Erwerb des unmittelbaren Besitzes an
Kraftfahrzeugen; Besitzerwerb oder Besitzdiener bei Probefahrt; Anspruch des mittelbaren
Besitzers wegen Besitzentziehung aus §§ 861, 869 BGB; Anforderungen an die
Haftung aus § 990 II BGB
BGH, Urteil vom 17. März 2017 - V ZR
70/16 - OLG Frankfurt am Main
Fundstelle:
NJW-RR 2017, 81
Amtl. Leitsatz:
1. Bei einem Werkvertrag ist der Besteller, der
nach erfolgter Reparatur seines Kraftfahrzeuges eine Probefahrt vornimmt,
nicht Besitzdiener des Werkunternehmers.
2. Jedenfalls dann, wenn eine zur Vorbereitung der Abnahme eines reparierten
Kraftfahrzeugs durchgeführte Probefahrt des Bestellers in Anwesenheit des
Werkunternehmers oder dessen Besitzdieners stattfindet, erlangt der
Besteller keinen unmittelbaren Besitz an dem Fahrzeug. Vielmehr bleibt der
Werkunternehmer unmittelbarer Besitzer; sein Besitz wird lediglich
gelockert.
3. Die Übergabe eines Schlüssels bewirkt nur dann einen Übergang des
Besitzes an der dazugehörigen Sache, wenn der Übergeber die tatsächliche
Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger
des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat.
Zentrale Probleme:
Ein ziemlich grotesker, aber lehrreicher
Fall (nicht nur) zum Besitzrecht: Ein Kfz-Besitzer gibt das ihm geliehene Fahrzeug zur Reparatur, wobei
ein Austauschmotor eingebaut wird. Im Rahmen der werkvertraglichen
Gewährleistung wird anschließend erneut ein Motor eingebaut. Bei der
gemeinsamen Probefahrt mit dem Werkunternehmer kommt es zu Streit, der
Werkunternehmer nimmt das Fahrzeug wieder an sich und baut den
Austauschmotor wieder aus. Die Eigentümerin verlangt nun das Fahrzeug mit
Austauschmotor heraus und verlangt überdies Nutzungsausfall. Aus § 985 BGB
erreicht sie dieses Ziel nicht, weil sie an dem Motor nicht nach § 93
Eigentum erworben hat, denn er ist kein wesentlicher Bestandteil geworden.
Also kommt es darauf an, ob an dem Kfz bei der Probefahrt verbotene
Eigenmacht i.S.v. § 858 I BGB verbotene Eigenmacht ausgeübt wurde. Diese
kann nur gegen den unmittelbaren Besitzer ausgeübt werden, so dass die
Tatsache, dass der Besteller mittelbarer Besitzer war, insoweit irrelevant
ist. Also
hätte der Besteller bei der Probefahrt unmittelbaren Besitz erwerben müssen,
der ihm dann gegen seinen Willen entzogen wurde. Das verneint der Senat: Der
Besteller sei zwar nicht bloßer Besitzdiener des Werkunternehmers geworden
(weil er mittelbarer Besitzer ist und damit nicht zugleich Besitzdiener sein
kann),
jedoch sei auch kein unmittelbarer Besitz übertragen worden, sondern es habe lediglich
eine Besitzlockerung des unmittelbare Besitzes des Werkunternehmers vorgelegen. Für den Anspruch aus § 990 II BGB auf
Ersatz des Vorenthaltungsschadens s. auch die Anm. zu
BGH v. 18.3.2016 - V ZR
89/15. Zur Abgrenzung s. BGH v. 18.11.2020 - V
ZR 8/19.
Eine Besprechung der Entscheidung findet sich hier:
©sl 2017
Tatbestand:
1 Die Klägerin ist Eigentümerin eines
Personenkraftwagens Audi A6, den sie O. P. zur dauerhaften Nutzung überließ.
