IZPR/IPR: Zuständigkeit deutscher Gerichte für
eine Klage einer ausländischen Straßenmautgesellschaft; Rechtsweg;
Qualifikation lege fori, anwendbares Recht; Reichweite des Vertragsstatuts,
ordre public; Fremdwährungsschulden
BGH, Urteil vom 28. September 2022 - XII ZR 7/22 - LG
Frankfurt am Main
Fundstelle:
noch nicht bekannt für
BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
a) Die nicht vorab entrichtete ungarische
Straßenmaut kann gegen einen inländischen Halter des Fahrzeugs vor den
deutschen Zivilgerichten geltend gemacht werden. b) Die Bestimmungen des
ungarischen Rechts verstoßen weder hinsichtlich der in § 15 Abs. 2 des
ungarischen Straßenverkehrsgesetzes angeordneten alleinige Schuldnerschaft
des Fahrzeughalters noch hinsichtlich der in § 7/A Abs. 10 und Anlage 1 der
Mautverordnung bestimmten Grundersatzmaut sowie der erhöhten Zusatzgebühr
gegen den deutschen ordre public. c) Fremdwährungsschulden sind als
solche, also in fremder Währung, einzuklagen; eine auf die falsche Währung
gerichtete Zahlungsklage ist abzuweisen (im Anschluss an BGH Urteil vom 29.
Mai 1980 - II ZR 99/79 -NJW 1980, 2017).
Zentrale Probleme:
Eine Fallgestaltung, die glat ein Klausurfall des
entsprechenden Schwerpunktbereichs sein könnte: Es geht um die Klage eines
ungarischen Mautbetreibers gegen den Halter eines Fahrzeugs auf Zahlung der
Autobahnmaut. Dabei handelt es sich um eine Zivil- und Handelssache iSd
Brüssel Ia-VO, auch ist der Anspruch vertraglich zu qualifizieren, weshalb
das anzuwendende Recht nach der Rom I-VO zu ermitteln ist. Dabei hat sich
der Senat dann auch mit der Frage des ordre public-Verstoßes einer
(vertraglichen) Halterhaftung zu beschäftigen. Ein Verstoß wird mit
überzeugenden Gründen abgelehnt, weil auch dem deutschen Recht eine solche
Haftung nicht fremd ist. Schließlich geht es um die Frage, ob
Fremdwährungsschulden in Deutschland ohne entsprechende Vorschrift des
Vertragsstatuts in Euro eingeklagt werden können, was der Senat verneint.
©sl 2022
Tatbestand:
1 Die Parteien streiten über die Zahlung einer Maut
für die Benutzung ungarischer Autobahnen.
2 Die Klägerin ist eine
ungarische Gesellschaft, deren Geschäftszweck die Eintreibung der
ungarischen Autobahnmaut ist. Die Beklagte ist ein im Inland ansässiges
Autovermietungsunternehmen.
3 Mit vier Mietfahrzeugen der Beklagten
wurde am 17. und 18. November 2017 insgesamt fünfmal ein Abschnitt der
ungarischen Autobahn befahren, für den auf Grundlage des ungarischen
Gesetzes Nr. I von 1988 über den Straßenverkehr (im Folgenden:
Straßenverkehrsgesetz) i.V.m. der Verordnung des ungarischen Ministers für
Wirtschaft und Verkehr Nr. 36/2007 (III. 26.) GKM über die Maut von
Autobahnen, Autostraßen und Hauptstraßen (im Folgenden: MautVO) eine
Straßenmaut zu entrichten ist. Schuldner der Maut ist nach § 15 Abs.
2 Straßenverkehrsgesetz der Halter des Fahrzeugs. Wird die Maut
nicht vor der Benutzung des Straßenabschnitts durch Kauf einer virtuellen
Vignette (e-Matrica) entrichtet, ist gemäß § 33/A Abs. 1 des
Straßenverkehrsgesetzes in Verbindung mit § 7/A Abs. 10 und Anlage 1
MautVO eine Grundersatzmaut von 14.875 ungarischen Forint (HUF) bei Zahlung
innerhalb von 60 Tagen nach Zahlungsaufforderung zu zahlen bzw. eine erhöhte
Zusatzgebühr von 59.500 HUF bei einer Zahlung nach mehr als 60 Tagen.
