Recht am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbetrieb; Unmittelbarkeit und Betriebsbezogenheit des Eingriffs bei
"boykottähnlichen Maßnahmen"; Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung:
Interessen- und Güterabwägung
BGH, Urteil vom 15. Mai 2012 - VI ZR
117/11
Fundstelle:
NJW 2012, 2579
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
a) Das Recht am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb ist nicht auf Gewerbebetriebe im handelsrechtlichen Sinn
beschränkt, sondern steht auch den Angehörigen freier Berufe zu (hier:
Sporttrainer).
b) Eine Behinderung der Erwerbstätigkeit ist unter dem Gesichtspunkt des
Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb rechtswidrig, wenn
das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen
Seite überwiegt. Insoweit ist eine umfassende Interessen-und Güterabwägung
erforderlich.
c) Zur Interessenabwägung, wenn die Bundesrepublik Deutschland (Bundeswehr)
nicht duldet, dass ein freier Sporttrainer, der für das Ministerium für
Staatssicherheit der ehemaligen DDR tätig war, Sportsoldaten trainiert.
Zentrale Probleme:
Eine schöne Entscheidung zum
"Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb". Dabei handelt es
sich bekanntlich um ein "sonstiges Recht" i.S.v. § 823 I BGB, bei welchem -
anders als bei direkten Eingriffen in die in § 823 I BGB ausdrücklich
benannten Rechtsgüter - die Rechtswidrigkeit nicht indiziert ist, sondern
positiv festgestellt werden muss (grundlegend BGHZ
29, 65; s. dazu die Anm. zu BGH NJW
1999, 279
sowie zu BGH NJW 2003, 1040
[da ging's auch um's Eislaufen!];
zur gleichen Problematik beim Allgemeinen Persönlichkeitsrecht s. zuletzt
BGH v. 8.5.2012 - VI ZR 217/08).
Die Problematik ist hier nicht unmittelbar in einen Schadensersatzanspruch
nach § 823 I BGB eingebettet, der Kläger macht vielmehr einen
Unterlassungsanspruch (analog) § 1004 I BGB geltend (sog. "ergänzender
Unterlassungsanspruch").
©sl 2012
Tatbestand:
1 Der Kläger begehrt von der
Bundesrepublik Deutschland, seine Tätigkeit als Eiskunstlauftrainer von
Soldaten der Sportfördergruppe der Bundeswehr zu dulden.
2 Der Kläger war bis 1998 Spitzensportler im Eiskunstlauf, zunächst
in der DDR, später im wiedervereinigten Deutschland. Zur Zeit ist er
erfolgreicher Eiskunstpaarlauftrainer. Er trainiert seit mehreren Jahren
Aljona Savchenko und Robin Szolkowy, die zwischen 2004 und 2011 zahlreiche
nationale und internationale Erfolge im Eiskunstpaarlauf erzielten.
3 Die Beklagte fördert Spitzensportler bei der Bundeswehr nach Maßgabe der
"Regelung für die Förderung von Spitzensportlern bei der Bundeswehr" vom 3.
Juli 1992. Danach werden Spitzensportler nach der Grundausbildung in
Sportfördergruppen versetzt. Dort machen die militärische Ausbildung 30 %
des Dienstes, das sportliche Training und die Wettkämpfe 70 % aus. Die Pläne
für das dienstliche Training und die Wettkämpfe erstellen die Bundestrainer
oder die von den Spitzenverbänden beauftragten Trainer, nicht die Beklagte.
4 Aufgrund seiner Bewerbung vom 23. Mai 2003 war der Kläger seit dem 1.
August 2003 Sportsoldat im Dienstrang eines Stabsunteroffiziers im
Soldatenverhältnis auf Zeit bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr in der
Funktion eines Eiskunstpaarlauftrainers. Mit Bescheid vom 31. März
2006 wurde der Kläger aus dem Soldatenverhältnis entlassen. Er hatte bei
seiner Einstellung und bei seiner Berufung in das Dienstverhältnis eines
Soldaten auf Zeit auf Fragebögen die Fragen nach einer Tätigkeit für das
Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR wahrheitswidrig
verneint. Die verwaltungsgerichtliche Klage des Klägers gegen seine
Entlassung hatte (bisher) keinen Erfolg.