Im Herbst 2013 erlittdas Fahrzeug einen Motorschaden. Daraufhin beauftragte
O. P. den Beklagten, der Inhaber einer Kfz-Werkstatt ist, mit dem Einbau
eines gebrauchten Austauschmotors. Der Beklagte nahm den Austausch vor und
händigte das Fahrzeug an O. P. aus. Wenige Wochen später versagte der
Austauschmotor. Der Beklagte übernahm es im Rahmen der Gewährleistung, einen
anderen Motor einzubauen. Nach durchgeführter Reparatur traf sich der Sohn
des Beklagten, der zugleich dessen Mitarbeiter ist, am 14. März 2014 zwecks
Rückgabe des Fahrzeugs mit O. P. . Wie das Treffen im Einzelnen verlaufen
ist, steht nicht fest. Nach der Darstellung der Klägerin soll O. P. eine
Probefahrt durchgeführt haben, an der der Sohn des Beklagten als Beifahrer
teilgenommen hat. Nach Beendigung der Probefahrt sei es zum Streit über
angeblich noch ausstehende Zahlungen gekommen. Der Sohn des Beklagten habe
gegen den Willen von O. P. den Fahrzeugschlüssel aus dem Zündschloss gezogen
und an sich genommen. Sodann habe er sich an dem Motor zu schaffen gemacht.
Als O. P. daraufhin ausgestiegen sei, sei der Sohn des Beklagten in das
Fahrzeug eingestiegen und mit diesem davongefahren. Fest steht, dass sich
das Fahrzeug seither auf dem Betriebsgelände des Beklagten befindet und dass
dieser den Austauschmotor wieder ausgebaut hat.
2 Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin - soweit von Interesse - die
Herausgabe des Fahrzeugs mit eingebautem Austauschmotor, Schadensersatz für
den Fall des fruchtlosen Ablaufs einer von dem Gericht zur Erfüllung des
Herausgabeanspruchs gesetzten Frist sowie die Zahlung einer
Nutzungsausfallentschädigung für die Zeit der Vorenthaltung. Das Landgericht
hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat teilweise Erfolg
gehabt. Das Oberlandesgericht hat den zuerkannten Herausgabe- sowie den
Schadensersatzanspruch auf das Fahrzeug ohne den Austauschmotor beschränkt
und die auf Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung gerichteten Anträge
abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision will die Klägerin
erreichen, dass der Beklagte das Fahrzeug nicht ohne, sondern mit dem
eingebauten Austauschmotor herausgeben (bzw. auch hinsichtlich des Motors
Schadensersatz leisten) und sie für den Nutzungsausfall entschädigen muss.
Der Beklagte beantragt Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
3 Das Berufungsgericht verneint einen Herausgabeanspruch der Klägerin gemäß
§ 861 BGB. Auch wenn der Vortrag der Klägerin zu den näheren Umständen der
gescheiterten Übergabe des Fahrzeugs am 14. März 2014 als wahr unterstellt
werde, habe der Sohn des Beklagten keine verbotene Eigenmacht begangen. Auf
der Grundlage dieses Vortrags sei der Beklagte unmittelbarer Besitzer des
Fahrzeugs geblieben. Für ihn habe sein Sohn als Besitzdiener gehandelt. O.
P. sei durch die Schlüsselübergabe und die sich anschließende Probefahrt
nicht zum unmittelbaren Besitzer geworden, weil die Fahrt zur Vorbereitung
der Übergabe des ordnungsgemäß reparierten Fahrzeugs gedient habe. Gemäß §
985 BGB könne die Klägerin nur die Herausgabe des Fahrzeugs ohne den
eingebauten Austauschmotor verlangen, weil sie nicht Eigentümerin des Motors
geworden sei.
4 Eine Nutzungsausfallentschädigung stehe der Klägerin nicht zu. Der
Anspruch aus Verzug gemäß § 990 Abs. 2, § 280 Abs. 1 und 2, § 286 BGB setze
voraus, dass der Beklagte beim Erwerb des Besitzes bösgläubig gewesen sei
oder von dem Mangel des Besitzrechts später positive Kenntnis erlangt habe.
Beides sei zu verneinen. Zunächst sei der Beklagte aufgrund des Werkvertrags
berechtigter Besitzer gewesen. Hinsichtlich der Zeit nach der gescheiterten
Fahrzeugübergabe habe sich nicht aufklären lassen, ob ihm
Vergütungsansprüche gegen O. P. zustanden. Daher sei es zumindest möglich,
dass er ein Zurückbehaltungsrecht hatte, und es lasse sich nicht
feststellen, dass er sein fehlendes Besitzrecht positiv gekannt habe oder es
ihm grob fahrlässig unbekannt gewesen sei. Ansprüche aus § 992 BGB
scheiterten an der fehlenden verbotenen Eigenmacht.
