Amtshaftung der
Mitgliedstaaten für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch
mitgliedstaatliche letztinstanzliche Gerichte (Ergänzung zu
EuGH, Rs. C 224/01 v. 30.09.2003 - Köbler)
EuGH, Urteil v. 13.06.2006,
Rs. C-173/03 (Traghetti del Mediterraneo)
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Tenor:
1. Das
Gemeinschaftsrecht steht nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die
allgemein die Haftung des Mitgliedstaats für Schäden ausschließen, die dem
Einzelnen durch einen einem letztinstanzlichen Gericht zuzurechnenden
Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, wenn sich dieser
Verstoß aus einer Auslegung von Rechtsvorschriften oder einer Sachverhalts‑
und Beweiswürdigung durch dieses Gericht ergibt.
2. Das Gemeinschaftsrecht steht ferner nationalen Rechtsvorschriften
entgegen, die diese Haftung auf Fälle von Vorsatz oder grob fehlerhaftem
Verhalten des Richters begrenzen, sofern diese Begrenzung dazu führt, dass
die Haftung des betreffenden Mitgliedstaats in weiteren Fällen
ausgeschlossen ist, in denen ein offenkundiger Verstoß gegen das anwendbare
Recht im Sinne der Randnummern 53 bis 56 des Urteils vom 30. September 2003
in der Rechtssache C‑224/01 (Köbler) begangen wurde.
Zentrale Probleme:
Es geht um die Staatshaftung für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht.
Die Entscheidung resümiert die im
Francovich-Urteil entwickelten Haftungsvoraussetzungen und wiederholt
bzw.- präzisiert die im Urteil Köbler
dargelegte Haftung auch für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch
letztinstanzliche Gerichte (zur Haftung für legislatives Unrecht s.
BGH v. 24.11.2005 - III ZR 4/05
m.w.N.):
Nach italienischem Recht ist jegliche Haftung des Mitgliedstaats für Schäden
ausgeschlossen, die dem Einzelnen dadurch entstanden sind, daß ein
letztinstanzliches nationales Gericht gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen
hat. Voraussetzung ist, daß sich dieser Verstoß aus einer Auslegung von
Rechtsvorschriften oder einer Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch dieses
Gericht ergibt. Sollte dies nicht gegeben sein, ist nach italienischem
Gesetz die Haftung des Mitgliedstaates auf Fälle von Vorsatz und grob
fehlerhaftem Verhalten des Richters begrenzt. Das Tribunale wollte vom EuGH
wissen, ob diese Rechtslage mit Gemeinschaftsrecht im Einklang steht.
Der EuGH verneint das. Grundsätzlich sei ein Mitgliedstaat zum Ersatz der
Schäden verpflichtet, die dem Einzelnen durch diesem Mitgliedstaat
zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstünden. Dabei komme
es nicht darauf an, welches Staatsorgan den Verstoß begangen habe, so daß
dies auch für Verstöße der rechtsprechenden Gewalt gelte. Dies gelte umso
mehr, als die Rechtsprechung beim Schutz der sich für den Einzelnen aus dem
Gemeinschaftsrecht ergebenden Rechte eine erhebliche Rolle spiele. Die
Begrenzung der Haftung des Staates auf Fälle von Vorsatz oder grob
fehlerhaftem Verhalten des Richters erklärte der EuGH für
gemeinschaftsrechtswidrig, soweit dies dazu führe, daß diese Haftung in
Fällen ausgeschlossen ist, in denen ein offenkundiger Verstoß gegen das
anwendbare Recht begangen worden ist. Ob ein offenkundiger Verstoß vorliege,
bemesse sich nach einer Reihe von Kriterien wie dem Maß an Klarheit und
Präzision der verletzten Vorschrift, der Entschuldbarkeit des unterlaufenen
Rechtsirrtums oder der Verletzung der Vorlagepflicht durch das in Rede
stehende Gericht.
Ein Verstoß werde jedenfalls angenommen, wenn die fragliche Entscheidung die
einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes offenkundig verkenne. Folglich
könne zwar nicht ausgeschlossen werden, daß das nationale Recht die
Kriterien hinsichtlich der Natur oder des Grades des Verstoßes festlege, die
erfüllt sein müßten, damit der Staat für einen einem letztinstanzlichen
nationalen Gericht zuzurechnenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht
hafte. Doch könnten mit diesen Kriterien auf keinen Fall strengere
Anforderungen aufgestellt werden, als sie sich aus der Voraussetzung eines
offenkundigen Verstoßes gegen das geltende Recht ergäben.
