Internationale Zuständigkeit für Erfüllungsklagen aus Gewinnmitteilungen (§
661a BGB, hier: § 5j öst. Konsumentenschutzgesetz) nach EuGVÜ:
Vertragsgerichtsstand nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ
EuGH 20.
Januar 2005 Rs. C-27/02 (Engler)
Fundstelle:
NJW 2005, 811
Tenor:
Die Zuständigkeitsvorschriften des
Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit
und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen, geändert durch das Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den
Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs
Großbritannien und Nordirland, das Übereinkommen vom 25. Oktober 1982 über
den Beitritt der Republik Griechenland, das Übereinkommen vom 26. Mai 1989
über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik
und das Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik
Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden, sind
folgendermaßen auszulegen:
- Eine Klage, mit der ein Verbraucher nach dem Recht des Vertragsstaats, in
dessen Hoheitsgebiet er seinen Wohnsitz hat, von einem
Versandhandelsunternehmen mit Sitz in einem anderen Vertragsstaat die
Auszahlung eines scheinbar von ihm gewonnenen Preises verlangt, ist eine
Klage aus Vertrag im Sinne des Artikels 5 Nummer 1 des Übereinkommens, wenn
zum einen dieses Unternehmen an den Verbraucher, um ihn zum Vertragsschluss
zu motivieren, eine ihn namentlich bezeichnende Sendung gerichtet hat, die
den Eindruck erwecken konnte, er werde einen Preis erhalten, sofern der
dieser Sendung beigefügte „Auszahlungs-Bescheid“ zurückgesandt wird, und
wenn zum anderen der Verbraucher die vom Verkäufer festgelegten Bedingungen
akzeptiert sowie die Auszahlung des versprochenen Gewinns tatsächlich
verlangt;
- dagegen hat, auch wenn diese Zusendung darüber hinaus einen Werbekatalog
über die Waren dieses Unternehmens mit einem Formular für eine
„unverbindliche Test-Anforderung“ enthält, der zweifache Umstand, dass die
Zuteilung des Preises nicht von einer Warenbestellung abhängig ist und der
Verbraucher tatsächlich keine solche Bestellung aufgegeben hat, keine
Auswirkung auf die vorstehende Auslegung.
Zentrale Probleme:
Es geht um die internationale
Zuständigkeit für Klagen aus Gewinnmitteilungen, wie sie u.a. § 661a BGB und
auch § 5j des öst. Konsumenteschutzgesetzes vorsehen (s. dazu die Anm. zu
LG Braunschweig PRax 2002, 213 sowie
EuGH Urteil v. 11.7.2002 Rs. C-96/00
"Gabriel"). Während der EuGH in der Rs.
C-96/00 "Gabriel" die Farge für den Fall entschieden hatte, wenn der
Verbraucher zugleich eine Bestellung abgibt, ging es hier um eine
"isolierte" Gewinnmitteilung, nach deren Inhalt die Auszahlung des Preises
nicht von einer Bestellung abhängig gemacht wurde. Der EuGH hatte in der
Rs. C-96/00 "Gabriel" den Verbrauchergerichtsstand des Art. 13 I Nr. 3
EuGVÜ bejaht. Hier verneint er diesen, wobei nicht ganz klar wird, ob er
dies deshalb tut, weil er in dem Anspruch keinen "Vertrag" i.S.v. Art. 13
EuGVÜ sieht oder ob ´die Zuständigkeit daran scheitern soll, weil kein
Vertrag über die in Art 13 EuGVÜ genannten Gegenstände (Kauf beweglicher
Sachen auf Teilzahlung, Darlehen, Verträge über Dienstleistungen oder die
Lieferung beweglicher Sachen) vorliegt. Der BGH hatte dies in
BGH NJW 2003, 426 noch bejaht, hilfsweise aber
auch einen deliktischen Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ bejaht. S.
nunmehr aber BGH v. 1.12.2005 - III ZR
191/03
Der Gerichtshof kommt damit zur Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, weil
der den Anspruch als "normalen" vertraglichen Anspruch qualifiziert. Nach
dem weiten Vertragsbegriff ist dies nämlich jeder Anspruch, der auf eine
freiwillig eingegangene Verpflichtung zurückzuführen ist (s.
Rechtssache C-334/00, Tacconi, Slg.
2002, I-7357). Zuständig sind damit
die Gerichte des Erfüllungsorts, was letztlich dazu führt, daß nach
deutschem Recht (und ebenso nach österreichischem Recht) der
Heimatgerichtsstand des Verbrauchers wohl nicht gegeben wäre: Der
Erfüllungsort bestimmt sich nach dem anwendbaren Recht. Bei Anwendung
deutschen (oder österreichischen) Rechts wäre Erfüllungsort für die
Zahlungsverpflichtung des im Ausland ansässigen Versenders dessen Sitz (§§
269, 270 IV BGB: Qualifizierte Schickschuld, ebenso im österreichischen
Recht: § 905 ABGB). Sofern man nicht "aus der Natur des Schuldverhältnisses"
einen anderen Erfüllungsort herleiten will, was schwerlich möglich
erscheint, muß man daher in den typischen Situationen der Gewinnmitteilung
aus dem Ausland einen inländischer Gerichtsstand des Verbrauchers verneinen.
Das EuGVÜ seit dem 1.3.2002 durch die EuGVVO
(sog. "Brüssel I-VO) abgelöst ist. Nach deren Artt.
