.
II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung stand.
1. Die Klage ist zulässig.
Die deutschen Gerichte sind international zuständig. Die Revision bringt
insoweit keine Rüge vor; die auch unter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO n.F.
von Amts wegen gebotene Prüfung der internationalen Zuständigkeit ergibt
keine Bedenken (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002
- Rs. C-96/00 [Rudolf Gabriel] - EuGHE 2002 l 6367 Rn. 53 ff = NJW 2002,
2697, 2698 f; Senatsurteil vom 28. November
2002 - III ZR 102/02 - NJW 2003, 426 ff, vorgesehen zum Abdruck in BGHZ;
weiter zur Amtsprüfung: BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 203/02 - WM
2003, 1542, 1543; Urteil vom 11. Juli 2003 - V ZR 414/02 - NJW 2003, 2830).
2.
Die Klage ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten Zahlung von
4.601,63 € nebst Zinsen verlangen. Anspruchsgrundlage ist § 661 a BGB.
a) Der Streitfall ist nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch zu
entscheiden. Die Parteien haben jedenfalls im Prozeß deutsches Recht
gewählt, indem sie ihrem Vortrag übereinstimmend deutsches Recht zugrunde
gelegt haben.
b) Gemäß § 661 a BGB hat ein Unternehmer, der Gewinnzusagen oder
vergleichbare Mitteilungen an Verbraucher sendet und durch die Gestaltung
dieser Zusendungen den Eindruck erweckt, daß der Verbraucher einen Preis
gewonnen hat, dem Verbraucher diesen Preis zu leisten. Nach den nicht mit
einer Verfahrensrüge angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat
die Beklagte dem Kläger eine solche Gewinnzusage über 9.000 DM (= 4.601,63
€) zugesandt.
c) §661 a BGB ist nicht verfassungswidrig; es besteht kein Anlaß, gemäß
Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
einzuholen.
Die Revision macht unter Bezugnahme auf Schneider (BB 2002, 1653 ff)
geltend, § 661 a BGB greife unverhältnismäßig in die Grundrechte des
betroffenen Unternehmers aus Art. 2 Abs. 1, 12 GG ein. Die Vorschrift
verstoße gegen das Schuldprinzip (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG)
sowie gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG). Sie genüge
nicht dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Dieser Auffassung ist
indes nicht zu folgen.
aa) § 661 a BGB verstößt nicht gegen den im Rechtsstaatsprinzip begründeten
Grundsatz, daß jede Strafe - nicht nur die Strafe für kriminelles Unrecht,
sondern auch die strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht - Schuld
voraussetzt ("nulla poena sine culpa", z.B. BVerfGE20, 323, 331, st. Rspr.;
Jarass/Pieroth, GG 6. Aufl. 2002 Art. 20 Rn. 99 m.w.N.); er verletzt den
betroffenen Unternehmer nicht in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1,12
Abs. 1 GG.
§ 661 a BGB ordnet nicht eine Strafe an, d.h. eine Kriminalstrafe oder eine
andere staatliche Maßnahme, die eine mißbilligende hoheitliche Reaktion auf
ein schuldhaftes Verhalten enthält und ein "Übel" wegen eines rechtswidrigen
Verhaltens verhängt (vgl. st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts zum
Begriff der "Strafbarkeit" i.S. des Art. 103 Abs. 2 GG, z.B. BVerfGE42, 261,
262 f; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG [Stand Februar 2003] Art. 103 Rn.
195; Jarass/Pieroth aaO Art. 103 Rn. 41). Die Vorschrift kann auch nicht
zivilprozessualen Maßnahmen mit pönalem Charakter wie der Verhängung von
Ordnungsgeld zur Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen (§ 890 Abs. 1
ZPO) gleichgesetzt werden (anders wohl Schneider aaO S. 1657). § 661 a BGB
handelt von Ansprüchen zwischen Privaten (vgl. Schneider aaO S. 1656).
Mit der Einführung des § 661 a BGB wollte der Gesetzgeber einer verbreiteten
und wettbewerbsrechtlich unzulässigen Praxis entgegenwirken, daß Unternehmer
Verbrauchern Mitteilungen über angebliche Gewinne übersenden, um sie zur
Bestellung von Waren zu veranlassen, die Gewinne auf Nachfrage aber nicht
aushändigen (vgl. Senatsurteil aaO S. 428).
Nach Auffassung des Gesetzgebers hatten die Vorschriften des Gesetzes gegen
den unlauteren Wettbewerb die unzulässigen Gewinnspiele nicht
zurückgedrängt. Es erschien deshalb erforderlich, diese Vorschriften durch
zivilrechtliche Ansprüche zu unterlegen; der Unternehmer sollte beim Wort
genommen werden, um den Mißbrauch abzustellen (vgl. Beschlußempfehlung und
Bericht des Rechtsausschusses [6. Ausschuß] BT-Drucks. 14/3195 S. 33 f;
Begründung der Bundesregierung zu dem Entwurf eines Gesetzes über
Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur
Umstellung von Vorschriften auf Euro BT-Drucks. 14/2658 S. 48 f,
Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates
BT-Drucks. 14/2920 S. 15; Schmidt-Räntsch VuR 2000, 427, 434). Der durch §
661 a BGB begründete Anspruch des Verbrauchers gegen den Unternehmer auf
Leistung des Preises wird dementsprechend allgemein als zivilrechtlicher
Anspruch aufgefaßt; streitig ist allein dessen Einordnung innerhalb des
Zivilrechts (für vertragliche, rechtsgeschäftliche oder geschäftsähnliche
Einordnung der Gewinnzusage: Piekenbrock/Schulze IPRax 2003, 328, 332;
Lorenz NJW 2000, 3305, 3308 [Rechtsscheinhaftung], ders. IPRax 2002, 192,
193; Pfeiffer LMK 2003, 79, 80; Ring, Fernabsatzgesetz 2000 § 661 a BGB Rn.