©sl 2006
Urteil:
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft den Grundsatz der
außervertraglichen Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die dem
Einzelnen durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind,
und die Voraussetzungen für die Auslösung dieser Haftung, wenn dieser
Verstoß einem nationalen Gericht zuzurechnen ist.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens, das die Traghetti
del Mediterraneo SpA, ein derzeit in Liquidation befindliches
Seeschifffahrtsunternehmen (im Folgenden: TDM), gegen die Italienische
Republik eingeleitet hat, um den Schaden ersetzt zu bekommen, den sie
dadurch erlitten habe, dass die Corte suprema di cassazione
(Kassationsgerichtshof) die Gemeinschaftsvorschriften über Wettbewerb und
staatliche Beihilfen falsch ausgelegt und insbesondere ihren Antrag
abgelehnt habe, dem Gerichtshof die einschlägigen Fragen zur Auslegung des
Gemeinschaftsrechts vorzulegen.
Nationale Rechtsvorschriften
3 Nach Artikel 1 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 117 vom 13. April 1988 über
den Ersatz der in Ausübung der Rechtsprechung verursachten Schäden und die
Haftung der Richter (legge n° 117 [sul] risarcimento dei danni cagionati
nell’esercizio delle funzioni giudiziarie e responsabilità civile dei
magistrati) (GURI Nr. 88 vom 15. April 1988, S. 3, im Folgenden: Gesetz Nr.
117/88) gilt dieses Gesetz „für alle Mitglieder der ordentlichen
Gerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Finanzgerichtsbarkeit,
der Militärgerichtsbarkeit und der Sondergerichte, die eine
Rechtsprechungstätigkeit ausüben, unabhängig von der Art der Aufgaben, sowie
für die übrigen Personen, die an der Ausübung der Rechtsprechungsaufgaben
beteiligt sind“.
4 Artikel 2 des Gesetzes Nr. 117/88 sieht vor:
„1. Jeder, der aufgrund eines
Verhaltens, einer Maßnahme oder einer Verfügung, das bzw. die ein
Richter vorsätzlich oder grob fehlerhaft in Ausübung seiner Aufgaben
gezeigt bzw. erlassen hat, oder aufgrund einer Rechtsverweigerung einen
rechtswidrigen Schaden erlitten hat, kann wegen Ersatzes des erlittenen
Vermögensschadens sowie der Nichtvermögensschäden, die sich aus dem
Verlust der persönlichen Freiheit ergeben, gegen den Staat vorgehen.
2. Die Auslegung der Rechtsvorschriften und die Sachverhalts‑ und
Beweiswürdigung im Rahmen der Ausübung der Rechtsprechungsaufgaben
können keine Haftung auslösen.
3. Grob fehlerhaftes Verhalten liegt vor bei:
a) einem schwerwiegenden Gesetzesverstoß aufgrund unentschuldbarer
Fahrlässigkeit;
b) der Bejahung eines nach den Verfahrensakten unbestreitbar
ausgeschlossenen Umstands aufgrund unentschuldbarer Fahrlässigkeit;
c) der Verneinung eines aus den Verfahrensakten unbestreitbar
hervorgehenden Umstands aufgrund unentschuldbarer Fahrlässigkeit;
d) dem Erlass von Verfügungen über die Freiheit der Person
außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fälle oder ohne Begründung.“
5 Rechtsverweigerung liegt nach
Artikel 3 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes Nr. 117/88 vor, wenn es „ein Richter
verweigert, unterlässt oder verzögert, die Handlungen vorzunehmen, für die
er zuständig ist, wenn eine Partei nach Ablauf der gesetzlichen Frist für
die Vornahme einer bestimmten Handlung einen Antrag auf deren Vornahme
gestellt hat und innerhalb von dreißig Tagen nach Eingang dieses Antrags bei
der Geschäftsstelle ohne triftigen Grund keine Handlung vorgenommen wurde“.
6 Die nachfolgenden Artikel des Gesetzes Nr. 117/88 regeln die
Bedingungen und Modalitäten der Erhebung einer Schadensersatzklage nach den
Artikeln 2 oder 3 dieses Gesetzes sowie die Klagen, die im Nachhinein in
Bezug auf einen Richter erhoben werden können, der in Ausübung seiner
Aufgaben vorsätzlich gehandelt oder sich grob fehlerhaft verhalten, wenn
nicht gar eine Rechtsverweigerung begangen hat.
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen
7 Die TDM und die Tirrenia di Navigazione (im Folgenden: Tirrenia)
sind zwei Seeschifffahrtsunternehmen, die in den siebziger Jahren
regelmäßige Fährverbindungen zwischen dem italienischen Festland und den
Inseln Sardinien und Sizilien unterhielten. Die TDM verklagte 1981, nachdem
sie unter Vergleich gestellt worden war, die Tirrenia vor dem Tribunale
Neapel auf Ersatz des Schadens, den sie im Laufe der vorangegangenen Jahre
aufgrund der von Tirrenia angewandten Niedrigpreispolitik erlitten habe.
