Vertragsübernahme durch Vertrag zwischen den bisherigen Parteien und Zustimmung des Übernehmers; keine mietrechtlichen Formerfordernisse aus § 550 BGB für die Zustimmung; Verhältnis von mietrechtlicher Gewährleistung zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht

BGH, Urteil vom 20. April 2005 - XII ZR 29/02


Fundstelle:

NJW-RR 2005, 958


Amtl. Leitsätze:

Die Schriftform eines langfristigen Mietvertrags ist gewahrt, wenn der Vermieter mit dem Altmieter schriftlich vereinbart, daß der Neumieter in den Vertrag eintritt und dieser der Vertragsübernahme formlos zustimmt.


Zentrale Probleme:

Die Entscheidung enthält grundlegende Aussagen zur Vertragsübernahme und ist deshalb sehr lehrreich. Die Vertragsübernahme ist nicht lediglich eine Kombination zwischen Abtretung und Schuldübernahme, sondern ein eigenes, im BGB nicht geregeltes, aber nach § 311 I BGB (Vertragsfreiheit) zulässiges Rechtsinstitut. Diese kann nicht nur - wie häufig der Fall - durch einen dreiseitigen Vertrag oder durch einen Vertrag zwischen Ausscheidendem und Übernehmer mit Genehmigung des verbleibenden Vertragspartners (analog § 415 BGB), sondern - wie hier - durch einen Vertrag zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien mit Einwilligung des Eintretenden erfolgen (ohne dessen Einwilligung wäre es freilich ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter). Das ist freilich eine atypische, in der Literatur kaum behandelte Konstellation. Der BGH entscheidet hier, daß eine solche Zustimmungserklärung im Falle eines langfristigen Mietvertrags nicht der Form des § 566 BGB a.F. (jetzt: § 550 BGB) bedarf. Im übrigen ist in Rspr. und Literatur str., ob die Schuld- und Vertragsübernahme der Form des Hauptgeschäfts bedarf. Die wohl hM nimmt ein Formererfordernis an, wenn die Begründung der übernommenen Schuld einer gesetzlichen Form (etwa § 311b I BGB) bedarf (so etwa RGZ 103, 154, 156). Das ist problematisch, weil es sich eigentlich bei der Vertrags- bzw. Schuldübernahme nicht um ein Verpflichtungs-, sondern um ein Verfügungsgeschäft handelt.
Zu weiteren Problemen der Vertragsübernahme, insbes. zum Problem der Irrtumsanfechtung s.
BGH NJW 1998, 531 f. Zum konkludenten Vertragsbeitritt s. BGH v. 13.7.2005 - VIII ZR 255/04.
Für die Frage der Haftung des Beklagten gilt nach neuem Recht für das Verhältnis zwischen der mietvertraglichen Haftung und dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht ähnliches: Vor Übergabe haftet der Vermieter nach h.M. nach den allgemeinen Vorschriften (BGHZ 136, 102 = JuS 1998, 80 - nach neuem Recht allerdings str.). Hat sich der Vermieter jedoch verpflichtet, den (unmöglichen) mangelfreien Zustand herzustellen, kommt eine Garantieübernahme des Vermieters i.S.v. § 276 I 1 a.E. in Betracht, die zu einer verschuldensunabhängigen Haftung aus § 311a II führen kann (vgl. zum alten Recht BGH NJW 1999, 635, wo sich freilich noch das Problem des § 306 BGB a.F. - Nichtigkeit eines Vertarges bei anfänglicher Unmöglichkeit - stellte). Für (hier vorliegende) Rechtsmängel verdrängt die Haftung aus § 536a BGB bereits vor Übergabe das allgemeine Leistungsstörungsrecht, so daß sich der Klageanspruch hier nach neuem Recht aus § 536a I BGB ergeben würde.
Zum Verhältnis des reisevertraglichen Gewährleistungsrechts zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht s.
BGH NJW 2005, 1047.

©sl 2005


Tatbestand:

Die Klägerin begehrt als Mieterin die Feststellung, daß ihr die Beklagte zum Schadensersatz verpflichtet sei, weil diese ihr Geschäftsräume nicht überlassen, sondern anderweitig vermietet habe.