4 Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung von 958,95 € nebst Zinsen
sowie 409,35 € außergerichtlichen Inkassokosten verlangt. Das Amtsgericht
hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht
die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels zur
Zahlung von 958,95 € sowie 362,95 € außergerichtlichen Inkassokosten
verurteilt. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
5 Die - entgegen der Auffassung der
Revisionserwiderung unbeschränkt zugelassene - Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der
Sache an das Landgericht.
I.
6 Das Landgericht hat seine in
juris veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet: Die Zulässigkeit des
beschrittenen Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten sei im
Rechtsmittelverfahren nicht mehr zu prüfen, nachdem das Amtsgericht diese
bejaht habe. Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien sei als ein
vertragliches Schuldverhältnis anzusehen, auf das gemäß Art. 4 Abs. 2,
19 Abs. 1 und 3 Rom I-VO das ungarische Recht anzuwenden sei. Die
Klägerin könne die erhöhte Zusatzgebühr nach Anlage 1 MautVO verlangen, da
die Fahrzeuge der Beklagten mautpflichtige Straßen befahren und die Beklagte
nicht bewiesen habe, dass die Maut vorher bezahlt worden sei. Ein Verstoß
gegen den ordre public, der zur Nichtanwendung der Vorschriften der MautVO
führen könnte, liege nicht vor. Die Heranziehung des Fahrzeughalters als
Mautschuldner sei dem deutschen Recht nicht wesensfremd und beruhe darauf,
dass die Beklagte das Mietfahrzeug freiwillig überlassen und dessen Nutzung
in Ungarn gestattet habe. Auch begründe die erhöhte Zusatzgebühr keinen
Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung, da sie mit einer auch dem
deutschen Recht bekannten Vertragsstrafe vergleichbar sei. Der Sache nach
handle es sich um eine Sanktionierung des Zahlungsverzugs. Darin liege kein
Verstoß gegen das Verschuldensprinzip, da die Beklagte die - als angemessen
anzusehende - Zahlungsfrist von 60 Tagen nicht eingehalten habe. Zusätzliche
Verzugszinsen seien demgegenüber aufgrund der Regelung des § 33/B Abs. 5
Satz 4 des Straßenverkehrsgesetzes nicht geschuldet.
II.
7
Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung insoweit nicht stand, als es
an Feststellungen zur Berechtigung der Klägerin fehlt, die Zahlung in
inländischer Währung zu fordern.
8 1. Die Klage ist zulässig
erhoben.
9 a) Das Landgericht hat die von ihm nicht eigens erörterte
internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, die in der Revisionsinstanz
unbeschadet des § 545 Abs. 2 ZPO uneingeschränkt zu überprüfen ist (BGHZ
153, 82 = NJW 2003, 426 f.), zu Recht bejaht. Wie der Gerichtshof
der Europäischen Union bereits entschieden hat (EuGH
Beschluss vom 21. September 2021 - C-30/21 - juris), fällt eine
Klage auf gerichtliche Beitreibung der ungarischen Straßenmaut unter den
Begriff der „Zivil- und Handelssache“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der
Verordnung (EG) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über
die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12. Dezember 2012 (Brüssel
Ia-VO = EuGVVO; ABl. EU L 351 S. 1). Nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO sind
Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses
Mitgliedstaats zu verklagen. Für Gesellschaften und juristische Personen
bestimmt sich der „Wohnsitz“ im Sinne dieser Bestimmung unter anderem durch
deren satzungsmäßigen Sitz (Art. 63 Abs. 1 Buchst. a EuGVVO), der sich hier
im Inland befindet.
10 b) Auch der Rechtsweg zu den
ordentlichen Gerichten ist gegeben.
