Verweigerung der
Nacherfüllung durch den Unternehmer im Werkvertragsrecht (§ 633 II 3 BGB
a.F. = § 635 II, 275 II BGB n.F.); Maßstab für die Unverhältnismäßigkeit der
Nacherfüllungsaufwendungen
BGH, Urteil vom 10.
November 2005 - VII ZR 64/04
Fundstelle:
NJW-RR 2006, 304
Amtl. Leitsatz:
Ein
Nachbesserungsverlangen ist auch bei erheblichem Aufwand für die
Mängelbeseitigung nicht unverhältnismäßig, wenn ein objektiv berechtigtes
Interesse des Auftraggebers an einer mangelfreien Vertragsleistung besteht
(im Anschluss an BGH, Urteil vom 4. Juli 1996 - VII ZR 24/95, BauR 1996, 858
= ZfBR 1996, 313).
Zentrale Probleme:
Es geht um die Frage, wann ein Werkunternehmer die
Beseitigung eines Werkmangels wegen Unverhältnismäßigkeit verweigern kann.
Im neuen Schuldrecht stellt sich diese Frage (gleichlautend) im Rahmen von
§§ 653 II, 275 II BGB. Wichtig ist insbesondere, dass es nicht alleine auf
die Aufwendungen des Unternehmers im Verhältnis zu seinen Kosten ankommt.
Maßgeblich ist allein das Verhältnis des Aufwandes des Unternehmers im
Verhältnis zu den Nutzen des Bestellers, s. dazu die Anm. zu
BGH v. 20.7.2005 - VIII ZR 342/03;
BGH NJW 2005, 2852
sowie
BAG NZA 2005, 118. Zum Anspruch auf
Schadensersatz statt der Leistung in diesem Fall s.
BGH v. 11.10.2012 -
VII ZR 179/11.
©sl 2005
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten restlichen Werklohn für die
Ausführung von Fliesen- und Plattierungsarbeiten in der Seniorenwohnanlage
in B.
Die Beklagte beruft sich darauf, dass die Werkleistung mangelhaft erbracht
sei und rechnet mit den Restwerklohn übersteigenden Schadensersatzansprüchen
in Höhe angeblicher Mängelbeseitigungskosten auf. In der Revisionsinstanz
geht es nur noch darum, ob die Beklagte im Wege des Schadensersatzes die
Kosten beanspruchen kann, die für die Beseitigung behaupteter Mängel bei der
Abdichtung der Bäder, wegen Nichteinhaltung von Schallschutzanforderungen
und wegen einer "Rampenbildung" im Bereich des Übergangs von den gefliesten
Wohnungsfluren in die Wohn- und Schlafzimmerbereiche der Seniorenwohnungen
erforderlich sind.
Die Beklagte beauftragte die Klägerin am 28. September 2000 unter
Zugrundelegung der VOB/B mit der Ausführung der Arbeiten. Nach
Fertigstellung der Werkleistung erteilte die Klägerin unter dem 12.
September 2001 die Schlussrechnung. Die Beklagte verweigerte im Hinblick auf
Mängel die Bezahlung des Restwerklohns. Für die im Revisionsverfahren noch
relevanten Mängel rechnete sie zuletzt mit Schadensersatzansprüchen in Höhe
der Mängelbeseitigungskosten auf.
