Kein konkludenter
Widerruf einer postmortalen Vollmacht durch den Erben bei fehlendem
Erklärungsbewußtsein; Abgrenzung der Schenkung von Todes wegen (§ 2301 BGB)
von der Schenkung unter Lebenden (§ 518 BGB)
BGH, Urteil vom 29.11.1994
- XI ZR 175/93
Fundstelle:
NJW 1995, 953
Amtl. Leitsatz:
Soll schlüssiges
Verhalten ohne Erklärungsbewußtsein als Willenserklärung behandelt werden,
muß der sich Äußernde fahrlässig bei dem Erklärungsempfänger das Vertrauen
auf einen bestimmten Erklärungsinhalt geweckt haben. Das schließt eine
entsprechende Wertung zu Lasten des Erklärungsempfängers (hier: die
Behandlung als Widerruf einer dem Erben unbekannten Vollmacht gegenüber dem
vom Erblasser Bevollmächtigten) aus.
Zentrale Probleme:
Es geht um die Wirkung bzw. den Widerruf
einer transmortalen Vollmacht. Da der BGH diesen mangels
Erklärungsbewußtsein verneint, hatte der Empfänger der Wertpapiere im Wege
der Übereignung durch den Stellvertreter Eigentum erworben. Der BGH weist
allerdings zurück, weil damit die Frage des Rechtsgrundes in keiner Weise
geklärt ist. Handelte es sich nämlich um eine Schenkung von Todes wegen,
wäre diese formunwirksam, weil nach § 2301 I BGB die Vorschriften über
letztwillige Verfügungen anwendbar wären. Eine Heilung hätte nach § 2301 II
BGB Vollzug durch den Erblasser, d.h. zu Lebzeiten des Erblassers
vorausgesetzt (s. dazu auch RGZ
83, 223 im "Bonifatius"-Fall). Damit könnten die Erben die Wertpapiere
im Wege der Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Alt. 1 BGB) zurückfordern. Liegt
dagegen eine Schenkung unter Lebenden vor, kann nach § 518 II BGB auch noch
durch postmortalen Vollzug geheilt werden, so daß ein Rechtsgrund vorliegt
und die Erben keinen Anspruch aus Leistungskondiktion haben. Maßgebendes
Unterscheidungskriterium ist dabei die Überlebensbedingung: Sollte - was
hier naheliegt - die Schenkung nur dann gelten, wenn der Beschenkte den
Erblasser überlebt, ist § 2301 BGB einschlägig. Sollte sie auch gelten, wenn
der Beschenkte vor dem Erblasser stirbt (d.h. dann dessen Erben zugute
kommen), liegt eine Schenkung unter Lebenden i.S.v. § 518 BGB vor.
Zum Erfordernis des Erklärungsbewußtseins s. auch
BGH
NJW-RR 1986, 415 sowie insbesondere
BGHZ
91, 324 ff und BGH v.
5.10.2006 - III ZR 166/05.
Zum Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall, der nach der Rspr.
vollständig der Schenkung unter Lebenden unterstellt wird, s. die Anm. zu
BGH v. 18.1.2005 - X ZR
264/02 sowie
BGH NJW 2004, 767.und
BGH NJW 2008, 2702.
©sl 2005
Tatbestand:
Die Kl. ist Alleinerbin ihres am 12. 5. 1992 durch Selbsttötung verstorbenen
Ehemanns H (Erblasser). Die Eheleute lebten zuletzt getrennt. Der Erblasser
hatte zwei Monate vor seinem Tode die Bekl. in seine Wohnung aufgenommen. Er
war Eigentümer von Wertpapieren im Werte von 170000 DM. Die Kl. hat
unmittelbar nach dem Tode ihres Ehemanns ihre Tochter, die Zeugin P,
gebeten, in der Wohnung des Erblassers nach den Papieren zu suchen und sie
ihr zu bringen. Die Zeugin P traf sich am Tage nach dem Tode des Erblassers
in dessen Wohnung mit der Bekl., der Zeugin C und weiteren Verwandten. Sie
erklärte den Anwesenden, sie solle die Wertpapiere holen, und fragte sie, ob
sie wüßten, wo sie seien. Dies wurde verneint. Bei der anschließenden Suche
wurden die Papiere nicht gefunden. Einige Tage später hat die Zeugin C der
Bekl. die Papiere übergeben. Die Bekl. trägt vor: Der Erblasser habe ihr
etwa zwei Wochen vor seinem Tode erklärt, falls ihm etwas passiere, sei für
sie gesorgt; bei der Zeugin C, die Bescheid wisse, liege etwas für sie
bereit. Tatsächlich habe der Erblasser die Wertpapiere in einem
verschlossenen Umschlag der Zeugin C, einer Tante des Erblassers, mit der
ihn ein besonderes Vertrauensverhältnis verband, übergeben und sie
beauftragt, den Umschlag der Bekl. weiterzugeben, falls ihm etwas passiere.