11 aa) Zwar
überprüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in
der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig
ist (§ 17 a Abs. 5 GVG). Das Überprüfungsverbot nach dieser Vorschrift setzt
aber voraus, dass die erste Instanz nicht gegen unverzichtbare
Verfahrensgrundsätze des § 17 a GVG verstoßen hat. Der Ausschluss der
Prüfung gilt damit nicht, wenn die Zulässigkeit des Rechtswegs trotz Rüge
nicht durch Vorabbeschluss, sondern entgegen § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG erst
in der Sachentscheidung bejaht wurde (vgl. BGHZ 121, 367 = NJW
1993, 1799 f.).
12 So liegt der Fall hier. Da die Beklagte bereits
mit ihrer Klageerwiderung die Rüge der Unzulässigkeit des Rechtswegs erhoben
hatte, war das Amtsgericht gehalten, vorab gemäß § 17 a Abs. 3 Satz
2 GVG über die Rechtswegzuständigkeit zu entscheiden. Hiergegen
wäre die sofortige Beschwerde nach § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG statthaft
gewesen.
13 Das Unterlassen der Vorabentscheidung führt dazu, dass
die Frage der Rechtswegzuständigkeit noch im Rahmen eines Rechtsmittels
gegen die Sachentscheidung geprüft werden kann. Denn die im Gesetz angelegte
Systematik will sicherstellen, dass die Beteiligten die
Rechtswegentscheidung in jedem Fall überprüfen lassen können (vgl. BGHZ 121,
367 = NJW 1993, 1799, 1800). Daher hätte das Landgericht die
Rechtswegzuständigkeit auf die von der Beklagten erhobene Rüge hin
seinerseits überprüfen müssen.
14 bb) Die somit in der
Revisionsinstanz zu prüfende Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen
Gerichte ist gegeben. Insbesondere handelt es sich nicht um eine
öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für die nach § 40 Abs. 1 VwGO der
Verwaltungsrechtsweg eröffnet wäre.
15 (1) Wird der
Klageanspruch auf eine Norm des ausländischen Rechts gestützt, so ist die
Qualifikation, ob es sich um eine zivil- oder eine öffentlichrechtliche
Streitigkeit handelt, aus dem Blickwinkel der lex fori, also nach
inländischem Rechtsverständnis, zu beurteilen (BGH Beschluss vom 4.
Oktober 2005 - VII ZB 9/05 - NJW-RR 2006, 198 Rn. 13; BSGE 54, 250, 256).
Zu dem im Inland geltenden Recht gehören dabei auch die bindenden
Regelungen der EuGVVO.
16 (2) Nach den Regeln der
EuGVVO schließt die Wahrnehmung von Hoheitsrechten durch eine der Parteien
des Rechtsstreits die Qualifizierung als „Zivil- und Handelssache“ im Sinne
von Art. 1 Abs. 1 EuGVVO aus, da diese Partei Befugnisse ausübt, die von den
im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Regeln abweichen
(vgl. EuGH Beschluss vom 21. September 2021 - C-30/21 - juris Rn. 27 mwN).
17 Allerdings reicht der öffentliche Zweck bestimmter Tätigkeiten für
sich genommen nicht aus, um diese Tätigkeiten als hoheitlich (iure imperii)
einzustufen, da sie nicht der Wahrnehmung von Befugnissen entsprechen, die
von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen
(EuGH Beschluss vom 21. September 2021 - C-30/21 - juris Rn. 28 mwN).
Entsprechend hat der Europäische Gerichtshof für eine Klage, mit der
die Beitreibung der ungarischen Straßenmaut verfolgt wird, bereits
entschieden, dass diese ein privatrechtliches Rechtsverhältnis im Sinne der
EuGVVO betrifft (EuGH Beschluss vom 21. September 2021 - C-30/21 -
juris Rn. 29 f.). Daraus folgt unmittelbar die Zuordnung als
zivilrechtliche Streitigkeit nach der lex fori.
18 2.