II.
5 Die Revision hat keinen Erfolg.
6 1. Rechtsfehlerfrei verneint das Berufungsgericht einen Anspruch der
Klägerin gegen den Beklagten, der sich auf die Herausgabe des mit dem
Austauschmotor versehenen Fahrzeugs richtet; infolgedessen steht ihr
hinsichtlich des Motors auch kein Schadensersatz für den Fall des
fruchtlosen Fristablaufs zu.
7 a) Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass sich der
Herausgabeanspruch der Klägerin gemäß § 985 BGB nicht auf den Austauschmotor
erstreckt, weil sie nicht dessen Eigentümerin ist. Eine Übereignung
ist nicht erfolgt. Auch hat die Klägerin das Eigentum nicht gemäß §
947 Abs. 2 i.V.m. § 93 BGB durch den Einbau erlangt, weil ein in ein
Gebrauchtfahrzeug eingebauter Austauschmotor nicht dessen wesentlicher
Bestandteil ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 1973 - VIII ZR
201/72, BGHZ 61, 80, 81 ff.).
8 b) Ein Herausgabeanspruch ergibt sich auch nicht aus § 861 BGB.
Nach dieser Bestimmung kann der Besitzer, dem der Besitz durch
verbotene Eigenmacht entzogen wird, die Wiedereinräumung des Besitzes von
demjenigen verlangen, der ihm gegenüber fehlerhaft besitzt; gemäß § 869 Satz
1 BGB steht der Anspruch auch dem mittelbaren Besitzer zu. Für das
Revisionsverfahren ist von dem klägerischen Vorbringen zu dem Ablauf des
Treffens am 14. März 2014 auszugehen. Die rechtliche Würdigung dieses
Geschehens ergibt, dass der Sohn des Beklagten keine verbotene
Eigenmacht verübt hat, weil O. P. anlässlich der Probefahrt nicht
unmittelbarer Besitzer des Fahrzeugs mit dem darin eingebauten Motor
geworden ist.
9 aa) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus,
dass verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) nur gegen den unmittelbaren
Besitzer verübt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1977 -
VIII ZR 277/75, NJW 1977, 1818; RGRK/Kregel, BGB, 12. Aufl., § 858 Rn. 2;
Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 858 Rn. 7 mwN).
10 bb) Der unmittelbare Besitz an einer Sache wird gemäß § 854 Abs.
1 BGB durch die tatsächliche Gewalt über die Sache erworben. In wessen
tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich
von der Verkehrsanschauung ab, also von der zusammenfassenden Wertung aller
Umstände des jeweiligen Falles entsprechend den Anschauungen des täglichen
Lebens (vgl. Senat, Urteil vom 2. Dezember 2011 - V ZR 119/11, WM
2012, 1926 Rn. 10 mwN). Für die Besitzverhältnisse an einem
Kraftfahrzeug kommt es in der Regel darauf an, wer die tatsächliche
Sachherrschaft über die Fahrzeugschlüssel ausübt (vgl.
Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 854 Rn. 44, PWW/Prütting, BGB, 11. Aufl.,
§ 854 Rn. 8; Palandt/Herrler, BGB, 76. Aufl., § 854 Rn. 5; NK-Hoeren, BGB,
4. Aufl., § 854 Rn. 22; BeckOGK/Götz, 1. März 2017, BGB, § 854 Rn. 138.4).
Ist allerdings der Inhaber des Schlüssels als Besitzdiener im Sinne
von § 855 BGB anzusehen, so ist nicht er, sondern der Besitzherr
unmittelbarer Besitzer (vgl. Senat, Urteil
vom 30. Januar 2015 - V ZR 63/13, NJW 2015, 1678 Rn. 19 f.).
