Konkludenter
Vertragsbeitritt, Zustimmungserfordernis der verbleibenden Vertragspartei,
Rechtsfolgen fehlenden Erklärungsbewußtseins
BGH, Urteil vom 13. Juli
2005 - VIII ZR 255/04
Fundstelle:
NJW 2005, 2620
Amtl. Leitsatz:
Zum konkludenten
Eintritt eines Ehegatten als weiterer Mieter in den von seinem Ehepartner
und dem Vermieter geschlossenen Mietvertrag.
Zentrale Probleme:
Es geht um ein juristisches Alltagsproblem: Ein Ehegatte zieht aus der
gemeinsam genutzten, von ihm angemieteten Ehewohnung aus, der verbleibende
Ehegatte bewohnt die Wohnung weiter, kündigt später das Mietverhältnis und
bittet anschließend um kurze Verlängerung. Anschließend - im Zusammenhang
mit der Verpflichtung zur Vornahme von Schönheitsreparaturen - bestreitet
der Ehegatte, Partei des Mietvertrages zu sein. Der Senat läßt die Frage des
Vertragsschlusses im Wege der Stellvertretung offen und bejaht das
Zustandekommen eines Vertragsbeitritts. Dabei handelt es sich um ein nach §
311 I BGB (Vertragsfreiheit) zulässiges Rechtsinstitut (s. dazu die Anm. zu
BGH v. 20.4.2005 - XII ZR 29/02).
Anders als bei der Vertragsübernahme scheidet hier nicht eine bisherige
Vertragspartei aus, sondern es kommt eine weitere hinzu. Auch dies erfordert
einen dreiseitigen Vertrag oder aber einen Vertrag zwischen einer
Vertragspartei und dem Eintretenden unter Zustimmung der anderen bisherigen
Vertragsparteien. Dies bejaht der Senat. Das Problem des u.U. fehlenden
Erklärungsbewußtseins (der "Beitretende" hat u.U. nicht gewußt, daß sein
Verhalten, welches er nicht als Willenserklärung betrachtet hat, aus dem
Empfängerhorizont als eine solche aufgefaßt wird) löst der Senat unter
Rückgriff auf die bisherige, in der Lit. äußerst umstr. Rechtsprechung:
Mangelndes Erklärungsbewußtsein hindert danach dann nicht das Vorliegen
einer Willenserklärung, wenn der "Erklärende" bei gehöriger Aufmerksamkeit
hätte erkennen können, daß sein Verhalten als Willenserklärung gedeutet wird
(sog. "Erklärungsfahrlässigkeit"). Der "Erklärende" kann dann analog § 119
II BGB anfechten (ist dann aber nach § 122 BGB zum Ersatz des
Vertrauensschadens verpflichtet), s. dazu
BGHZ
91, 324 ff,
BGH NJW-RR 1986, 415,
BGH NJW 1995, 953
und BGH v. 5.10.2006 - III ZR 166/05.
Eine Anfechtung kam freilich hier wohl schon wegen Verfristung nach § 121 I
BGB nicht mehr in Betracht.
©sl 2005
Tatbestand:
Die Beklagte zu 2 und ihr früherer Ehemann, der Beklagte zu 1, bewohnten
aufgrund eines Mietvertrags vom 19. Juli 1984 eine Wohnung der Kläger in B.
. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses durch den Beklagten zu 1 hielt sich die
Beklagte zu 2 über mehrere Monate hinweg im Ausland auf; dies war dem
damaligen Vermieter - dem Rechtsvorgänger der Kläger - bekannt. Der Beklagte
zu 1 trug in die zur Bezeichnung des Mieters vorgesehenen Leerzeilen des
Mietvertragsformulars handschriftlich seinen eigenen Namen sowie den Namen
der Beklagten zu 2 ein und unterzeichnete den Vertrag mit seinem Namen. Nach
§ 3 Ziff. 2 des Mietvertrags werden die Schönheitsreparaturen vom Mieter
getragen.
Im Mai 1995 trennten sich die Eheleute. Der Beklagte zu 1 zog aus der
Wohnung aus, ohne den Vermieter hierüber zu unterrichten. Seitdem nutzte die
Beklagte zu 2 die Wohnung allein und leistete Mietzahlungen. Aufgrund eines
an beide Beklagten gerichteten Mieterhöhungsverlangens vom 8. März 1996
zahlte die Beklagte zu 2 ab Mai 1996 eine erhöhte Miete. Mit Schreiben vom
28. Juli 1998 erklärte die Beklagte die Kündigung "der Wohnung". In einem
Schreiben vom 5. Juli 1999 bat sie die von den Klägern beauftragte
Hausverwaltung, "den Mietvertrag" bis zum 1. Oktober 1999 zu verlängern; dem
stimmte die Hausverwaltung mit Schreiben vom 15. Juli 1999 zu. Im Oktober
1999 übersandte die Beklagte zu 2 der Hausverwaltung die Wohnungsschlüssel.