Die Bestimmung des anwendbaren Vertragsstatuts richtet sich nach
der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendende Recht (Rom I-VO; ABl. EU L 177 S. 6, ABl. EU
ber. L 309 S. 87). Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass
die geltend gemachte Forderung aus einem vertraglichen Schuldverhältnis im
Sinne von Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO herrührt. Der Begriff des „vertraglichen
Schuldverhältnisses“ bezeichnet eine von einer Person gegenüber einer
anderen freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung (EuGH NJW 2016,
1005 Rn. 44) und ist nicht eng auszulegen (EuGH NJW
2005, 811 Rn. 48). Hierunter fällt auch eine
Verpflichtung, die dadurch freiwillig eingegangen wird, dass der
Fahrzeugführer das als Realofferte in der Bereitstellung des mautpflichtigen
Straßenabschnitts liegende Angebot durch schlichtes Befahren annimmt
(Staudinger/Scharnetzki DAR 2021, 191; Küpper WiRO 2021, 107, 110; Trautmann
NZV 2018, 49, 50; Staudinger DAR 2020, 276, 277 f.; vgl. auch EuGH DAR 2017,
254 Rn. 35 und Senatsurteil vom 18. Dezember 2019 - XII ZR 13/19 -NJW 2020,
755 Rn. 13 jeweils zur Benutzung kostenpflichtiger Parkplätze, sowie EuGH
TranspR 2020, 132 Rn. 53 zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel
ohne vorherigen Erwerb einer Fahrkarte).
19 Offenbleiben
kann, ob hier die Kollisionsnorm für Dienstleistungsverträge (Art. 4 Abs. 1
Buchst. b Rom I-VO) anzuwenden ist, nach der das Recht des Staates berufen
ist, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (kritisch
insoweit Küpper WiRO 2021, 138). Denn wäre dies nicht der Fall,
käme die Auffangnorm des Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zur Anwendung, wonach der
Vertrag dem Recht des Staates unterläge, in dem die Partei, welche die für
den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen
Aufenthalt hat. Beides führt im vorliegenden Fall gleichermaßen zur
Anwendung ungarischen Sachrechts.
20 Die Frage, ob
auch der vom Fahrzeugführer verschiedene Halter auf Zahlung der
vertragsmäßig begründeten Mautforderung in Anspruch genommen werden kann,
unterliegt keiner gesonderten Anknüpfung. Denn das Vertragsstatut bestimmt
grundsätzlich, wer Schuldner und Gläubiger ist
(MüKoBGB/ Spellenberg Art. 12 Rom I-VO Rn. 62; BeckOGK/Weller [Stand: 1.
Oktober 2020] Rom I-VO Art. 12 Rn. 25). Die Reichweite des
Vertragsstatuts erstreckt sich nach dem autonom auszulegenden Art. 12 Abs. 1
Buchst. b Rom I-VO auf die Erfüllung der durch den Vertrag begründeten
Verpflichtungen und damit auch darauf, ob Dritte in den Vertrag einbezogen
sind (Staudinger DAR 2020, 276, 278; Staudinger/Scharnetzki DAR
2021, 191, 192; BeckOK BGB/Spickhoff [Stand: 1. Mai 2022] VO (EG) 593/2008
Art. 12 Rn. 5; Hüßtege/Mansel BGB Rom-VerOrdnungen - EuErbVO - HUP, Rom I-VO
Art. 12 Rn. 15; Schulze/Staudinger BGB 11. Aufl. Rom I-VO Art. 12 Rn. 4;
vgl. auch EuGH NJW 2021, 1583 Rn. 35).
21 Es besteht kein Anlass, die
Sache gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur
Auslegung des Art. 12 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO vorzulegen. Die
richtige Auslegung dieser Norm ist angesichts der Regelungszwecke der Rom
I-VO, nämlich einerseits eine im Einklang der verschiedenen Regelwerke
stehende, rechtssichere und berechenbare Abgrenzung von vertraglichen zu
außervertraglichen Schuldverhältnissen zu schaffen (7. Erwägungsgrund und
16. Erwägungsgrund, Satz 1), andererseits der Einräumung eines gewissen
gerichtlichen Ermessens, um das Recht bestimmen zu können, das zu dem
Sachverhalt die engste Verbindung aufweist (16. Erwägungsgrund, Satz 2),
derart offenkundig zu beantworten, dass für vernünftige Zweifel kein Raum
bleibt ("acte clair"; vgl. etwa EuGH Urteil vom 9.