Ab Anfang 1999 verhandelte der jetzige Geschäftsführer der Klägerin Michael W. für die E.M. Verwaltungs GmbH auf der Mieterseite mit der Beklagten über die Anmietung einer größeren Gewerbefläche in dem in der Errichtung befindlichen Einkaufszentrum "E." in R., auf der ein Fachmarkt für Unterhaltungselektronik betrieben werden sollte. Am 20./26. August 1999 unterzeichnete die Beklagte als Vermieterin und Michael W. für die als Mieterin aufgeführte E.M. Verwaltungs GmbH einen Mietvertrag. Nach dessen § 1 Nr. 1 Abs. 2 wurde eine Fläche von "ca. 2.223,57 m2 (ca. 1.802,37 m2 Verkaufsfläche/ca. 421,20 m2 Nebenfläche)" vermietet. Nach § 2 des Mietvertrages wurde das Mietverhältnis auf die Dauer von zehn Jahren fest abgeschlossen mit einer Verlängerungsoption von vier mal fünf Jahren zugunsten der Mieterin. Der Mietvertrag nimmt in § 13 Nr. 5 auf Planunterlagen als Anlagen Bezug, die nach § 9 Nr. 3 Bestandteil des Mietvertrags sind.

Zugleich vereinbarten die Mietparteien im Nachtrag Nr. 1 zum Mietvertrag, daß der Mietvertrag mit allen Rechten und Pflichten nach erfolgter Eintragung der Klägerin in das Handelsregister auf diese als Mieterin übergehen und die E.M. Verwaltungs GmbH aus dem Mietvertrag ausscheiden solle. Der Nachtrag ist auf seiten der Vermieterin von einem Vertreter der Beklagten unterschrieben. Für die Mieterin hat Michael W. unter Beifügung eines Stempels der E.M. Verwaltungs GmbH unterschrieben. Die Klägerin ist am 13. August 1999 gegründet und am 28. September 1999 in das Handelsregister eingetragen worden. Mit Schreiben vom 9. November 1999 an die E.M. Verwaltungs GmbH erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Mietvertrag. Sie vermietete die Flächen an eine Konkurrentin der Klägerin, die die Räumlichkeiten im Juni 2000 bezog.

Auf die Klage der Klägerin hat das Landgericht festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Nichterfüllung des Mietvertrages entstanden sei. Dabei ging das Landgericht davon aus, daß der Vertrag formwirksam sei. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Senat angenommene Revision der Beklagten, mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage begehrt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch aus § 325 Abs. 1, § 535 BGB a.F. zu, weil die Beklagte durch Doppelvermietung des Objekts und dessen Überlassung an einen Dritten sich die Erfüllung ihrer Leistungspflicht gegenüber der Klägerin schuldhaft unmöglich gemacht habe [Anm. S.L.: Anspruchsgrundlage nach neuem Recht wäre § 280 I, III i.V.m. § 283 BGB). Der Mietvertrag sei wirksam zustande gekommen. Michael M., der der maßgebliche Gesellschafter gewesen sei, habe bei Abschluß des Mietvertrages und des Nachtrags Nr. 1 sowohl Vollmacht der Klägerin als auch der E.M. Verwaltungs GmbH besessen. Der Mietvertrag sei daher auf die Klägerin übergegangen. Der im Schreiben der Beklagten vom 9. November 1999 erklärte Rücktritt sei wirkungslos, weil der Beklagten keine Rücktrittsgründe zugestanden hätten. Die gesetzliche Schriftform des § 566 BGB a.F. [Anm.: entspricht § 550 BGB n.F.] sei eingehalten. Zwar sei der Mietgegenstand in § 1 Nr. 1 Abs. 2 des Mietvertrages nicht hinreichend bestimmbar angegeben, weil die Lage der Mietfläche innerhalb der Gesamtfläche des Einkaufszentrums von ca. 20.000 m2 nicht erkennbar sei. Diese lasse sich auch nicht aus der Baubeschreibung und aus der vorgelegten Flächenberechnung nach DIN 277 entnehmen. Die Klägerin habe jedoch in der letzten mündlichen Verhandlung die in § 13 Nr. 5 des Mietvertrages aufgeführte Planunterlage vorgelegt, die gemäß § 9 Nr. 3 des Mietvertrages ausdrücklich dessen Bestandteil sei. Dabei handele es sich um einen Lageplan des Gesamtprojekts "E." vom 9. August 1999, in dem die an die Klägerin vermietete Fläche insgesamt gelb umrandet und mit 1.802,73 m2 sowie Lager näher gekennzeichnet sei, und im übrigen um zwei Detailpläne der "Verkaufsfläche" 1.820 m2 vom 15. Juni 1999. Mittels dieser Planunterlagen, auf die der Mietvertrag verweise, sei der Inhalt der in § 1 Nr. 1 Abs. 2 niedergelegten Einigung über die Mietfläche hinsichtlich ihrer Belegenheit eindeutig ausgewiesen.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

1. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß infolge des Nachtrags Nr. 1 zum Mietvertrag zwischen der Beklagten und der E.M. Verwaltungs GmbH die Klägerin an deren Stelle in den Mietvertrag auf Mieterseite eingetreten ist. Entgegen der Meinung der Revision stellt die Vereinbarung der Beklagten mit der E.M. Verwaltungs GmbH im Nachtrag Nr. 1 keinen (unwirksamen) Vertrag zu Lasten der Klägerin dar. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Vertragsübernahme und somit auch die Pflicht der Klägerin zur Zahlung des Mietzinses ohne Mitwirkung der Klägerin hätte erfolgen sollen. Das Berufungsgericht hat jedoch den Nachtrag Nr. 1 in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dahin ausgelegt, daß die Übernahme des Mietvertrages durch die Klägerin mit deren Zustimmung erfolgen sollte.

Nach allgemeiner Meinung ist die Vertragsübernahme nicht eine Kombination von Abtretung und Schuldübernahme, sondern ein einheitliches Rechtsgeschäft. Sie bedarf der Zustimmung aller Beteiligter (vgl. BGHZ 96, 302, 308; BGHZ 154, 171, 175). Die Vertragsübernahme kann als dreiseitiger Vertrag oder aber auch durch Vertrag zwischen zwei Beteiligten geschlossen werden, der durch den dritten Beteiligten genehmigt wird. Dabei kann nach dem Prinzip der Vertragsfreiheit der Eintritt des neuen Mieters in den Vertrag auch dadurch erfolgen, daß der Neumieter einen Vertrag zwischen Vermieter und Altmieter genehmigt (vgl. BGHZ 72, 394, 396; 96, 302, 309).

Das Berufungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin, vertreten durch den Generalbevollmächtigten W., diese Zustimmung erteilt hat.

Entgegen dem Vorbringen der Revision steht dieser Annahme nicht entgegen, daß die Klägerin bei Vertragsschluß etwa noch nicht gegründet gewesen wäre und deswegen dem Übernahmevertrag nicht hätte zustimmen können. Vielmehr ist nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Oberlandesgerichts die Klägerin vor Vertragsschluß, nämlich am 13. August 1999 gegründet worden. Sie konnte daher als Vorgesellschaft der Vertragsübernahme vom 20./26. August 1999 zustimmen, wobei die Rechte und Pflichten hieraus mit der Eintragung der Klägerin in das Handelsregister auf diese übergingen (vgl. BGHZ 80, 129, 131 ff.).