11 cc) Wer bei einer Probefahrt unmittelbarer Besitzer eines Kraftfahrzeugs
ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Nach überwiegender Ansicht in
Rechtsprechung und Literatur, auf die das Berufungsgericht seine
Entscheidung stützt, ist ein Kaufinteressent, dem das Kraftfahrzeug nebst
Schlüsseln zur Durchführung einer Probefahrt ausgehändigt wird, als
Besitzdiener des Verkäufers anzusehen (vgl. OLG Köln, MDR 2006, 90;
MüKoBGB/Joost, 7. Aufl., § 855 Rn. 14; Palandt/Herrler, BGB, 76. Aufl., §
855 Rn. 7; BeckOGK/Götz, 1. März 2017, BGB, § 854 Rn. 138.4; BeckOK
BGB/Fritzsche, 41. Edition 1. November 2016, § 855 Rn. 9; eine entsprechende
Anwendung des § 855 BGB befürwortend: Erman/A. Lorenz, BGB, 14. Aufl., § 855
Rn. 13). Nach der Gegenauffassung erlangt der Kaufinteressent den
unmittelbaren Besitz an dem Fahrzeug. § 855 BGB sei nicht anwendbar, da es
an einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem potentiellen Käufer
und dem Händler fehle. Dieser habe - jedenfalls wenn die Probefahrt ohne
seine Begleitung durchgeführt wird - keine Möglichkeit, auf das Fahrzeug
bzw. den Kaufinteressenten einzuwirken (vgl. OLG Düsseldorf, OLGR
1992, 180 f.; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, 8. Aufl., § 9 Rn.
14). Der Senat hat bisher offengelassen, ob ein Kaufinteressent
während der Probefahrt Besitzdiener des Verkäufers ist (vgl.
Urteil vom 13. Dezember 2013 - V ZR 58/13, BGHZ 199,
227 Rn. 15).
12 dd) Diese Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung. Anders als das
Berufungsgericht möglicherweise meint, ist jedenfalls bei einem Werkvertrag
der Besteller, der nach erfolgter Reparatur seines Kraftfahrzeuges eine
Probefahrt vornimmt, nicht Besitzdiener des Werkunternehmers.
13 (1) Besitzdiener ist nach § 855 BGB, wer die tatsächliche Gewalt
über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft
oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf
die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat. Dazu muss
nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ein nach außen erkennbares
soziales Abhängigkeitsverhältnis begründet werden, das dem Besitzherrn
zumindest faktisch die Möglichkeit gibt, seinen Willen gegenüber dem
Besitzdiener durchzusetzen (vgl. nur Senat,
Urteil vom 13. Dezember 2013 - V ZR 58/13, BGHZ 199, 227 Rn. 10 mwN).
Besitzdiener ist nicht jeder, der Weisungen des Eigentümers der
Sache zu befolgen hat, sondern nur derjenige, demgegenüber der Eigentümer
die Einhaltung seiner Weisungen im Nichtbefolgungsfall auf Grund eines
Direktionsrechts oder vergleichbarer Befugnisse unmittelbar selbst
durchsetzen kann (vgl. Senat, Urteil vom 13.
Dezember 2013 - V ZR 58/13, aaO Rn. 14 mwN).
14 (2) Bei einer Probefahrt des Bestellers einer Fahrzeugreparatur
liegt ein solches soziales Abhängigkeitsverhältnis nicht vor; auch fehlt es
an einer strukturell vergleichbaren Situation, die eine analoge Anwendung
von § 855 BGB rechtfertigen könnte.
15 (a) Sollte ein Kaufinteressent bei einer Probefahrt als Besitzdiener des
Verkäufers anzusehen sein - was der Senat offenlässt -, ließe sich
dies nur damit rechtfertigen, dass er zuvor in keinem besitzrechtlichen
Verhältnis zum Verkäufer steht, und die Probefahrt sowohl hinsichtlich der
Frage, ob sie überhaupt stattfindet, als auch in ihrer konkreten
Ausgestaltung einzig von dem Willen des Händlers abhängig ist. Mit ähnlicher
Begründung wird eine (entsprechende) Anwendung des § 855 BGB bei der
zeitweiligen Überlassung des Gewahrsams aus Gefälligkeit vorgeschlagen; die
Kontinuitätsinteressen des Erlaubenden seien vorrangig und es sei zu
erwarten, dass sich der Gefälligkeitsnutzer aufgrund seiner Loyalität
gegenüber dem Erlaubenden an dessen Weisung halten werde (vgl.
Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 855 Rn. 30; Erman/A. Lorenz, BGB, 14.
