Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte - Kriterium der
"Schutzbedürftigkeit"; Haftung aus § 831 BGB: Begriff des
Verrichtungsgehilfen (Unterschied zum Erfüllungsgehilfen i.S.v. § 278 BGB)
BGH, Urteil vom 6. November 2012 - VI
ZR 174/11 - OLG Oldenburg
Fundstelle:
NJW 2013, 1002
Amtl. Leitsatz:
a) Ob ein
Geschäftsherrn-/Verrichtungsgehilfenverhältnis besteht, beurteilt sich nach
den tatsächlichen Umständen.
b) Zu den Voraussetzungen eines solchen Verhältnisses zwischen
konzernangehörigen Gesellschaften.
Zentrale Probleme:
Eine sehr lehrreiche
Entscheidung: Eine Bank erwirbt ein Geschäftsgebäude, das durch eine
Tochtergesellschaft u.a. an Einzelhändler vermietet wird. Diese
Tochtergesellschaft vermietet an einen Zwischenvermieter, dieser vermietet
ein Ladenlokal an einen Apotheker. Dabei hatte die Tochtergesellschaft u.U.
falsche Angaben über den Publikumsverkehr gemacht. Der Apotheker klagt jetzt
gegen die Bank. Da mit dieser kein Mietvertrag existiert, stellt sich die
Frage, ob der Mietvertrag mit dem Zwischenvermieter (der mittlerweile
insolvent ist) Schutzwirkung zugunsten des Apothekers hat. Der Senat
verneint das, weil der Apotheker gegen seinen Vermieter im wesentlichen
inhaltsgleiche Ansprüche aus c.i.c. (§§ 311a II, 241 II, 280 I BGB) hat.
Dass er diese nicht durchsetzen kann, weil der Zwischenvermieter insolvent
ist, ist dabei irrelevant. Es geht dabei also um das übergreifende
Tatbestandsmerkmal der Schutzbedürftigkeit, das den Ausnahmecharakter des
Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte charakterisiert (s. dazu die Anm. zu
BGH NJW 2007, 989 sowie
BGHZ 181, 12; speziell zur Schutzbedürftigkeit
s. BGHZ 133, 168). Bleiben nur deliktische
Ansprüche, hier aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher Falschangaben. Eine
Haftung der Bank kommt hier aber nur in Betracht, wenn die
Tochtergesellschaft ihr Verrichtungsgehilfe i.S.v. § 831 BGB war. Das
verneint der Senat: Während Erfüllungsgehilfe jeder ist, der mit Wissen und
Wollen des Schuldners bei der Erfüllung einer aus einem Schuldverhältnis
resultierenden Pflicht handelt, setzt der Begriff des Verrichtungsgehilfen
Weisungsabhängigkeit voraus. Diese verneint Senat hier. Zum Begriff des
Verrichtungsgehilfen s. auch
BGH v. 15.7.2011 - V ZR 277/10.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Die Klägerin, eine Apothekerin,
macht als Untermieterin vertragliche und deliktische Schadensersatz-,
Freistellungs- und Feststellungsansprüche für behauptete Vermögensschäden im
Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen über den Abschluss eines Mietvertrags
geltend.
2 Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der D. Bank AG (im Folgenden D.Bank).
Diese war Eigentümerin eines Einkaufszentrums in W. Das gesamte
Vermietungsgeschäft für das Einkaufszentrum wurde von der A. C. GmbH (im
Folgenden A.), einer "Konzernschwester" der D.-Bank, organisiert und
durchgeführt.
3 Die Klägerin überlegte im Jahr 2004, in dem Einkaufszentrum eine Apotheke
zu eröffnen. Sie beauftragte ihre vormalige Streithelferin, deren
Rechtsnachfolgerin inzwischen insolvent geworden ist, mit Verhandlungen über
die Anmietung von Räumen für eine Apotheke. Bei den zwischen A. und der
Streithelferin am 26. November 2004 geführten Vertragsverhandlungen
erklärte die für A. tätige Centermanagerin B., dass im Durchschnitt von
einer täglichen Besucherzahl von rund 28.000 Personen ausgegangen werden
könne. Mit dieser Besucherzahl warb A. auch in ihrem
Internetauftritt sowie in Flyern. Im Februar 2005 mietete die Streithelferin
Räume von der D.-Bank an, in denen die Klägerin ihre Apotheke betreiben
sollte. Am 16. Juni 2005 unterzeichneten die Streithelferin und die Klägerin
einen Untermietvertrag. Im Juli 2005 begann die Klägerin mit dem Betrieb der
Apotheke in dem Einkaufszentrum. Ab September 2005 bezahlte sie nicht mehr
die volle Miete, weil die Besucherzahl von täglich 28.000 Personen nicht
erreicht werde.