8 Die TDM machte dabei geltend, dass ihre Wettbewerberin Artikel 2598
Absatz 3 des italienischen Zivilgesetzbuchs über Akte unlauteren Wettbewerbs
nicht beachtet und gegen die Artikel 85, 86, 90 und 92 EWG-Vertrag (später
Artikel 85, 86, 90 und 92 EG-Vertrag, jetzt Artikel 81 EG, 82 EG, 86 EG und,
nach Änderung, 87 EG) verstoßen habe, da die Tirrenia die wesentlichen
Normen dieses Vertrages verletzt und insbesondere ihre beherrschende
Stellung auf dem in Rede stehenden Markt missbraucht habe, indem sie dank
des Erhalts staatlicher Beihilfen, deren Rechtmäßigkeit im Hinblick auf das
Gemeinschaftsrecht zweifelhaft sei, weit unter dem Gestehungspreis liegende
Preise angewandt habe.
9 Diese Schadensersatzklage wurde mit Urteil des Tribunale Neapel vom
26. Mai 1993, bestätigt durch Urteil der Corte d`appello Neapel vom 13.
Dezember 1996, abgewiesen; die italienischen Gerichte führten zur Begründung
aus, dass die von den italienischen Behörden gewährten Beihilfen rechtmäßig
seien, da sie dem Gemeinwohl dienenden Zielen, insbesondere im Zusammenhang
mit der Entwicklung des Mezzogiorno, entsprächen oder jedenfalls die
Ausübung von anderen Fährverbindungstätigkeiten, die mit den von der TDM
beanstandeten im Wettbewerb stünden, nicht beeinträchtigten. Der Tirrenia
könne somit kein Akt unlauteren Wettbewerbs zur Last gelegt werden.
10 Der Insolvenzverwalter der TDM war der Ansicht, dass diese beiden
Gerichtsentscheidungen rechtsfehlerhaft seien, da sie insbesondere auf einer
falschen Auslegung der Regeln des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen
beruhten, und legte daher Rechtsmittel gegen das Urteil der Corte d’appello
Neapel ein; im Rahmen dieses Rechtsmittels ersuchte er die Corte suprema di
cassazione, dem Gerichtshof nach Artikel 177 Absatz 3 EG‑Vertrag (jetzt
Artikel 234 Absatz 3 EG) die einschlägigen Fragen zur Auslegung des
Gemeinschaftsrechts vorzulegen.
11 Die Corte suprema di cassazione lehnte es in ihrem Urteil Nr. 5087
vom 19. April 2000 (im Folgenden: Urteil vom 19. April 2000) jedoch ab,
diesem Antrag nachzukommen, da die Entscheidung der Tatsachenrichter den
Wortlaut der einschlägigen Vorschriften des EG-Vertrags beachte und darüber
hinaus uneingeschränkt mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes,
insbesondere mit dessen Urteil vom 22. Mai 1985 in der Rechtssache 13/83
(Parlament/Rat, Slg. 1985, 1513), im Einklang stehe.
12 Zur Begründung dieses Ergebnisses wies die Corte suprema di
cassazione zum einen, was den behaupteten Verstoß gegen die Artikel 90 und
92 EG-Vertrag betrifft, darauf hin, dass nach diesen Vorschriften unter
bestimmten Voraussetzungen vom grundsätzlichen Verbot staatlicher Beihilfen
abgewichen werden könne, um die wirtschaftliche Entwicklung benachteiligter
Gebiete zu fördern oder die Nachfrage nach Waren oder Dienstleistungen zu
befriedigen, die der freie Wettbewerb nicht vollständig befriedigen könne.
Eben diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall erfüllt, da der
Massenverkehr zwischen dem italienischen Festland und den wichtigsten Inseln
während des fraglichen Zeitraums (von 1976 bis 1980) wegen seiner Kosten nur
auf dem Seeweg habe gewährleistet werden können, so dass der ständig
wachsenden Nachfrage nach dieser Art von Dienstleistungen durch die
Übertragung der Durchführung dieser Transporte an einen öffentlichen
Konzessionär, der einen vorgeschriebenen Tarif habe anwenden müssen, habe
begegnet werden müssen.
13 Die Wettbewerbsverzerrung, die sich aus dem Vorliegen dieser
Konzession ergebe, bewirke jedoch nicht, dass die gewährte Beihilfe
automatisch rechtswidrig sei. Die Gewährung einer solchen öffentlichen
Dienstleistungskonzession habe nämlich immer auch wettbewerbsverzerrende
Wirkung, und die TDM habe nicht nachgewiesen, dass die Tirrenia die vom
Staat gewährte Beihilfe benutzt habe, um Gewinne im Zusammenhang mit anderen
als den Tätigkeiten zu erzielen, für die die Beihilfen tatsächlich gewährt
worden seien.
