Vertretung in der BGB-Gesellschaft: Grundsatz der Gesamtvertretung und konkludente Vollmachtserteilung


BGH, Urteil vom 14. Februar 2005 - II ZR 11/03


Fundstelle:

noch nicht bekannt


Amtl. Leitsätze:

Ein Gesellschafter ist kraft einer konkludent erteilten Vollmacht zur Vertretung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ermächtigt, wenn der andere Gesellschafter ihm gestattet, nahezu sämtliche Verträge (hier: 95 %) allein namens der Gesellschaft abzuschließen.


Zentrale Probleme:

In der sehr lehrreichen Entscheidung geht es um die Vertretungsnacht innerhalb der BGB-Gesellschaft. Dort gilt der Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung (§ 709 BGB) und daran gekoppelt der Grundsatz der Gesamtvertretung (§ 714 BGB). Um die Gesellschaft und damit alle Gesellschafter (s. dazu BGHZ 146, 341; 142, 315; BGH NJW 2003, 1803; BGH NJW 2003, 1445) vertraglich zu verpflichten, müssen also alle Gesellschafter gemeinsam handeln. Freilich können einzelne Gesellschafter bevollmächtigt werden. Genau darum - nämlich die konkludente Erteilung einer Vollmacht (§ 167 BGB) - geht es hier. Letztlich handelt es sich im konkreten Fall um eine sog. "Duldungsvollmacht", die nach zutreffender Auffassung eben nichts anderes ist als eine konkludent erteilte Vollmacht (s. dazu BGH NJW 1988, 1199 sowie BGH v. 20.4.2004 - XI ZR 171/03).

©sl 2005


Tatbestand:

Die Beklagte und M. R. sind paritätische Gesellschafter der inzwischen aufgelösten "Re. T. & M. R. GbR" (nachfolgend: GbR), die sich mit der Vermittlung und Verwaltung von Wohnungen befaßte. Die Geschäftsführung der GbR nahmen beide Gesellschafter gemeinsam wahr; eine besondere Regelung über die Vertretung der Gesellschaft ist nicht getroffen worden.
Die Klägerin und die S. Beteiligungsgesellschaft B. mbH & Co. OHG (nachfolgend: Beteiligungsgesellschaft) errichteten in B. eine seit Ende des Jahres 1999 bezugsfertige größere Wohnanlage, mit deren Erstvermietung sie die GbR betrauten. Die GbR übernahm der Klägerin und der Beteiligungsgesellschaft gegenüber durch einen allein seitens des Gesellschafters R. unterzeichneten Vertrag vom 6. August 1999 eine - im Gegenzug mit 295.000,00 DM zu vergütende - Mietgarantie für einen Zeitraum von 53 Monaten. Zur Sicherung der Ansprüche aus der Mietgarantie verpflichtete sich die GbR, einen Betrag in Höhe von 105.000,00 DM auf ein von der Beteiligungsgesellschaft einzurichtendes Treuhandkonto zu zahlen.
Die von der Beteiligungsgesellschaft zur alleinigen Prozeßführung ermächtigte Klägerin hat - neben dem gesondert verklagten Gesellschafter R. -die Beklagte als Gesellschafterin der GbR aus der - unbeglichenen - Mietgarantie auf Zahlung von 53.685,65 € (105.000,00 DM) in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage entsprochen. Im Berufungsrechtszug ist die Klägerin mit ihrem - im Hinblick auf Zahlungen des Gesellschafters R. um 2.229,25 € ermäßigten - Antrag abgewiesen worden. Mit ihrer von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren nunmehr nur noch auf Zahlung von 51.456,40 € gerichteten Antrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet und führt nach Maßgabe des Berufungsantrags der Klägerin zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Bei Abschluß des Vertrages mit der Klägerin sei die GbR durch den Gesellschafter R. mangels Mitwirkung der Beklagten nicht wirksam vertreten worden. Eine Alleinvertretungsbefugnis des Gesellschafters R. könne nicht aus seiner Zeugenaussage, die Verträge der GbR in einem Umfang von 95 % der Fälle ohne Einbeziehung der Beklagten abgeschlossen zu haben, hergeleitet werden. Diese Übung gestatte nicht den sicheren Schluß auf eine unbeschränkte Vertretungsmacht.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Beklagte, die als Gesellschafterin für Verbindlichkeiten der GbR persönlich einzustehen hat (BGHZ 146, 341, 358;
BGHZ 142, 315, 318 f.; BGH, Sen.Urt. v. 7. April 2003 - II ZR 56/02, BGH NJW 2003, 1803; BGH, Sen.Urt. v. 24. Februar 2003 - II ZR 385/99, NJW 2003, 1445), ist der Klägerin auf der Grundlage der berufungsgerichtlichen Feststellungen zur Zahlung von 51.456,40 € verpflichtet. Der Gesellschafter R. war kraft einer ihm von der Beklagten stillschweigend erteilten Vollmacht berechtigt, namens der GbR gegenüber der Klägerin und der Beteiligungsgesellschaft die Mietgarantie zu übernehmen.