Das Landgericht hat der Klägerin von dem zunächst geltend gemachten
Restwerklohn von 43.648,84 € unter Abweisung der Klage im Übrigen 38.846,19
€ nebst Zinsen zugesprochen. Eine Abnahme liege vor. Ansprüche wegen einer
fehlerhaften Abdichtung in den Bädern und wegen Nichteinhaltung von
Schallschutzanforderungen bestünden nicht. Hinsichtlich der "Rampenbildung"
hat es eine Minderung von insgesamt 8.500 DM angenommen. Davon hat es der
Beklagten wegen einer angenommenen Mitverantwortung ihres Bauleiters und
weiterer an dem Bauvorhaben beteiligter Unternehmer nur einen Betrag von
2.125 DM zuerkannt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht den ausgeurteilten
Betrag auf 36.846,19 € nebst Zinsen reduziert. Es hat der Beklagten wegen
der unzureichenden Abdichtung in den Bädern eine Minderung von 2.000 €
zugebilligt und sich im Übrigen den Ausführungen in dem landgerichtlichen
Urteil angeschlossen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung
der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils,
soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, und insoweit zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Auf das Schuldverhältnis finden die Gesetze in der bis zum 31. Dezember 2001
geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
A. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Werkleistung der Klägerin
gemäß § 12 Nr. 5 VOB/B als abgenommen anzusehen ist. Das Berufungsgericht
hat dazu keine Ausführungen gemacht. Ob die Feststellung des Landgerichts
zutrifft, kann offen bleiben. Die Beklagte verlangt nicht mehr Erfüllung des
Vertrages, sondern macht Schadensersatzansprüche geltend (BGH, Urteil vom
10. Oktober 2002 - VII ZR 315/01, BauR 2003, 88 = ZfBR 2003, 140 = NZBau
2003, 35).
B. I. Abdichtung in den Bädern
1. Das Berufungsgericht führt aus, die Werkleistung sei mangelhaft, weil die
Klägerin in den 18 Bädern der Seniorenwohnanlage nicht das
Abdichtungsverfahren nach dem System D. verwendet habe. Die Beklagte habe im
Hinblick auf die Nachteile der herkömmlichen Bauweise darauf bestanden, dass
dieses teurere System eingebaut werde. Herkömmliche Abklebeverfahren,
nämlich eine Abdichtung auf dem Rohbeton unterhalb des Fußbodenaufbaus,
verhinderten, dass Wasser aus den Bädern in die unteren Geschosse gelangen
könne. Eine solche Abdichtung habe den Nachteil, dass durch beschädigte
Fugen des Fliesenbodens in den Fußbodenaufbau eindringendes Wasser von der
Ab-klebung auf dem Rohbeton aufgefangen werde mit der möglichen Folge, dass
der gesamte Fußbodenaufbau einschließlich der Isolierung und der
Fußbodenheizung dauerhaft durchfeuchtet werden könne. Diese Nachteile würden
durch das Verfahren D. verhindert. Dieses sehe vor, dass unter dem
Fliesenbelag eine Flüssigfolie aufgebracht werde, die nach der Aushärtung
ein Eindringen von Sickerwasser in den Fußbodenaufbau und die
Fußbodenheizung verhindere. Die von der Klägerin abweichend vom Auftrag
durchgeführte Verfugung der Fußbodenfliesen mit Epoxyd-Harz könne nach den
Ausführungen des Sachverständigen die Feuchtigkeit nicht dauerhaft
zurückhalten.
Die von der Beklagten geforderte Sanierung mit einer Erneuerung des gesamten
Fußbodenaufbaus einschließlich der Fußbodenheizung und einem Gesamtaufwand
von ca. 216.000 € sei im Hinblick auf den Gesamterfolg unverhältnismäßig
hoch. Die Beklagte könne deshalb lediglich einen Minderwert geltend machen,
der auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen auf 2.000 € zu
schätzen sei.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das
Berufungsgericht hat die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur
Unverhältnismäßigkeit der Nachbesserung verkannt und der Beklagten lediglich
einen Anspruch auf Minderung zuerkannt.
a) Nach § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB, § 13 Nr. 6 VOB/B kann der Unternehmer die
Beseitigung eines Mangels verweigern, wenn sie einen unverhältnismäßigen
Aufwand erfordert.
