Internationales
Gesellschaftsrecht im Verhältnis zu den USA: Geltung und Reichweite der
Gründungstheorie nach Art. VII, XXV Deutsch-amerikanischer
Freundschaftsvertrag; Erfordernis eines "genuine link"
BGH, Urteil vom 5. Juli
2004 - II ZR 389/02
Fundstelle:
NJW-RR 2004, 1618
ZIP 2004, 1549
WM 2004, 1683
s. auch EuGH Urteil v.
9.3.1999, Rs. C-212/97 "Centros", Slg. I 1999, 1459 = NJW 1999, 2027; EuGH, Urt. v.
5.11.2002 Rs. C-208/000 "Überseering", NJW 2002, 3614, EuGH, Urt. v.
30.9.2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art) sowie
BGH, Urt. v. 13. Oktober 2004 - I ZR 245/01
Amtl. Leitsatz:
Die Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten
einer in den USA nach dortigen Vorschriften gegründeten Gesellschaft (hier
einer "Inc.") mit Verwaltungssitz im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
richtet sich jedenfalls dann nach dem Gründungsrecht, wenn die Gesellschaft
geschäftliche Aktivitäten auch in den USA entfaltet.
Tatbestand:
Der Beklagte und A. F. waren Gesellschafter der S. Inc. mit registriertem
Sitz im Bundesstaat Delaware/USA und einer Repräsentanz in M. unter der
Adresse einer H. GmbH. Im September 1994 beauftragte der Kläger die S. Inc.,
seine 7.550 Aktien der Hu. Corporation in einem Depot der S. Inc. bei der
Al. B. Inc., Bo. (USA) verwahren zu lassen. Anläßlich einer
außerordentlichen Gesellschafterversammlung der S. Inc., die am 7. März 1995
in M. stattfand, wurde u.a. die Übernahme der Aktien des Klägers
festgestellt. Mit Schreiben vom 12. April 1995 teilte A. F. dem Kläger mit,
daß der Beklagte aus der S. Inc. ausgeschieden sei und deren neue Anschrift
nunmehr "c/o A. F. ..." laute. Unter dem 18. August 1996 unterzeichnete der
Kläger eine ihm übersandte englischsprachige Erklärung, wonach er u.a.
bestätigte, daß ihm im Zusammenhang mit der Tätigkeit der S. Inc. keine
Ansprüche gegen den Beklagten oder gegen die H. GmbH zustünden. Im November
1996 verstarb A. F.. Mit seiner im Mai 2001 erhobenen Klage verlangt der
Kläger von dem Beklagten Herausgabe der 7.550 Stück Aktien. Die S. Inc. habe
ihren tatsächlichen Verwaltungssitz immer in M. gehabt und sei als OHG zu
qualifizieren, weshalb der Beklagte für deren Verbindlichkeiten gemäß § 128
HGB hafte. Eine Enthaftung gemäß § 160 HGB sei mangels Eintragung seines
Ausscheidens im Handelsregister nicht eingetreten. Die am 18. August 1996
unterzeichnete Erklärung habe der Kläger nicht verstanden; sie habe ohnehin
gegen das AGB-Gesetz verstoßen.
Die in erster Instanz abgewiesene Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg.
Dagegen richtet sich die von dem Senat zugelassene Revision des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des
erstinstanzlichen Urteils.
I. Das Berufungsgericht meint, der rechtliche Status der als "S. Inc."
bezeichneten Gesellschaft richte sich nach deutschem Recht, weil ihr
tatsächlicher Verwaltungssitz sich in M. befunden habe. Da sie Bankgeschäfte
und somit Handelsgeschäfte i.S. von § 1 Abs. 2 Nr. 4 a.F. HGB betrieben
habe, sei sie ungeachtet ihrer fehlenden Eintragung im deutschen
Handelsregister als OHG anzusehen gewesen (§ 123 Abs. 2 HGB). Infolgedessen
schulde der Beklagte gemäß § 128 HGB Rückgabe der von der Gesellschaft
verwahrten Aktien. Auf eine Enthaftung entsprechend § 160 HGB könne sich der
Beklagte nicht berufen, weil für den Kläger der Rechtscharakter der S. Inc.
als OHG nicht erkennbar gewesen sei. Der vom Kläger unterzeichnete
Anspruchsverzicht vom 18. August 1996 sei unbeachtlich, weil der Kläger über
dessen Inhalt nicht aufgeklärt worden sei.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht übersieht schon in seinem kollisionsrechtlichen
Ausgangspunkt den hier einschlägigen Freundschafts-, Handels- und
Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den
Vereinigten Staaten von Amerika vom 29. Oktober 1954 (BGBl. II 1956, 487).