16 Abs. 1, 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO genügt jetzt nämlich für die
Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Verbrauchers bereits, daß der
Unternehmer in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher
seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt
oder eine solche auf irgendeinem Weg u.a. auf diesen Mitgliedstaat
ausrichtet und der "Vertrag" (d.h. im vorliegenden Zusammenhang die als
vertraglich zu qualifizierende die Gewinnmitteilung) in den Bereich dieser
Tätigkeit fällt. Dies bedeutet eine erhebliche Erweiterung des
Verbrauchergerichtsstandes sowohl in sachlicher als auch in situativer
Hinsicht: Die Regelung erfaßt anders als noch das Art. 13 I Nr. 3 EuGVÜ
nicht nur Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen oder die
Lieferung beweglicher Sachen, sondern jede Art von Vertrag oder jeden
Anspruch aus einem Vertrag, den der Vertragspartner des Verbrauchers in
Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit abschließt. Die
situative Erweiterung auf die bloße "Ausrichtung" der beruflichen oder
gewerblichen Tätigkeit u.a. auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers
verlangt anders als noch Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ keine rechtsgeschäftlichen Handlungen bzw. eine Vertragsanbahnung im
Wohnsitzstaat des Verbrauchers. Damit dürfte unter Geltung der EuGVVO der
Verbrauchergerichtsstand zu bejahen sein.
S. auch EuGH v. 14.5.2009 - C‑180/06
(Ilsinger).
©sl 2005
Gründe:
- 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 5
Nummern 1 und 3 und 13 Absatz 1 Nummer 3 des Übereinkommens vom 27.
September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(ABl. 1972, L 299, S. 32), geändert durch das Übereinkommen
vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands
und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl.
L 304, S. 1 und – geänderter Text – S. 77), das
Übereinkommen vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik
Griechenland (ABl. L 388, S. 1), das Übereinkommen vom 26.
Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der
Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) und das
Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik
Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden (ABl.
1997, C 15, S. 1) (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen).
- 2
Dieses Ersuchen ist in einem Rechtsstreit zwischen der österreichischen
Staatsangehörigen Petra Engler, wohnhaft in Lustenau (Österreich)
(im Folgenden: Klägerin), und der Versandhandelsgesellschaft deutschen
Rechts Janus Versand GmbH (im Folgenden: Beklagte) mit Sitz in
Langenfeld (Deutschland) vorgelegt worden, in dem die Klägerin
beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Gewinn auszuzahlen,
weil diese Gesellschaft in einem namentlich an sie adressierten
Schreiben bei ihr den Eindruck erweckt habe, sie habe einen Preis
gewonnen.
Rechtlicher Rahmen
Das Brüsseler Übereinkommen
- 3
Die im Brüsseler Übereinkommen festgelegten Zuständigkeitsregeln finden
sich in dessen Titel II, der aus den Artikeln 2 bis 24 besteht.
- 4
Artikel 2 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens, der zum
1. Abschnitt – Allgemeine Vorschriften – von dessen Titel II
gehört, lautet: „Vorbehaltlich
der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren
Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne
Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates
zu verklagen.“
- 5
Artikel 3 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens, der in demselben Abschnitt steht, bestimmt:
„Personen,
die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben,
können vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaats nur gemäß den
Vorschriften des 2. bis 6. Abschnitts verklagt werden.“
- 6
Die Artikel 5 bis 18 des Brüsseler Übereinkommens, die den 2. bis 6.
Abschnitt von dessen Titel II bilden, enthalten Vorschriften über
besondere, zwingende oder ausschließliche Zuständigkeiten.
- 7
So lautet Artikel 5 des Brüsseler Übereinkommens im 2. Abschnitt – Besondere Zuständigkeiten – von dessen Titel II:
„Eine
Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats
hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:
- 1.
- wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand
des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die
Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre; …
…
- 3.
- wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer
unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer
solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht
des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist;
…“
- 8
In Titel II des Brüsseler Übereinkommens bilden dessen Artikel 13 und
15 den 4. Abschnitt mit der Überschrift Zuständigkeit für
Verbrauchersachen.
- 9
Artikel 13 des Brüsseler Übereinkommens lautet: „Für
Klagen aus einem Vertrag, den eine Person zu einem Zweck abgeschlossen
hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser
Person (Verbraucher) zugerechnet werden kann, bestimmt sich die
Zuständigkeit, unbeschadet des Artikels 4 und des Artikels 5 Nummer 5
nach diesem Abschnitt,
- 1.
- wenn es sich um den Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung handelt;
- 2.
- wenn es sich um ein in Raten zurückzuzahlendes Darlehen oder ein
anderes Kreditgeschäft handelt, das zur Finanzierung eines Kaufs
derartiger Sachen bestimmt ist, oder
- 3.
- für andere Verträge, wenn sie die Erbringung einer Dienstleistung
oder die Lieferung beweglicher Sachen zum Gegenstand haben, sofern
-
- a)
- dem Vertragsabschluss in dem Staat des Wohnsitzes des Verbrauchers
ein ausdrückliches Angebot oder eine Werbung vorausgegangen ist und
-
- b)
- der Verbraucher in diesem Staat die zum Abschluss des Vertrages erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen hat.