September 2015 - C-72/14 und C-197/14 - juris Rn. 55 ff.; Senatsbeschluss
vom 27. November 2019 - XII ZB 311/19 - FamRZ 2020, 272 Rn. 11 mwN). Soweit
ersichtlich wird hierzu auch in der Rechtsliteratur keine abweichende
Auffassung vertreten.
22 3. Nach den vom Landgericht im Freibeweis
(vgl. Senatsbeschluss vom 24. Mai 2017 - XII ZB 337/15 - FamRZ 2017, 1209
Rn. 14) getroffenen Feststellungen zum Inhalt des ungarischen Rechts ist,
wenn die Maut nicht vor der Benutzung des Straßenabschnitts durch Kauf einer
virtuellen Vignette entrichtet ist, gemäß § 33/A Abs. 1 des
Straßenverkehrsgesetzes in Verbindung mit § 7/A Abs. 10 und Anlage 1 MautVO
eine Grundersatzmaut von 14.875 HUF bei Zahlung innerhalb von 60 Tagen nach
Zahlungsaufforderung zu zahlen bzw. eine erhöhte Zusatzgebühr von 59.500 HUF
bei einer Zahlung nach mehr als 60 Tagen. Schuldner der nachträglich zu
entrichtenden Maut ist nach § 15 Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes der
Halter des Fahrzeugs. Aufgrund von insgesamt fünf Benutzungen von
Autobahnabschnitten, für die auf Grundlage der MautVO eine Straßenmaut
anfällt, die jedoch jeweils weder vor der Straßenbenutzung noch innerhalb
des 60-Tages-Zeitraums entrichtet worden ist, ergibt sich eine Forderung
gegen die Beklagte als Halterin der Fahrzeuge in Höhe von (5 x 59.500 HUF =)
297.500 HUF.
23 4. Zu Unrecht rügt die Revision, das Landgericht habe
die nach ungarischem Recht geltende Beweislastverteilung nicht ausreichend
aufgeklärt, indem es die Beklagte hinsichtlich der von ihr vorgetragenen
Möglichkeit, die Fahrzeugführer hätten die Maut jeweils vorab entrichtet und
dieses sei in dem ungarischen Mautsystem lediglich nicht korrekt erfasst
worden, für beweisfällig angesehen habe. Zwar entsteht die
Straßennutzungsberechtigung bei Vorabentrichtung der Maut durch die
fahrzeugbezogene Gebührenzahlung (§ 3 Abs. 1 MautVO). Die Geltendmachung der
Berechtigung erfolgt durch elektronische Eingabe, worüber der Besteller eine
die Gültigkeit quittierende Mitteilung oder einen Kontrollabschnitt erhält
(§ 5 MautVO). Diese dienen dem Nachweis der Bezahlung auch bei einer
unrichtigen Erfassung im elektronischen Mautsystem und können zur
nachträglichen Korrektur des Kennzeichens verwendet werden (§ 8 Abs. 5
MautVO). Die Beklagte, die die Aushändigung der Quittungen oder
Kontrollabschnitte im Zuge der Fahrzeugrückgabe zu ihren Mietbedingungen
machen kann, hat aber schon keinen Sachverhalt substanziiert vorgetragen,
wonach die Maut vorab entrichtet und dadurch für die Kennzeichen ihrer
Fahrzeuge eine Straßennutzungsberechtigung erworben war.
24 5.
Ebenfalls ohne Erfolg bleibt die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs,
die darauf gestützt wird, dass das Landgericht die Absendung und den Erhalt
der Zahlungsaufforderungen als von der Beklagten zugestanden behandelt hat,
obgleich sie diese zunächst bestritten hatte. Denn mit der auf das
Bestreiten hin erfolgten Vorlage von Reproduktionen der den
Einwurf-Einschreibesendungen zuzuordnenden Auslieferungsbelege mitsamt
zugehöriger Einlieferungsbelegen hatte die Klägerin ihren Sachvortrag in
einer Weise konkretisiert und vertieft, dass das Landgericht zu Recht
erwarten durfte, die Beklagte würde ihr bis dahin pauschales Bestreiten
näher substantiieren, andernfalls der Vortrag der Klägerin nach § 138 Abs. 2
und 3 ZPO als zugestanden anzunehmen sei. Die Revision hat nicht aufzuzeigen
vermocht, welchen vertiefenden Sachvortrag der Beklagten das Landgericht
insoweit etwa übergangen habe.
