Unmöglichkeit bei beschränkter
Gattungsschuld (Vorratsschuld): Anteilige Befriedigung aller Gläubiger
bei unzureichender Größe der Gattung?
RG, II. Zivilsenat. Art. v. 3. Februar 1914 i.S. W. (Bekl.) w. Zuckerfabrik M (Kl.) Rep. II. 625/13 Fundstelle: RGZ 84, 125
Es geht um das Problem der Haftung
wegen Unvermögens bei Gattungsschulden. Gem. § 279 BGB haftet
der Schuldner hier verschuldensunabhängig, sofern die Leistung aus
der Gattung überhaupt möglich ist, die Gattung also existiert.
Da hier nicht eine Ware (Zuckerrübensamen) schlechthin, sondern Zuckerrübensamen
aus dem Anbau des Schuldners eines bestimmten Jahres geschuldet war, lag
eine beschränkte Gattungsschuld (Vorratsschuld) vor (vgl. dazu
Lorenz/Riehm,
JuS Lern CD Zivilrecht I Rn. 137 sowie
RGZ
91, 312). Der Schuldner hatte auch genug geerntet, um den Gläubiger
zu befriedigen. Allerdinsg hatte er aufgrund einer Mißernte nicht
ausreichend Ware, um alle Gläubiger zu befriedigen, weshalb
er sie anteilig befriedigt hatte. Damit lag eigentlich kein Fall der Haftung
nach § 325 BGB vor. Das RG verneint dies unter Hinweis auf §
242 BGB: Der Schuldner ist nicht schlechthin zur Leistung, sondern zur
Leistung nach Treu und Glauben verpflichtet. Deshalb darf er alle Gläubiger
anteilig befriedigen, ohne nach § 325, 279 BGB verschuldensunabhängig
auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu haften (vgl. auch Medicus
BürgR Rn. 256: Die Gläubiger bilden eine "Gefahrengemeinschaft").
Dogmatisch wird dies vom RG so konstruiert, daß - wenn der Schuldner
nach § 242 BGB zunächst alle Gläubiger anteilig befriedigt
und dadurch den gesamten Vorrat aufbraucht - die Tatbestandsvoraussetzung
des § 279 BGB ("... solange die Leistung aus der Gattung möglich
ist ...") nicht mehr vorliegt. Damit liegt ein "Vertretenmüssen" der
Unmöglichkeit i.S.v. § 325 BGB nur im Falle von Verschulden (§
276 BGB: Vorsatz oder Fahrlässigkeit) vor. Es kommt dann also darauf
an, ob der Schuldner die Mißernte zu vertreten hat. Aus diesem Grund
hat das RG im vorliegenden Fall zurückverwiesen, um die hierzu nötigen
Feststellungen zu treffen.
Amtl. Leitsatz: Kann der Verkäufer, wenn mehrere im voraus von der Jahresernte eines von ihm allein angebauten Erzeugnisses gekauft haben und die Ernte zur Befriedigung aller Käufer nicht ausreicht, jeden der Käufer auf einen verhältnismäßigen Anteil verweisen? Anfangs Juni 1909 verkaufte der Beklagte Wesche an die Klägerin “je 200 Zentner Zuckerrübensamen Wesche’s zuckerreichste Elite für die Jahre 1910, 1911 und 1912 zum Preise von 26 M per 50 kg netto, Lieferung im Monat Februar der betreffenden Jahre”. Im Februar 1912 lieferte er von den dritten 200 Zentnern nur 92, 108 dagegen nicht, weil von dem nicht im Handel befindlichen, ausschließlich von ihm selbst gezüchteten Samen im Jahre 1911 infolge der außerordentlichen Trockenheit anstatt durchschnittlich zu erwartender 4908 Zentner nur 993,35 Zentner gewonnen seien und er daher, um einen Teil seiner Käufer nicht leer ausgehen zu lassen, verpflichtet gewesen sei, diese Gesamternte nach Verhältnis zu verteilen. Da er im ganzen 2160 Zentner der Ernte von 1911 verkauft gehabt, habe die Klägerin nur Anspruch gehabt auf 200/2160 von 993, 35 Zentnern. Soviel habe sie mit 92 Zentnern, gleich 46% bekommen. Die Klägerin, die diese Verteilung nicht gelten lassen wollte, behauptete, sich wegen der nicht gelieferten 108 Zentner mit 90 M für den Zentner eingedeckt zu haben. Sie verlangte klagend den Unterschied mit 6912 M zuzüglich 93,70 M Fracht = 7005,70 M. Während die Kammer für Handelssachen die Klage abwies, erklärte das Oberlandesgericht den Anspruch der Klägerin dem Grunde nach für berechtigt. Die Revision hatte Erfolg aus folgenden Gründen: “Mit Recht stellt das Berufungsgericht zunächst fest, was der Beklagte verkauft hat, was also die beteiligten Verkehrskreise unter “Zuckerrübensamen, Wesche’s zuckerreiche Elite” verstehen. So genannt wird ein Same, den der Beklagte Wesche in bestimmter Weise aus Stecklingen auf beschränktem