Hat der Vertragspartner des Verbrauchers in dem Hoheitsgebiet
eines Vertragsstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in einem
Vertragsstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige
Niederlassung, so wird er für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb so
behandelt, wie wenn er seinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet dieses
Staates hätte. Dieser Abschnitt ist nicht auf Beförderungsverträge anzuwenden.“
- 10
Artikel 14 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens bestimmt:
„Die
Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner kann
entweder vor den Gerichten des Vertragsstaats erhoben werden, in dessen
Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder vor den
Gerichten des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher
seinen Wohnsitz hat.“
- 11
Von dieser Zuständigkeitsregelung kann nur unter der Voraussetzung des
Artikels 15 des Brüsseler Übereinkommens abgewichen werden.
Die einschlägigen nationalen Bestimmungen
- 12
§ 5j des österreichischen Konsumentenschutzgesetzes (BGBl. Nr. 140/1979) lautet:
„Unternehmer,
die Gewinnzusagen oder andere vergleichbare Mitteilungen an bestimmte
Verbraucher senden und durch die Gestaltung dieser Zusendungen den
Eindruck erwecken, dass der Verbraucher einen bestimmten Preis gewonnen
habe, haben dem Verbraucher diesen Preis zu leisten; er kann auch
gerichtlich eingefordert werden.“
- 13
Diese Bestimmung wurde anlässlich der Umsetzung der Richtlinie 97/7/EG
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den
Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl.
L 144, S. 19) durch Artikel 4 des österreichischen
Fernabsatz-Gesetzes (BGBl. I Nr. 185/1999) in das
Konsumentenschutzgesetz eingefügt.
- 14
Sie ist am 1. Oktober 1999 in Kraft getreten.
- 15
Das Oberlandesgericht Innsbruck führt in seinem Vorlagebeschluss aus,
Zweck des § 5j des österreichischen Konsumentenschutzgesetzes sei
es, dem Verbraucher ein Klagerecht einzuräumen, damit er die
Durchführung einer „Gewinnzusage“ gerichtlich einklagen könne, wenn er
dadurch irregeführt worden sei, dass ein Gewerbetreibender persönlich
Kontakt mit ihm aufgenommen und bei ihm den Eindruck erweckt habe, dass
er einen Preis gewonnen habe, während das eigentliche Ziel des
Vorgangs, das darin bestehe, zu einer Warenbestellung zu motivieren,
nur im Kleingedruckten oder an einer unauffälligen Stelle des
Schreibens in schwer verständlicher Form ersichtlich werde.
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage
- 16
Aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, dass die Klägerin
Anfang 2001 von der Beklagten, die einen Warenversandhandel betreibt,
ein Schreiben erhielt, das unter ihrer Wohnungsanschrift an sie
persönlich adressiert war. Dieses Schreiben enthielt sowohl einen
„Auszahlungs-Bescheid“, dessen Form und Inhalt bei der Empfängerin den
Eindruck erweckten, sie habe bei einer von dieser Gesellschaft
veranstalteten „Bargeldziehung“ ein Preisgeld in Höhe von 455 000
ATS gewonnen, als auch einen Warenkatalog der Gesellschaft – die in
ihren Geschäftsbeziehungen zu ihren Kunden offenbar auch unter dem
Namen „Handelskontor Janus GmbH“ auftrat – mit einem Formular für eine
„unverbindliche Test-Anforderung“. In dem der Klägerin zugesandten
Werbeprospekt gab die Beklagte an, sie könne auch über Internet unter
der Adresse „www.janus-versand.com“ kontaktiert werden.
- 17
Auf dem „Auszahlungs-Bescheid“ stehen die Überschrift „Bestätigung“ und
fett gedruckt die Gewinnnummer. Der Name und die Adresse des Empfängers
und Auszahlungsberechtigten sind die der Klägerin, wobei dies alles mit
der Angabe „persönlich – nicht übertragbar“ versehen ist. Der
„Auszahlungs-Bescheid“ weist, ebenfalls fett gedruckt, den Gewinnbetrag
in Ziffern (455 000 ATS) und darunter denselben Betrag in Worten
sowie eine Bestätigung, unterzeichnet von einem gewissen Ulrich
Mändercke, aus, mit der bescheinigt wird, „dass der hier aufgeführte
Auszahlungs-Betrag korrekt wiedergegeben ist und mit unseren Unterlagen
übereinstimmt“; neben der Unterschrift steht der Zusatz „vereidigte
geprüfte Sozietät und Kanzlei“. Außerdem wurde die Klägerin
aufgefordert, das dem Schreiben beigefügte „offizielle Kanzlei-Siegel“
auf dem „Auszahlungs-Bescheid“ auf die hierfür vorgesehene Stelle zu
kleben und das Formular für eine „unverbindliche Test-Anforderung“ an
die Beklagte zurückzusenden. Weiterhin befinden sich auf dem
„Auszahlungs-Bescheid“ ein für Datum und Unterschrift vorbehaltenes
Feld, die Angabe „Hier ausfüllen“ und ein klein gedruckter Verweis auf
die Auszahlungs- und Teilnahmebedingungen. Die Klägerin musste auf
diesem „Auszahlungs-Bescheid“ angeben, dass sie diese Bedingungen
gelesen habe und anerkenne. Der „Auszahlungs-Bescheid“ fordert
schließlich die Empfängerin auf, diesen „noch heute“ ordnungsgemäß
ausgefüllt zur Bearbeitung zurückzusenden; hierfür liege ein Umschlag
bei.
- 18
Unter diesen Umständen schickte die Klägerin entsprechend der
Aufforderung der Beklagten den „Auszahlungs-Bescheid“ an diese
Gesellschaft, da sie dachte, dies reiche aus, um den versprochenen
Gewinn von 455 000 ATS zu erhalten.