Die Kl. hat erst einige Zeit später erfahren, daß sich die Papiere bei der
Bekl. befinden. Sie macht geltend, daß die Papiere zum Nachlaß gehören, und
fordert ihre Herausgabe, soweit sie noch im Besitz der Bekl. sind; im
übrigen beansprucht sie den Verkaufserlös. Die Bekl. beruft sich auf eine
wirksame Schenkung und beantragt die Abweisung der Klage.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Das BerGer. hat die Berufung der Bekl.
zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat zur Begründung ausgeführt: Der Erblasser sei bis zu
seinem Tode Eigentümer der Wertpapiere gewesen. Anhaltspunkte dafür, daß er
sie schon zu Lebzeiten an die Zeugin C oder an die Bekl. übereignet habe,
lägen nicht vor. Die Kl. sei mit dem Erbfall Eigentümerin der Wertpapiere
geworden. Sie habe das Eigentum auch nicht dadurch verloren, daß die Zeugin
C als Vertreterin des Erblassers die Papiere an die Bekl. übereignet habe.
Zwar habe nach dem Vortrag der Bekl. eine über seinen Tod hinausreichende
Vollmacht des Erblassers zur Übereignung der Papiere an die Bekl.
vorgelegen. Diese Vollmacht sei jedoch frei widerruflich gewesen, zunächst
durch den Erblasser, nach dessen Tod durch die Kl. In der Suche nach den
Papieren liege ein Widerruf der Übereignungsvollmacht, den die Zeugin P in
Vertretung und mit Vollmacht ihrer Mutter erklärt habe. Die Kl. und ihre
Tochter hätten zwar nicht gewußt, wo die Papiere waren und daß der Erblasser
der Zeugin C eine Vollmacht zur Übereignung an die Bekl. erteilt hatte. Mit
der Suche nach den Papieren habe die Kl. für die Zeugin C und die Bekl. aber
deutlich erkennbar zum Ausdruck gebracht, daß sie die Papiere haben wolle
und daß sie nicht weggegeben werden sollten. Darin sei im Wege der
ergänzenden Auslegung ein Widerruf der vom Erblasser erteilten Vollmacht zu
sehen. Die Zeugin C, die das Kuvert von dem Erblasser zur Weitergabe an die
Bekl. erhalten habe und die Bekl., die gewußt habe, daß der Erblasser für
sie etwas bei der Zeugin C hinterlassen hatte, hätten diesen hypothetischen
Willen der Kl. erkennen und die Suche nach den Papieren als
Vollmachtswiderruf verstehen müssen. Eine spätere Genehmigung der Kl. sei zu
verneinen.
