Wirtschaftlicher
Totalschaden: Keine Verpflichtung des Schädigers zum Ersatz der
Reparaturkosten bei Übersteigen des Wiederbeschaffungswertes um 130 % auch
bei Vornahme einer Teilreparatur im Rahmen dieser Grenze
BGH, Urteil vom 10. Juli
2007 - VI ZR 258/06
Fundstelle:
NJW 2007, 2917
Amtl. Leitsatz:
Liegen die
(voraussichtlichen) Kosten der Reparatur eines Kraftfahrzeugs mehr als 30 %
über dem Wiederbeschaffungswert, so ist die Instandsetzung in aller Regel
wirtschaftlich unvernünftig und der Geschädigte kann vom Schädiger nur die
Wiederbeschaffungskosten verlangen (Bestätigung des Senatsurteils BGHZ 115,
375).
Zentrale Probleme:
Die sehr lehrreiche Entscheidung resümiert in
hervorragender Weise die Rspr. zum Problem des "wirtschaftlichen
Totalschadens". Der BGH bestätigt dabei seine bisherige Rechtsprechung:
Bereits in BGHZ 115, 375 hat der Senat klargestellt, daß die nach § 249 I
BGB geschuldete Instandsetzung (bzw. nach § 249 II BGB der Ersatz ihrer
Kosten) in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig ist und der Geschädigte
kann lediglich den Wiederbeschaffungswert verlangen kann, wenn die
(voraussichtlichen) Kosten der Reparatur eines Kraftfahrzeugs mehr als 30%
über dem Wiederbeschaffungswert liegen. Das ist kein Problem des § 251 II 1
BGB, sondern entspringt der Obliegenheit des Geschädigten zur (zumutbaren)
Schadensminderung. Läßt er Fahrzeug dennoch reparieren, so können die Kosten
nicht in einem von Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen
Teil (bis zu 130% des Wiederbeschaffungswertes) und einen vom Geschädigten
selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden.
In solchem Falle kann der Geschädigte vom Schädiger ebenfalls nur die
Wiederbeschaffungskosten verlangen. Gleiches gilt, wenn - wie hier - der
Geschädigte ledigliche eine Teilreparatur innerhalb der 130%-Grenze
vornehmen läßt. Eine solche schuldet der Schädiger nämlich nicht.
S. auch BGH
NJW 2005, 1110 = BGHZ 162, 70
sowie die Anm. zu
BGHZ 115, 364, zu BGH
NJW 2004, 1943 = BGHZ 158, 388 sowie zu BGH NJW 2005, 1108
= BGHZ 162, 161 sowie insbes. BGH NJW
2009, 910.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Der Kläger verlangt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom
15. März 2005, bei dem der Beklagte zu 1 mit einem bei der Beklagten zu 2
haftpflichtversicherten Fahrzeug auf das bereits verkehrsbedingt zum
Stillstand gekommene Kraftfahrzeug des Klägers aufgefahren ist. Die Haftung
der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig, sie
streiten im Revisionsverfahren nur noch über die Höhe des dem Kläger durch
den Unfall entstandenen Fahrzeugschadens.
2 Der vom Kläger nach dem Unfall mit der Begutachtung des
Kraftfahrzeugschadens beauftragte Sachverständige ermittelte
voraussichtliche Reparaturkosten in Höhe von 11.488,93 € brutto, einen
Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges von 4.700 € brutto sowie einen
Restwert von 500 €. 3 Der Kläger
ließ das Fahrzeug bei der Firma W. zum Preis von 6.109,80 € - also innerhalb
der 130 %-Grenze des Wiederbeschaffungswertes von 6.110 € - reparieren. Die
Beklagte zu 2 zahlte vorgerichtlich an den Kläger lediglich den
Wiederbeschaffungswert von 4.700 €, allerdings ohne Abzug des Restwertes.
Mit seiner Klage macht der Kläger die Differenz von 1.409,80 € zwischen den
angefallenen Reparaturkosten und dem Wiederbeschaffungswert nebst Zinsen
geltend. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers
hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
4 Das Berufungsgericht führt im Wesentlichen aus, der Kläger könne bei den
Reparaturkosten den sog. Integritätszuschlag von 30 % über dem
Wiederbeschaffungswert nicht verlangen, weil die tatsächlich vorgenommene
Reparatur nicht zu einer fachgerechten und vollständigen Wiederherstellung
des vor dem Unfall bestehenden Zustandes geführt habe.
II.
5 Diese Beurteilung hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
6 1. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts lagen die
voraussichtlichen Reparaturkosten nach der Schadensschätzung des vom Kläger
beauftragten Sachverständigen ca. 245 % über dem Wiederbeschaffungswert des
unfallbeschädigten Kraftfahrzeugs. Liegen die (voraussichtlichen) Kosten der
Reparatur eines Kraftfahrzeugs mehr als 30 % über dem
Wiederbeschaffungswert, so ist die Instandsetzung in aller Regel
wirtschaftlich unvernünftig. In einem solchen Fall, in dem das Kraftfahrzeug
nicht mehr reparaturwürdig ist, kann der Geschädigte vom Schädiger nur die
Wiederbeschaffungskosten verlangen (vgl. Senatsurteil BGHZ 115, 375). Lässt
der Geschädigte sein Fahrzeug dennoch reparieren, so können die Kosten nicht
in einen vom Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen Teil
(bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswertes) und einen vom Geschädigten
selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden
(Senat aaO).