5 Nach seiner Entlassung aus der Bundeswehr akkreditierte die Deutsche
Eislauf-Union (DEU) als der nationale Fachverband für das Eiskunstlaufen und
Eistanzen in Deutschland den Kläger zeitweise nicht mehr als Trainer und
lehnte eine Zusammenarbeit mit ihm ab. In der Folge einigten sich
der Verband und der Kläger im Rahmen mehrerer gerichtlicher Verfahren, dass
dieser als Trainer des genannten Eiskunstlaufpaares tätig blieb.
Der Kläger trainierte außerdem auch ausländische Eiskunstlaufpaare. Auf eine
Anfrage des Klägers vom 31. Januar 2007 bei dem zuständigen
Wehrbereichskommando, ob Bedenken dagegen bestünden, dass er "als Trainer
tätig ist, sofern die von ihm trainierten Sportler Angehörige der
Sportfördergruppe sind und (er) vom Verband als verantwortlicher Trainer
benannt wird", antwortete das zuständige Wehrbereichskommando im September
2007, dass der Befehlshaber in diesem Wehrbereich ein Training der
Sportsoldaten seines Kommandos im Dienst durch den Kläger nicht zulassen
werde; zur Begründung wurde auf die Entlassungsverfügung vom 31.
März 2006 und auf einen Beschwerdebescheid vom 5. Mai 2006 Bezug genommen.
6 Der Eiskunstpaarläufer Robin Szolkowy war seit Herbst 2003 Sportsoldat auf
Zeit im Dienste der Beklagten. Er hielt an dem Kläger als Trainer fest. Da
die Deutsche Eislauf-Union für ihn zunächst keinen verantwortlichen Trainer
benannte (und für ihn kein Bundestrainer zur Verfügung stand) - was
Voraussetzung für den Dienst als Sportsoldat ist -, wurde das
Soldatenverhältnis zwischen Robin Szolkowy und der Beklagten nicht mehr
verlängert und endete damit im Sommer 2006. Sein Antrag vom 3. September
2009 auf Wiedereinstellung, den die Deutsche Eislauf-Union und der Deutsche
Olympische Sportbund (DOSB) befürworteten, wurde mit der Begründung
zurückgewiesen, dass mit dem Kläger als selbstgewähltem
Privattrainer kein Bundestrainer bzw. kein von einem Spitzenverband
beauftragter Trainer benannt worden sei.
7 In diesem Rechtsstreit hat der Kläger zuletzt begehrt, die
Beklagte zu verurteilen, ihn als Eiskunstlauftrainer von Soldaten der
Sportfördergruppe, Disziplin Paarlauf, zu dulden, sofern Sportsoldaten ihn
als Trainer haben oder wählen, er vom Spitzenverband beauftragt ist und der
DOSB seine Tätigkeit befürwortet.
8 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht
hat die Beklagte auf die Berufung des Klägers antragsgemäß verurteilt. Mit
der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren
Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
9 Das Berufungsgericht, dessen Urteil vom 29. März 2011 (Brandenburgisches
Oberlandesgericht - 6 U 66/10) in juris veröffentlicht ist, führt im
Wesentlichen aus:
10 Das in der Berufungsinstanz verfolgte Leistungsbegehren des
Klägers sei unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs der Beklagten in den
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers berechtigt (§ 823
Abs. 1, §§ 31, 89, 1004 Abs. 1 BGB). Die Beklagte greife in den
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers ein, wenn sie nicht
dulde, dass der Kläger Sportsoldaten trainiere. Die Beklagte könne sich
hierfür auf rechtfertigende Umstände bzw. die Wahrnehmung berechtigter
Interessen nicht berufen.
11 Das Verhalten der Beklagten stelle einen betriebsbezogenen
Eingriff in den geschützten betrieblichen Bereich des Klägers dar.
