Sachmängelhaftung beim
Kauf: Gewährleistungsausschluß unter Unternehmern; AGB-Klauselkontrolle im
unternehmerischen Geschäftsverkehr (§ 310 Abs. 1 BGB) - Indizwirkung der
besonderen Klauselverbote; Verstoß gegen § 309 Nr. 7a, b BGB im
kaufmännischen Geschäftsverkehr; Verbot geltungserhaltender Reduktion
BGH, Versäumnisurteil vom
19. September 2007 - VIII ZR 141/06 (nicht rechtskräftig)
Fundstelle:
NJW 2007, 3774
BGHZ 174, 1
Amtl. Leitsatz:
a) Fällt eine Klausel in
Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei ihrer Verwendung gegenüber Verbrauchern
unter eine Verbotsnorm des § 309 BGB, so ist dies ein Indiz dafür, dass sie
auch im Falle der Verwendung gegenüber Unternehmern zu einer unangemessenen
Benachteiligung führt, es sei denn, sie kann wegen der besonderen Interessen
und Bedürfnisse des unternehmerischen Geschäftsverkehrs ausnahmsweise als
angemessen angesehen werden (im Anschluss an BGHZ 90, 273, 278, zu § 11
AGBG).
b) Eine umfassende Freizeichnung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (hier:
eines Gebrauchtwagenkaufvertrags), nach der die Haftung des
Klauselverwenders auch für Körper- und Gesundheitsschäden (§ 309 Nr. 7
Buchst. a BGB) und für sonstige Schäden auch bei grobem Verschulden (§ 309
Nr. 7 Buchst. b BGB) ausgeschlossen ist, ist nicht nur gegenüber
Verbrauchern, sondern ebenso im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern wegen
unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders
unwirksam.
Zentrale Probleme:
Es geht um zwei wichtige Standardprobleme des AGB-Rechts,
deren zweites spezifisch für das neue Schuldrecht ist:
1. Nach § 310 Abs. 1 S. 1 BGB gelten die speziellen Klauselverbote der §§
308, 309 BGB nicht (unmittelbar) gegenüber einem Unternehmer als anderer
Vertragspartei. Sie können aber nach § 310 Abs.1 S. 2 BGB über die
Generalklausel des § 307 mittelbar zur Anwendung kommen, d.h. aus der
Nichtanwendbarkeit der Klauselverbote darf nicht der Umkehrschluß einer
absoluten Wirksamkeit einer entsprechenden Klausel gegenüber einem Kaufmann
geschlossen werden. Der BGH hatte aber bereits zum früheren AGB-Recht dem
Verstoß gegen ein solches Verbot Indizwirkung zugesprochen. Dies wird hier
bestätigt: De facto finden die Klauselverbote über § 307 BGB Anwendung, wenn
nicht spezifische Gründe des unternehmerischen Geschäftsverkehrs dagegen
sprechen (s. dazu auch
BGH NJW 2006, 47).
2. Im übrigen bestätigt der BGH seine Rechtsprechung zu den Klauselverboten
des § 309 Nr. 7a und b BGB, die sich zunehmend als "Falle" für AGB-Verwender
entpuppen, s. dazu die Anm. zu
BGH NJW 2007, 674
sowie
OLG Hamm NJW-RR 2005, 1220 und
BGH v. 19.6.2013 - VIII ZR 183/12. Wegen des Verbots der
geltungserhaltenden Reduktion ist die Klausel unwirksam, obwohl im konkreten
Fall gar kein in §§ 309 Nr. 7 a, b BGB beschriebener Fall eingetreten war.
S. auch BGH v. 4.2.2015
- VIII ZR 26/14.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Der Kläger kaufte von der Beklagten, einer Vertragshändlerin des
Fahrzeugherstellers "M. -Park", am 27. November 2003 ein gebrauchtes
Kraftfahrzeug "M. " (Erstzulassung Juni 1996) nebst Zubehör zum Preis von
30.160 €. Das bei dem Kauf von der Beklagten verwendete Vertragsformular
enthält in den Rubriken "Gesamtfahrleistung nach Angaben des Vorbesitzers"
und "Stand des Kilometer-Zählers" jeweils die handschriftliche Eintragung
"25.760". Im Übrigen heißt es im vorgedruckten Text, der Käufer bestelle
hiermit das gebrauchte Fahrzeug "zu den nachfolgenden und umseitigen
Geschäftsbedingungen ... unter Ausschluss jeder Gewährleistung". Der Vertrag
wurde vollzogen.
