Pflicht des Verkäufers zum Ausbau im Rahmen der
Nacherfüllung (§ 439 BGB, "Fliesen-Fall")); Verweigerungsrecht nach § 439
III BGB bei "absoluter Unverhältnismäßigkeit"; richtlinienkonforme Auslegung
und Rechtsfortbildung (Folgeentscheidung nach
EuGH Rs. C-65/09 und C-87/09 -
WeberPutz sowie
BGH NJW 2009, 1660)
BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 -
VIII ZR 70/08
Fundstelle:
NJW 2012, 1073
Amtl. Leitsatz:
a) § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB ist richtlinienkonform dahin
auszulegen, dass die dort genannte Nacherfüllungsvariante "Lieferung einer
mangelfreien Sache" auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften
Kaufsache erfasst (im Anschluss an EuGH,
Urteil vom 16. Juni 2011 - Rechtssachen C-65/09 und C-87/09, NJW 2011, 2269
- Gebr. Weber GmbH/Jürgen Wittmer und Ingrid Putz/Medianess Electronics GmbH).
b) Das in § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB dem Verkäufer eingeräumte Recht, die
einzig mögliche Form der Abhilfe wegen (absolut) unverhältnismäßiger Kosten
zu verweigern, ist mit Art. 3 der
Richtlinie nicht
vereinbar (EuGH, aaO).
Die hierdurch auftretende Regelungslücke ist bis zu einer gesetzlichen
Neuregelung durch eine teleologische Reduktion des § 439 Abs. 3 BGB für
Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu schließen. Die
Vorschrift ist beim Verbrauchsgüterkauf einschränkend dahingehend
anzuwenden, dass ein Verweigerungsrecht des Verkäufers nicht besteht, wenn
nur eine Art der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art
der Nacherfüllung zu Recht verweigert.
c) In diesen Fällen beschränkt sich das Recht des Verkäufers, die
Nacherfüllung in Gestalt der Ersatzlieferung wegen unverhältnismäßiger
Kosten zu verweigern, auf das Recht, den Käufer bezüglich des Ausbaus der
mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der als Ersatz gelieferten Kaufsache
auf die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrags zu verweisen.
Bei der Bemessung dieses Betrags sind der Wert der Sache in mangelfreiem
Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen. Zugleich ist zu
gewährleisten, dass durch die Beschränkung auf eine Kostenbeteiligung des
Verkäufers das Recht des Käufers auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten
nicht ausgehöhlt wird.
Zentrale Probleme:
Es geht um den berühmten
"Fliesen-Fall", s. dazu die Anm. zu
BGH NJW 2009, 1660. Aufgrund der
Entscheidung des EuGH, Urteil vom 16. Juni
2011 befasst sich der Senat jetzt mit der richtlinienkonformen Auslegung
bzw. Rechtsfortbildung. Er sieht dabei bei der Frage, ob der Verkäufer im
Falle der Neulieferung auch zum Ausbau der mangelhaften Sache verpflichtet
ist, Spielraum für eine richtlinienkonforme Auslegung, weil der Begriff der
"Lieferung" das noch mitumfassen kann. Richtigerweise hat der BGH
festgehalten, dass dies nur im Verhältnis Unternehmer/Verbraucher, nicht
aber im Verhältnis zwischen Unternehmern gilt, s.
BGH v. 17.10.2012 - VIII ZR 226/11.