- 19
Zunächst reagierte die Beklagte nicht, dann lehnte sie es ab, diesen Betrag an die Klägerin zu zahlen.
- 20
Diese erhob dann bei einem österreichischen Gericht Klage, gestützt in
erster Linie auf § 5j des österreichischen
Konsumentenschutzgesetzes, und beantragte die Verurteilung der
Gesellschaft, den Betrag von 455 000 ATS zuzüglich Zinsen und
Kosten an sie zu zahlen. Nach Auffassung der Klägerin handelt es sich
um einen Anspruch vertraglicher Natur, da die Beklagte sie mit ihrer
Gewinnzusage zum Abschluss eines Kaufvertrags über bewegliche Sachen
mit ihr habe motivieren wollen. Diese Klage stützt sich aber auch auf
weitere Klagegründe, insbesondere den Verstoß gegen vorvertragliche
Pflichten. Hilfsweise vertritt die Klägerin des Ausgangsverfahrens die
Auffassung, sie habe einen Anspruch aus unerlaubter Handlung oder einer
Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt sei.
- 21
Die Beklagte wandte das Fehlen österreichischer Gerichtsbarkeit ein und
führte zunächst aus, dass das Schreiben, auf das die Klage gegründet
sei, nicht von ihr selbst stamme, sondern von der Handelskontor Janus
GmbH, bei der es sich um eine andere juristische Person handele, ferner
dass sie der Klägerin keinen Gewinn zugesagt habe und schließlich dass
sie mit dieser nicht in vertraglicher Verbindung stehe.
- 22
Am 2. Oktober 2001 wies das Landesgericht Feldkirch (Österreich) die
Klage von Frau Engler wegen mangelnder Gerichtsbarkeit ab, da ihr der
Beweis eines Zusammenhangs zwischen der Beklagten und dem Absender der
Gewinnzusage, der „Handelskontor Janus GmbH, Postfach 1670, Abt. 3 Z 4,
D-88106 Lindau“, nicht gelungen sei.
- 23
Die Klägerin erhob gegen diese Entscheidung Rekurs beim Oberlandesgericht Innsbruck.
- 24
Dieses Gericht ist der Auffassung, dass für die Entscheidung über die
Frage der internationalen Zuständigkeit das Brüsseler Übereinkommen zu
berücksichtigen sei. Dabei sei zu prüfen, ob die von Frau Engler
erhobene Klage als auf einen Anspruch aus Vertrag im Sinne des Artikels
5 Nummer 1 des Brüsseler Übereinkommens oder auf einen Anspruch aus
unerlaubter Handlung im Sinne des Artikels 5 Nummer 3 des Brüsseler
Übereinkommens gestützt anzusehen sei oder ob sie unter Artikel 13
Absatz 1 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens falle.
- 25
Das vorlegende Gericht führt aus, dass dem Gerichtshof vom
österreichischen Obersten Gerichtshof bereits eine ähnliche Frage in
der Rechtssache C-96/00 (Urteil vom 11. Juli 2002, Gabriel, Slg. 2002,
I-6367, ergangen nach dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen an
den Gerichtshof) vorgelegt worden sei, dass sich jedoch der dieser
Rechtssache zugrunde liegende Sachverhalt vom vorliegenden Fall
unterscheide. In der Rechtssache Gabriel habe das in Rede stehende
Unternehmen die Teilnahme am Gewinnspiel – und somit die Auszahlung des
angeblichen Gewinns – nämlich davon abhängig gemacht, dass der
Verbraucher zuvor eine Bestellung aufgebe, während die Auszahlung des
Gewinns in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren weder von
der Bestellung von Waren durch den Verbraucher abhänge noch von deren
Lieferung durch die Beklagte. Die Einsendung des
„Auszahlungs-Bescheides“ habe genügen sollen.
- 26
Allerdings sei der Verbraucherin gleichzeitig mit der Zuschrift über
den angeblichen Gewinn ein Warenkatalog des Unternehmens und ein
Formular für eine „unverbindliche Test-Anforderung“ übermittelt worden,
der sie offensichtlich zum Abschluss eines Vertrages über die Lieferung
von dem Unternehmen angebotener beweglicher Sachen habe motivieren
sollen. Das vorlegende Gericht schließt daraus, dass in der Rechtssache
Gabriel ein Kaufvertrag über bewegliche Sachen zustande gekommen sei,
im vorliegenden Fall hingegen, abgesehen von der möglicherweise in
getrennter Form zu beurteilenden Gewinnzusage, nur vorvertragliche
Beziehungen zwischen den Parteien bestanden hätten.
- 27
Da das Oberlandesgericht Innsbruck annahm, dass der Ausgang des bei ihm
anhängigen Rechtsstreits unter diesen Umständen von der Auslegung des
Brüsseler Übereinkommens abhänge, hat es das Verfahren ausgesetzt und
dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist
der in § 5j des österreichischen Konsumentenschutzgesetzes in der
Fassung des Artikels 1 Ziffer 2 des österreichischen
Fernabsatz-Gesetzes den Verbrauchern eingeräumte Anspruch, von
Unternehmern den scheinbar gewonnenen Preis gerichtlich einfordern zu
können, wenn Letztere Gewinnzusagen oder andere vergleichbare
Mitteilungen an bestimmte Verbraucher senden (gesendet haben) und durch
die Gestaltung dieser Zusendungen den Eindruck erwecken (erweckt
haben), dass der Verbraucher einen bestimmten Preis gewonnen habe, im
Sinne des Brüsseler Übereinkommens auch dann
- 1.