Aufl., § 855 Rn. 13; BeckOK BGB/Fritzsche, 41. Edition 1. November 2016, §
855 Rn. 16; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, 8. Aufl., § 9 Rn. 13).
16 (b) Diese Erwägungen treffen bei einem Werkvertrag schon im
Ansatz nicht zu. Bei der Überprüfung der Reparaturleistung unterliegt der
Besteller nicht den Weisungen des Werkunternehmers. Es fehlt an einem
Direktionsrecht oder vergleichbaren Befugnissen, aufgrund derer der
Werkunternehmer etwaige Anweisungen durchsetzen könnte. Vor allem aber
bleibt der Besteller auch während der Reparatur (mittelbarer) Besitzer des
Fahrzeugs, weil der Werkvertrag als Besitzmittlungsverhältnis im Sinne von §
868 BGB anzusehen ist (vgl. Senat, Urteil
vom 13. Dezember 2013 - V ZR 58/13, BGHZ 199, 227 Rn. 14; OLG Koblenz,
NJW-RR 2003, 1563, 1564; OLG Köln, VersR 1994, 1428; Staudinger/Gutzeit, BGB
[2012], § 868 Rn. 70; Erman/A. Lorenz, BGB, 14. Aufl., § 868 Rn. 37).
Die Überlegung, dass der Besteller während der Reparatur als
mittelbarer Besitzer durch den Werkunternehmer als Besitzmittler die
Sachherrschaft ausübt, schließt es aus, ihn als Besitzdiener anzusehen, wenn
ihm der Besitzmittler das Kraftfahrzeug zu einer Probefahrt zwecks
Vorbereitung der Abnahme überlässt. In jedem Fall bleibt der
Besteller (weiterhin) Besitzer; es ist allein danach zu fragen, ob
er nunmehr unmittelbaren Besitz oder weiterhin nur mittelbaren Besitz
innehat.
17 ee) Die Annahme des Berufungsgerichts, O. P. sei nicht unmittelbarer
Besitzer geworden und der Sohn als Besitzdiener des Beklagten habe
infolgedessen keine verbotene Eigenmacht begangen, indem er das Fahrzeug an
sich nahm, erweist sich gleichwohl als zutreffend. Jedenfalls dann,
wenn eine zur Vorbereitung der Abnahme eines reparierten Kraftfahrzeugs
durchgeführte Probefahrt des Bestellers in Anwesenheit des Werkunternehmers
oder - wie hier - dessen Besitzdieners stattfindet, erlangt der Besteller
keinen unmittelbaren Besitz an dem Fahrzeug. Vielmehr bleibt der
Werkunternehmer unmittelbarer Besitzer; sein Besitz wird lediglich gelockert
.
18 (1) Erworben wird der Besitz gemäß § 854 Abs. 1 BGB durch die
Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache. Beendigt wird er gemäß §
856 Abs. 1 BGB dadurch, dass der Besitzer die tatsächliche Gewalt über die
Sache aufgibt oder in anderer Weise verliert; hierfür reicht gemäß § 856
Abs. 2 BGB eine ihrer Natur nach vorübergehende Verhinderung in der Ausübung
der Gewalt nicht aus. Für die Begründung des unmittelbaren Besitzes ist eine
erkennbare Zeitdauer des Besitzes in Verbindung mit einer gewissen
Festigkeit der Herrschaftsbeziehung erforderlich (vgl.
PWW/Prütting, BGB, 11. Aufl., § 854 Rn. 11; RGRK/Kregel, BGB, 12. Aufl., §
854 Rn. 2; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 854 Rn. 10; Soergel/Stadler,
BGB, 13. Aufl., § 854 Rn. 8; NK-Hoeren, BGB, 4. Aufl., § 854 Rn. 6).
Die Sache muss der Person so zugänglich geworden sein, dass diese auf die
Sache beliebig einwirken und tatsächlich über sie verfügen kann
(vgl. RGRK/Kregel, BGB, 12. Aufl., § 854 Rn. 7). Bei dem von einem
Vorbesitzer abgeleiteten Besitzerwerb ist zudem erforderlich, dass der
Veräußerer den Besitz erkennbar aufgibt (vgl. Staudinger/Gutzeit,
BGB [2012], § 854 Rn. 8; BeckOK BGB/Fritzsche, 41. Edition 1. November 2016,
§ 854 Rn. 35). Die Übergabe eines Schlüssels bewirkt nur dann einen
Übergang des Besitzes an der dazugehörigen Sache, wenn der Übergeber die
tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und
der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat
(vgl. Senat, Urteil vom 6. April 1973 - V ZR 127/72, WM 1973, 1054).