Der Kläger sei, seitdem er nicht mehr Sportsoldat sei, selbstständiger
Trainer und Lehrer und erziele mit dieser Tätigkeit Einkünfte. Er übe zu
Erwerbszwecken die Tätigkeit als Eiskunstlauftrainer freiberuflich aus. Auch
Angehörige freier Berufe könnten sich auf den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB
berufen.
12 Das Verhalten der Beklagten stelle einen unmittelbaren
betriebsbezogenen Eingriff dar. Der Umstand, dass die Beklagte ein Training
von Sportsoldaten durch den Kläger nicht dulde oder dulden werde, stelle
eine zielgerichtete Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehungen des Klägers zu
seinen Auftraggebern dar. Die Beklagte habe zweifelsfrei die Absicht, einem
Sportsoldaten, der bei dem Kläger trainieren wolle, dies zu untersagen und
ein entsprechendes Verhalten entweder disziplinarrechtlich durchzusetzen
oder aber ihn, wenn er sich nicht daran halten wolle, aus der
Sportfördergruppe zu entlassen, ferner einen Sportler nicht in die
Sportfördergruppe aufzunehmen, wenn er beim Kläger trainieren sollte. Die
Beklagte habe nicht vorgetragen, dass sie sich Sportsoldaten gegenüber
anders verhalten werde, als sie es dem Kläger gegenüber angekündigt habe.
13 Es spreche alles dafür, dass auf Seiten der Sportsoldaten, die in der
Disziplin Eiskunstlauf trainierten, und auch auf Seiten der sportlichen
Spitzenverbände ein Interesse bestehe, dass der Kläger als Trainer von
Sportsoldaten tätig werde. Er trainiere die mit Abstand erfolgreichsten
deutschen Sportler im Eiskunstlauf. Der Kläger müsse nicht im Einzelnen
darlegen, welches Mitglied der Sportfördergruppe konkret an ihn
herangetreten sei. Es reiche aus darzulegen, dass es sich bei den
Sportsoldaten potentiell um solche Athleten handele, durch deren Training
der Kläger Einkünfte erzielen könnte, und dass dafür, dass er hier Aufträge
erhalten könnte, eine gewisse Wahrscheinlichkeit spreche bzw. dass seine
Aussichten auf Aufträge nicht rein hypothetischer Natur seien.
14 Der Kläger sei Trainer für Spitzensportler im Eiskunstlauf. Die
potentiellen Kunden des Klägers stünden angesichts der Tatsache, dass alle
Spitzensportler - außer dem vom Kläger trainierten Eiskunstlaufpaar - in
diesem Bereich Sportsoldaten seien, im Dienst der Beklagten. Der Sache nach
verschließe die Beklagte dem Kläger einen Markt an Nachfragern, weil
Sportsoldaten nur unter Inkaufnahme empfindlicher wirtschaftlicher Nachteile
seine Leistungen in Anspruch nehmen könnten. Die Nachfrager der Leistungen
des Klägers seien die Sportsoldaten, sofern sie ihn direkt entlohnen
sollten, bzw. auch die Spitzenverbände, sofern diese beabsichtigen, den
Kläger für das Training von Sportsoldaten zu bezahlen.
15 Die Beklagte, die ihr Rechtsverhältnis zum Kläger durch die fristlose
Entlassung beendet habe, setze mit der von ihr mit der vorliegenden Klage
angegriffenen Maßnahme ihre Entscheidung, sich von dem Kläger zu trennen,
mit Wirkung sowohl gegenüber den bei ihr tätigen Sportsoldaten als auch
gegenüber den Spitzenverbänden des Sports durch. Die Frage, ob hierin ein
klassischer Boykott oder ein einfacher Boykott zu sehen sei, müsse nicht
abschließend entschieden werden. Jedenfalls stelle das Verhalten der
Beklagten einen zielgerichteten Eingriff in die Erwerbsmöglichkeiten des
Klägers dar, weil Sportsoldaten, die ihre durch den Soldatenstatus
begründete Existenzsicherung nicht verlieren wollten, beim Kläger nicht
trainieren könnten.
