Zugang von
Willenserklärungen (§ 130 BGB) durch Einwurf in den Bürobriefkasten,
maßgeblicher Zeitpunkt (nach Verkehrsanschauung übliche Kenntnisnahme)
BGH, Urteil vom 5. Dezember
2007 - XII ZR 148/05
Fundstelle:
NJW 2008, 843
Amtl. Leitsatz:
Wird ein Schriftstück
erst am 31. Dezember nachmittags in den Briefkasten eines Bürobetriebes
geworfen, in dem branchenüblich Silvester nachmittags - auch wenn dieser Tag
auf einen Werktag fällt - nicht mehr gearbeitet wird, so geht es erst am
nächsten Werktag zu.
Zentrale Probleme:
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Zur Problematik s. auch
BGH
NJW 1994, 2613,
BGHZ 137, 205, BGH NJW 2002, 1041,
BGH NJW 2003, 3270
und BGH v. 21.1.2004 - XII ZR 214/00.
©sl 2008
Tatbestand:
1 Die Parteien streiten über die Frage, ob der Klägerin die Erklärung der
Beklagten auf Verlängerung des zwischen ihnen bestehenden Mietvertrages
rechtzeitig zugegangen ist.
2 Mit Vertrag vom 22. Juni 1999 mietete die Beklagte, die damals noch als I.
GmbH firmierte, von der Klägerin eine Lagerhalle in K. zum monatlichen
Mietzins von 200 DM (= 102,26 €) fest bis zum 30. Juni 2004. In § 2 des
Mietvertrages war dem Mieter u.a. das Recht eingeräumt, spätestens sechs
Monate vor Ablauf der vereinbarten Mietzeit die Verlängerung des
Mietverhältnisses um fünf Jahre zu verlangen.
3 Die Beklagte hat ihr Optionsrecht auf Verlängerung des Mietvertrages mit
Schreiben vom 31. Dezember 2003 ausgeübt. Dieses Schriftstück hat ein Bote
am 31. Dezember 2003 um 15.50 Uhr in den Briefkasten der
Verwaltungsgesellschaft geworfen, von der die Klägerin vertreten wurde. Die
Klägerin kündigte mit Schreiben vom 7. Januar 2004 das Mietverhältnis
fristlos. Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Räumung und Herausgabe der
Lagerhalle verurteilt. Das Schreiben vom 31. Dezember 2003 sei der Klägerin
erst am 2. Januar 2004, und somit zu spät, zugegangen. Das Landgericht hat
die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision hat es wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
5 Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, die Erklärung der
Beklagten vom 31. Dezember 2003 sei der Klägerin nicht rechtzeitig
zugegangen. Eine Willenserklärung unter Abwesenden sei nach § 130 BGB dann
zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt sei, dass
dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit habe, vom Inhalt der
Erklärung Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehörten auch die
von ihm zur Entgegennahme von Erklärungen bereitgestellten Einrichtungen wie
Briefkästen. Vollendet sei der Zugang aber erst, wenn die Kenntnisnahme
durch den Empfänger möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten sei.
Nach diesen Grundsätzen habe die Beklagte nicht erwarten können, dass in
einem Betrieb wie dem vorliegenden, einer Maklerfirma, die sich ausweislich
ihres Schreibens vom 12. März 2002 auch mit Hausverwaltungen beschäftige, am
Silvestertag, auch wenn es ein Mittwoch sei, gegen 15.50 Uhr noch zur
Entgegennahme von Erklärungen bereite Personen anwesend seien. Dies habe zur
Folge, dass die Erklärung der Beklagten vom 31. Dezember 2003 erst am
folgenden Werktag als zugegangen behandelt werden könne, so dass die
Optionsausübung verspätet sei. Diesem Ergebnis stehe § 193 BGB nicht
entgegen. Denn der 31. Dezember sei kein gesetzlicher Feiertag, auch wenn an
ihm üblicherweise nicht oder nur teilweise gearbeitet werde.
II.
6 Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.