2 Später stellte sich heraus, dass das Fahrzeug entgegen dem Stand des
Kilometerzählers und der Angabe im Kaufvertrag nicht 25.760 km, sondern etwa
75.000 km gefahren war; auch betrug die Anzahl der Betriebsstunden nicht,
wie bei Vertragsschluss entsprechend der Anzeige des Betriebsstundenzählers
angenommen worden war, 600 Stunden, sondern etwa 3.900. Mit anwaltlichem
Schreiben vom 10. Februar 2004 erklärte der Kläger die Anfechtung des
Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung.
3 Mit seiner Klage hat der Kläger die Rückzahlung des Kaufpreises nebst
Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs sowie Zahlung weiterer
5.782,29 € nebst Zinsen als Schadensersatz begehrt. Das Landgericht hat die
Klage abgewiesen; die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit
seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein
Rückabwicklungsbegehren mit der Maßgabe weiter, dass er dieses nur noch auf
vertragliche Ansprüche wegen Mängeln des Fahrzeugs stützt. Einen darüber
hinausgehenden Anspruch auf Schadensersatz macht der Kläger im
Revisionsverfahren nicht mehr geltend; hinsichtlich der Nebenforderung hat
der Kläger die Revision teilweise zurückgenommen.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision hat Erfolg. Über das Rechtsmittel ist durch Versäumnisurteil
zu entscheiden, weil die Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung in der
mündlichen Revisionsverhandlung nicht anwaltlich vertreten war; inhaltlich
beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis der Beklagten, sondern auf
einer umfassenden Würdigung des Sach- und Streitstandes (BGHZ 37, 79, 81
f.).
I.
5 Das Berufungsgericht hat, soweit im Revisionsverfahren von Interesse, im
Wesentlichen ausgeführt:
6 Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag stünden dem Kläger aufgrund
des vertraglichen Gewährleistungsausschlusses nicht zu. Die
Sondervorschriften über den Verbrauchsgüterkauf fänden keine Anwendung, weil
der Kläger kein Verbraucher sei. Der Beklagten sei die Berufung auf den
vereinbarten Gewährleistungsausschluss nicht nach § 444 BGB verwehrt, weil
die Beklagte den Mangel der unrichtigen Kilometer- und Betriebsstundenanzahl
nicht arglistig verschwiegen habe; sie habe diesen Mangel nicht gekannt und
auch nicht erkennen können. Auch habe sie insoweit keine Garantie abgegeben.
II.
7 Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dem
Kläger steht der im Revisionsverfahren nur noch geltend gemachte Anspruch
auf Rückabwicklung des Kaufvertrages zu (§ 437 Nr. 2, § 326 Abs. 5 BGB).
Dieser Anspruch scheitert nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, an
dem im Kaufvertrag vereinbarten Haftungsausschluss. Der im Vertragsformular
vorgedruckte Haftungsausschluss ist gemäß § 307 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 310
Abs. 1 Satz 2, § 309 Nr. 7 Buchst. a und b BGB unwirksam.
8 1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass bei dem
Fahrzeug ein Sachmangel (§ 434 Abs. 1 BGB) vorliegt. Nach den
rechtsfehlerfreien Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts waren die
tatsächliche Kilometerlaufleistung des Fahrzeugs und die Anzahl der
Betriebsstunden bei Vertragsschluss wesentlich höher als vom Kilometer- und
Betriebsstundenzähler angezeigt und von den Parteien angenommen worden war.
Da dieser bei Vertragsschluss bereits vorhandene Mangel nicht behebbar ist,
ist der Anspruch des Klägers aus § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die Lieferung
einer mangelfreien Sache ausgeschlossen (§ 275 Abs. 1 BGB); dies berechtigte
den Kläger zum Rücktritt vom Kaufvertrag nach § 437 Nr. 2, § 326 Abs. 5 BGB,
ohne dass es einer Fristsetzung nach § 323 BGB bedurfte.