Nach Art. XXV Abs. 5 Satz 2 dieses Abkommens gelten Gesellschaften, die
gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in
dessen Gebiet errichtet sind, als Gesellschaften dieses Vertragsteils; ihr
rechtlicher Status wird in dem Gebiet des anderen Vertragsteils als solcher
anerkannt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist somit im
Geltungsbereich dieses Abkommens das Personalstatut einer Gesellschaft
grundsätzlich nicht an das Recht ihres Verwaltungssitzes, sondern an das am
Ort ihrer Gründung geltende Recht anzuknüpfen (vgl. BGH, Urt. v. 29. Januar
2003 - VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353). Das gilt sowohl hinsichtlich der
Frage der Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft (BGH aaO) als auch in
bezug auf die ebenfalls nach dem Personalstatut zu entscheidende Frage einer
Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten (vgl. BGH,
Urt. v. 23. April 2002 - XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359 f.) und folgt u.a.
auch daraus, daß Art. VII des Abkommens ausdrücklich Niederlassungsfreiheit
für Gesellschaften jedes Vertragsteils im Gebiet des anderen Vertragsteils
gewährt (vgl. BGHZ 153, 353, 357 f.). Insofern gilt hier ähnliches wie im
Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 und 48 EGV (dazu
EuGH, Urt. v. 5. November 2002 - Rs C-208/00
"Überseering", ZIP 2002, 2037; v. 30. September
2003 - Rs C-167/01 "Inspire Art", ZIP 2003, 1885 sowie BGH, Urt. v. 13.
März 2003 - VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185): Die in einem Vertragsstaat nach
dessen Vorschriften wirksam gegründete Gesellschaft ist in einem anderen
Vertragsstaat - unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes
- in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde (BGHZ 153, 353,
356 f.; 154, 185, 189).
2. Ob für den Anwendungsbereich des deutsch-amerikanischen Vertrages (aaO)
etwas anderes dann gilt, wenn es sich um eine nur zur Umgehung der
strengeren Vorschriften des deutschen Rechts in den USA gegründete
"Briefkastenfirma" handelt, die über keinerlei tatsächliche, effektive
Beziehungen (sog. "genuine link") zum Gründungsstaat verfügt und sämtliche
Aktivitäten ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland entfaltet
(vgl. OLG Düsseldorf ZIP 1995, 1009; Kindler in Münch.Komm./BGB 3. Aufl. Bd.
11 IntGesR Rdn. 253; a.A. Bungert, WM 1995, 2125, 2128 ff.; derselbe DB
2003, 1043 f.; Mäsch in: Bamberger/Roth, BGB Anh. Art. 12 EGBGB Rdn. 3;
Merkt, RiW 2003, 458 f.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 30. September 2003 aaO zu
Nr. 96), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn das
fragliche Erfordernis eines "genuine link" wird auch von seinen Befürwortern
nicht dahin verstanden, daß der tatsächliche Verwaltungssitz der
Gesellschaft sich im Gründungsstaat befinden muß. Ausreichend wäre vielmehr,
daß die Gesellschaft irgendwelche geschäftlichen Aktivitäten in den USA -
nicht notwendig im Gründungsbundesstaat (hier: Delaware) - entwickelt (vgl.
Kindler aaO; Mankowski, EWiR 2003, 661 f.; Paefgen, DZWIR 2003, 441, 443),
wofür z.B. das Bestehen eines Broker-Vertrages mit einem US-amerikanischen
Partner genügt (vgl. Ebenroth/Kemner/Willburger, ZIP 1995, 972, 974). Da die
S. Inc. für die ihr anvertrauten Aktien ein Depot bei der Al. B. Inc. in Bo.
unterhielt, ließe sich ein genuine link zu den USA nicht verneinen.
3. Richtet sich sonach das Personalstatut der S. Inc. nach amerikanischem
Recht, scheidet eine Haftung des Beklagten nach § 128 HGB aus. Nach
US-amerikanischem Recht, das der Senat mangels entsprechender Feststellungen
des Berufungsgerichts selbst feststellen kann (vgl. BGHZ 118, 151, 168; 122,
373, 378, 384), haftet der Gesellschafter einer "Inc." (Kapitalgesellschaft)
grundsätzlich nicht für die Gesellschaftsverbindlichkeiten (vgl. nur Ebke/Stadler,
RiW 1989, 413). Einer der Ausnahmefälle, in denen nach US-amerikanischem
Recht ein "Durchgriff" auf die Gesellschafter in Betracht käme (sog. "piercing
the corporate veil"; vgl. dazu Bungert, WM 1995, 2125, 2131; Merkt,
US-amerikanisches Gesellschaftsrecht 1991 Rdn. 313 ff.) ist nicht
vorgetragen.
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