Areal gewinnt, den niemand sonst züchtet, der daher im Zuckrrübenbau als “Spezialität” bezeichnet wird und im freien Handel im allgemeinen nicht zu haben ist. Danach geht der Berufungsrichter zutreffend davon aus, daß der Kaufgegenstand im Sinne des § 279 BGB der Gattung nach bestimmt war. Aber die Gattung war eine beschränkte; was der Beklagte nicht 1911 auf seinem und seiner Anbauer Grund und Boden in der bezeichneten Weise gezogen hatte, gehörte nicht dazu, und irrig ist die Meinung des Berufungsgerichts, im Notfalle habe auch gleichwertiger Ersatzsame mit zur Gattung gerechnet werden müssen. Das widerspricht der Feststellung, Gegenstand des Kaufes habe nur die eigene Züchtung des Beklagten sein sollen. Dieser Abmachung gegenüber konnte die Käuferin eigene Züchtung des Beklagten verlangen, der Beklagte sich aber grundsätzlich auf sein Unvermögen, zu leisten, schon dann berufen, wenn er selbst gezüchtete zuckerreiche Elite nicht mehr liefern konnte, nicht erst dann, wenn er auch gleichwertige Ersatzware nicht zu beschaffen vermochte. Das Unvermögen befreite den Beklagten freilich erst, wenn die Leistung aus der Gattung überhaupt nicht mehr möglich war; solange dies nicht zutraf, hatte er sein Unvermögen zur Leistung auch dann zu vertreten, wenn ihm ein Verschulden nicht zur Last fiel (§ 279 BGB). Diesem Satze entnimmt der Berufungsrichter die Grundlage seiner Entscheidung. Da der Beklagte, so ist sein Gedankengang, zwar nicht die für den Regelfall mit 12 Zentnern auf jeden seiner 409 Morgen Landes voreinzuschätzende Ernte, also nicht insgesamt 4908 Zentner des verkauften Zuckerrübensamens, im Jahre 1911 gewonnen, wohl aber zur Deckung der an Klägerin verkauften 200 Zentner völlig genügende 993, 35 Zentner, da weiter der Beklagte nicht bestritten habe, im Februar 1912 mehr als 200 Zentner hiervon noch zur Verfügung gehabt zu haben, so habe die vertragsmäßige Leistung tatsächlich erfolgen können. Das Unvermögen des Beklagten, die 200 Zentner der Klägerin zu liefern, ohne gleichzeitig die übrigen Abnehmer der insgesamt verkauften 2160 Zentner ganz oder teilweise zu schädigen, berühre die Klägerin nicht. Die Leistung aus der Gattung sei objektiv noch möglich gewesen, und des Beklagten Verpflichtung gegenüber anderen Käufern des Samens habe für das Vertragsverhältnis der Parteien außer betracht zu bleiben. Mit Recht wendet sich hiergegen die Revision. Sie bezeichnet es als Fehler, daß der Berufungsrichter in einem Falle wie dem vorliegenden, in welchem die Leistung aus einer bestimmten, nur im begrenzten Maße vorhandenen Gattung zu erfolgen habe, ein Unmöglichkeit der Leistung erst dann annehmen wolle, wenn durch Aufteilung unter die einzelnen Käufer über die Gattung vollständig verfügt sei, der Verkäufer also tatsächlich nichts mehr in der Hand habe, nicht aber schon dann, wenn die wirklich geerntete Menge nicht entfernt genüge, den Kaufverpflichtungen, in ihrer Gesamtheit betrachtet, nachzukommen, der Verkäufer sich daher zu einer verhältnismäßigen Teilung der ganzen Ernte entschließe und nun, nachdem er einem seiner Abnehmer den auf ihn entfallenden Anteil ausgekehrt, für diesen nichts mehr übrig habe, es sei denn, daß er die Anteile der anderen verkürzen wollte. Schon die Entscheidung des erkennenden Senats vom 23. Februar 1904 - Bd. 57 S. 116 der Sammlung - zwinge zu der weiteren Auslegung des Begriffs der Unmöglichkeit dahin, daß es ihr gleichstehe, wenn die Beschaffung von Gegenständen aus der geschuldeten Gattung für den Verkäufer auf Schwierigkeiten stoße, die ihm billigerweise niemand zumuten könne. Es kann auf sich beruhen, ob der Beklagte auf diesem
zuletzt angeregten Wege zum Ziel gelangen könnte. Unbedenklich hat
der Beklagte aber mir seinem Angriffe Recht, so weit er darauf hinausläuft,
daß der Berufungsrichter bei Prüfung der Frage nach einer Unmöglichkeit
der Leistung diese Leistung selbst nicht richtig bestimmt, bei ihrer Umgrenzung
vielmehr den § 242 BGB verletzt habe.
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