Bei der Frage des absoluten
Verweigerungsrechts nach § 439 III letzter Hs. BGB sieht der Senat zu recht
keinen Spielraum für richtlinienkonforme Auslegung, wohl aber für eine
richtlinienkonforme Rechtsfortbildung. Er greift dabei auf die Argumentation
im "Quelle"-Urteil (BGH NJW 2009, 427)
zurück (s. dazu die dortige Anm.). Auch liege ein Konformitätswille des
Gesetzgebers vor, der es erlaube, von einer planwidrigen Regelungslücke
auszugehen. Er fordert aber auch deutlich den Gesetzgeber auf, tätig zu
werden. Bis dahin gilt (über die Entscheidung hinaus, die sich nur mit den
Ausbaukosten zu befassen hatte) folgendes: Der Verkäufer ist im Rahmen der
Nacherfüllung auch zum Ausbau und Wiedereinbau verpflichtet. Er kann die
Nacherfüllung insgesamt wegen übermäßiger Kosten des Ausbaus und
Wiedereinbaus nicht verweigern, wohl aber in Bezug auf diese Kosten den
Verbraucher auf eine angemessene Kostenbeteiligung hieran verweisen, d.h.
ihm statt des Aus- und Wiedereinbaus eine angemessene Kostenbeteiligung
anbieten. Zu dem Kriterien der Angemessenheit im Einzelnen äußert sich der
Senat bewusst nicht abstrakt, sondern appelliert an den Gesetzgeber (s.
Tz. 54).
Zu der verwandten Frage der Gutachterkosten zur Feststellung der
Mangelhaftigkeit s. BGH v.
30.4.2014 - VIII ZR 275/13.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Der Kläger kaufte bei der Beklagten,
die einen Baustoffhandel betreibt, am 24. Januar 2005 45,36 m2 polierte
Bodenfliesen eines italienischen Herstellers zum Preis von 1.191,61 € ohne
und 1.382,27 € mit 16 % Mehrwertsteuer. Er ließ rund 33 m2 der Fliesen im
Flur, im Bad, in der Küche und auf dem Treppenpodest seines Hauses verlegen.
Danach zeigten sich auf der Oberfläche Schattierungen, die mit bloßem Auge
zu erkennen sind. Der Kläger erhob deswegen Mängelrüge, die die Beklagte
nach Rücksprache mit dem Hersteller am 26. Juli 2005 zurückwies. In einem
vom Kläger eingeleiteten selbständigen Beweisverfahren kam der
Sachverständige zu dem Ergebnis, dass es sich bei den bemängelten
Schattierungen um feine Mikroschleifspuren handele, die nicht beseitigt
werden könnten, so dass Abhilfe nur durch einen kompletten Austausch der
Fliesen möglich sei. Die Kosten dafür bezifferte der Sachverständige
mit 5.026,35 € ohne und 5.830,57 € einschließlich 16 % Mehrwertsteuer.
2 Nach vergeblicher Leistungsaufforderung mit Fristsetzung hat der Kläger
die Beklagte in dem vorliegenden Rechtsstreit auf Lieferung
mangelfreier Fliesen und auf Zahlung von 5.830,57 € (Ein- und Ausbaukosten)
nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagte
aus dem - vom Kläger nicht geltend gemachten - Gesichtspunkt der Minderung
zur Zahlung von 273,10 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen
abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die
Beklagte unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur
Lieferung von 45,36 m2 mangelfreier Fliesen und zur Zahlung von 2.122,37 €
nebst Zinsen verurteilt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von
2.122,37 € nebst Zinsen.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision hat, soweit sie zulässig ist, überwiegend Erfolg.
A.