- ein vertraglicher Anspruch nach Artikel 13 Absatz 1 Nummer 3 oder
- 2.
- ein vertraglicher Anspruch nach Artikel 5 Nummer 1 oder
- 3.
- ein Anspruch aus unerlaubter Handlung nach Artikel 5 Nummer 3,
wenn ein verständiger Verbraucher nach den ihm übermittelten
Unterlagen davon ausgehen konnte, dass der für ihn bereit gehaltene
Betrag nur noch durch Retournierung eines beiliegenden
Auszahlungs-Bescheides angefordert werden müsse und sohin die
Gewinnauszahlung nicht von der Bestellung und Lieferung von Waren bei
dem den Gewinn zusagenden Unternehmen abhängig gemacht wird,
gleichzeitig mit der so genannten Gewinnzusage dem Verbraucher aber ein
Warenkatalog desselben mit einem unverbindlichen
Test-Anforderungs-Schein übermittelt wurde?
Zur Vorlagefrage
- 28
Im Hinblick auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens ist die
vorgelegte Frage so zu verstehen, dass im Wesentlichen geklärt werden
soll, ob nach den Zuständigkeitsvorschriften des Brüsseler
Übereinkommens eine Klage, mit der ein Verbraucher nach dem Recht des
Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet er seinen Wohnsitz hat, von
einem Versandhandelsunternehmen mit Sitz in einem anderen Vertragsstaat
die Auszahlung eines scheinbar von ihm gewonnenen Preises verlangt,
eine Klage aus Vertrag im Sinne der Artikel 5 Nummer 1 oder 13 Absatz 1
Nummer 3 des Übereinkommens oder aber eine Klage aus unerlaubter
Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung
gleichgestellt ist, im Sinne von Artikel 5 Nummer 3 des Übereinkommens
ist, wenn dieses Unternehmen an den Verbraucher eine ihn namentlich
bezeichnende Sendung gerichtet hat, die den Eindruck erwecken konnte,
er werde einen Preis erhalten, sofern er dessen Auszahlung mit der
Rücksendung des dieser Sendung beigefügten „Auszahlungs-Bescheids“
verlange, und wenn diese Sendung außerdem einen Werbekatalog über Waren
dieser Gesellschaft und zugleich ein Formular für eine „unverbindliche
Test-Anforderung“ enthielt, ohne dass jedoch der Erhalt des Preises von
einer Warenbestellung abhängig gemacht worden wäre und auch wenn der
Verbraucher tatsächlich keine solche Bestellung aufgegeben hat.
- 29
Zur Beantwortung der so umformulierten Frage ist vorab darauf
hinzuweisen, dass sich der Begriff der unerlaubten Handlung oder einer
Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, im Sinne
von Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens nach ständiger
Rechtsprechung auf alle nicht an einen Vertrag im Sinne von Artikel 5
Nummer 1 des Brüsseler Übereinkommens anknüpfenden Klagen bezieht, mit
denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird (vgl.
u. a. Urteile vom 27. September 1988 in der Rechtssache 189/87,
Kalfelis, Slg. 1988, 5565, Randnr. 17, vom 26. März 1992 in der
Rechtssache C-261/90, Reichert und Kockler, Slg. 1992, I-2149, Randnr.
16, vom 27. Oktober 1998 in der Rechtssache C-51/97, Réunion européenne
u. a., Slg. 1998, I-6511, Randnr. 22, Gabriel, Randnr. 33, und vom
1. Oktober 2002 in der Rechtssache C-167/00, Henkel, Slg. 2002, I-8111,
Randnr. 36).
- 30
Daher ist zunächst zu prüfen, ob eine Klage wie die im
Ausgangsverfahren in Rede stehende als Klage aus einem Vertrag zu
qualifizieren ist.
- 31
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass sich Artikel 5 Nummer 1 des
Brüsseler Übereinkommens allgemein auf Klagen aus Vertrag bezieht,
während Artikel 13 des Übereinkommens bestimmte Arten von Verträgen
erfasst, die ein Verbraucher abgeschlossen hat.
- 32
Da Artikel 13 des Brüsseler Übereinkommens somit lex specialis
gegenüber Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens ist, ist zunächst
festzustellen, ob eine Klage mit den in der Vorlagefrage, wie sie in
Randnummer 28 umformuliert worden ist, genannten Merkmalen unter
Artikel 13 des Übereinkommens fällt.
- 33
Wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, sind die im Brüsseler
Übereinkommen – und insbesondere die in Artikel 5 Nummern 1 und 3 und
Artikel 13 des Übereinkommens – verwendeten Begriffe autonom
auszulegen, wobei in erster Linie die Systematik und die Ziele des
Übereinkommens zu berücksichtigen sind, um dessen einheitliche
Anwendung in allen Vertragsstaaten sicherzustellen (vgl. u. a.
Urteile vom 21. Juni 1978 in der Rechtssache 150/77, Bertrand, Slg.
1978, 1431, Randnrn. 14 bis 16, vom 19. Januar 1993 in der Rechtssache
C‑89/91, Shearson Lehman Hutton, Slg. 1993, I-139, Randnr. 13, vom 3.