16 Nach Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien sehe der Senat
die Verhaltensweise der Beklagten nicht als gerechtfertigt an.
II.
17 Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat einen
Anspruch des Klägers gegen die Beklagte, seine Tätigkeit als
Eiskunstlauftrainer von Sportsoldaten unter den im Tenor des
Berufungsurteils genannten Voraussetzungen nicht zu behindern, ohne
Rechtsfehler bejaht.
18 Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des
Berufungsgerichts, dass das vom Kläger beanstandete Verhalten der Beklagten
einen Eingriff in dessen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
darstellt und daher zu unterlassen ist (§ 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 BGB).
19 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Schutz
des § 823 Abs. 1 BGB gegen jede Beeinträchtigung des Rechts am
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, wenn sie einen unmittelbaren
Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt, gewährt. Das Recht
am bestehenden Gewerbebetrieb wird durch § 823 Abs. 1 BGB nicht nur in
seinem eigentlichen Bestand, sondern auch in seinen einzelnen
Erscheinungsformen, wozu der gesamte gewerbliche Tätigkeitskreis zu rechnen
ist, vor unmittelbaren Störungen bewahrt. Unter dem Begriff des
Gewerbebetriebes im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist alles das zu verstehen,
was in seiner Gesamtheit den Gewerbebetrieb zur Entfaltung und Betätigung in
der Wirtschaft befähigt, also nicht nur Betriebsräume und -grundstücke,
Maschinen und Gerätschaften, Einrichtungsgegenstände und Warenvorräte,
sondern auch Geschäftsverbindungen, Kundenkreis und Außenstände. Durch den
dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb von der Rechtsprechung
gewährten und nach und nach erweiterten Schutz soll das Unternehmen in
seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, in seinem Funktionieren vor
widerrechtlichen Eingriffen bewahrt bleiben (Senatsurteil vom 9.
Dezember 1958 - VI ZR 199/57,
BGHZ 29, 65, 69 f.).
Das Recht am Unternehmen ist dabei nicht auf Gewerbebetriebe im
handelsrechtlichen Sinn beschränkt, sondern steht auch den Angehörigen
freier Berufe zu (MünchKommBGB/ Wagner, 5. Aufl., § 823 Rn. 192 mwN).
20 Danach trifft die Auffassung des Berufungsgerichts zu, dass der Kläger
sich, sofern seine Tätigkeit als freier Sporttrainer, der mit dieser
Tätigkeit Einkünfte erzielt, in Frage steht, grundsätzlich gegen eine
Beeinträchtigung seines Unternehmens nach § 823 Abs. 1 BGB unter Berufung
auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zur Wehr
setzen kann.
21 2. Unmittelbare Eingriffe in das Recht am
bestehenden Gewerbebetrieb, gegen welche § 823 Abs. 1 BGB Schutz gewährt,
sind nur diejenigen, die irgendwie gegen den Betrieb als solchen gerichtet
also betriebsbezogen sind und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres
ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen (Senatsurteil
vom 9. Dezember 1958, aaO, S. 74). Dies kann auch dann
der Fall sein, wenn nur einzelne Geschäftsaktivitäten des Unternehmens
beeinträchtigt werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. Februar 1983 - I ZR
207/80, NJW 1983, 2195, 2196).
22 Danach beurteilt das Berufungsgericht das vom Kläger beanstandete
Verhalten der Beklagten ohne Rechtsfehler als betriebsbezogen. Die
Beklagte will nicht dulden, dass Sportler, die von dem Kläger trainiert
werden, Sportsoldaten sind. Zutreffend stellt das Berufungsgericht
insoweit darauf ab, dass die Beklagte dem Kläger auf dessen Anfrage hin
mitgeteilt hat, Generalmajor O. werde es nicht dulden, dass der Kläger
Sportsoldaten seines Kommandobereichs im Dienst trainiere. Aus dieser
Mitteilung ist nach der bedenkenfreien Feststellung des Berufungsgerichts
die Absicht der Beklagten zu entnehmen, einem Sportsoldaten, der bei dem
Kläger trainieren wolle, dies zu untersagen und ein entsprechendes Verhalten
entweder disziplinarrechtlich durchzusetzen oder aber ihn, wenn er sich
nicht daran halten will, aus der Sportfördergruppe zu entlassen. Das
Berufungsgericht entnimmt dem ferner zutreffend die Absicht, einen Sportler
nicht in die Sportfördergruppe aufzunehmen, wenn er den Kläger als Trainer
wählen sollte. Dass die Beklagte gewillt ist, ihre Absicht durchzusetzen,
zeigt der Fall des Eiskunstläufers Robin Szolkowy.