4 Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, OLGR 2008, 325 ff. = ZGS
2008, 315 ff.) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen
ausgeführt:
5 Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Lieferung
mangelfreier Fliesen aus § 434, § 437 Nr. 1, § 439 Abs. 1 Fall 2 BGB. Die
ihm von der Beklagten verkauften und gelieferten Fliesen seien mangelhaft (§
434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB). Nach dem Gutachten des gerichtlichen
Sachverständigen wiesen sie einen herstellungsbedingten Polierfehler auf,
der - wie sich im Rahmen eines Augenscheins bestätigt habe - in der Fläche
betrachtet insbesondere bei Tageslichteinfall störende und sofort ins Auge
springende Schlierstreifen hervorrufe. Eine Beseitigung dieses Mangels (§
439 Abs. 1 Fall 1 BGB) sei technisch nicht möglich. Die von der Beklagten
gemäß § 439 Abs. 3 BGB erhobene Einrede, dass die vom Kläger verlangte
Lieferung mangelfreier Fliesen unverhältnismäßige Kosten verursache, sei
unbegründet. Bei der Frage, ob die allein in Betracht kommende Nacherfüllung
durch Lieferung mangelfreier Fliesen wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit
(§ 439 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 BGB) verweigert werden dürfe, sei das
Interesse des Klägers an der Durchführung der Nacherfüllung gegen das
Interesse der Beklagten abzuwägen, nicht mit den dafür anfallenden Kosten
belastet zu werden. Dabei seien zwar nicht die für den Einbau neuer Fliesen
anfallenden Kosten zu berücksichtigen, wohl aber der für ihre Lieferung
(rund 1.200 € einschließlich Transport) und für die Beseitigung der
mangelhaften Fliesen - also deren Ausbau und Entsorgung entstehende
Kostenaufwand (rund 2.100 €). Dies ergebe sich aus der gebotenen Auslegung
des § 439 Abs. 1 Fall 2 BGB.
6 Allerdings spreche der Wortlaut dieser Bestimmung, wonach die "Lieferung
einer mangelfreien Sache" geschuldet sei, dagegen, Aus- oder Einbaukosten zu
den vom Verkäufer zu tragenden Nacherfüllungskosten zu zählen. Auch
erscheine es zunächst fernliegend anzunehmen, dass der
Nacherfüllungsanspruch als modifizierter Erfüllungsanspruch dem Verkäufer
zusätzlich zu dessen ursprünglichen kaufvertraglichen Pflichten zur
Übereignung und Übergabe der Kaufsache bisher nicht geschuldete
Handlungspflichten auferlege. Andererseits sei aber aus der Pflicht des
Verkäufers, dem Käufer Eigentum und Besitz - nur - an der mangelfreien
Kaufsache zu verschaffen, im Umkehrschluss zu folgern, dass der Käufer nicht
verpflichtet sei, sowohl die geschuldete mangelfreie als auch die gelieferte
mangelhafte Sache zu behalten. Daraus ergebe sich eine vertragliche
Verpflichtung des Verkäufers, die mangelhafte Sache zurückzunehmen. Wenn die
mangelhafte Sache - wie hier - vom Käufer zweckentsprechend eingebaut worden
sei, erstrecke sich diese Verpflichtung - und damit auch die Nacherfüllung -
auf den der Rücknahme notwendigerweise vorgelagerten Ausbau der Kaufsache.
7 Den Gesetzesmaterialien lasse sich zudem entnehmen, dass § 439 BGB der
Umsetzung von Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des
Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter diene. Bei der
gebotenen richtlinienkonformen Auslegung sei zu beachten, dass in Art. 3
Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie nicht wie in § 439 Abs. 1 BGB von
"Nacherfüllung", sondern von "Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des
Verbrauchsgutes" die Rede sei und dass die Nacherfüllungsvariante "Lieferung
einer mangelfreien Sache" mit den Worten "Ersatzlieferung nach Maßgabe des
Absatzes 3" umschrieben sei. Danach treffe den Verkäufer mehr als nur die
Pflicht zur Übergabe und Übereignung einer mangelfreien Kaufsache. Vielmehr
schulde er die "Herstellung" eines vertragsgemäßen "Zustands". Dieser sei
dadurch gekennzeichnet, dass die Kaufsache inzwischen bestimmungsgemäß
verarbeitet worden sei. Auch der Begriff "Ersatzlieferung" spreche dafür,
dass der Verkäufer mehr schulde als nur "Lieferung". Wer eine Sache
"ersetze", müsse nicht nur die neue Sache übergeben, sondern auch die alte
wegnehmen, weil er sonst "hinzusetze". Für ein über die bloße Lieferung
hinausgehendes Verständnis des Begriffs "Ersatzlieferung" spreche auch Art.