9 2. Dem vom Kläger mit Schreiben vom 10. Februar 2004 erklärten Rücktritt
steht der im Kaufvertrag vereinbarte Haftungsausschluss nicht entgegen. Denn
bei der vorformulierten Vertragsbestimmung über den Ausschluss jeder
Gewährleistung handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, die
der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB nicht standhält und deshalb
unwirksam ist.
10 a) Die Klausel, nach welcher der Käufer das gebrauchte Fahrzeug "unter
Ausschluss jeder Gewährleistung" bestellt, verstößt gegen die Klauselverbote
des § 309 Nr. 7 Buchst. a und b BGB. Nach diesen Bestimmungen kann in
Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Verschuldenshaftung für Körper- und
Gesundheitsschäden nicht, für sonstige Schäden nur für den Fall einfacher
Fahrlässigkeit ausgeschlossen oder begrenzt werden (BGHZ
170, 31, Tz. 19). Diesen Beschränkungen trägt ein uneingeschränkter
Haftungsausschluss in einem Gebrauchtwagenkaufvertrag wie dem vorliegenden
nicht Rechnung (vgl. BGHZ 170, 67, Tz. 10).
11 b) Allerdings sind die Klauselverbote des § 309 Nr. 7 Buchst. a und b
BGB hier nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei dem Kläger nach den
unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts um einen Unternehmer
handelt. Auf Allgemeine Geschäftsbedingungen, die gegenüber einem
Unternehmer verwendet werden, findet § 309 BGB keine Anwendung (§ 310
Abs. 1 Satz 1 BGB). Solche Geschäftsbedingungen unterliegen jedoch der
Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB, und zwar auch insoweit, als
dies zur Unwirksamkeit von Vertragsbestimmungen führt, die in § 309 BGB
aufgeführt sind; dabei ist auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten
und Bräuche angemessen Rücksicht zu nehmen (§ 310 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Diese Bestimmung, die dem früheren § 24 AGBG entspricht, bedeutet, dass bei
der Inhaltskontrolle im unternehmerischen Verkehr die in den Klauselverboten
zum Ausdruck kommenden Wertungen berücksichtigt werden sollen, soweit sie
übertragbar sind (vgl. BGHZ 89, 363 ff. und 90, 273 ff. zu § 24 AGBG;
Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., § 307 BGB Rdnr. 163,
381 ff.; MünchKommBGB/Kieninger, 5. Aufl., § 307 Rdnr. 72; MünchKommBGB/
Basedow, 5. Aufl., § 310 Rdnr. 7 ff.; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB
(2004), § 444 Rdnr. 8; Staudinger/Coester-Waltjen, BGB (2006), § 309 Nr. 7
Rdnr. 42). Insoweit hat sich die Rechtslage durch die Neuregelung in §§
307 ff. BGB nicht geändert.
12 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 11 AGBG (jetzt § 309
BGB) kommt den strikten Klauselverboten im Rahmen der Inhaltskontrolle nach
§ 9 AGBG (jetzt § 307 BGB) Indizwirkung für die Unwirksamkeit der Klausel
auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr zu (BGHZ 90, 273, 278; BGHZ
103, 316, 328). Daran hält der Senat fest. Fällt eine Klausel bei ihrer
Verwendung gegenüber Verbrauchern unter eine Verbotsnorm des § 309 BGB, so
ist dies ein Indiz dafür, dass sie auch im Falle der Verwendung gegenüber
Unternehmern zu einer unangemessenen Benachteiligung führt, es sei denn, sie
kann wegen der besonderen Interessen und Bedürfnisse des unternehmerischen
Geschäftsverkehrs ausnahmsweise als angemessen angesehen werden (vgl.
BGHZ 90, 273, 278, zu § 11 AGBG; MünchKommBGB/Kieninger, aaO, zu § 307 BGB).
