Internationales
Gesellschaftsrecht: Gründungsanknüpfung im Verhältnis zu den USA, Existenz
und Reichweite des "genuine link"-Erfordernisses (Problem der
Scheinauslandsgesellschaften)
BGH, Urt. v. 13. Oktober 2004 - I ZR 245/01
Fundstelle:
IPRax 2005, 340
JuS 2005, 653
s. auch
BGH v. 5.7.2004 - II ZR
389/02 = ZIP 2004, 1549 sowie EuGH Urteil v.
9.3.1999, Rs. C-212/97 "Centros", Slg. I 1999, 1459 = NJW 1999, 2027; EuGH, Urt. v.
5.11.2002 Rs. C-208/000 "Überseering", NJW 2002, 3614, EuGH, Urt. v.
30.9.2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art)
s. auch BGH v. 14.3.2005 - II ZR 5/03
Amtl. Leitsatz:
Soweit mit dem Begriff des "genuine link" zur
Anerkennung der Rechtspersönlichkeit einer US-amerikanischen Gesellschaft
deren wirtschaftliche Anknüpfung an den Gründungsstaat zu fordern ist,
genügt bereits eine geringe Betätigung.
Tatbestand:
Die Klägerin ist eine am 16. Juni 1998 in San Francisco/Kalifornien
gegründete Gesellschaft nach kalifornischem Recht. Ihr in S. bei Nürnberg
wohnhafter Präsident ist Inhaber der am 5. Juni 1998 angemeldeten und am 26.
August 1998 für "Software, Computersoftware, Software für Computer, Rechner
und Computer oder Rechner gestützte Systeme" eingetragenen deutschen Marke
Nr. 398 31 465 "GEDIOS". Die Klägerin ist aufgrund eines in englischer
Sprache abgefaßten, am 26. Juni 1998 in San Francisco von ihrem Präsidenten
in dieser Eigenschaft und zugleich im eigenen Namen unterzeichneten
Vertrages Lizenznehmerin dieser Marke. Das Zeichen "GEDIOS" ist auch
Bestandteil der Firma der Klägerin.
Die Beklagte ist Inhaberin der am 15. April 1999 angemeldeten und am 23.
Juli 1999 eingetragenen Marke Nr. 399 22 179 "GeDIOS", die in Klasse 35
(Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten) und Klasse
36 (Finanzwesen, Geldgeschäfte) Schutz genießt. Sie bot Sparkassen in
Nordrhein-Westfalen und Brandenburg unter dieser Bezeichnung, die als
Abkürzung für "Geld- und Devisenhandels-Informations- und
Orderrouting-System" steht, ein Informations- und Handelssystem für Geld-
und Devisengeschäfte an. Mit Erklärung vom 29. August 2000 verpflichtete
sich die Beklagte gegenüber dem Präsidenten der Klägerin, diese Bezeichnung
für das System nicht mehr zu benutzen.
Die Klägerin sieht in der Benutzung der Bezeichnung "GeDIOS" durch die
Beklagte eine Verletzung ihres Firmenrechts. Sie hat die Beklagte deshalb
auf Unterlassung der Verwendung der Bezeichnung "GeDIOS" für das
elektronische "Geld- und Devisenhandels-Informations- und
Orderrouting-System", auf Feststellung der Schadensersatzverpflichtung, auf
Auskunftserteilung und auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung in
Anspruch genommen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat in Abrede gestellt, daß
die Klägerin wirksam errichtet worden sei und in der Bundesrepublik
Deutschland Trägerin von Rechten und Pflichten sein könne. Es handele sich
bei ihr offensichtlich um eine Scheinauslandsgesellschaft. Eine
Verwechslungsgefahr zwischen der geschäftlichen Bezeichnung der Klägerin und
der angegriffenen Bezeichnung bestehe nicht.
Das Landgericht hat eine Verwechslungsgefahr gemäß § 15 Abs. 2 MarkenG als
nicht gegeben angesehen und die Klage daher als unbegründet abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe
zurückgewiesen, daß es die Klage als unzulässig abgewiesen hat.