25 6. Die Anwendung der
Vorschriften des ungarischen Rechts über die zu entrichtende erhöhte
Zusatzgebühr kann auch nicht gemäß Art. 21 Rom I-VO deshalb versagt werden,
weil diese mit der inländischen öffentlichen Ordnung („ordre public“)
offensichtlich unvereinbar wäre. Denn ein ordre-public-Verstoß läge
nur dann vor, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen
Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen
enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stünde,
dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (st.
Rspr., zuletzt Senatsbeschluss vom 9. Januar 2019 - XII ZB 188/17 - FamRZ
2019, 613 Rn. 15 mwN).
26 Der ordre public-Vorbehalt ist mit
Rücksicht auf die vorrangig anzuwendende ausländische Rechtsordnung
gegenüber dem Recht eines anderen Mitgliedstaats restriktiv zu handhaben
(Staudinger/Hausmann [2021] Art. 21 Rom I-VO Rn. 17). Dabei
kommt es auch darauf an, dass der zu prüfende Sachverhalt überhaupt einen
Inlandsbezug hat, und wie stark dieser ausgeprägt ist (BGH
Urteil vom 29. Juni 2022 - IV ZR 110/21 - NJW 2022, 2547 Rn. 29
mwN; Staudinger/Hausmann [2021] Art. 21 Rom I-VO Rn. 19 ff.).
27 Im
vorliegenden Fall besteht ein starker Auslandsbezug
dadurch, dass das Vertragsverhältnis in Ungarn begründet und die
charakteristische Leistung in Ungarn erbracht worden ist. Demgegenüber
besteht nur ein geringer Inlandsbezug, der allein darin
liegt, dass das Fahrzeug auf einen Halter im Inland zugelassen ist. In
dieser Konstellation mit nur schwach ausgeprägtem Inlandsbezug führt die
Anwendung des ausländischen Rechts zu keinem Ergebnis, das mit wesentlichen
Grundsätzen des inländischen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre.
28 a) Entgegen der Auffassung der Revision liegt ein Verstoß gegen den ordre
public nicht darin begründet, dass nach ungarischem Recht durch die
Benutzung der mautpflichtigen Straße ein Vertrag zulasten Dritter, nämlich
des vom Fahrer verschiedenen Halters, begründet würde.
29 aa)
Eine Anknüpfung von Einstandspflichten an die Haltereigenschaft ist dem
deutschen Recht nicht grundsätzlich fremd. So ist auch nach
inländischem, allerdings öffentlich-rechtlich ausgestaltetem
Straßenbenutzungsrecht Schuldner der Bundesfernstraßenmaut unter anderem die
Person, die Eigentümer oder Halter des Motorfahrzeugs ist (§ 2 Abs.
1 Nr. 1 BFStrMG).
30 Eine zivilrechtliche Haftung des
Fahrzeughalters ist in § 7 Abs. 1 StVG verankert, wonach er den Schaden zu
ersetzen hat, der bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entsteht, wenn ein
Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder
eine Sache beschädigt wird. Außerdem ist nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs der Halter eines unberechtigt auf einem
Privatparkplatz abgestellten Fahrzeugs hinsichtlich der dadurch
hervorgerufenen Beeinträchtigung des Besitzes des Parkplatzbetreibers
Zustandsstörer und kann als solcher auf Unterlassung in
Anspruch genommen werden, wenn er auf die Aufforderung, den für die
Besitzstörung verantwortlichen Fahrer zu benennen, schweigt (BGH
Urteil vom 18. Dezember 2015 - V ZR 160/14 - NJW 2016, 863 Rn. 20 ff.
mwN). Zudem ist der Halter aufgrund Geschäftsführung ohne Auftrag
gemäß §§ 683 Satz 1 i.V.m. 670 BGB grundsätzlich zum Ersatz von
Abschleppkosten verpflichtet, die für die Beseitigung der ihm als
Zustandsstörer zuzurechnenden Besitzstörung anfallen (BGH
Urteil vom 11. März 2016 - V ZR 102/15 - NJW 2016, 2407 Rn. 5 ff. mwN).