7 2. Es kann im Streitfall offen bleiben, ob der Geschädigte gleichwohl
Ersatz von Reparaturkosten verlangen kann, wenn es ihm tatsächlich gelingt,
entgegen der Einschätzung des Sachverständigen die von diesem für
erforderlich gehaltene Reparatur innerhalb der 130 %-Grenze durchzuführen,
denn nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann Ersatz von
Reparaturaufwand bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges
nur verlangt werden, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang
durchgeführt worden sind, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner
Kostenschätzung gemacht hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 162, 161; 154,
395). Dies ist jedoch dem Kläger nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts gerade nicht gelungen.
8 a) Setzt der Geschädigte nach einem Unfall sein Kraftfahrzeug nicht
vollständig und fachgerecht in Stand, ist regelmäßig die Erstattung von
Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert nicht gerechtfertigt.
Im Hinblick auf den Wert der Sache wäre eine solche Art der
Wiederherstellung im Allgemeinen unvernünftig und kann dem Geschädigten nur
ausnahmsweise im Hinblick darauf zugebilligt werden, dass der für ihn
gewohnte und von ihm gewünschte Zustand des Fahrzeuges auch tatsächlich wie
vor dem Schadensfall erhalten bleibt bzw. wiederhergestellt wird
(Senatsurteile BGHZ 162, 161, 168; vom 20. Juni 1972 - VI ZR 61/71 - VersR
1972, 1024 f.; vom 5. März 1985 - VI ZR 204/83 - VersR 1985, 593, 594).
Stellt der Geschädigte lediglich die Fahrbereitschaft, nicht aber den
früheren Zustand des Fahrzeuges wieder her, so beweist er dadurch zwar ein
Interesse an der Mobilität durch sein Fahrzeug, das jedoch in vergleichbarer
Weise auch durch eine Ersatzbeschaffung befriedigt werden könnte. Der für
die Zubilligung der "Integritätsspitze" von 30 % ausschlaggebende weitere
Gesichtspunkt, dass der Geschädigte besonderen Wert auf das ihm vertraute
Fahrzeug legt, verliert bei einer unvollständigen und nicht fachgerechten
Reparatur eines total beschädigten Fahrzeuges in entscheidendem Maß an
Bedeutung. Dass der Geschädigte Schadensersatz erhält, der den
Wiederbeschaffungswert übersteigt, ist deshalb mit dem
Wirtschaftlichkeitsgebot und Bereicherungsverbot nur zu vereinbaren, wenn er
den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeuges wie vor dem Unfall wieder
herstellt. Nur zu diesem Zweck wird die "Opfergrenze" des Schädigers erhöht.
Andernfalls wäre ein solcher erhöhter Schadensausgleich verfehlt. Er hätte
eine ungerechtfertigte Aufblähung der Ersatzleistung zur Folge und führte zu
einer vom Zweck des Schadensausgleichs nicht gebotenen Belastung des
Schädigers. Deshalb kann Ersatz von Reparaturkosten bis zu 30 % über dem
Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges nur dann verlangt werden, wenn die
Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der
Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat.
9 b) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts ist
das Kraftfahrzeug des Klägers durch die bei der Firma W. vorgenommene
Reparatur nicht vollständig in einen Zustand wie vor dem Unfall versetzt
worden. Vielmehr sind in Teilbereichen nicht unerhebliche Beanstandungen und
Reparaturdefizite verblieben, die einer vollständigen und insoweit
fachgerechten Instandsetzung und insbesondere einer Wiederherstellung eines
mit dem unbeschädigten Fahrzeug vergleichbaren Zustandes entgegenstehen. Der
Sachverständige - so das Berufungsgericht - habe insbesondere am
Rahmenlängsträger hinten rechts, im Bereich des Kühlers, wo überhaupt kein
Austausch stattgefunden habe, am vorderen Querträger sowie im Heckbereich
insgesamt Restmängel in Form von Stauchungen und verbliebenen Verformungen
festgestellt, die zumindest einer vollständigen Instandsetzung
entgegenstünden.
10 c) Entgegen der Auffassung der Revision kommt es insoweit nicht darauf
an, ob die verbliebenen Defizite den Geschädigten selbst überhaupt nicht
stören und von diesem nicht beanstandet werden, denn im Rahmen der
Vergleichsbetrachtung kommt es allein auf den erforderlichen, d.h. nach
objektiven Kriterien zu beurteilenden und deshalb auch unschwer
nachzuprüfenden Reparaturaufwand an und nicht darauf, was der Geschädigte
für erforderlich hält (vgl. Senatsurteil BGHZ 115, 375, 381).
11 3. Der Kläger kann sich unter den Umständen des vorliegenden Falles auch
nicht - wie die Revision meint - auf das so genannte Prognoserisiko berufen.
Zwar geht nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ein vom
Geschädigten nicht verschuldetes Werkstatt- oder Prognoserisiko, wenn er den
Weg der Schadensbehebung mit dem vermeintlich geringeren Aufwand wählt, zu
Lasten des Schädigers (vgl. Senatsurteil BGHZ 115, 364, 370). Dies gilt
jedoch nicht in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der vom Kläger mit
der Schadensschätzung beauftragte Sachverständige zu Reparaturkosten von ca.
245 % über dem Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges
gelangt, die eine Reparatur wirtschaftlich unvernünftig machen. Lässt der
Geschädigte unter diesen Umständen sein Fahrzeug gleichwohl auf einem
"alternativen Reparaturweg" reparieren, und gelingt es ihm dabei nicht, das
Fahrzeug zu Kosten innerhalb der 130 %-Grenze vollständig und fachgerecht in
einen Zustand wie vor dem Unfall zurückzuversetzen, kann er sich jedenfalls
nicht zur Begründung seiner Reparaturkostenforderung auf ein unverschuldetes
Werkstatt- oder Prognoserisiko berufen.
III. 12 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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