Juli 1997 in der Rechtssache C-269/95, Benincasa, Slg. 1997, I-3767,
Randnr. 12, vom 27. April 1999 in der Rechtssache C-99/96, Mietz, Slg.
1999, I-2277, Randnr. 26, und Gabriel, Randnr. 37).
- 34
Zu Artikel 13 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens hat der
Gerichtshof, gestützt auf die in der vorstehenden Randnummer genannten
Kriterien, bereits festgestellt, dass Nummer 3 dieser Bestimmung nur
dann anzuwenden ist, wenn erstens der Kläger ein nicht berufs- oder
gewerbebezogen handelnder privater Endverbraucher ist, zweitens die
Klage an einen zwischen diesem Verbraucher und einem gewerbsmäßigen
Verkäufer geschlossenen Vertrag anknüpft, der die Lieferung beweglicher
Sachen oder die Erbringung einer Dienstleistung zum Gegenstand hat und
der gegenseitige, voneinander abhängende Pflichten zwischen den beiden
Parteien des Vertrages hat entstehen lassen, und drittens die beiden
spezifischen Voraussetzungen des Artikels 13 Absatz 1 Nummer 3
Buchstaben a und b erfüllt sind (vgl. Urteil Gabriel, Randnrn. 38 bis
40 und 47 bis 51).
- 35
Es ist aber festzustellen, dass diese Voraussetzungen im Ausgangsverfahren nicht alle erfüllt sind.
- 36
Zwar ist nicht zu bestreiten, dass in einer Situation dieser Art die
Klägerin des Ausgangsverfahrens die Eigenschaft einer von Artikel 13
Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens erfassten Verbraucherin hat und
dass sich der Verkäufer in den in Nummer 3 Buchstabe a dieser
Bestimmung vorgesehenen Formen an die Verbraucherin gewandt hat, indem
er ihr ein persönlich adressiertes Schreiben zusandte, das eine
Gewinnzusage enthielt und dem ein Katalog mit einem Bestellschein
beigefügt war, in dem seine beweglichen Sachen in dem Vertragsstaat des
Wohnsitzes der Verbraucherin zum Verkauf angeboten wurden, um die
Verbraucherin dazu zu bringen, der Aufforderung des Gewerbetreibenden
nachzukommen; doch folgte im vorliegenden Fall auf den Vorstoß des
Gewerbetreibenden nicht der Abschluss eines Vertrages zwischen der
Verbraucherin und dem gewerbsmäßigen Verkäufer, der einen der in dieser
Bestimmung spezifizierten Gegenstände betroffen hätte und in dessen
Rahmen die Parteien synallagmatische Verpflichtungen eingegangen wären.
- 37
Somit steht fest, dass der Erhalt des von der Verbraucherin angeblich
gewonnenen Preises im Ausgangsverfahren nicht von der Voraussetzung
abhing, dass sie von der Beklagten angebotene Waren bestellt, und
tatsächlich gab die Klägerin auch keine Bestellung auf. Außerdem ergibt
sich aus den Akten nicht, dass die Klägerin mit der Forderung der
Auszahlung des versprochenen „Gewinns“ irgendeine Verpflichtung
gegenüber dieser Gesellschaft eingegangen wäre, und sei es auch nur
durch die Auslagen, um den Preis zu erhalten.
- 38
Daher ist eine Klage wie die von Frau Engler im Ausgangsverfahren
erhobene nicht als Klage aus einem Vertrag im Sinne von Artikel 13
Absatz 1 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens anzusehen.
- 39
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin und der österreichischen Regierung
wird diese Feststellung weder durch das dieser Bestimmung zugrunde
liegende Ziel, dem Verbraucher als der schwächeren Partei einen
angemessenen Schutz zu gewährleisten, noch durch den Umstand
entkräftet, dass im vorliegenden Fall der von der Beklagten namentlich
an die Verbraucherin adressierten Zuschrift ein Formular mit der
Bezeichnung „unverbindliche Test-Anforderung“ beigefügt war, das
offensichtlich dazu bestimmt war, die Verbraucherin zu einer Bestellung
von Waren, die diese Gesellschaft verkauft, zu motivieren.
- 40
Wie sich aus seinem Wortlaut ergibt, betrifft Artikel 13 eindeutig von
einem Verbraucher abgeschlossene Verträge, „wenn sie die Erbringung
einer Dienstleistung oder die Lieferung beweglicher Sachen zum
Gegenstand haben“.
- 41
Die Auslegung, die den Randnummern 36 bis 38 des vorliegenden Urteils
zu entnehmen ist, wird durch die Position der in Titel II 4. Abschnitt
des Brüsseler Übereinkommens genannten Zuständigkeitsvorschriften für
Verbraucherverträge innerhalb der Systematik des Übereinkommens
bestätigt.
- 42
Die Artikel 13 bis 15 des Übereinkommens stellen nämlich eine
Abweichung vom allgemeinen Grundsatz des Artikels 2 Absatz 1 des
Übereinkommens dar, der die Zuständigkeit den Gerichten des
Vertragsstaats zuweist, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen
Wohnsitz hat.
- 43
Folglich müssen die besonderen Zuständigkeitsvorschriften in den
Artikeln 13 bis 15 des Brüsseler Übereinkommens nach ständiger
Rechtsprechung eine enge Auslegung erfahren, die nicht über die vom
Übereinkommen ausdrücklich in Betracht gezogenen Fälle hinausgehen darf
(vgl. u. a. Urteile Bertrand, Randnr. 17, Shearson Lehman Hutton,
Randnrn. 14 bis 16, Benincasa, Randnr. 13, und Mietz, Randnr. 27).