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die
Klägerin ihre Klageansprüche weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeit der Klage verneint, da die
Klägerin nicht parteifähig sei. Hierzu hat es ausgeführt:
Nach dem deutschen internationalen Privat- und Prozeßrecht sei die Rechts-
und Parteifähigkeit einer juristischen Person grundsätzlich nach dem Recht
ihres Sitzes zu bestimmen. Eine Gesellschaft, deren tatsächlicher
Verwaltungssitz in Deutschland liege, sei, wenn sie in kein deutsches
Register eingetragen sei, selbst dann nicht rechts- und parteifähig, wenn
sie im Ausland nach dem dortigen Recht wirksam gegründet worden sei.
Entsprechend verhalte es sich im Streitfall. Der Verwaltungssitz der
Klägerin befinde sich in S. , wo ihr Präsident, der bei ihr alle
Organfunktionen wahrnehme, seinen Wohnsitz habe. Geschäftsführungsakte in
den Vereinigten Staaten von Amerika fänden nicht statt.
Die Klägerin könne auch nicht nach Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des
Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (vom 29.
Oktober 1954 [BGBl. II 1956, S. 487; im folgenden: deutsch-amerikanischer
Handelsvertrag]) in Deutschland als rechts- und parteifähig anerkannt
werden. Dies gelte selbst dann, wenn man diese Vertragsbestimmung als
Kollisionsnorm des internationalen Privatrechts ansehe und daher von dem
Recht ausgehe, nach dem die Klägerin gegründet worden sei. Denn auch
solchenfalls seien tatsächliche effektive Beziehungen der Gesellschaft zu
den Vereinigten Staaten von Amerika wie etwa das Vorhandensein
US-amerikanischer Mitgesellschafter, eine organisatorische Präsenz in den
Vereinigten Staaten von Amerika oder dortige geschäftliche Aktivitäten
erforderlich, an denen es bei der Klägerin fehle.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben im
Ergebnis Erfolg. Die Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen es
nicht, die Parteifähigkeit der Klägerin wegen fehlender tatsächlicher
Beziehungen zu ihrem Gründungsstaat in den Vereinigten Staaten von Amerika
zu verneinen.
1. Die Bestimmung des Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des deutsch-amerikanischen
Handelsvertrages stellt eine staatsvertragliche Kollisionsnorm dar, der
gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EGBGB der Vorrang vor den Regeln des deutschen
internationalen Gesellschaftsrechts zukommt. Nach ihr gelten Gesellschaften,
die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in
dessen Gebiet errichtet sind, als Gesellschaften dieses Vertragsteils; ihr
rechtlicher Status wird in dem Gebiet des anderen Vertragsteils anerkannt.
a) Das Personalstatut (Gesellschaftsstatut) einer juristischen Person und
damit auch deren Rechts- und Parteifähigkeit im Verhältnis zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika richtet
sich grundsätzlich nach dem Recht des Staates, in dem die juristische Person
gegründet wurde (vgl. BGHZ 153, 353, 355 f.; BGH, Urt. v. 23.4.2002 - XI ZR
136/01, NJW-RR 2002, 1359, 1360; Urt. v. 5.7.2004 - II ZR 389/02, ZIP 2004,
1549, 1550). Eine in Übereinstimmung mit US-amerikanischen Vorschriften in
den Vereinigten Staaten von Amerika wirksam gegründete, dort rechts-und
parteifähige und noch bestehende Gesellschaft ist daher in der
Bundesrepublik Deutschland regelmäßig unabhängig davon rechts- und
parteifähig, wo sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz befindet (vgl. BGHZ
153, 353, 355, 357 f.; BGH ZIP 2004, 1549, 1550; MünchKomm.BGB/Kindler, 3.
Aufl., IntGesR Rdn. 245; Ebenroth/Bippus, NJW 1988, 2137, 2142).
b) Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist sie nach
kalifornischem Recht wirksam gegründet worden. Des weiteren steht außer
Streit, daß die Klägerin in Kalifornien ihren satzungsmäßigen Sitz hat und
dort auch rechtsfähig ist. Sie ist deshalb in der Rechtsform anzuerkennen,
in der sie gegründet worden ist (BGHZ 153, 353, 356 f.; 154, 185, 189).
2. Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung (vgl. Art. 100 Abs. 2
GG), ob einer in den Vereinigten Staaten von Amerika gegründeten
Gesellschaft in Deutschland die Anerkennung nach Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des
deutsch-amerikanischen Handelsvertrages zu versagen ist, wenn sie zu den
Vereinigten Staaten über das formale Band der Gründung hinaus über keine
tatsächlichen, effektiven Beziehungen ("genuine link") verfügt und ihre
geschäftlichen Aktivitäten allein in der Bundesrepublik Deutschland
entfaltet (vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1124, 1125; OLG Naumburg, Urt.
v. 19.12.1995 - 7 U 146/95, S. 6 ff., zit. nach juris; MünchKomm.BGB/Kindler
aaO IntGesR Rdn. 250; ders. in BB 2003, 812; Ebenroth/Bippus, NJW 1988, 2137
f.; Ebenroth/Kemner/Willburger, ZIP 1995, 972 ff.; Hohloch, JuS 1995, 1037,
1038; Bausback, DNotZ 1996, 254, 258; Mankowski, EWiR 2003, 661, 662; vgl.
auch BGH ZIP 2004, 1549, 1550 m.w.N.). Denn das fragliche Erfordernis eines
"genuine link" wird auch von seinen Befürwortern nicht dahin verstanden, daß
der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft sich im Gründungsstaat
befinden muß. Ausreichend ist vielmehr, daß die Gesellschaft irgendwelche
geschäftlichen Aktivitäten in den USA - nicht notwendig im
Gründungsbundesstaat - entwickelt (vgl. BGH ZIP 2004, 1549, 1550; MünchKomm.BGB/Kindler aaO IntGesR Rdn. 245; Mankowski, EWiR 2003, 661 f.;
Paefgen, DZWIR 2003, 441, 443).
a) Bei den inhaltlichen Anforderungen an den "genuine link" ist zu beachten,
daß dieses Erfordernis Mißbräuchen entgegenwirken soll und daher nur in
extrem gelagerten Ausnahmefällen zur Korrektur der staatsvertraglich
festgelegten Anerkennung führen kann (vgl. MünchKomm.BGB/Kindler aaO IntGesR
Rdn. 253; Paefgen, DZWIR 2003, 441, 443). Es verlangt daher nicht, daß sich
der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft im Gründungsstaat befindet
(vgl. Mankowski, EWiR 2003, 661, 662). Das "genuine link"-Erfordernis ist
vielmehr regelmäßig bereits mit der Ausübung einer auch nur geringen
wirtschaftlichen Tätigkeit im Gründungsstaat erfüllt (vgl. Ebenroth/Kemner/
Willburger, ZIP 1995, 972, 975; Paefgen, DZWIR 2003, 441, 443). Dafür kann -
was das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet hat - bereits eine
geringe werbende Tätigkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika
ausreichen. Eine solche ist im Streitfall gegeben.
b) Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist zu entnehmen, daß die
Klägerin in den USA über einen Telefonanschluß verfügt, der eingehende
Anrufe jedenfalls an einen Anrufbeantworter oder an einen Servicedienst
weiterleitet. Die genannten technischen Einrichtungen sind ersichtlich
darauf angelegt, wirtschaftliche Tätigkeit auch im US-amerikanischen Bereich
zu entfalten. Es kommt hinzu, daß die Klägerin nach ihrem von der Beklagten
nicht substantiiert bestrittenen Vortrag in San Francisco unter Vereinbarung
des amerikanischen Rechts einen Lizenzvertrag nicht nur über eine deutsche
Marke, sondern auch über eine in den Vereinigten Staaten von Amerika
geschützte Software für ein Datenbankenentwicklungstool abgeschlossen hat.
Soweit das Berufungsgericht zur Verneinung wirtschaftlicher Aktivitäten der
Klägerin in den Vereinigten Staaten von Amerika im übrigen auch den Vortrag
der Klägerin zu ihren Aktivitäten im Inland aufgegriffen hat, hat es
unberücksichtigt gelassen, daß die Klägerin diese Aktivitäten zur Begründung
eines Firmenschutzes im Inland (Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 PVÜ)
vorgetragen hatte.
III. Danach konnte das die Klage als unzulässig abweisende Urteil des
Berufungsgerichts keinen Bestand haben. Es war deshalb aufzuheben und die
Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
|