19 (2) Daran gemessen ist ein Besitzübergang von dem (durch seinen Sohn
repräsentierten) Beklagten auf O. P. zu verneinen.
20 (a) Eine Probefahrt ist in der Regel nur auf eine kurze Dauer angelegt,
was für sich genommen gegen eine Übertragung des unmittelbaren Besitzes
spricht (so Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 854 Rn. 44; PWW/Prütting, BGB,
11. Aufl., § 854 Rn. 11; NK-Hoeren, BGB, 4. Aufl., § 854 Rn. 6).
Jedenfalls dann, wenn der Werkunternehmer - oder wie hier sein Besitzdiener
- an der Probefahrt teilnimmt, wird er seiner Einwirkungsmöglichkeiten auf
das Fahrzeug nicht in dem Maße verlustig, dass von einer Besitzaufgabe
ausgegangen werden könnte. Vielmehr tritt eine bloße Besitzlockerung ein
(so auch MüKoBGB/Oechsler, 7. Aufl., § 935 Rn. 11); der
ununterbrochen anwesende Werkunternehmer verbleibt in einer engen räumlichen
Beziehung zu dem Fahrzeug und gibt seine Kontrolle nicht vollständig auf
(im Ergebnis ebenso bereits RGZ 67, 387, 389; KG, OLGE 6, 256, 257).
21 (b) Zudem kann bei lebensnaher Betrachtung angenommen werden,
dass der Werkunternehmer an einer Probefahrt des Bestellers (auch) deshalb
teilnimmt, um eine Entfernung des Fahrzeugs ohne vorhergehende Entrichtung
des Werklohns zu verhindern; damit übt er letztlich das ihm zu diesem Zwecke
gemäß § 647 BGB gewährte Werkunternehmerpfandrecht bzw. sein damit
einhergehendes Besitzrecht aus (vgl. hierzu
Staudinger/Peters/Jacoby, BGB [2014], § 647 Rn. 25;
Messerschmidt/Voit/Hildebrandt, Privates Baurecht, 2. Aufl., § 647 Rn. 27).
Nach der Verkehrsanschauung führt die kurzzeitige Aushändigung des
Pfandgegenstandes nicht zu einem Besitzübergang, wenn der Pfandgläubiger
zugleich Maßnahmen trifft, die den Pfandschuldner hindern, mit dem Pfand
nach Belieben zu verfahren (vgl. RGSt 48, 244, 245: Begleitung
durch einen „Besitzwächter und Gewahrsamserhalter"; RGRK/Kregel, BGB,
12. Aufl., § 1253 Rn. 2). Hierdurch wird nämlich - worauf es entscheidend
ankommt (vgl. MüKoBGB/Damrau, 7. Aufl., § 1253 Rn. 8; Staudinger/Wiegand,
BGB [2009], § 1253 Rn. 12) - nicht der Anschein erweckt, der Besteller sei
wie-der allein verfügungsbefugt. Dies gilt umso mehr, als eine willentliche
Herausgabe der Sache an den Besteller das endgültige Erlöschen des
Unternehmerpfandrechts zur Folge hätte (§ 1257 i.V.m. § 1253 Abs. 1 Satz 1
BGB; vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1968 - VIII ZR 214/66, BGHZ 51, 250,
254). Daran gemessen findet ein Besitzübergang nicht statt, wenn das
Fahrzeug durch den Besteller im Beisein des Werkunternehmers kurzzeitig
getestet wird.
22 (c) Nichts anderes ergibt sich hier aus dem Umstand, dass kein
Unternehmerpfandrecht entstanden ist, weil O. P. als Besteller nicht
Eigentümer des Fahrzeugs war (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember
1960 - VIII ZR 89/59, BGHZ 34, 122, 124 ff.) und das
Unternehmerpfandrecht nicht gutgläubig erworben werden kann (vgl.
BGH, Urteil vom 21. Dezember 1960 - VIII ZR 146/59, BGHZ 34, 153, 154 ff.).
Bei der Beurteilung der Besitzverhältnisse ist grundsätzlich eine
faktische Betrachtungsweise geboten. Dabei kommt es weniger auf die wahre
Rechtslage als darauf an, ob die beim Erwerb der Sachherrschaft hergestellte
Beziehung als Ausdruck einer rechtlichen Befugnis erscheint (vgl.
Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 854 Rn. 11; BeckOK BGB/Fritzsche, 41.