- 44
Da die Anwendung des Artikels 13 Absatz 1 Nummer 3 des Brüsseler
Übereinkommens somit in einem Fall ausgeschlossen ist, der die in der
in Randnummer 28 des vorliegenden Urteils umformulierten Frage
genannten Merkmale aufweist, ist folglich zu prüfen, ob eine Klage wie
die im Ausgangsverfahren in Rede stehende als Klage aus einem Vertrag
im Sinne des Artikels 5 Nummer 1 des Übereinkommens angesehen werden
kann.
- 45
Insoweit ist zunächst festzustellen, dass Artikel 5 Nummer 1 des
Brüsseler Übereinkommens, wie seinem Wortlaut zu entnehmen ist, nicht
den Abschluss einen Vertrages verlangt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom
17. September 2002 in der Rechtssache C-334/00, Tacconi, Slg. 2002,
I-7357, Randnr. 22).
- 46
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits
festgestellt hat, dass sich die Zuständigkeit zur Entscheidung über
Rechtsstreitigkeiten, die das Bestehen einer vertraglichen
Verpflichtung betreffen, nach Artikel 5 Nummer 1 des Brüsseler
Übereinkommens bestimmt und dass diese Vorschrift somit dann anwendbar
ist, wenn das Zustandekommen des Vertrages, aus dem der Klageanspruch
hergeleitet wird, zwischen den Parteien streitig ist (vgl. Urteil vom
4. März 1982 in der Rechtssache 38/81, Effer, Slg. 1982, 825, Randnrn.
7 und 8).
- 47
Des Weiteren ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass Ansprüche, die
ihre Grundlage in dem zwischen einem Verein und seinen Mitgliedern
bestehenden Mitgliedschaftsverhältnis haben, als Ansprüche aus einem
Vertrag im Sinne des Artikels 5 Nummer 1 des Brüsseler Übereinkommens
anzusehen sind, weil der Beitritt zu einem privatrechtlichen Verein
zwischen den Mitgliedern enge Bindungen gleicher Art schafft, wie sie
zwischen den Parteien eines Vertrages bestehen (vgl. Urteil vom 22.
März 1983 in der Rechtssache 34/82, Peters, Slg. 1983, 987, Randnrn. 13
und 15).
- 48
Aus dem Vorstehenden folgt, dass der Begriff „Vertrag oder Ansprüche
aus einem Vertrag“ gemäß Artikel 5 Nummer 1 des Brüsseler
Übereinkommens, wie der Generalanwalt in Nummer 38 seiner
Schlussanträge festgestellt hat, vom Gerichtshof nicht eng ausgelegt
wird.
- 49
Daher steht die in den Randnummern 38 und 44 des vorliegenden Urteils
getroffene Feststellung, dass die im Ausgangsverfahren erhobene Klage
keine Klage aus einem Vertrag im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 des
Brüsseler Übereinkommens ist, als solche nicht dem entgegen, dass es
sich bei dieser Klage doch um eine Klage aus Vertrag im Sinne des
Artikels 5 Nummer 1 des Übereinkommens handeln kann.
- 50
Im Hinblick auf die Frage, ob es sich im Ausgangsverfahren so verhält,
ist zum einen darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung
Artikel 5 Nummer 1 des Brüsseler Übereinkommens zwar nicht den
Abschluss eines Vertrages verlangt, für die Anwendung dieser Bestimmung
gleichwohl aber die Feststellung einer Verpflichtung unerlässlich ist,
da sich die Zuständigkeit des nationalen Gerichts dann, wenn ein
Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens
bilden, nach dem Ort bestimmt, an dem die Verpflichtung erfüllt worden
ist oder zu erfüllen wäre (vgl. Urteil Tacconi, Randnr. 22). Zum
anderen hat der Gerichtshof mehrfach entschieden, dass der Begriff
„Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ in dieser Bestimmung nicht
so verstanden werden kann, dass er eine Situation erfasst, in der es an
einer von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangenen
Verpflichtung fehlt (Urteile vom 17. Juni 1992 in der Rechtssache
C-26/91, Handte, Slg. 1992, I-3967, Randnr. 15, Réunion européenne
u. a., Randnr. 17, Tacconi, Randnr. 23, und vom 5. Februar 2004 in
der Rechtssache C-265/02, Frahuil, Slg. 2004, I‑0000, Randnr. 24).
- 51
Demzufolge setzt die Anwendung der besonderen Zuständigkeitsregel, die
für einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag in Artikel 5 Nummer
1 des Brüsseler Übereinkommens vorgesehen ist, voraus, dass eine von
einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene
Verpflichtung bestimmt werden kann, auf die sich die betreffende Klage
stützt.
- 52
Insoweit hat das vorlegende Gericht festgestellt, dass im vorliegenden
Fall zum einen ein gewerbsmäßiger Verkäufer auf seine eigene Initiative
hin einem Verbraucher, ohne dass dieser darum in irgendeiner Weise
gebeten hätte, ein Schreiben an dessen Wohnungsanschrift gesandt hat,
in dem der Verbraucher namentlich als Gewinner eines Preises bezeichnet
wurde.