3 Abs. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie, wonach die Ersatzlieferung "ohne
erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher" erfolgen müsse, wobei
"die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck, für den der Verbraucher das
Verbrauchsgut benötigte", zu berücksichtigen seien.
8 Im Rahmen der Abwägung des Interesses des Klägers an der Durchführung der
Nacherfüllung mit dem gegenläufigen Interesse der Beklagten daran, nicht mit
unverhältnismäßig hohen Nacherfüllungskosten belastet zu werden, könne
angesichts des Umstandes, dass die Beeinträchtigung durch die fehlerhaften
Fliesen erheblich sei und die Nacherfüllung neben der Lieferung mangelfreier
Fliesen nach der nicht angegriffenen Berechnung des gerichtlichen
Sachverständigen Ausbaukosten von 2.122,37 € einschließlich 19 %
Mehrwertsteuer verursache, nicht festgestellt werden, dass die Nacherfüllung
mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden wäre.
9 Aus dem Vorstehenden folge, dass der Kläger nicht nur Lieferung
mangelfreier Fliesen verlangen könne, sondern gegen die Beklagte auch einen
Anspruch auf Zahlung von 2.122,37 € habe. Zwar sehe § 439 Abs. 1 und 2 BGB
selbst keinen Zahlungsanspruch vor, sondern verpflichte den Verkäufer nur
zur Durchführung der Nacherfüllung auf eigene Kosten. Der Zahlungsanspruch
folge jedoch aus § 434, § 437 Nr. 1, § 439 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung
mit § 280 Abs. 3, § 281 Abs. 1 und 2 BGB. Indem die Beklagte vorgerichtlich
jegliche Ansprüche des Klägers zurückgewiesen habe, habe sie ihre Pflicht
zur Nacherfüllung schuldhaft verletzt (§ 281 Abs. 1 BGB) und die Leistung
ernsthaft und endgültig verweigert (§ 281 Abs. 2 BGB), so dass es einer
Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht bedurft habe.
10 Weitergehende Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter Lieferung
mangelhafter Fliesen (§ 434, § 437 Nr. 3, § 440, § 280 Abs. 1, § 281 Abs. 1
BGB) stünden dem Kläger mangels Verschuldens der Beklagten nicht zu.
B.
11 Diese Beurteilung hält - soweit die Revision eröffnet ist - rechtlicher
Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
I.
12 Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Verurteilung der
Beklagten zur Zahlung von 273,10 € nebst Zinsen richtet. In dieser Höhe ist
die Beklagte durch das Berufungsurteil nicht beschwert, da sie bereits in
erster Instanz zur Zahlung von 273,10 € nebst Zinsen verurteilt worden ist
und dagegen keine (Anschluss-)Berufung eingelegt hat.
II.
13 Soweit die Beklagte zur Zahlung von mehr als 273,10 € (nebst Zinsen),
nämlich von weiteren 1.849,27 € (nebst Zinsen) verurteilt worden ist, ist
die - zulässige - Revision überwiegend begründet.
14 1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass der
Kläger im Rahmen der von ihm begehrten Nacherfüllung durch Ersatzlieferung
(§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) von der beklagten Verkäuferin grundsätzlich auch
verlangen kann, dass diese die mangelhaften Fliesen ausbaut und entsorgt.
Ebenfalls zu Recht hat es der Beklagten verwehrt, die Ersatzlieferung gemäß
§ 439 Abs. 3 Satz 1, Satz 3 Halbsatz 2 BGB wegen Unverhältnismäßigkeit der
durch den Ausbau der mangelhaften Fliesen entstehenden Kosten zu verweigern.
Verkannt hat das Berufungsgericht jedoch, dass der Nacherfüllungsanspruch
des Klägers bezüglich des Ausbaus der vertragswidrigen Kaufsache aufgrund
der gebotenen europarechtskonformen Rechtsfortbildung des § 439 Abs. 3 BGB
auf eine Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrages beschränkt ist.