13 c) Nach dieser Maßgabe ist eine umfassende Freizeichnung in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen, nach der die Haftung des Klauselverwenders - wie im
vorliegenden Gebrauchtwagenkaufvertrag - auch für Körper- und
Gesundheitsschäden (§ 309 Nr. 7 Buchst. a BGB) und für sonstige Schäden auch
bei grobem Verschulden (§ 309 Nr. 7 Buchst. b BGB) ausgeschlossen ist, nicht
nur gegenüber Verbrauchern, sondern ebenso im Geschäftsverkehr zwischen
Unternehmern wegen unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners des
Verwenders unwirksam (§ 307 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 BGB; Staudinger/Coester-Waltjen,
aaO, m.w.N.).
14 aa) Das absolute Haftungsfreizeichnungsverbot für Verletzungen des
Lebens, des Körpers und der Gesundheit (§ 309 Nr. 7 Buchst. a BGB) gilt nach
einhelliger Auffassung auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr und führt
deshalb zur Unwirksamkeit einer dagegen verstoßenden Klausel nach § 307 Abs.
1 und 2 BGB (Fuchs, aaO, Rdnr. 283 m.w.N. in Fn. 997). Die Rechtfertigung
dafür liegt darin, dass hinsichtlich des von § 309 Nr. 7 Buchst. a BGB
bezweckten Schutzes besonders wichtiger persönlicher Rechtsgüter kein Raum
ist für eine Differenzierung zwischen Unternehmern und Verbrauchern. Aus
den im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen (§ 310 Abs. 1
Satz 2 Halbs. 2 BGB) ergibt sich nichts Anderes.
15 bb) Ebenso ist eine Freizeichnung im unternehmerischen Geschäftsverkehr
bei einem Verstoß gegen § 309 Nr. 7 Buchst. b BGB jedenfalls dann unwirksam,
wenn sie - wie im vorliegenden Fall - hinsichtlich sonstiger Schäden die
Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit vollständig ausschließt. Ein
derart weitreichender Haftungsausschluss benachteiligt den Vertragspartner
des Verwenders auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr unangemessen, weil
er den Vertragszweck gefährdet (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine Haftungsbeschränkung nicht
dazu führen, dass der Klauselverwender von Verpflichtungen befreit wird,
deren Erfüllung die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrags überhaupt erst
ermöglicht und auf deren Einhaltung der Vertragspartner regelmäßig vertraut
und vertrauen darf (BGHZ 164, 11, 36; BGH, Urteil vom 15. September 2005
- I ZR 58/03, NJW-RR 2006, 267, Tz. 38). Ein Unternehmer darf ebenso wie
ein Verbraucher darauf vertrauen, dass sein Vertragspartner ihn nicht grob
fahrlässig oder gar vorsätzlich schädigt. Auch insoweit fehlt eine sachliche
Rechtfertigung dafür, hinsichtlich der Haftungsfolgen für grobes Verschulden
danach zu differenzieren, ob von dem Verschulden des Vertragspartners ein
Unternehmer oder ein Verbraucher betroffen ist. Deshalb besteht auch im
Geschäftsverkehr mit Unternehmern ein Verbot der umfassenden Freizeichnung
von der Haftung für grobes Verschulden (Fuchs, aaO, Rdnr. 285 m.w.N. in
Fn. 1000); inwieweit bei grober Fahrlässigkeit im unternehmerischen
Geschäftsverkehr eine Haftungsbeschränkung zulässig ist (dazu Fuchs, aaO,
Rdnr. 286), bedarf hier keiner Entscheidung, weil der vorliegende
Gebrauchtwagenkaufvertrag nicht lediglich eine Haftungsbeschränkung, sondern
einen umfassenden Haftungsausschluss enthält.
III.
16 Da die Revision Erfolg hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Über die entscheidungsreife Sache hat der Senat selbst zu
entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
17 Auf die Berufung des Klägers ist das angefochtene Urteil des Landgerichts
abzuändern und der Klage, soweit sie Gegenstand des Revisionsverfahrens ist,
stattzugeben. Die Klage ist, wie ausgeführt, hinsichtlich der Hauptforderung
begründet; der Anspruch auf die Nebenforderung ergibt sich aus § 288 Abs. 2,
§ 291 BGB. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 2 ZPO. |