- 53
Eine solche Sendung an vom Absender ausgewählte Empfänger und mit von
ihm gewählten Mitteln, die allein dem Willen ihres Urhebers entspringt,
kann daher eine „freiwillig eingegangene“ Verpflichtung im Sinne der in
Randnummer 50 des vorliegenden Urteils in Erinnerung gerufenen
Rechtsprechung darstellen.
- 54
Außerdem konnte nach Auffassung des vorlegenden Gerichts eine unter
solchen Umständen von einem Gewerbetreibenden gemachte Gewinnzusage,
bei der dieser nicht deutlich auf das Bestehen einer Unsicherheit
aufmerksam gemacht oder sogar Formulierungen verwendet hat, die
geeignet waren, den Verbraucher irrezuführen, um ihn zu einem
Vertragsschluss anzureizen, indem er von diesem Gewerbetreibenden
angebotene Waren erwirbt, bei der Empfängerin der Sendung
vernünftigerweise den Eindruck erwecken, dass sie einen Preis erhalten
werde, wenn sie den beigefügten „Auszahlungs-Bescheid“ zurücksende.
- 55
Zum anderen ist den vom vorlegenden Gericht übersandten Akten zu
entnehmen, dass die Empfängerin der streitigen Sendung ausdrücklich die
zu ihren Gunsten gemachte Gewinnzusage angenommen hat, indem sie die
Auszahlung des scheinbar von ihr gewonnenen Preises verlangte.
- 56
Zumindest ab diesem Zeitpunkt ist die freiwillig von einem
Gewerbetreibenden unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens
vorgenommene Handlung als Handlung anzusehen, die eine Verpflichtung
darstellen kann, die ihren Urheber wie ein Vertrag bindet. Daher kann,
vorbehaltlich der endgültigen Qualifizierung dieser Verpflichtung, die
Sache des vorlegenden Gerichts ist, die Voraussetzung des Bestehens
einer bindenden Verpflichtung einer Partei gegenüber einer anderen
entsprechend der in Randnummer 50 des vorliegenden Urteils genannten
Rechtsprechung ebenfalls als erfüllt angesehen werden.
- 57
Ferner bezweckt eine Klage wie die im Ausgangsverfahren von der
Verbraucherin erhobene, von dem gewerbsmäßigen Verkäufer den scheinbar
gewonnenen Preis, dessen Auszahlung von diesem verweigert wird,
gerichtlich einzufordern. Sie hat daher ihre Grundlage gerade in der
streitigen Gewinnzusage, da die vermeintlich Begünstigte deren
Nichterfüllung geltend macht, um ihre Klage zu begründen.
- 58
Folglich sind alle Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 5
Nummer 1 des Brüsseler Übereinkommens im Ausgangsverfahren erfüllt.
- 59
Aus den Gründen, die der Generalanwalt in Nummer 48 seiner
Schlussanträge dargelegt hat, ist der Umstand allein, dass der
gewerbsmäßige Verkäufer in Wahrheit nicht die Absicht hatte, den
versprochenen Gewinn an den Empfänger seiner Sendung auszuzahlen,
insoweit unerheblich. Angesichts des in Randnummer 45 des vorliegenden
Urteils Gesagten gilt dies auch für den Umstand, dass die Zuteilung des
Preises nicht von einer Warenbestellung abhängig war und die
Verbraucherin tatsächlich keine solche Bestellung aufgab.
- 60
Daher fällt eine Klage wie die von Frau Engler vor dem vorlegenden
Gericht erhobene unter Artikel 5 Nummer 1 des Brüsseler Übereinkommens,
so dass es, wie sich aus Randnummer 29 des vorliegenden Urteils ergibt,
nicht mehr notwendig ist, nach der Anwendbarkeit des Artikels 5 Nummer
3 des Übereinkommens zu fragen.
- 61
Angesichts alles Vorstehenden ist auf die Vorlagefrage zu antworten,
dass die im Brüsseler Übereinkommen aufgestellten
Zuständigkeitsvorschriften folgendermaßen auszulegen sind:
- –
- Eine Klage, mit der ein Verbraucher nach dem Recht des
Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet er seinen Wohnsitz hat, von
einem Versandhandelsunternehmen mit Sitz in einem anderen Vertragsstaat
die Auszahlung eines scheinbar von ihm gewonnenen Preises verlangt, ist
eine Klage aus Vertrag im Sinne des Artikels 5 Nummer 1 des
Übereinkommens, wenn zum einen dieses Unternehmen an den Verbraucher,
um ihn zum Vertragsschluss zu motivieren, eine ihn namentlich
bezeichnende Sendung gerichtet hat, die den Eindruck erwecken konnte,
er werde einen Preis erhalten, sofern der dieser Sendung beigefügte
„Auszahlungs-Bescheid“ zurückgesandt wird, und wenn zum anderen der
Verbraucher die vom Verkäufer festgelegten Bedingungen akzeptiert sowie
die Auszahlung des versprochenen Gewinns tatsächlich verlangt;
- –
- dagegen hat, auch wenn diese Zusendung darüber hinaus einen
Werbekatalog über die Waren dieses Unternehmens mit einem Formular für
eine „unverbindliche Test-Anforderung“ enthält, der zweifache Umstand,
dass die Zuteilung des Preises nicht von einer Warenbestellung abhängig
ist und der Verbraucher tatsächlich keine solche Bestellung aufgegeben
hat, keine Auswirkung auf die vorstehende Auslegung.
Kosten
- 62
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem
Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
|