Edition 1. November 2016, § 854 Rn. 20).
23 2. Nicht zu beanstanden ist ferner die Abweisung der Ansprüche auf
Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Vorenthaltung des Fahrzeugs; ob
für ein Kraftfahrzeug ohne Motor überhaupt eine Nutzungsentschädigung in
Betracht kommt und wie diese ggf. zu bemessen wäre, bedarf daher keiner
Entscheidung.
24 a) Rechtsfehlerfrei verneint das Berufungsgericht einen Anspruch
gemäß § 990 Abs. 2, § 280 Abs. 1 und 2, § 286 BGB.
25 aa) Eine Verzugshaftung nach diesen Vorschriften setzt voraus,
dass der Besitzer gemäß § 990 Abs. 1 BGB bei dem Erwerb des Besitzes nicht
in gutem Glauben war oder später erfahren hat, dass er zum Besitz nicht
berechtigt ist (vgl. Senat, Urteil vom 12. November 1992 - V ZR
230/91, BGHZ 120, 204, 214; Senat, Urteil vom 19. September 2003 - V ZR
360/02, BGHZ 156, 170, 171; Staudinger/Gursky, BGB [2012], § 990 Rn. 100 mwN).
Dass es sich so verhält, steht nicht fest. Da der Beklagte bei
Besitzerwerb aufgrund des Werkvertrags berechtigter Besitzer war, kommt es
nur darauf an, ob er später positive Kenntnis von dem Entfallen des
Besitzrechts erlangt hat (§ 990 Abs. 1 Satz 2 BGB, vgl.
Staudinger/Gursky, BGB [2012], § 990 Rn. 28); dies sieht das
Berufungsgericht als nicht nachgewiesen an. Die auf eine angebliche Stundung
des Werklohns bezogene Verfahrensrüge hat der Senat geprüft und als nicht
durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
26 bb) Die von dem Berufungsgericht vorgenommene Beweislastverteilung ist
rechtsfehlerfrei.
27 (1) Danach hat der Beklagte das Bestehen des
Zurückbehaltungsrechts im Rahmen von § 986 BGB zu beweisen, während die
Klägerin die Beweislast für die positive Kenntnis von dem fehlenden
Besitzrecht im Sinne von § 990 Abs. 1 Satz 2 BGB trägt. Dass der
Beklagte ein ihm zustehendes Zurückbehaltungsrecht angenommen habe, lasse
sich - so meint das Berufungsgericht -nicht ausschließen, da die Zahlung des
Werklohns nicht feststehe. Infolgedessen sei nicht erwiesen, dass ihm das
Fehlen eines Besitzrechts positiv bekannt war.
28 (2) Dagegen wendet sich die Revision vergeblich mit dem Argument, das
fehlende Besitzrecht sei als Bestandteil der Vindikationslage von dem
Beklagten als dem Besitzer zu beweisen. Nach allgemeinen Regeln der
Beweislastverteilung muss der Eigentümer den ihm günstigen Umstand beweisen,
dass der Besitzer bei Besitzerwerb nicht in gutem Glauben war bzw. später
positive Kenntnis von dem Fehlen seines Besitzrechts erlangt hat (vgl.
Staudinger/Gursky, BGB [2012], § 990 Rn. 59 und 101; Soergel/Stadler, BGB,
13. Aufl., § 990 Rn. 26; BeckOK BGB/Fritzsche, 41. Edition 1. November 2016,
§ 990 Rn. 44; Schuschke in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der
Beweislast, 3. Aufl., § 990 Rn. 1). Ist - wie hier - weder das Bestehen noch
das Nichtbestehen eines Besitzrechts erwiesen, kann der Eigentümer zwar die
Herausgabe der Sache verlangen, aber die Ansprüche gemäß §§ 987 ff. BGB
stehen ihm nicht zu.
29 b) Ein Anspruch gemäß §§ 992, 823 Abs. 1 BGB scheitert daran,
dass sich der Beklagte den Besitz an dem Kraftfahrzeug der Klägerin weder
durch eine Straftat noch durch verbotene Eigenmacht verschafft hat.
30 3. Schließlich hat der Senat die auf eine auf die Verletzung des § 529
Abs. 1 Nr. 1 ZPO gestützte Verfahrensrüge der Klägerin geprüft und als nicht
durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
III.
31 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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