Eine Unverhältnismäßigkeit liegt in aller Regel nur vor, wenn einem
objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer mangelfreien
Vertragsleistung ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweise
unangemessener Aufwand gegenübersteht. Hat der Besteller objektiv ein
berechtigtes Interesse an einer ordnungsgemäßen Erfüllung des Vertrags, kann
ihm der Unternehmer regelmäßig die Nachbesserung wegen hoher Kosten der
Mängelbeseitigung nicht verweigern. Ohne Bedeutung für die
erforderliche Abwägung sind das Preis-Leistungsverhältnis und das Verhältnis
des Nachbesserungsaufwands zu den zugehörigen Vertragspreisen. Der
Einwand der Unverhältnismäßigkeit ist nur dann gerechtfertigt, wenn das
Bestehen auf ordnungsgemäßer Vertragserfüllung im Verhältnis zu dem dafür
erforderlichen Aufwand unter Abwägung aller Umstände einen Verstoß gegen
Treu und Glauben darstellt. Von Bedeutung bei der gebotenen Abwägung ist
auch, ob und in welchem Ausmaß der Unternehmer den Mangel verschuldet hat
(BGH, Urteil vom 4. Juli 1996 - VII ZR 24/95, BauR 1996, 858 = ZfBR 1996,
313; Urteil vom 24. April 1997 - VII ZR 110/96, BauR 1997, 638 = ZfBR 1997,
249; Urteil vom 6. Dezember 2001 - VII ZR 241/00, BauR 2002, 613 = ZfBR
2002, 345 = NZBau 2002, 338).
b) Das Berufungsgericht stellt rechtsfehlerhaft allein auf den
Sanierungsaufwand ab. Es berücksichtigt nicht, dass die Beklagte ein
objektiv berechtigtes Interesse an der ordnungsgemäßen Erfüllung und die
Klägerin bewusst das geschuldete System nicht eingebaut hat.
(1) Die von dem Berufungsgericht festgestellten Abdichtungsmängel
beeinträchtigen die Funktionstauglichkeit der Werkleistung der Klägerin in
erheblichem Maße.
Die Abdichtung der Bäder nach dem System D. ist bei ordnungsgemäßer
Ausführung einem herkömmlichen Abklebeverfahren überlegen. Wegen des
zwischen Fliesenbelag und Estrich einzubringenden wasserundurchlässigen
Spezialanstrichs kann durch die Fugen eintretendes Wasser in einem
besonderen Ablaufrahmen aufgefangen werden. Damit wird verhindert, dass der
Fußbodenaufbau einschließlich der Isolierung und der Fußbodenheizung
dauerhaft im Feuchten liegt.
Die von der Klägerin ausgeführte Abdichtung stellt nach den Ausführungen des
Sachverständigen keine dauerhafte Lösung dar. Gleiches gilt für den
lediglich mit Dichtstoffen verschlossenen Übergangsbereich zwischen dem
Fliesenboden und dem Wandbereich. Schon deshalb kann der Beklagten der
geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht allein im Hinblick auf den
ganz erheblichen Sanierungsaufwand versagt werden.
(2) Hinzu kommt, dass die Klägerin den Abdichtungsmangel verschuldet hat.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Geschäftsführer der
Beklagten auf der Einhaltung des Systems D. bestanden und dies bei
verschiedenen Gelegenheiten auch gegenüber der Klägerin betont.
II. Schallschutzmängel
1. Das Berufungsgericht hat Schadensersatzansprüche der Beklagten wegen der
behaupteten Schallschutzmängel mit folgenden Erwägungen verneint:
Der Sachverständige habe nicht feststellen können, dass die von der Klägerin
verwendeten Fliesen in den Bädern einen mangelhaften Schallschutz zur Folge
hätten. Ebenso wenig ließen sich eventuelle Schallbrücken im Bereich der
Gaststätte und der umgebenden Räumlichkeiten dem verwendeten Fliesenmaterial
zuordnen. Mögliche andere Ursachen für die Bildung von Schallbrücken seien
der Klägerin nicht anzulasten.
2. Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung auch dann
nicht stand, wenn von einer Abnahme der Werkleistung der Klägerin auszugehen
sein sollte.
Der Sachverständige hat eine abschließende Bewertung, ob Schallbrücken
vorhanden und diese auf die Werkleistung der Klägerin zurückzuführen sind,
nicht vorgenommen. Er hat lediglich ausgeführt, dass er mit den ihm zur
Verfügung stehenden Mitteln die von der Beklagten beschriebenen
Schallbrücken nicht feststellen könne und insoweit gegebenenfalls ein
Schallschutzgutachten einzuholen sei. Dass der Klägerin zurechenbare
Schallschutzmängel nicht vorliegen, ist daher nicht verfahrensfehlerfrei
festgestellt worden.