Mit Schreiben vom 29. Dezember 1999 forderten die Kläger beide Beklagte
unter Fristsetzung zur Vornahme von Schönheitsreparaturen auf und kündigten
an, nach Fristablauf Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Die
Beklagten kamen der Aufforderung nicht nach.
Die Kläger verlangen von den Beklagten Schadensersatz wegen der Kosten von
Schönheitsreparaturen und eines Sachverständigengutachtens sowie
Nutzungsausfall für die Monate September und Oktober 1999. Das Amtsgericht
hat durch Teilurteil die Beklagte zu 2 zur Zahlung von 8.587,46 € nebst
Zinsen verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der
Beklagten zu 2 hat das Landgericht die Klage durch Versäumnisurteil, das es
im weiteren aufrechterhalten hat, insgesamt abgewiesen. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision begehren die Kläger die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Teilurteils.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Den Klägern stünden keine Ansprüche auf Schadensersatz und
Nutzungsentschädigung gegen die Beklagte zu 2 zu, weil sie nicht Partei des
Mietvertrags sei. Sie sei im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht wirksam
durch den Beklagten zu 1 vertreten worden. Dieser habe keine
Vertretungsmacht zum Abschluß des Mietvertrags auch für seine damalige
Ehefrau gehabt. Die Beklagte sei dem Mietvertrag weder nachträglich
beigetreten, noch habe sie den Vertragsschluß genehmigt. Weder die alleinige
Nutzung der Wohnung durch die Beklagte seit Mai 1995 noch ihre teilweise
Zahlung der Miete ließen zwingend auf eine Genehmigung schließen. Denn es
sei ebenso möglich, daß die Beklagte jeweils im Einvernehmen mit ihrem
früheren Ehemann gehandelt habe, ohne selbst Mieterin werden zu wollen.
II. Hiergegen wenden sich die Kläger mit Erfolg.
1. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht der Auffassung, die Beklagte zu 2 sei
nicht Partei des Mietvertrags geworden.
Es kann dahinstehen, ob der Beklagte zu 1 den Mietvertrag vom 19. Juli 1984
nicht nur im eigenen Namen, sondern auch im Namen der Beklagten zu 2
geschlossen hat (§ 164 BGB); dies hat die Beklagte zu 2 - worauf die
Revisionserwiderung verweist - unter Beweisantritt bestritten. Offenbleiben
kann auch, ob die Beklagte eine etwaige vollmachtlose Erklärung des
Beklagten zu 1 in ihrem Namen bei Vertragsschluß in der Folgezeit genehmigt
hat (§§ 177 Abs. 1, 182, 184 Abs. 1 BGB).
Die Beklagte zu 2 ist dem Mietvertrag vom 19. Juli 1984 jedenfalls nach dem
Auszug des Beklagten zu 1 im Mai 1995 aus der bis zu diesem Zeitpunkt
gemeinsam genutzten Ehewohnung beigetreten und hierdurch mit allen Rechten
und Pflichten Mietvertragspartei geworden. Dies hat das Berufungsgericht,
wie die Revision zu Recht rügt, verkannt, weil es den Sachverhalt
unvollständig und in einer der Erfahrung des täglichen Lebens
widersprechenden Weise gewürdigt hat (§§ 133, 157 BGB). Der Senat kann die
Auslegung der für den Vertragsbeitritt maßgeblichen Erklärungen selbst
vornehmen, weil weitere Feststellungen insoweit nicht zu erwarten sind
(Senatsurteile BGHZ 124, 39, 45; Urteil vom 16. Dezember 1998 - VIII ZR
197/97, NJW 1999, 1022 = WM 1999, 922, unter II 2 b).
2. Die Voraussetzungen eines - stillschweigenden - Vertragsbeitritts (§§
305 a.F., 145 ff. BGB), der zwischen dem Vermieter und dem in das
Vertragsverhältnis eintretenden Mieter unter Zustimmung des bisherigen
Mieters vereinbart werden kann (vgl. Senatsurteile BGHZ 65, 49, 51 ff.;
72, 394, 397 f.; BGH, Urteil vom 4. Dezember 1997 - VII ZR 187/96, NJW-RR
1998, 594 = WM 1998, 767, unter II 2 b), liegen vor.
Die Beklagte zu 2 hat gegenüber der von den Klägern beauftragten
Hausverwaltung Erklärungen abgegeben, die nach ihrem objektiven
Erklärungswert vom Empfängerhorizont aus dahin zu verstehen sind, daß die
Beklagte eigene Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis begründen
wollte. Ohne Bedeutung ist, ob die Beklagte zu 2 eine vertragliche
Verpflichtung zu begründen beabsichtigte. Trotz fehlenden
Erklärungsbewußtseins (Rechtsbindungswillens, Geschäftswillens) liegt eine
Willenserklärung vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß seine
Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung
aufgefaßt werden durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so
verstanden hat (BGHZ 91, 324, 327 ff.;
109, 171, 177 f. m.w.Nachw.). So verhält es sich hier.