4 Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 424.543,55 € verurteilt
und im Übrigen die Klage und die Widerklage abgewiesen. Das Berufungsgericht
hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und die auf Zahlung
einer Nutzungsentschädigung gerichtete weitergehende Berufung der Beklagten
zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt die Klägerin ihre Anträge aus der Berufungsinstanz weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
5 Das Berufungsgericht hat vertragliche Ansprüche der Klägerin gegen die
Beklagte verneint. Es lehnt auch eine deliktische Haftung der Beklagten nach
§ 831 Abs. 1 BGB ab. Eine widerrechtliche Schadenszufügung nach § 823 Abs. 2
BGB in Verbindung mit § 263 StGB scheide bereits deshalb aus, weil sich aus
dem Vortrag der Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für die
Verwirklichung des subjektiven Tatbestands ergäben. Auch die Voraussetzungen
einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB lägen nicht
vor. Es könne offen bleiben, ob die Angaben der Centermanagerin B. über die
Besucherzahlen objektiv falsch gewesen seien oder einen Hinweis erfordert
hätten, dass sie möglicherweise nicht repräsentativ seien, und ob B.
vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt habe. Der Anspruch scheitere
jedenfalls an einer Exkulpation gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB.
6 Die A. sei Verrichtungsgehilfin der D.-Bank. B. sei
Verrichtungsgehilfin der A. Die Beklagte habe aber bewiesen, dass
der Schaden mit Sicherheit auch bei voller Überwachung eingetreten wäre. Sie
habe das bankfremde Vermietungsgeschäft auf die A. ausgelagert. Diesem Zweck
liefe die Annahme einer ins Einzelne gehenden Kontrollpflicht zuwider.
Selbst eine stichprobenartige Kontrolle hätte sich nur darauf beziehen
müssen, ob die A. bei der Vermietung den rechtlichen Rahmen und die üblichen
Standards einhält. Da der von B. genannte Durchschnitt von täglich 28.000
Besuchern auf dem Ergebnis eines Marktforschungsgutachtens beruhe, könne
eine mögliche Pflichtverletzung der A. lediglich darin bestehen, dass A.
nicht darauf hingewiesen habe, dass die Zahlen der in der Vorweihnachtszeit
durchgeführten Erhebung möglicherweise nicht repräsentativ seien. Diesen
Fehler hätte die D.-Bank aber nur bemerken können, wenn sie sich inhaltlich
mit dem Gutachten befasst und dessen Ergebnis einer kritischen Würdigung
unterzogen hätte. Die dazu erforderliche Überwachungstätigkeit im
Kernbereich der übertragenen Aufgabe würde die Anforderungen erheblich
überspannen, zumal die A. keine besonders gefahrgeneigte Tätigkeit
übernommen habe.
II.
7 Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält im Ergebnis
revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
8 1. Ohne Erfolg rügt die Revision, dass das Berufungsgericht
vertragliche Schadensersatzansprüche abgelehnt hat. Vertragliche
Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen die D.-Bank (und damit gegen die
Beklagte als deren Rechtsnachfolgerin) scheiden aus, weil keine
direkten vertraglichen Beziehungen zwischen ihnen bestanden und die Klägerin
auch nicht in den Schutzbereich des Hauptmietvertrages einbezogen ist.