II. Diese Ausführungen halten in wesentlichen Punkten rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
1. Zu Unrecht hat das BerGer. in der Suche nach den Papieren einen
Widerruf der Vollmacht gesehen. Der Widerruf setzt als Willenserklärung
das Bewußtsein voraus, daß eine rechtsgeschäftliche Erklärung wenigstens
möglicherweise erforderlich ist (vgl.BGH, LM § 398 BGB Nr. 20 = WM 1968,
775). Soweit einem tatsächlichen Verhalten auch ohne ein solches
Erklärungsbewußtsein oder ohne einen Rechtsbindungswillen die Wirkungen
einer Willenserklärung beigelegt werden (vgl. BGHZ 109, 171 (177) = NJW
1990, 454 = LM § 152 ZVG Nr. 4 m.w. Nachw.), geschieht dies zum Schutze des
redlichen Rechtsverkehrs und setzt einen Zurechnungsgrund voraus, der nur
dann gegeben ist, wenn der sich in mißverständlicher Weise Verhaltende bei
Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und
vermeiden können, daß die in seinem Verhalten liegende Äußerung nach Treu
und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefaßt werden
durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat. Diese
Grundsätze gelten insbesondere auch für schlüssiges Verhalten ohne
Erklärungsbewußtsein, wie es hier vorlag (BGHZ 109, 171 (177) = NJW 1990,
454 = LM § 152 ZVG Nr. 4). Soll es als Willenserklärung rechtliche Folgen
haben, muß der sich Äußernde fahrlässig bei dem Erklärungsempfänger das
Vertrauen auf einen bestimmten Erklärungsinhalt seines Verhaltens geweckt
haben. Dieser Begründungsansatz und der Schutzzweck schließen es aus, aus
einem tatsächlichen Verhalten ohne Erklärungsbewußtsein Rechtsfolgen zu
Lasten Dritter herzuleiten. Die Außerachtlassung der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt durch den „Erklärenden“ ist kein vernünftiger Grund,
seine Rechtsstellung zu verbessern; bei ihm fehlt es im übrigen an einem
durch sein eigenes Verhalten geschaffenen schutzwürdigen Vertrauen.
Die Zeugin P wußte nichts von einer durch den Erblasser erteilten
Vollmacht. Sie war mit der Suche nach den Papieren beauftragt. Die
Ausführung dieses Auftrags schloß ein irgendwie geartetes, auf die ihr
unbekannte Vollmacht gerichtetes Erklärungsbewußtsein aus. Für eine
ergänzende Auslegung ihres zur Erzeugung von Rechtswirkungen ungeeigneten
Verhaltens ist deshalb kein Raum.
2. Das angefochtene Urteil konnte somit keinen Bestand haben. Eine eigene
Sachentscheidung war dem erkennenden Senat nicht möglich.
a) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Auffassung des BerGer., die Kl.
habe die Übereignung der Wertpapiere an die Bekl. nicht nachträglich
genehmigt, rechtsfehlerfrei. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden,
daß die spätere Äußerung der Kl., die Bekl. solle die Papiere behalten, wenn
sie diese rechtmäßig erworben habe, nicht als Genehmigung gewertet worden
ist. Mit ihrer abweichenden Deutung ersetzt die Revision die tatrichterliche
Würdigung in unzulässiger Weise durch ihre eigene.
b) Das BerGer. hat den Vortrag der Bekl. über die vom Erblasser getroffenen
Anordnungen als richtig unterstellt. Es wird nunmehr über Inhalt und Zweck
dieser Anordnungen Feststellungen zu treffen und sich gegebenenfalls mit der
Frage auseinanderzusetzen haben, ob in diesen Anordnungen ein
Schenkungsversprechen lag. Wird das bejaht, ist zu prüfen, ob es sich um
ein Schenkungsversprechen unter Lebenden handelte, das erst nach dem Tode
des Versprechenden vollzogen werden sollte und konnte (vgl. BGH, NJW
1984, 480 (481) = LM § 331 BGB Nr. 8; NJW 1987, 840 = LM § 2301 BGB Nr. 11;
NJW 1988, 2731 = LM vor § 1922 BGB Nr. 3), oder ob ein wegen
Nichteinhaltung der Form des § 2301 I BGB nichtiges Schenkungsversprechen
auf den Todesfall anzunehmen ist, das nicht durch vom Erblasser beauftragte
Personen geheilt werden konnte (vgl. BGHZ 99, 97 (100) = NJW 1987, 840 =
LM § 2301 BGB Nr. 11 m.w.Nachw.; BGH,NJW 1988, 2731 (2732) = LM vor § 1922
BGB Nr. 3). Soweit das Verhalten der Zeugin C als Bevollmächtigte des
Erblassers unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauchs der Vollmacht gegenüber
den Erben zu beurteilen ist, wird auf die dazu vom erkennenden Senat
entwickelten Grundsätze (NJW 1995, 250 = WM 1994, 2190 (2192)) hingewiesen.
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