7 1. Zutreffend und von der Revision unbeanstandet geht das Berufungsgericht
davon aus, dass das Schreiben der Beklagten vom 31. Dezember 2003 nur dann
die Verlängerung des Mietvertrages bewirken konnte, wenn es spätestens an
diesem Tag der die Klägerin vertretenden Hausverwaltungsfirma zugegangen
sein sollte.
8 2. Nach Meinung der Revision ist dies der Fall. Eine Willenserklärung sei
zugegangen, wenn der sie enthaltende Brief während der Geschäftszeit in den
Geschäftsräumen des Empfängers abgegeben oder in den Briefkasten des
Empfängers eingeworfen worden sei. Sei das Büro zu Geschäftszeiten nicht
besetzt oder, werde der Briefkasten zur Geschäftszeit nicht geleert, so
werde der Zugang durch solche - allein in der Person des Empfängers liegende
-Gründe nicht ausgeschlossen. Die Frage, ob in einem Hausverwalterbüro mit
nachmittäglicher Briefkastenleerung gerechnet werden könne oder nicht, könne
dahinstehen. Die Hausverwalterfirma, die die Klägerin vertrete, habe nämlich
auf ihren auch der Beklagten gegenüber verwendeten Briefbögen selbst ihre
Geschäftszeiten angegeben, indem sie als Sprechzeiten u. a. Montag bis
Donnerstag von 14.00 bis 17.00 Uhr genannt habe. Da der 31. Dezember 2003
ein Mittwoch gewesen sei, habe die Sprechzeit der Beklagten um 17.00 Uhr
geendet, so dass sich die Geschäftszeit jedenfalls auch bis 17.00 Uhr
erstreckte, weshalb um 15.50 Uhr mit einer Briefkastenleerung noch am selben
Tag zu rechnen gewesen sei.
9 Dem ist jedoch in wesentlichen Punkten nicht zu folgen. Vielmehr kommt
es darauf an, ob im Zeitpunkt des Einwurfs des Briefes in den Briefkasten
nach der Verkehrsanschauung, ohne Berücksichtigung der individuellen
Verhältnisse des Empfängers, noch mit einer Leerung am selben Tag zu rechnen
war (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 2004 -
XII ZR 214/00 - NJW 2004, 1320, 1321). Dies war jedoch nicht der Fall.
Dabei kann dahinstehen, ob im geschäftlichen Verkehr ein Brief, der während
der Geschäftszeiten in den Briefkasten geworfen wird, in jedem Fall
zugegangen ist, weil die Post AG und andere Dienstleister zwischenzeitlich
Briefe nicht nur vormittags zustellen, oder ob eine entsprechende
Verkehrsanschauung nicht besteht (vgl. zu den unterschiedlichen Meinungen
Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., § 130 Rdn. 6 und Reichold in Juris
PK-BGB, 3. Aufl. Rdn. 12.1). Denn der Zugang einer Willenserklärung
erfolgt jedenfalls nicht mehr am selben Tag, wenn er nach Schluss der
Geschäftszeiten in den Briefkasten eines Betriebs eingeworfen wird. In
diesem Fall kann mit einer Leerung des Briefkastens am selben Tag nicht
gerechnet werden. So aber liegt der Fall hier. Wie das Landgericht von
der Revision unangegriffen festgestellt hat, wird in einem Bürobetrieb, wie
dem streitgegenständlichen, Silvester nachmittags nicht gearbeitet, so dass
kurz vor 16.00 Uhr mit einer Briefkastenleerung am selben Tag nicht mehr zu
rechnen ist. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die
streitgegenständliche Verwaltungsgesellschaft auf ihren Geschäftsbriefen,
wie im Schreiben vom 12. März 2002 an die Beklagte, angibt, an Werktagen
außer freitags von 14.00 bis 17.00 Uhr Sprechzeiten abzuhalten.
Dieses Schreiben, das im Gegensatz zur Meinung der Revisionserwiderung auch
im Revisionsverfahren verwertet werden kann, da das Berufungsgericht auf es
Bezug nimmt, schafft beim Empfänger kein Vertrauen darauf, dass in der
genannten Firma entgegen der allgemeinen Übung am Nachmittag des 31.
Dezember gearbeitet werde.
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