14 Zum anderen wies die Corte suprema di cassazione den Klagegrund eines
Verstoßes gegen die Artikel 85 und 86 EG‑Vertrag als unbegründet zurück,
weil die Seekabotagetätigkeit zur maßgeblichen Zeit noch nicht liberalisiert
gewesen sei und der relevante Markt im Sinne des Artikels 86 EG‑Vertrag
aufgrund der speziellen Natur und des begrenzten räumlichen Kontextes dieser
Tätigkeit nicht eindeutig bestimmt werden könne. In diesem Zusammenhang hat
die Corte suprema di cassazione jedoch ausgeführt, dass es zwar schwierig
sei, den relevanten Markt zu bestimmen, in dem betroffenen Bereich jedoch
trotzdem ein realer Wettbewerb stattfinden könne, da die im vorliegenden
Fall gewährte Beihilfe nur eine einzige der zahlreichen von einem
Seeschifffahrtsunternehmen herkömmlicherweise ausübten Tätigkeiten betreffe
und darüber hinaus auf einen einzigen Mitgliedstaat beschränkt sei.
15 Die Corte suprema di cassazione wies daher das bei ihr eingelegte
Rechtsmittel zurück, nachdem sie auch die von der TDM vorgebrachten Rügen
eines Verstoßes gegen die nationalen Vorschriften über Akte unlauteren
Wettbewerbs und der Unterlassung der Corte d’appello Neapel, über ihren
Antrag auf Vorlage der einschlägigen Auslegungsfragen an den Gerichtshof zu
entscheiden, zurückgewiesen hatte. Dem bei dem vorlegenden Gericht
anhängigen Verfahren liegt diese Zurückweisungsentscheidung zugrunde.
16 Der Insolvenzverwalter der TDM, die sich inzwischen in Liquidation
befand, war nämlich der Ansicht, dass das Urteil vom 19. April 2000 auf
einer falschen Auslegung der Regeln des EG-Vertrags über Wettbewerb und
staatliche Beihilfen und auf der unzutreffenden Prämisse beruhe, dass es
eine einschlägige ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes gebe, und
verklagte daher die Italienische Republik vor dem Tribunale Genua auf Ersatz
des Schadens, der der TDM aufgrund der Auslegungsfehler der Corte suprema di
cassazione und deren Verletzung der Vorlagepflicht entstanden sei, die ihr
nach Artikel 234 Absatz 3 EG obliege.
17 Die TDM macht unter Berufung insbesondere auf die Entscheidung
2001/851/EG der Kommission vom 21. Juni 2001 über eine staatliche Beihilfe
Italiens zugunsten der Seeverkehrsgesellschaft Tirrenia di Navigazione (ABl.
L 318, S. 9) – die zwar nach dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden
Zeitraum gewährte Beihilfen betraf, jedoch am Ende eines Verfahrens erlassen
wurde, das die Kommission der Europäischen Gemeinschaften vor der mündlichen
Anhörung bei der Corte suprema di cassazione in der Rechtssache, in der das
Urteil vom 19. April 2000 ergangen ist, eingeleitet hatte – geltend, dass
das Rechtsmittelverfahren ganz anders ausgegangen wäre, wenn sich die Corte
suprema di cassazione an den Gerichtshof gewandt hätte. Ebenso wie die
Kommission in der genannten Entscheidung hätte der Gerichtshof nämlich die
gemeinschaftliche Dimension der Seekabotagetätigkeiten sowie die
Schwierigkeiten bei der Würdigung der Vereinbarkeit staatlicher Subventionen
mit den Regeln des EG‑Vertrags über staatliche Beihilfen hervorgehoben, was
die Corte suprema di cassazione veranlasst hätte, die der Tirrenia gewährten
Beihilfen für rechtswidrig zu erklären.
18 Die italienische Republik bestreitet unter Berufung auf das Gesetz
Nr. 117/88 und insbesondere auf dessen Artikel 2 Absatz 2, wonach die
Auslegung von Rechtsvorschriften im Rahmen der Ausübung der
Rechtsprechungsaufgaben keine Haftung des Staates auslösen kann, bereits die
Zulässigkeit dieser Schadensersatzklage. Für den Fall jedoch, dass das
vorlegende Gericht die Klage als zulässig betrachte, macht sie hilfsweise
geltend, dass die Klage jedenfalls abzuweisen sei, da die Voraussetzungen
für ein Vorabentscheidungsersuchen nicht vorlägen und das Urteil vom 19.
April 2000, das rechtskräftig sei, nicht mehr in Frage gestellt werden
könne.
19 Die TDM wirft auf dieses Vorbringen hin die Frage auf, ob das Gesetz
Nr. 117/88 den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts entspricht. Sie macht
insbesondere geltend, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die in
diesem Gesetz aufgeführten Klagen und die Rechtsprechungspraxis der
nationalen Gerichte (einschließlich der Corte suprema di cassazione) auf
diesem Gebiet so restriktiv seien, dass sie es übermäßig erschwerten oder
sogar praktisch unmöglich machten, vom Staat eine Entschädigung für durch
Gerichtsentscheidungen verursachte Schäden zu erhalten. Diese Regelung
verstoße somit gegen die vom Gerichtshof u. a. in seinen Urteilen vom 19.
November 1991 in den Rechtssachen C‑6/90 und C‑9/90 (Francovich u. a., Slg.
1991, I‑5357) und 5. März 1996 in den Rechtssachen C‑46/93 und C‑48/93 (Brasserie
du pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I‑1029) aufgestellten Grundsätze.