172; wohl auch Feuchtmeyer NJW 2002, 3598, 3599; ähnlich Mankowski EWiR
2002, 873, 874; vgl. auch Kotzian-Marggraf in Bamberger/ Roth, BGB 2003 §
661 Rn. 1; Mansel in Jauernig, BGB 10. Aufl. 2003 § 661 a Rn. 1 f und 4;
MünchKommBGB/Micklitz 4. Aufl. 2001 § 13 Rn. 47 [Fiktion eines einseitigen
Rechtsgeschäfts]; für deliktische, deliktsähnliche oder
wettbewerbsrechtliche Qualifikation: Fetsch RIW 2002, 936, 938, 942; Leible
IPRax 2003, 28, 30 f; ders. NJW 2003, 407, 408; Rauscher/Schülke EuLF
2000/2001, 334, 337; Simons EuLF 2003, 41, 43 f; Schmidt-Räntsch aaO;
Staudinger JZ 2003, 852, 856; wohl auch Schneider aaO S. 1656).
§ 661 a BGB kann schließlich nicht - wie von Teilen des Schrifttums
(Schneider aaO S. 1656; Fetsch aaO S. 938; Leible IPRax 2003, 31; Rau-scher/Schülke
aaO S. 337; Simons aaO S. 43 f) erwogen - in die Nähe eines zivilrechtlichen
Strafschadensersatzes nach Art der "punitive damages" des US-amerikanischen
Rechts (vgl. BGHZ 118, 312, 334 ff) gerückt und deshalb als Regelung einer
Strafe oder strafähnlichen Sanktion angesehen werden.
Der US-amerikanische Strafschadensersatz wird durch die Momente der
Bestrafung und Abschreckung geprägt. Maßgebliche Voraussetzung ist allein
der gesteigerte Schuldvorwurf. Das Fehlen eines Rechtsanspruchs des
Geschädigten zeigt das untergeordnete Gewicht seiner Interessen. Die "punitive
damages" werden - nach dem freien Ermessen des Gerichts - wesentlich nach
dem Interesse der Allgemeinheit verhängt (vgl. BGHZ aaO S. 335 f, 343 f).
Demgegenüber knüpft § 661 a BGB an die - als einseitiges Rechtsgeschäft oder
geschäftsähnliche Handlung zu beurteilende (vgl.
Senatsurteil aaO S. 427) - Gewinnzusage oder vergleichbare Mitteilung
an, nimmt den Unternehmer beim "lauten Wort" (Mankowski aaO S. 874). Die
Vorschrift gibt dem Verbraucher nicht einen Schadensersatzanspruch, sondern
einen Erfüllungsanspruch auf den Preis. Dieser Anspruch ist der Art und der
Höhe nach durch die (vermeintliche) Gewinnzusage des Unternehmers bestimmt.
Handelt es sich bei dem Leistungsanspruch nach § 661 a BGB aber nicht um
eine Strafe oder eine sonstige strafähnliche hoheitliche Maßnahme, besteht -
wie bei anderen zivilrechtlichen Ansprüchen - von Verfassungs wegen kein
Grund für die Anwendung des Schuldprinzips.
bb) Die von der Revision gerügte Verletzung des dem Art. 103 Abs. 2 GG zu
entnehmenden Bestimmtheitsgrundsatzes ist zu verneinen. Dieser Grundsatz
greift nicht ein, wenn wie im Streitfall zivilrechtliche Verpflichtungen in
Rede stehen (vgl. BVerfGE 34, 269, 293; 84, 82, 89 [zivilgerichtliches
Verfahren]; Jarass/Pieroth aaO Rn. 41; Nolte in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG
4. Aufl. 2001 Art. 103 Rn. 109; Schmidt-Aßmann aaO Rn. 195; Rüping in Bonner
Kommentar GG [Zweitbearbeitung 1990] Art. 103 Rn. 85).
cc) Ebensowenig verstößt § 661 a BGB gegen das Verbot der doppelten
Bestrafung aufgrund der "allgemeinen Strafgesetze" (Art. 103 Abs. 3 GG). Der
an ein einseitiges Rechtsgeschäft oder eine geschäftsähnliche Handlung
knüpfende Erfüllungsanspruch nach §661 a BGB kann zu diesen Gesetzen nicht
gezählt werden.
dd) Der von der Revision herangezogene Grundsatz der angemessenen,
verhältnismäßigen Bestrafung ist nicht anwendbar, weil wie ausgeführt § 661
a BGB nicht eine Strafe, sondern einen zivilrechtlichen Anspruch regelt. Für
diesen Anspruch gelten allerdings die Generalklauseln des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (§§ 242, 826 BGB). Der vorliegende Fall bietet jedoch keinen
Anhalt für die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchs (vgl. Fetsch aaO S. 941).
Es geht um eine Forderung auf Zahlung von rund 4.600 € gegen ein
grenzüberschreitend tätiges Versandhandelsunternehmen. Das Berufungsgericht
hat nicht festgestellt, daß die Beklagte auch von anderen Verbrauchern in
Anspruch genommen wird; das wird von der Revision nicht bekämpft. Im
Hinblick auf die Zielsetzung des § 661 a BGB, unlautere Gewinnspiele wirksam
zu unterbinden, würde im übrigen die Inanspruchnahme des Unternehmers durch
mehrere Verbraucher einen Mißbrauch noch nicht begründen können. Das
Berufungsgericht hat zu Recht ausgeführt, daß der Unternehmer das Risiko,
aufgrund versandter Gewinnzusagen den Preis leisten zu müssen, selbst
steuern kann. |