2. Der Mietvertrag zwischen den Parteien entspricht der in § 566 BGB a.F. vorgesehenen Schriftform.

a) Zu Unrecht macht die Revision geltend, die Zustimmung der Klägerin zur Vertragsübernahme habe zur Erhaltung der zehnjährigen Laufzeit in § 2 des Mietvertrags gemäß § 566 BGB a.F. der Schriftform bedurft. Dies ist nicht der Fall. Vielmehr steht der Umstand, daß die Zustimmung des Dritten nicht schriftlich erfolgte, der Einhaltung der Schriftform nicht entgegen. Der Senat hat bereits entschieden, daß die Zustimmung des Mieters zu einem zwischen früherem und neuem Vermieter vereinbarten Vermieterwechsel formfrei ist (vgl. BGHZ 154, 179 f.). Die dort genannten Gründe sprechen auch dafür, daß die Zustimmung des neuen Mieters zu einem vom Vermieter und altem Mieter vereinbarten Mieterwechsel formfrei wirksam ist. Denn der Schriftform genügt auch ein Mietvertrag, der vorsieht, daß er erst nach Zustimmung eines Dritten wirksam werden soll; dessen Zustimmung muß nicht in dieselbe Urkunde aufgenommen oder gar von beiden Parteien noch einmal unterschrieben werden, da sie formfrei ist und nicht der Form des Hauptgeschäfts bedarf. § 566 BGB a.F. verfolgt eben nicht den Zweck, einem späteren Grundstückserwerber zu ermöglichen, sich allein anhand der Urkunde Gewißheit über das Zustandekommen oder den Fortbestand eines langfristigen Mietvertrages zwischen dem Veräußerer und dem Mieter zu verschaffen. Für die in § 566 Satz 1 BGB a.F. vorgeschriebene Schriftform genügt es vielmehr, wenn ein späterer Grundstückserwerber aus einer einheitlichen Urkunde ersehen kann, in welche langfristigen Vereinbarungen er nach § 571 Abs. 1 BGB a.F. gegebenenfalls eintritt, nämlich dann, wenn diese im Zeitpunkt der Umschreibung des Grundstücks (noch) bestanden (vgl. Senatsurteil vom 14. Juni 2004 - XII ZR 68/02 - NJW 2004, 2962, 2964). Diesen Voraussetzungen aber genügt der Nachtrag, weil ein potentieller Grundstückserwerber aus ihm in Verbindung mit dem Mietvertrag ersehen kann, daß er, sofern der Mietvertrag überhaupt noch besteht, in ein langfristiges Mietverhältnis entweder mit dem alten oder dem neuen Mieter eintritt.

b) Der Vertrag ist entgegen der Revision auch nicht deswegen formungültig, weil in ihm die Lage der vermieteten Fläche nicht hinreichend genau bestimmt wäre. Zu Recht führt das Oberlandesgericht allerdings aus, daß im Vertrag selbst die Lage der Mietfläche im Gesamtgebäude nicht beschrieben ist. Der von der Klägerin vorgelegte Plan ist daher nicht nur Orientierungshilfe zur näheren Bestimmung der bereits ohnehin schriftlich festgelegten Lage der vermieteten Flächen. Doch geht das Oberlandesgericht zu Recht davon aus, daß die für die Wahrung der Schriftform erforderliche Einheit der Urkunde besteht. Der Mietvertrag verweist nämlich in § 13 Nr. 5 auf die als Anlage aufgeführte Planunterlage, die gemäß § 9 Nr. 3 ausdrücklich Bestandteil des Mietvertrages ist. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts sind in dem Lageplan des Gesamtprojekts "E." vom 9. August 1999 die an die Klägerin vermieteten Flächen insgesamt gelb umrandet und mit "1.802,32 m2" sowie "Lager" näher gekennzeichnet. Das genügt, um die Einheit zwischen der Haupturkunde und der Anlage zu dokumentieren. Insbesondere brauchten die Parteien den Lageplan nicht gesondert zu unterschreiben. Soweit nämlich der vollständigen Unterschrift im Rahmen der gesetzlichen Schriftform auch die Funktion der Dokumentation und die Bekräftigung des rechtsgeschäftlichen Erklärungswillens beigemessen wird, ist diesem Erfordernis bereits durch die Unterzeichnung des Vertrags genügt, der die Anlage durch Verweisung zum Vertragsbestandteil macht (vgl. Senatsurteil vom 29. September 1999 - XII ZR 313/98 - NJW 2000, 354, 357).

c) Soweit die Beklagte rügt, die Klägerin habe selbst nicht behauptet, den Planunterlagen liege eine Einigung der Parteien zugrunde, das Berufungsgericht habe gemäß §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO auf die Bedeutung der Planunterlagen hinweisen müssen, hat der Senat diese Rügen von Verfahrensmängeln geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 565 a ZPO a.F.).

3. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ergibt sich allerdings entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht aus § 325 Abs. 1, § 535 Satz 1 BGB a.F., sondern aus §§ 541, 538 BGB a.F. Da die Beklagte die Flächen rechtswirksam anderweitig vermietet hat, liegt ein Rechtsmangel im Sinne von § 541 BGB vor. Die in dieser Vorschrift enthaltene Verweisung auf § 538 BGB a.F. verdrängt auch vor Übergabe der Mietsache die §§ 306, 275 und 325 BGB a.F. (vgl. Senatsurteil vom 29. November 1995 - XII ZR 230/94 - NJW 1996, 714, 715; BGH Urteil vom 5. Juni 1991 - V ZR 115/90 - NJW 1991, 3277).