20 Das Tribunale Genua hat daher Zweifel, wie der bei ihm anhängige
Rechtsstreit zu entscheiden ist und ob es möglich ist, die Grundsätze, die
der Gerichtshof in den in der vorstehenden Randnummer zitierten Urteilen in
Bezug auf in Ausübung einer Gesetzgebungstätigkeit begangene Verstöße gegen
das Gemeinschaftsrecht aufgestellt hat, auf die rechtsprechende Gewalt zu
erstrecken; es hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem
Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Haftet ein Mitgliedstaat im Rahmen der außervertraglichen
Haftung dem Einzelnen gegenüber für Fehler seiner Richter bei der
Anwendung des Gemeinschaftsrechts oder für die Nichtanwendung des
Gemeinschaftsrechts und insbesondere dafür, dass ein letztinstanzliches
Gericht der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof nach Artikel 234
Absatz 3 EG nicht nachkommt?
2. Sofern ein Mitgliedstaat für Fehler seiner Richter bei der
Anwendung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere dafür haftet, dass
ein letztinstanzliches Gericht im Sinne des Artikels 234 Absatz 3 EG
eine Vorlage an den Gerichtshof unterlässt, stehen dann einer solchen
Haftung nationale Rechtsvorschriften über die Staatshaftung für von
Richtern begangene Fehler entgegen – und verstoßen deshalb gegen die
Grundsätze des Gemeinschaftsrechts –, wonach
– die Haftung für die in Ausübung der Rechtsprechungstätigkeit
vorgenommene Auslegung von Rechtsvorschriften sowie Sachverhalts‑ und
Beweiswürdigung ausgeschlossen ist,
– die Haftung des Staates auf Fälle von Vorsatz und grob
fehlerhaftem Verhalten des Richters begrenzt wird?
21 Nach der Verkündung des
Urteils
vom 30. September 2003 in der Rechtssache C‑224/01 (Köbler, Slg. 2003,
I‑10239) hat der Kanzler des Gerichtshofes dem vorlegenden Gericht eine
Kopie dieses Urteils übermittelt und es um Mitteilung gebeten, ob es
angesichts des Inhalts dieses Urteils die Aufrechterhaltung des Vorabentscheidungsersuchens für sinnvoll halte.
22 Mit Schreiben vom 13. Januar 2004, eingegangen bei der Kanzlei des
Gerichtshofes am 29. Januar 2004, hat sich das Tribunale Genua nach Anhörung
der Parteien des Ausgangsverfahrens dahin gehend geäußert, dass das Urteil
Köbler die erste seiner beiden Vorlagefragen erschöpfend beantworte, so dass
der Gerichtshof darüber nicht mehr zu entscheiden brauche.
23 Es hat es jedoch für sinnvoll erachtet, seine zweite Frage
aufrechtzuerhalten, damit der Gerichtshof „auch im Licht der im Urteil
Köbler … aufgestellten Grundsätze“ über die Frage entscheide, ob „einer
solchen Haftung nationale Rechtsvorschriften über die Staatshaftung für von
Richtern begangene Fehler entgegenstehen, wonach die Haftung für die in
Ausübung der Rechtsprechungstätigkeit vorgenommene Auslegung von
Rechtsvorschriften sowie Sachverhalts‑ und Beweiswürdigung ausgeschlossen
ist und die Haftung des Staates auf Fälle von Vorsatz und grob fehlerhaftem
Verhalten des Richters begrenzt wird“.
Zur Vorlagefrage
24 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das beim vorlegenden Gericht
anhängige Verfahren eine Klage wegen Staatshaftung für eine Entscheidung
eines obersten Gerichts, gegen die kein Rechtsmittel gegeben ist, zum
Gegenstand hat. Die vom vorlegenden Gericht aufrechterhaltene Frage ist
daher so zu verstehen, dass es im Wesentlichen darum geht, ob das
Gemeinschaftsrecht und insbesondere die vom Gerichtshof im
Urteil Köbler
aufgestellten Grundsätze einer nationalen Regelung wie der im
Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, die zum einen jegliche Haftung
des Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch einen von einem
letztinstanzlichen nationalen Gericht begangenen Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht entstanden sind, ausschließt, wenn sich dieser Verstoß
aus einer Auslegung von Rechtsvorschriften oder einer Sachverhalts‑ und
Beweiswürdigung durch dieses Gericht ergibt, und zum anderen diese Haftung
im Übrigen auf Fälle von Vorsatz und grob fehlerhaftem Verhalten des
Richters begrenzt.
25 Die TDM und die Kommission sind der Ansicht, dass diese Frage
eindeutig zu bejahen sei. Da nämlich die Sachverhalts‑ und Beweiswürdigung
und die Auslegung von Rechtsvorschriften zur Rechtsprechungstätigkeit
gehörten, würde ein in solchen Fällen bestehender Ausschluss der Haftung des
Staates für dem Einzelnen durch die Ausübung dieser Tätigkeit entstandene
Schäden in der Praxis dazu führen, dass der Staat von jeglicher Haftung für
der rechtsprechenden Gewalt zuzurechnende Verstöße gegen das
Gemeinschaftsrecht befreit würde.