9 a) Der allein in Betracht kommende Schadensersatzanspruch nach den
Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter kommt nur in
Frage, wenn der Dritte bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommt,
der Vertragspartner ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten hat, dies
für den Schuldner erkennbar ist und der Dritte keine eigenen vertraglichen
Ansprüche desselben Inhalts hat (BGH, Urteile vom 20. März 1995 -
II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 167, 169; vom 22. Juli 2004 - IX ZR 132/03, NJW
2004, 3630, 3632). Eine Einbeziehung des Untermieters in den
Schutzbereich des Hauptmietvertrags scheidet regelmäßig deshalb aus, weil
dem Untermieter eigene vertragliche Ansprüche gegen den Hauptmieter zustehen
(BGH, Urteile vom 15. Februar 1978 - VIII ZR 47/77, BGHZ 70, 327,
329 f.; vom 2. Juli 1996 -
X ZR 104/94, BGHZ 133, 168, 173 f.; vom 20. Dezember 1978
- VIII ZR 69/78, WM 1979, 307, 308). Dass der Anspruch gegen den
eigenen Vertragspartner wegen dessen Insolvenz wirtschaftlich praktisch
wertlos ist, ändert hieran nichts, denn die Grundsätze des Vertrags mit
Schutzwirkung für Dritte sollen dem Dritten nicht das Insolvenzrisiko seines
Vertragspartners abnehmen (BGH, Urteil vom 22. Juli 2004 - IX ZR
132/03, NJW 2004, 3630, 3632).
10 b) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass die
Klägerin hier keine Garantieansprüche wegen Mängeln, sondern Ansprüche wegen
einer Pflichtverletzung der D.-Bank bei Vertragsverhandlungen mit der
Streithelferin der Klägerin gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2
BGB geltend macht. Die Revision meint, da hier nicht die für Haupt- und
Untermieter inhaltsgleiche Haftung nach § 536a BGB betroffen sei, sondern
eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss, die sich nach den
jeweiligen konkreten Umständen der Vertragsverhandlungen richte, stehe der
Klägerin kein eigener gleichartiger vertraglicher Schadensersatzanspruch
gegenüber ihrer Vertragspartnerin zu. Für die Beurteilung, ob dem
Dritten eigene gleichwertige (vgl.
BGH, Urteil vom 2. Juli 1996 - X
ZR 104/94, BGHZ 133, 168, 176)
Schadensersatzansprüche zustehen, die eine Einbeziehung in den Schutzbereich
des fremden Vertrags entbehrlich machen, kommt es indes nicht auf die
Anspruchsgrundlage, sondern auf die Voraussetzungen und den Umfang des
Schadensersatzanspruchs an. Hierauf bezogen entspricht aber der
eigene vertragliche Anspruch der Klägerin gegen ihre Streithelferin als
Vermieterin des Untermietvertrages deren Anspruch gegen die D.-Bank als
Vermieterin des Hauptmietvertrages.
11 c) Der Schadensersatzanspruch der vormaligen Streithelferin gegen die
D.-Bank wegen vorvertraglicher Pflichtverletzungen durch die behauptete
fehlerhafte Auskunft über die zu erwartenden Besucherzahlen geht von seinen
Voraussetzungen und seinem Umfang nicht über die vertraglichen oder
vorvertraglichen Schadensersatzansprüche hinaus, die der Klägerin gegen ihre
Streithelferin zustehen.
12 aa) Grundlage der Haftung der Streithelferin gegenüber der
Klägerin kann nur eine Pflichtverletzung aus einem selbständigen Beratungs-
oder Auskunftsvertrag oder eine Verletzung vorvertraglicher Beratungs- und
Auskunftsansprüche (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 1991 - XI ZR
300/90, BGHZ 116, 209, 211 f.) im Zusammenhang mit dem Abschluss des
Untermietvertrags sein. Die Streithelferin war verpflichtet, die an die
Klägerin zu vermietenden Räume daraufhin zu überprüfen, ob sie zum
wirtschaftlichen Betrieb einer Apotheke geeignet sind. Die sich aus der
Verletzung dieser Pflicht ergebenden Schadensersatzansprüche sind auf das
negative Interesse gerichtet. Danach ist die Klägerin so zu stellen, wie sie
bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Beratungsund Auskunftspflicht stünde
(vgl. BGH, Urteile vom 6. April 2001 - V ZR 394/99, NJW 2001, 2875,
2876; vom 11. Juni 2011 - V ZR 144/09, WuM 2011, 524 Rn. 8). Wenn
die Streithelferin sich ohne eigene Prüfung auf die Auskunft der für die A.
tätigen Centermanagerin B. verlassen hat, wäre ihr dies als schuldhafte
Pflichtverletzung zuzurechnen.