1. Organschaftlicher (vgl. MünchKommBGB/Ulmer 4. Aufl. § 714 Rdn. 16) Vertreter der GbR war R. allerdings nicht. Der Umfang der Vertretungsmacht entspricht, sofern der Gesellschaftsvertrag - wie hier - keine besondere Regelung trifft, der Reichweite der Geschäftsführungsbefugnis (§§ 714, 709 BGB). Im Falle gemeinschaftlicher Geschäftsführungsbefugnis sind die Gesellschafter danach als Gesamtvertreter befugt, Verbindlichkeiten zu Lasten der Gesellschaft zu begründen.
2. Der Grundsatz der Gesamtvertretung gilt aber nicht ausnahmslos, vielmehr kann auch einer der Mitgesellschafter mit der alleinigen Vertretung der Gesellschaft betraut werden (MünchKommBGB/Ulmer aaO, § 714 Rdn. 22). Das muß nicht ausdrücklich, sondern kann auch in konkludenter Form (vgl. nur BGH, Urt. v. 5. November 1962 - VII ZR 65/61, LM § 167 BGB Nr. 13 Bl. 2; BGH, Urt. v. 17. Januar 1968 - VIII ZR 240/66, LM § 167 Nr. 15 Bl. 2; Soergel/ Leptien, BGB 13. Aufl. § 167 Rdn. 15; RGRK/Steffen, BGB 12. Aufl. § 167 Rdn. 6; Bamberger/Roth/Habermeier, BGB 2003, § 167 Rdn. 15) geschehen und einzelne Fälle betreffen oder generell gelten. An eine derartige Bevollmächtigung sind, wenn - wie hier - der Gesellschaftsvertrag formlos geschlossen wurde, keine besonderen Anforderungen zu stellen (BGHZ 16, 394, 396 f.; MünchKommBGB/Ulmer aaO, § 714 Rdn. 22; Staudinger/Habermeier, BGB 2002, § 714 Rdn. 2; zur KG: Sen.Urt. v. 13. März 1972 - II ZR 164/69, WM 1972, 615 f.; zur Bevollmächtigung eines Angestellten vgl. RG Gruchot 52, 937, 940). Das rechtsgeschäftliche Handeln für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts vollzieht sich insbesondere dann auf der Grundlage einer konkludent erteilten Vollmacht, wenn ein geschäftsführender Gesellschafter, indem er etwa seinen Wirkungskreis auf die internen Verhältnisse der Gesellschaft beschränkt, dem anderen geschäftsführenden Gesellschafter bei der Vertretung der Gesellschaft im Außenverhältnis freie Hand gewährt.
3. In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat hier die Beklagte den Gesellschafter R. stillschweigend zum Abschluß des Mietgarantievertrages bevollmächtigt.
a) Die Gesellschafter haben ihre Tätigkeitsfelder in der Weise aufgeteilt, daß die Beklagte sich vornehmlich der Bürotätigkeit gewidmet, während der Gesellschafter R. nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die geschäftlichen Kontakte hergestellt und in 95 % der Fälle die Verträge für die Gesellschaft allein geschlossen hat. Obwohl ihr durch die Wahrnehmung der Büroverwaltung ohne weiteres eine Einflußnahme auf den schriftlichen Geschäftsverkehr eröffnet war, hat es die Beklagte gebilligt, daß der Gesellschafter R. nahezu sämtliche Verträge ohne ihre Gegenzeichnung namens der GbR unterschrieben hat (vgl. RGZ 100, 48 f.). Diese während der gesamten Dauer des Gesellschaftsverhältnisses praktizierte einvernehmliche Arbeitsteilung rechtfertigt die Folgerung, daß die Beklagte den Gesellschafter R. stillschweigend bevollmächtigt hat, die Gesellschaft allein zu vertreten.
b) Dieser Würdigung steht - anders als das Berufungsgericht, das zu Unrecht eine organschaftliche Vertretungsregelung mit einer Vollmachterteilung neben dem Gesellschaftsvertrag gleichsetzt, meint - nicht der Umstand entgegen, daß der Gesellschafter R. "nur" 95 % der Verträge ohne Mitwirkung der Beklagten geschlossen hat. Die Mitwirkungsquote von 5 % ist nicht Ausdruck einer dem Gesellschafter R. erteilten, nach Art oder Größenordnung bestimmter Verträge beschränkten Vollmacht. Die Mitwirkung der weiter vertretungsberechtigten Beklagten an einzelnen Vertragsschlüssen ist kein Beleg dafür, daß sie ihren Mitgesellschafter nicht in der beschriebenen Weise bevollmächtigt hat (vgl. BGHZ 16, 394, 397).