26 Darüber hinaus könne auch die Begrenzung dieser Haftung auf Fälle von
Vorsatz und grob fehlerhaftem Verhalten des Richters tatsächlich zu einer
Befreiung von jeglicher staatlichen Haftung führen, da zum einen bereits der
Begriff „grob fehlerhaftes Verhalten“ von dem Richter, der über eine
eventuelle Klage auf Ersatz der durch eine gerichtliche Entscheidung
verursachten Schäden zu entscheiden habe, nicht frei gewürdigt werden könne,
sondern vom nationalen Gesetzgeber, der im Voraus – und abschließend – die
Fälle grob fehlerhaften Verhaltens aufzähle, streng umrissen worden sei.
27 Die TDM trägt vor, dass zum anderen die bei der Durchführung des
Gesetzes Nr. 117/88 in Italien gewonnene Erfahrung zeige, dass die
italienischen Gerichte und insbesondere die Corte suprema di cassazione
dieses Gesetz und die Begriffe „grob fehlerhaftes Verhalten“ und
„unentschuldbare Fahrlässigkeit“ äußerst eng auslegten. Diese Begriffe
würden von der Corte suprema di cassazione als „offensichtliche und grobe
Rechtsverletzung großen Ausmaßes“ oder als Rechtsverletzung, bei der das
Recht „entgegen allen logischen Kriterien“ ausgelegt worden sei,
interpretiert, was in der Praxis zu einer gleichsam automatischen
Zurückweisung der gegen den italienischen Staat gerichteten Beschwerden
führe.
28 Die italienische Regierung, die in diesem Punkt von Irland und der
Regierung des Vereinigten Königreichs unterstützt wird, ist demgegenüber der
Ansicht, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige
uneingeschränkt mit den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts im Einklang
stehe, da sie ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit der
Erhaltung der Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt und den Geboten der
Rechtssicherheit einerseits und der Gewährung eines effektiven
Rechtsschutzes für den Einzelnen in den krassesten Fällen von der
rechtsprechenden Gewalt zuzurechnenden Verstößen gegen das
Gemeinschaftsrecht andererseits herstelle.
29 Die Haftung der Mitgliedstaaten für aus solchen Verstößen
resultierende Schäden müsse somit, wenn sie denn anzuerkennen sei, auf die
Fälle beschränkt werden, in denen ein hinreichend charakterisierter Verstoß
gegen das Gemeinschaftsrecht festgestellt werden könne. Sie sei jedoch
ausgeschlossen, wenn ein nationales Gericht einen Rechtsstreit auf der
Grundlage einer Auslegung der Vorschriften des EG-Vertrags entschieden habe,
die in der von diesem Gericht gegebenen Begründung angemessen zum Ausdruck
komme.
30 Hierzu ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof im
Urteil Köbler,
das nach dem Datum ergangen ist, an dem sich das vorlegende Gericht an den
Gerichtshof gewandt hat, darauf hingewiesen hat, dass der Grundsatz, dass
ein Mitgliedstaat zum Ersatz der Schäden verpflichtet ist, die dem Einzelnen
durch diesem Mitgliedstaat zuzurechnende Verstöße gegen das
Gemeinschaftsrecht entstehen, für jeden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht
unabhängig davon gilt, welches Organ dieses Staates durch sein Handeln oder
Unterlassen den Verstoß begangen hat (vgl. Randnr. 31 des
Urteils Köbler).
31 Der Gerichtshof hat insbesondere auf die entscheidende Rolle, die die
rechtsprechende Gewalt beim Schutz der dem Einzelnen aufgrund
gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen zustehenden Rechte spielt, sowie den
Umstand abgestellt, dass ein letztinstanzliches Gericht definitionsgemäß die
letzte Instanz ist, vor der der Einzelne die ihm aufgrund des
Gemeinschaftsrechts zustehenden Rechte geltend machen kann; er hat daraus
geschlossen, dass der Schutz dieser Rechte gemindert – und die volle
Wirksamkeit dieser Bestimmungen beeinträchtigt – wäre, wenn der Einzelne
nicht unter bestimmten Voraussetzungen eine Entschädigung für die Schäden
erlangen könnte, die ihm durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht
entstanden sind, der einer Entscheidung eines letztinstanzlichen nationalen
Gerichts zuzurechnen ist (vgl. Urteil Köbler, Randnrn. 33 bis 36).