Nach der Trennung von ihrem (damaligen) Ehemann im Mai 1995 ist die Beklagte
gegenüber der von den Klägern beauftragten Hausverwaltung jahrelang wie eine
Mieterin aufgetreten. Zu keinem Zeitpunkt hat sie dabei - ausdrücklich oder
stillschweigend - zu erkennen gegeben, daß sie lediglich im Namen des
Beklagten zu 1 und nicht in Wahrnehmung eigener vertraglicher Rechte und
Pflichten handele. Die Beklagte nutzte die Wohnung seit Mai 1995 allein.
Schriftverkehr mit der Hausverwaltung führte sie in eigenem Namen. Nach dem
unstreitigen Parteivorbringen leistete sie Mietzahlungen in der nach dem
Mietvertrag vom 19. Juli 1984 geschuldeten Höhe; einem an beide Beklagte
gerichteten Mieterhöhungsverlangen vom 8. März 1996 kam die Beklagte
widerspruchslos nach. Nach ihrem Vorbringen führte sie in der Wohnung noch
nach dem Auszug des Beklagten zu 1 Schönheitsreparaturen aus. Mit Schreiben
vom 28. Juli 1998 kündigte sie - ohne dabei ihren früheren Ehemann auch nur
zu erwähnen - das Mietverhältnis. Mit weiterem Schreiben vom 5. Juli 1999
bat sie darum, "den Mietvertrag" bis zum 1. Oktober 1999 "zu verlängern", da
sie noch keine neue Wohnung gefunden habe; auch in diesem Zusammenhang trat
die Beklagte zu 2 ausschließlich im eigenen Namen und ohne Andeutung einer
Vertretung für den Beklagten zu 1 auf. In gleicher Weise teilte sie in einem
Schreiben vom 5. Oktober 1999 der Hausverwaltung ihren Auszug mit und berief
sich auf die nach § 20 Ziff. 4 des Mietvertrags geleistete, verzinste
Mietkaution in Höhe von 2.200 DM, die sie noch "gut habe". Im vorliegenden
Rechtsstreit hat sie mit dem Kautionsguthaben die Aufrechnung gegenüber den
Ansprüchen der Kläger erklärt.
Bei Würdigung aller dieser Umstände aus der Sicht eines verständigen und
redlichen Vermieters besteht kein Zweifel, daß die Beklagte zu 2 selbst als
Partei des Mietvertrages aufgetreten ist und daß die von den Klägern
bevollmächtigte Hausverwaltung dies auch so verstanden hat (§§ 164 Abs. 3,
166 Abs. 1 BGB). Die Annahme des Berufungsgerichts, es sei ebenso
möglich, daß die Beklagte zu 2 die geschilderten Handlungen "jeweils im
Einvernehmen mit dem Beklagten zu 1 vornahm, ohne selbst Mieterin werden zu
wollen", ist fernliegend und mit dem objektiven Erklärungswert der von der
Beklagten zu 2 abgegebenen Erklärungen nicht vereinbar. Im übrigen käme es
bei der gebotenen objektiven Würdigung ohnehin nicht darauf an, ob die
Beklagte zu 2 - entgegen dem äußeren Erscheinungsbild ihres Auftretens -
Mieterin werden "wollte" oder nicht.
Die Kläger haben, vertreten durch ihre Hausverwaltung, konkludent die
Annahme des Beitritts der Beklagten zu 2 in das Mietverhältnis erklärt.
Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Hausverwaltung bekannt
war, daß sich die beklagten Eheleute getrennt hatten und die Beklagte zu 2
seit Mai 1995 die Wohnung allein nutzte. Die Hausverwaltung hat die Beklagte
zu 2 - entsprechend ihrer Aufnahme in das Rubrum des Mietvertragsformulars
vom 19. Juli 1984 durch den Beklagten zu 1 - für die Beklagte zu 2 erkennbar
als Mieterin angesehen und den Mietvertrag als auch für die Beklagte zu 2
bindend behandelt. Dies ergibt sich bereits aus dem Mieterhöhungsverlangen
vom 8. März 1996, der Bestätigung des Antrags der Beklagten zu 2 auf
Verlängerung des Mietverhältnisses bis Oktober 1999 durch Schreiben der
Hausverwaltung vom 15. Juli 1999 und der Aufforderung zur Durchführung von
Schönheitsreparaturen mit Schreiben vom 29. Dezember 1999, die jeweils an
beide Beklagte gerichtet sind.
Der Beklagte zu 1 hat dem Eintritt der Beklagten zu 2 in das
Mietverhältnis stillschweigend zugestimmt (§ 182 Abs. 1 BGB), indem er - was
zumindest der Beklagten zu 2 bekannt war - aus der Wohnung ausgezogen ist
und der mit seinem Wissen in der Wohnung verbleibenden Beklagten zu 2 die
Erfüllung der gegenüber den Vermietern bestehenden mietvertraglichen
Verpflichtungen überlassen hat.
III. Auf die Revision der Kläger ist daher das Berufungsurteil aufzuheben.
Da es weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedarf, ist die Sache zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
|