23 Durch dieses Vorgehen wird die Tätigkeit des Klägers als freier
Sporttrainer erheblich beeinträchtigt. Das Institut des
Sportsoldaten ist ein wichtiger Teil der Förderung von Sportlern durch den
deutschen Staat. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erfolgt die
staatliche Sportförderung - neben der Förderung durch die Polizei und durch
den Zoll - durch die Bundeswehr. Die Sportsoldaten beziehen einen
Sold, leisten nur in geringfügigem Umfang militärischen Dienst und bringen
den überwiegenden Teil ihrer Dienstzeit im Training zu. Auf diese Weise
erhalten sie ein regelmäßiges Einkommen und eine soziale Absicherung, die es
ihnen ermöglicht, ohne auf eine Berufstätigkeit zum Lebensunterhalt
angewiesen zu sein, Sport auf hohem Niveau zu betreiben. Der Wintersport ist
ein Schwerpunkt dieser Art von Sportförderung. Nach dem
unbestrittenen Vortrag des Klägers wird der Eiskunstlauf in Deutschland nur
auf diese Weise gefördert. Alle Spitzensportler in diesem Bereich sind
Sportsoldaten mit Ausnahme des Eiskunstlaufpaars, das der Kläger trainiert.
Die potentiellen Kunden des Klägers, also die Spitzensportler, auf die er
nach seiner Qualifikation als Trainer ausgerichtet ist, stehen mithin
jedenfalls zu einem ganz erheblichen Teil im Dienst der Beklagten.
24 Nach Auffassung der Beklagten dürfen Sportler, die den Kläger als Trainer
wählen, dadurch gemaßregelt werden, dass ihnen die Möglichkeit, Sportsoldat
zu sein, verwehrt wird, so dass sie nicht in den Genuss der damit
verbundenen oben beschriebenen Vorteile kommen und die Kosten für die
Beschäftigung des Klägers aus anderweit erzielten Einnahmen finanzieren
müssen, soweit ihnen dies überhaupt möglich ist. Mit Recht führt das
Berufungsgericht aus, der Sache nach verschließe die Beklagte dem Kläger
einen Markt an Nachfragern, weil Sportsoldaten nur unter Inkaufnahme
empfindlicher wirtschaftlicher Nachteile seine Leistungen in Anspruch nehmen
könnten; die Nachfrager der Leistungen des Klägers sind die Sportsoldaten,
sofern sie ihn direkt entlohnen sollten, bzw. auch die Spitzenverbände,
sofern diese beabsichtigen, den Kläger für das Training von Sportsoldaten zu
bezahlen.
25 Es mag sein, dass den mehrmaligen deutschen Meistern, Europameistern und
Weltmeistern Aljona Savchenko und Robin Szolkowy eine solche Finanzierung
aus sonstigen Einnahmen möglich ist und der Kläger durch seine Tätigkeit für
diese die Einkünfte erzielt, die er auch hätte, wenn Robin Szolkowy
Sportsoldat wäre. Zutreffend stellt das Berufungsgericht aber darauf
ab, dass das Verhalten der Beklagten einen Abschreckungseffekt auf solche
Sportler ausübt, die Spitzenleistungen erst in Zukunft noch erzielen wollen
und die auf die Einkünfte als Sportsoldat nicht verzichten können.
Diesen wird die Inanspruchnahme des Klägers als internationalem
Spitzentrainer faktisch unmöglich gemacht. Dessen Unternehmen wird insoweit
erheblich beeinträchtigt. Dass er durch anderweite Trainingstätigkeit
gegebenenfalls auskömmliche Erträge erzielen kann, ist nicht entscheidend.