32 Aufgrund der Besonderheit der richterlichen Funktion sowie der
berechtigten Belange der Rechtssicherheit haftet der Staat in einem solchen
Fall allerdings nicht unbegrenzt. Wie der Gerichtshof entschieden hat,
haftet er nur in dem Ausnahmefall, dass das letztinstanzliche nationale
Gericht offenkundig gegen das geltende Recht verstoßen hat. Bei der
Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss das mit einer
Schadensersatzklage befasste nationale Gericht alle Gesichtspunkte des
Einzelfalls berücksichtigen, insbesondere das Maß an Klarheit und Präzision
der verletzten Vorschrift, die Vorsätzlichkeit des Verstoßes, die
Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums, gegebenenfalls die Stellungnahme eines
Gemeinschaftsorgans sowie die Verletzung der Vorlagepflicht nach Artikel 234
Absatz 3 EG durch das in Rede stehende Gericht (Urteil Köbler, Randnrn. 53
bis 55).
33 Ebenso lassen es entsprechende Erwägungen hinsichtlich der
Notwendigkeit, dem Einzelnen einen effektiven gerichtlichen Schutz der ihm
aufgrund des Gemeinschaftsrechts zustehenden Rechte zu gewährleisten, nicht
zu, dass der Staat allein deshalb nicht haftbar gemacht werden kann, weil
sich ein einem letztinstanzlichen nationalen Gericht zuzurechnender Verstoß
gegen das Gemeinschaftsrecht aus der Auslegung von Rechtsvorschriften durch
dieses Gericht ergibt.
34 Zum einen gehört nämlich die Auslegung von Rechtsvorschriften gerade
zum Wesen der Rechtsprechungstätigkeit, da der Richter, um welchen
Tätigkeitsbereich es auch immer gehen mag, wenn ihm voneinander abweichende
oder einander widersprechende Ansichten vorgetragen werden, gewöhnlich die
einschlägigen – nationalen und/oder gemeinschaftlichen – Rechtsvorschriften
auslegen muss, um den ihm vorliegenden Rechtsstreit zu entscheiden.
35 Zum anderen lässt sich nicht ausschließen, dass es gerade bei der
Ausübung einer solchen Auslegungstätigkeit zu einem offenkundigen Verstoß
gegen das geltende Gemeinschaftsrecht kommt, etwa wenn der Richter einer
materiellen oder verfahrensrechtlichen Gemeinschaftsbestimmung, insbesondere
im Hinblick auf die jeweils einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes,
eine offensichtlich falsche Bedeutung zumisst (vgl. in diesem Sinne
Urteil Köbler, Randnr. 56) oder das nationale Recht auf eine Weise auslegt, die in
der Praxis zu einem Verstoß gegen das geltende Gemeinschaftsrecht führt.
36 Wie der Generalanwalt in Nummer 52 seiner Schlussanträge ausgeführt
hat, würde man den vom Gerichtshof im Urteil Köbler aufgestellten Grundsatz
seines Inhalts berauben, wenn man unter derartigen Umständen jegliche
Haftung des Staates ausschlösse, weil sich der Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht aus einer Auslegung von Rechtsvorschriften durch ein
Gericht ergibt. Dies gilt erst recht für letztinstanzliche Gerichte, die auf
nationaler Ebene die einheitliche Auslegung der Rechtsvorschriften zu
gewährleisten haben.
37 Entsprechendes gilt in Bezug auf Rechtsvorschriften, die allgemein
jegliche Haftung des Staates ausschließen, wenn sich der einem Gericht
dieses Staates zuzurechnende Verstoß aus einer Sachverhalts‑ und
Beweiswürdigung ergibt.
38 Zum einen stellt diese Würdigung nämlich ebenso wie die Auslegung von
Rechtsvorschriften einen weiteren wesentlichen Aspekt der
Rechtsprechungstätigkeit dar, weil die Anwendung der Rechtsvorschriften auf
den jeweiligen Fall unabhängig von der Auslegung, der der mit einer
bestimmten Rechtssache befasste nationale Richter folgt, oft davon abhängen
wird, wie dieser Richter den Sachverhalt sowie den Wert und die Relevanz der
von den Parteien des Rechtsstreits zu diesem Zweck beigebrachten Beweise
würdigt.
39 Zum anderen kann auch eine solche Würdigung – für die manchmal
komplexe Prüfungen erforderlich sind – in bestimmten Fällen zu einem
offenkundigen Verstoß gegen das geltende Recht führen, ob sie nun im Rahmen
der Anwendung der besonderen Vorschriften über die Beweislast, den Wert der
betreffenden Beweise oder die Zulässigkeit der Beweisarten oder im Rahmen
der Anwendung von Vorschriften, die eine rechtliche Qualifizierung des
Sachverhalts erfordern, durchgeführt wird.
40 Unter diesen Umständen jede Möglichkeit einer Haftung des Staates
auszuschließen, weil der dem nationalen Gericht vorgeworfene Verstoß die von
diesem vorgenommene Sachverhalts‑ oder Beweiswürdigung betrifft, würde
ebenfalls dazu führen, dass der im Urteil Köbler angeführte Grundsatz in
Bezug auf einem letztinstanzlichen nationalen Gericht zuzurechnende
offenkundige Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht seiner praktischen
Wirkung beraubt würde.