31 bb) Zwar lässt sich nach deutschem Recht allein aus der
Haltereigenschaft keine Haftung für vom Fahrzeugführer im Zusammenhang mit
einer Parkraumbenutzung verwirkte Vertragsstrafen herleiten
(Senatsurteil vom 18. Dezember 2019 - XII ZR 13/19 - NJW 2020, 755 Rn. 26
ff.). Daraus ergibt sich aber noch nicht, dass eine nach
ausländischen Rechtsnormen begründete Halterhaftung für diese Fälle oder für
Fälle der Benutzung mautpflichtiger Straßen mit zwingenden Grundsätzen des
inländischen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre (im Ergebnis
ebenso Küpper WiRO 2021, 138, 139; Trautmann NZV 2018, 49, 51).
32
cc) Mit § 7/B MautVO enthält das ungarische Recht auch eine den Halter
entlastende - und damit dem Rechtsgedanken des inländischen § 7 Abs. 2
StVG entsprechende - Regel für den Fall, dass das Fahrzeug oder das
Kennzeichen rechtswidrig aus dem Besitz des Halters gelangt ist. Dieser Fall
liegt hier aber nicht vor, da die Beklagte ihre Fahrzeuge freiwillig
überlassen und dadurch auch eine Benutzung mautpflichtiger Straßen in Ungarn
ermöglicht hat.
33 b) Die Beklagte ist auch nicht dadurch in einer
dem ordre public widersprechenden Weise benachteiligt, dass sie zu einer
höheren Maut als bei Vorabentrichtung herangezogen wird. Eine
Tarifgestaltung, die die Vorabentrichtung der Maut preislich günstiger
offeriert als bei einer Nachentrichtung, ist schon deshalb nicht
unangemessen, weil mit der nachträglichen Einziehung der Maut sowohl ein
erhöhter Aufwand als auch Realisierungsrisiken verbunden sind. Schließlich
sollen durch die unterschiedliche Preisgestaltung auch im Massengeschäft
notwendige Lenkungseffekte erreicht werden, die auf eine Vorabentrichtung
der Maut zielen. Regelungen mit dieser Zielsetzung sind auch dem
inländischen Recht nicht grundsätzlich fremd; beispielswiese erheben
Beförderungsunternehmen ein erhöhtes Beförderungsentgelt, wenn der Fahrgast
sich keinen gültigen Fahrausweis beschafft hat (§ 9 Abs. 1 der Verordnung
über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und
Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen vom 27. Februar
1970, BGBl. I S. 230).
34 c) Ist danach bereits die Grundersatzmaut
nicht als pauschalierter Schadensersatz, sondern als gewöhnliches
Vertragsentgelt im nachträglichen Bezahlmodus zu verstehen, geht auch die
Auffassung der Revision fehl, die bei Nichtentrichtung innerhalb von 60
Tagen nach der Zahlungsaufforderung anfallende erhöhte Zusatzgebühr stelle
der Sache nach einen Strafschadensersatz in Form einer zweiten
Vertragsstrafe auf die Nichterfüllung der ersten Vertragsstrafe dar, was
gegen den ordre public verstoße (ähnlich AG München MDR 2020, 726, 727; vgl.
grundsätzlich zum Strafschadensersatz BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096, 3103
ff.). Die erhöhte Zusatzgebühr stellt sich vielmehr als eine (erste)
Vertragsstrafe dar, mit der der Zahlungsverzug hinsichtlich
der Grundersatzmaut sanktioniert und der Verzugsschadensersatz pauschaliert
wird. Der Charakter eines pauschalierten Verzugsschadensersatzes zeigt sich
etwa darin, dass zusätzliche Verzugszinsen nicht geschuldet sind (§ 33/B
Abs. 5 Satz 4 Straßenverkehrsgesetz). Schließlich verstößt die Regelung auch
nicht gegen das im inländischen Recht für Vertragsstrafen verankerte
Verschuldensprinzip, da die erhöhte Zusatzgebühr erst anfällt, wenn der
Fahrzeughalter die Maut nicht innerhalb von 60 Tagen nach der ihm
zugegangenen Zahlungsaufforderung entrichtet.