26 3. Die Revision wendet sich gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts,
dass im Streitfall wohl ein "Boykott" der Beklagten gegen den Kläger
vorliege. Darauf und auf die Frage, ob ein Boykott "im Rechtssinne" oder ein
"einfacher" Boykott vorliegt, kommt es indes nicht an. Ein Eingriff
in den Gewerbebetrieb kann auch bei boykottähnlichen Maßnahmen, zu denen das
Verhalten der Beklagten im Streitfall zweifellos gehört, vorliegen.
Entscheidend ist insoweit nur, dass die unternehmerische Tätigkeit
des Betroffenen beeinträchtigt wird. Dabei muss im Auge behalten werden,
dass mit der Qualifizierung eines Verhaltens als "Boykott" oder
boykottähnlich noch nichts über dessen Rechtswidrigkeit gesagt ist. In einer
freien Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung können Boykottaufrufe oder
boykottähnliche Maßnahmen vielfach gerechtfertigt sein, wenn sie auf wahre
Tatsachen und ausreichend sachlich motivierte Gründe gestützt sind
(vgl. MünchKommBGB/Wagner, aaO; Rn. 215 ff.).
27 4. Da danach die objektiven Voraussetzungen für die Annahme eines
Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliegen, ist
- wie auch im Berufungsurteil geschehen - zu prüfen, ob das Verhalten der
Beklagten als rechtswidrig zu qualifizieren ist. Das Recht am Gewerbebetrieb
stellt einen offenen Tatbestand dar, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus
einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret
kollidierenden Interessensphäre anderer ergeben (vgl. Senatsurteile
vom 13. März 1979 - VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9, 14; vom 7. Februar 1984 - VI
ZR 193/82, BGHZ 90, 113, 124 f.; vom 21. April 1998 - VI ZR 196/97, BGHZ
138, 311, 318 jew. mwN). Die Behinderung der Erwerbstätigkeit ist
nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die
schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (ähnlich wie beim
Persönlichkeitsrecht, vgl. etwa Senatsurteile vom
15. Dezember 2009 - VI ZR 227/08,
BGHZ 183, 353 Rn. 11 - Onlinearchiv I;
vom 9. Februar 2010 - VI ZR 243/08,
VersR 2010, 673 Rn. 14 - Onlinearchiv II;
vom 20. April 2010 - VI ZR 245/08, NJW 2010, 2728 Rn. 12, jeweils mwN).
28 Hier ergibt die Abwägung, dass das Schutzinteresse des Klägers
überwiegt. Dabei sind folgende Umstände von Bedeutung:
29 a) Es kann davon ausgegangen werden, dass die Beklagte ihre Entscheidung,
den Kläger nicht als Trainer von Sportsoldaten zu dulden, auf dessen falsche
Angaben bei seiner Einstellung und auch auf seine Tätigkeit für das
Ministerium für Staatssicherheit als solche gestützt hat. Es kann auch
unterstellt werden, dass die wahrheitswidrige Verneinung einer Tätigkeit für
das Ministerium für Staatssicherheit aus soldatenrechtlicher Sicht die
Entlassung des Klägers als Sportsoldat gerechtfertigt hat. Diese Umstände
können in die Abwägung eingestellt und es kann zugrunde gelegt werden, dass
ihre Berücksichtigung entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nicht
entsprechend § 21 Abs. 3 Satz 1 und 3 StUG a.F. ausgeschlossen ist.
30 b) Die Abwägung hat sich nicht daran zu orientieren, welche
Maßnahmen die Beklagte gegen eine Beschäftigung des Klägers in ihrem
Zuständigkeits- und Direktionsbereich (Bundeswehr) mit Blick auf dessen
Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit ergreifen durfte.