41 Wie der Generalanwalt in den Nummern 87 bis 89 seiner Schlussanträge
ausgeführt hat, gilt dies in ganz besonderem Maße im Bereich der staatlichen
Beihilfen. In diesem Bereich jegliche staatliche Haftung auszuschließen,
weil sich der von einem nationalen Gericht begangene Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht aus einer Sachverhaltswürdigung ergibt, könnte zu einer
Schwächung der dem Einzelnen gebotenen Verfahrensgarantien führen, da die
Wahrung der Rechte, die dieser aus den einschlägigen Vorschriften des
EG-Vertrags ableitet, weitgehend von einer Schritt für Schritt erfolgenden
rechtlichen Qualifizierung des Sachverhalts abhängt. Würde jedoch die
Haftung des Staates aufgrund der Sachverhaltswürdigung eines Gerichts
vollständig ausgeschlossen, genösse der betreffende Einzelne keinerlei
gerichtlichen Schutz, wenn ein letztinstanzliches nationales Gericht einen
offensichtlichen Fehler bei der Kontrolle dieser rechtlichen Qualifizierung
des Sacherhalts beginge.
42 Zur Begrenzung der Haftung des Staates auf Fälle von Vorsatz oder
grob fehlerhaftem Verhalten des Richters ist schließlich, wie in Randnummer
32 des vorliegenden Urteils ausgeführt, daran zu erinnern, dass der
Gerichtshof im Urteil Köbler entschieden hat, dass der Staat nur in dem
Ausnahmefall, dass das letztinstanzliche nationale Gericht offenkundig gegen
das geltende Recht verstoßen hat, für Schäden haftet, die einem Einzelnen
durch diesem Gericht zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht
entstanden sind.
43 Ob ein offenkundiger Verstoß vorliegt, bemisst sich insbesondere nach
einer Reihe von Kriterien wie dem Maß an Klarheit und Präzision der
verletzten Vorschrift, der Entschuldbarkeit des unterlaufenen Rechtsirrtums
oder der Verletzung der Vorlagepflicht nach Artikel 234 Absatz 3 EG durch
das in Rede stehende Gericht; ein solcher Verstoß wird jedenfalls
angenommen, wenn die fragliche Entscheidung die einschlägige Rechtsprechung
des Gerichtshofes offenkundig verkennt (Urteil Köbler, Randnrn. 53 bis 56).
44 Folglich kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass das nationale
Recht die Kriterien hinsichtlich der Natur oder des Grades des Verstoßes
festlegt, die erfüllt sein müssen, damit der Staat für einen einem
letztinstanzlichen nationalen Gericht zuzurechnenden Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht haftet, doch können mit diesen Kriterien auf keinen Fall
strengere Anforderungen aufgestellt werden, als sie sich aus der
Voraussetzung eines offenkundigen Verstoßes gegen das geltende Recht
ergeben, wie sie in den Randnummern 53 bis 56 des
Urteil Köbler beschrieben
ist.
45 Ein Entschädigungsanspruch entsteht somit, sofern die letztgenannte
Voraussetzung erfüllt ist, wenn nachgewiesen ist, dass die verletzte
Rechtsvorschrift bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und zwischen
dem geltend gemachten offenkundigen Verstoß und dem dem Betroffenen
entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. dazu
insbesondere Urteile Francovich u. a., Randnr. 40,
Brasserie du pêcheur und
Factortame, Randnr. 51, und Köbler, Randnr.
51). Wie sich insbesondere aus Randnummer 57 des Urteils Köbler ergibt, sind diese drei Voraussetzungen
erforderlich und ausreichend, um einen Entschädigungsanspruch des Einzelnen
zu begründen, schließen aber nicht aus, dass der Staat nach nationalem Recht
unter weniger strengen Voraussetzungen haftet.
46 Aufgrund der Gesamtheit der vorstehenden Erwägungen ist daher auf die
Frage des vorlegenden Gerichts, wie sie in dessen Schreiben vom 13. Januar
2004 neu formuliert worden ist, zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht
nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die allgemein die Haftung des
Mitgliedstaats für Schäden ausschließen, die dem Einzelnen durch einen einem
letztinstanzlichen Gericht zuzurechnenden Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht entstanden sind, wenn sich dieser Verstoß aus einer
Auslegung von Rechtsvorschriften oder einer Sachverhalts‑ und
Beweiswürdigung durch dieses Gericht ergibt. Das Gemeinschaftsrecht steht
ferner nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die diese Haftung auf Fälle
von Vorsatz oder grob fehlerhaftem Verhalten des Richters begrenzen, sofern
diese Begrenzung dazu führt, dass die Haftung des betreffenden
Mitgliedstaats in weiteren Fällen ausgeschlossen ist, in denen ein
offenkundiger Verstoß gegen das anwendbare Recht im Sinne der Randnummern 53
bis 56 des Urteils Köbler begangen wurde.
Kosten
47 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit;
die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer
Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht
erstattungsfähig.
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