13 bb) Die vertraglichen Schadensersatzansprüche der Streithelferin
gegen die D.-Bank gehen darüber nicht hinaus. In diesem Verhältnis kommt
ebenfalls ein Anspruch wegen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen (§
280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB) in Betracht, der auf das
negative Interesse gerichtet ist. Die D.-Bank hat nach dem Vortrag der
Klägerin durch falsche Angaben zu den Besucherzahlen ihre Auskunftspflicht
verletzt. Ein Verschulden der Centermanagerin B. ist der D.-Bank gemäß § 278
Satz 1 BGB zuzurechnen. Auch der hieraus resultierende Anspruch setzt
Verschulden voraus, dessen Fehlen zur Beweislast des Anspruchsgegners, hier
also der D.-Bank, steht. Mithin bedarf es einer Einbeziehung in den
Schutzbereich des mit der D.-Bank geschlossenen Hauptmietvertrages nicht.
14 2. Ohne Erfolg rügt die Revision auch, dass das Berufungsgericht eine
deliktische Haftung gemäß § 831 Abs. 1 BGB abgelehnt hat. Entgegen
der Begründung des Berufungsgerichts folgt dies bereits daraus, dass A.
nicht als Verrichtungsgehilfin der D.-Bank anzusehen ist.
15 Maßgebend für die Einordnung als Verrichtungsgehilfe sind die faktischen
Verhältnisse. Verrichtungsgehilfe im Sinne von § 831 BGB ist nur,
wer von den Weisungen seines Geschäftsherrn abhängig ist. Ihm muss von einem
anderen, in dessen Einflussbereich er allgemein oder im konkreten Fall ist
und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht, eine Tätigkeit
übertragen worden sein. Das dabei vorausgesetzte Weisungsrecht braucht nicht
ins Einzelne zu gehen. Entscheidend ist, dass die Tätigkeit in einer
organisatorisch abhängigen Stellung vorgenommen wird. Es genügt, dass der
Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken oder
entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann (vgl.
Senatsurteil vom 10. März 2009 - VI ZR 39/08, VersR 2009, 784 Rn. 11; BGH,
Urteile vom 30. Juni 1966 - VII ZR 23/65, BGHZ 45, 311, 313; vom 25. Februar
1988 - VII ZR 348/86, BGHZ 103, 298, 303; vom 12. Juni 1997 - I ZR 36/95,
VersR 1998, 862, 863).
16 Der Personenkreis, der nach diesen Grundsätzen "zu einer
Verrichtung bestellt" ist, unterscheidet sich von dem Kreis der
Erfüllungsgehilfen im Sinne von § 278 BGB durch den Mangel an
Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Während selbständige
Unternehmen ohne weiteres Erfüllungsgehilfen sein können, setzt die
Qualifikation als Verrichtungsgehilfe Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit
voraus (MünchKommBGB/Wagner, 5. Aufl., § 831 Rn. 14). Daran
fehlt es in der Regel bei selbständigen Unternehmen, unabhängig davon, ob
sie mit dem Unternehmen, für das sie eine bestimmte Aufgabe wahrnehmen, in
einem Konzernverhältnis stehen. Die Übertragung von Aufgaben auf
ein bestimmtes Unternehmen innerhalb eines Konzerns dient regelmäßig gerade
dem Zweck, durch die selbständige - nicht weisungsgebundene -Erledigung der
Aufgabe andere Teile des Konzerns zu entlasten. Der pauschale Vortrag der
Klägerin, dass das gesamte Vermietungsgeschäft für das Einkaufszentrum von
der A. für die Rechtsvorgängerin der Beklagten organisiert und durchgeführt
wurde, führt im Streitfall nicht zu einer anderen Wertung. Dies mag zwar
eine Erfüllungsgehilfeneigenschaft der A. für die D.-Bank begründen, die für
einen Verrichtungsgehilfen erforderliche Abhängigkeit und
Weisungsgebundenheit ergibt sich daraus aber nicht. Die Klägerin hat
insoweit auch keine konkreten Umstände aufgezeigt, die eine Abweichung von
dem für selbständige Unternehmen geltenden Grundsatz rechtfertigten.
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