Der Kläger beanstandet im vorliegenden Rechtsstreit nicht die gegen ihn
ergriffenen dienstrechtlichen Maßnahmen. Er beanstandet lediglich, dass die
Beklagte eine Tätigkeit verhindert, bezüglich der die von der Beklagten
herangezogenen dienstrechtlichen Gesichtspunkte weitgehend zurücktreten,
weil es nicht um die militärische Aus-und Weiterbildung, sondern um das
"sportliche Training/Wettkampf" der Sportsoldaten geht, für das die
Bundestrainer oder die von den Spitzenverbänden beauftragten Trainer
verantwortlich sind (vgl. Nr. 13, 16 und 17 der Regelung für die Förderung
von Spitzensportlern bei der Bundeswehr vom 17. Mai 1991 - VMBl. 1992, 257).
Dieser Bereich ist im System der Sportförderung durch das Institut des
"Sportsoldaten" von dem soldatenrechtlichen Direktionsbereich der Beklagten
weitgehend getrennt. Die Ausgestaltung des Sporttrainings obliegt den
zuständigen Sportverbänden und dem Sportler selbst. Das Training findet in
der Regel nicht in der Kaserne, sondern in den Olympiastützpunkten bzw.
Leistungszentren der Spitzenverbände im In- und Ausland statt (vgl. Nr. 18
Abs. 1 Satz 1 der vorgenannten Regelung).
31 c) Ein überwiegendes Schutzinteresse der Beklagten könnte nur
bejaht werden, wenn durch die Tolerierung der Tätigkeit des Klägers als
Trainer von Sportsoldaten rechtlich erhebliche Interessen, insbesondere das
Ansehen der Bundeswehr in nennenswerter Weise beeinträchtigt sein könnte.
Die Behinderung der Berufsausübung des Klägers in dem der Bundeswehr fern
liegenden Bereich des sportlichen Trainings müsste aus in der Person des
Klägers liegenden, die rechtlich geschützten Interessen der Bundeswehr
gefährdenden Gründen als gerechtfertigt erscheinen. Dies ist indes nicht der
Fall.
32 aa) Die Tätigkeit des Klägers für das Ministerium für Staatssicherheit
der ehemaligen DDR und die falschen Angaben anlässlich seiner Einstellung
als Sportsoldat dürfen keineswegs bagatellisiert werden. Doch liegt dieses
Verhalten Jahre zurück. Das Gewicht derartiger Verfehlungen für die heutige
Beurteilung der Persönlichkeit nimmt mit zunehmendem Abstand von dem System
der DDR ab; Haltung und Leistung nach der Wende können mehr und mehr in den
Vordergrund treten.
33 bb) Der Kläger wurde in das System der Stasi in jungen Jahren verstrickt.
Nennenswerten Schaden hat er nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
nicht angerichtet.
34 cc) Nach der Wiedervereinigung war der Kläger zwölf Jahre als Sportsoldat
für die Beklagte tätig. Er ist für treue Dienste und überdurchschnittliche
Leistungen mehrfach von der Bundeswehr ausgezeichnet worden. Er hat für die
Bundesrepublik Deutschland als Sportler und Trainer bedeutende
internationale Erfolge erzielt und dadurch für das Ansehen der
Bundesrepublik Deutschland Erhebliches geleistet.
35 dd) Die für den Eislaufsport zuständigen deutschen Spitzenverbände haben
nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Einwände mehr dagegen,
dass der Kläger Spitzensportler trainiert. Die Stasikommission des Deutschen
Olympischen Sportbundes hat die Teilnahme des Klägers an den Olympischen
Winterspielen 2010 in Vancouver befürwortet. Deren damaliger Vorsitzender
hat bereits einige Jahre zuvor die Weiterbeschäftigung des Klägers als
Trainer befürwortet.
36 ee) Unter diesen Umständen ist die Beklagte nicht berechtigt, den Kläger
vom Training ihrer Sportsoldaten auszuschließen. Eine rechtlich beachtliche
Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr dadurch, dass der Kläger als
freier Trainer Sportsoldaten trainiert, ist bei unvoreingenommener,
vernünftiger Betrachtung nicht ersichtlich und liegt auch angesichts des
Werdegangs des Klägers nach der Wende und der für ihn sprechenden positiven
Umstände fern.
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