35 Zwar kann
auch eine übermäßig hohe Vertragsstrafe für sich genommen gegen den ordre
public verstoßen (BeckOGK/Hemler [Stand: 1. Juni 2022] Rom I-VO
Art. 21 Rn. 68; BeckOK BGB/Spickhoff [Stand: 1. Mai 2022] VO (EG) 593/2008
Art. 21 Rn. 5). Die Vertragsstrafe für sich genommen beträgt hier aber nur
den Aufschlag von (59.500 - 14.875 =) 44.625 HUF, was derzeit rund 112
€ entspricht und keinen unangemessen hohen absoluten Betrag darstellt.
Relativ betrachtet bedeutet die erhöhte Zusatzgebühr einen dreifachen
Aufschlag auf das Vertragsentgelt für den nachträglichen Bezahlmodus, was
ebenfalls noch nicht ordre-public-widrig überhöht ist.
36 Selbst wenn
man in den Blick nimmt, dass die erhöhte Zusatzgebühr das Zwanzigfache des
Entgelts bei Vorabentrichtung der Maut beträgt (59.500 HUF gegenüber 2.975
HUF), hält sich die Vervielfachung der betragsmäßig geringen Ausgangsmaut um
diesen Faktor noch im Rahmen dessen, was nach inländischem Recht
beispielsweise von Beförderungsunternehmen als gewöhnliches erhöhtes
Beförderungsentgelt verlangt werden kann, und widerspricht deshalb nicht
offensichtlich hiesigen Rechtsgrundsätzen (a.A. LG München DAR 2021, 213,
215).
37 7. Mit Erfolg rügt die Revision allerdings, dass das
Landgericht die Beklagte - wie von der Klägerin beantragt - zur Zahlung
einer Geldschuld in inländischer Währung verurteilt hat.
38
a) Fremdwährungsschulden sind als solche, also in fremder Währung
einzuklagen (Staudinger/Omlor BGB [2021] § 244 Rn. 133).
Die Inlandswährung ist kein minus, sondern ein aliud dazu. Eine auf die
falsche Währung gerichtete Zahlungsklage wäre somit abzuweisen
(vgl. BGH Urteil vom 29. Mai 1980 - II ZR 99/79 - NJW 1980, 2017).
39
b) Für die Frage, in welcher Währung vertragliche Zahlungsansprüche
geschuldet sind, gilt das Statut, das den Vertrag insgesamt beherrscht
(Staudinger/ Magnus [2011] Rom I-VO Art. 12 Rn. 109; Erman/Stürner BGB 16.
Aufl. Rom I-VO Art. 12 Rn. 18), hier also das ungarische Recht.
40 c)
Insoweit fehlt es an Feststellungen, dass die Klägerin nach
ungarischem Sachrecht dazu berechtigt ist, die Mautschulden in Euro zu
fordern. Aus der vom Landgericht herangezogenen MautVO ergibt sich nur eine
Zahlungspflicht in ungarischen Forint.
41 Denkbar wären
allerdings vom Landgericht nicht ermittelte Vorschriften im allgemeinen
ungarischen Schuldrecht, die entweder einen Wechsel in eine andere Währung
erlauben oder die eine Ersetzungsbefugnis entsprechend der inländischen
Regelung des § 244 BGB enthalten, auf die hin auch eine stillschweigende
Einigung im Prozess über eine Umwandlung in die Heimwährungsschuld in
Betracht käme (vgl. BGHZ 101, 296 = NJW 1987, 3181, 3184).
III.
42 Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Der
Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch
erforderlichen Feststellungen zum ausländischen Recht hinsichtlich einer
dort verankerten Berechtigung, den Zahlbetrag anstatt in Forint auch in Euro
zu verlangen, nicht selbst treffen kann. Hierzu ist den Parteien Gelegenheit
zu ergänzendem Vortrag zu geben.
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