III. Rampenbildung
Im Übergangsbereich vom gefliesten Wohnungsflur in den Wohn- und
Schlafzimmerbereich der Seniorenwohnungen ist es unstreitig zu einem
Höhenunterschied gekommen, der durch nachträgliche Ausspachtelung
ausgeglichen werden musste.
1. Das Berufungsgericht hat sich den Ausführungen des Landgerichts
angeschlossen, dass sich insoweit ein Ausführungsfehler der Klägerin nicht
feststellen lasse. Es hat ihr jedoch angelastet, die Beklagte nicht darauf
aufmerksam gemacht zu haben, dass die nach dem Meterpunkt des
Fahrstuhlschachtes ermittelte Bodenhöhe nicht mit der Bodenhöhe im Wohn- und
Schlafzimmerbereich in Einklang zu bringen sei.
Nach der insoweit nicht angegriffenen und revisionsrechtlich nicht zu
beanstandenden Auffassung des Berufungsgerichts wäre die Beklagte durch
einen umgehenden Hinweis nach Maßgabe des § 4 Nr. 3 VOB/B in die Lage
versetzt worden, rechtzeitig eine Korrektur gegenüber dem Fenster- und
Türbauer oder über die Estrichverlegung zu erwirken.
Dass das Landgericht die Klägerin insoweit nur mit 1/4 des Minderwerts
belastet habe, sei nicht zu beanstanden, da sie mangels einer
zweckgerichteten Verbindung der Bauleistungen untereinander nicht als
Gesamtschuldnerin neben den weiter beteiligten Bauhandwerkern und dem
Bauleiter der Beklagten für den Mangel einzustehen habe.
2. Diese Ausführungen tragen die Entscheidung nicht.
a) Das Berufungsgericht ist nicht darauf eingegangen, dass die Beklagte
wegen der Rampenbildung Schadensersatzansprüche und keine Minderung geltend
gemacht hat. Dies wird unter Berücksichtigung der oben aufgezeigten
Abwägungskriterien nachzuholen sein.
b) Sofern das Berufungsgericht auch dann zu dem Ergebnis kommen sollte, dass
die Beklagte nur eine Minderung der Werklohnforderung beanspruchen kann,
wird für das weitere Verfahren auf folgendes hingewiesen:
(1) Der Sachverständige hat den wegen der "Rampenbildung" verbleibenden
technischen Minderwert auf 8.500 DM geschätzt. Dieser Betrag ist nicht
nachvollziehbar, da der Sachverständige nicht dargelegt hat, auf welchen
Grundlagen seine Schätzung beruht und aufgrund welcher Rechenschritte er zu
dem genannten Betrag gekommen ist. Dies wird gegebenenfalls nachzuholen
sein.
(2) Die Klägerin haftet nach der Beurteilung des Berufungsgerichts wegen der
Rampenbildung, weil sie ihre Hinweispflicht nach § 4 Nr. 3 VOB/B verletzt
hat. Sie hat die Beklagte nicht darauf hingewiesen, dass bei den Vorarbeiten
ca. 4 cm vom Meterpunkt abgewichen wurde und dieser Mangel vor Ausführung
ihrer Arbeiten zu beseitigen ist. Selbst eine anderen Unternehmern oder dem
aufsichtführenden Architekten anzulastende Mitverursachung der Mängel würde
keine Beschränkung der Haftung der Klägerin auf einen Teil rechtfertigen.
Mehrere Mitverursacher könnten vielmehr in vollem Umfang Gesamtschuldner
sein.
Der Beklagten ist im Verhältnis zur Klägerin nur ein eigenes Fehlverhalten
oder ein solches ihrer Erfüllungsgehilfen zuzurechnen. Dass dies vorliegt,
ist vom Berufungsgericht nicht festgestellt. Insbesondere hat der
Auftraggeber regelmäßig nicht für Mängel der Vorunternehmer einzustehen
(BGH, Urteile vom 27. Juni 1985 - VII ZR 23/84, BGHZ 95, 128 und vom 21.
Oktober 1999 - VII ZR 185/98, BGHZ 143, 32), weil diese nicht
Erfüllungsgehilfen sind.
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