15 2. Die Reichweite der den Verkäufer bei der
Nacherfüllung nach § 439 Abs. 1 BGB treffenden Pflichten ist - ebenso wie
die der dem Verkäufer nach § 439 Abs. 3 BGB zustehenden Einrede der
Unverhältnismäßigkeit - im Einklang mit dem Inhalt des Art. 3 der Richtlinie
1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu
bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für
Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171 S. 12; im Folgenden:
Richtlinie),
deren Umsetzung die genannten nationalen Vorschriften dienen (BT-Drucks.
14/6040, S. 230, 232), zu bestimmen.
16 a) Der Senat hat daher mit seinem
Beschluss vom 14. Januar 2009 (VIII ZR 70/08, NJW 2009, 1660 ff.)
dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (jetzt: Gerichtshof der
Europäischen Union, im Folgenden: Gerichtshof) folgende Fragen zur
Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EG (jetzt:
Art. 267 AEUV) vorgelegt:
"Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 und 2 der Richtlinie
1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu
bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für
Verbrauchsgüter dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen
Regelung entgegenstehen, wonach der Verkäufer im Falle der
Vertragswidrigkeit des gelieferten Verbrauchsgutes die vom Verbraucher
verlangte Art der Abhilfe auch dann verweigern kann, wenn sie ihm Kosten
verursachen würde, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut ohne
die Vertragswidrigkeit hätte, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit
unzumutbar (absolut unverhältnismäßig) wären?
Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs.
2 und Abs. 3 Unterabs. 3 der vorbezeichneten
Richtlinie
dahin auszulegen, dass der Verkäufer im Falle der Herstellung des
vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Ersatzlieferung die
Kosten des Ausbaus des vertragswidrigen Verbrauchsgutes aus einer Sache, in
die der Verbraucher das Verbrauchsgut gemäß dessen Art und Verwendungszweck
eingebaut hat, tragen muss?"
17 b) Der Gerichtshof hat - nach der Verbindung dieser Sache mit einem
weiteren Vorlageverfahren - mit Urteil vom 16. Juni 2011 (Rechtssachen
C-65/09 und C-87/09, NJW 2011, 2269 ff. - Gebr. Weber GmbH/Jürgen Wittmer
und Ingrid Putz/Medianess Electronics GmbH) die Fragen
wie folgt beantwortet:
"Art. 3 Abs. 2 und 3 der
Richtlinie 1999/44/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten
Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter
ist dahin auszulegen, dass, wenn der vertragsgemäße Zustand eines
vertragswidrigen Verbrauchsguts, das vor Auftreten des Mangels vom
Verbraucher gutgläubig gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck
eingebaut wurde, durch Ersatzlieferung hergestellt wird, der Verkäufer
verpflichtet ist, entweder selbst den Ausbau dieses Verbrauchsgutes aus der
Sache, in die es eingebaut wurde, vorzunehmen und das als Ersatz gelieferte
Verbrauchsgut in diese Sache einzubauen, oder die Kosten zu tragen, die für
diesen Ausbau und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts
notwendig sind. Diese Verpflichtung des Verkäufers besteht unabhängig davon,
ob er sich im Kaufvertrag verpflichtet hatte, das ursprünglich gekaufte
Verbrauchsgut einzubauen.
Art. 3 Abs. 3 der
Richtlinie 1999/44/EG ist dahin auszulegen, dass er
ausschließt, dass eine nationale gesetzliche Regelung dem Verkäufer das
Recht gewährt, die Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut
als einzig mögliche Art der Abhilfe zu verweigern, weil sie ihm wegen der
Verpflichtung, den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es
eingebaut wurde, und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in
diese Sache vorzunehmen, Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem
Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der
Bedeutung der Vertragswidrigkeit unverhältnismäßig wären. Art. 3 Abs. 3
schließt jedoch nicht aus, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung
der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und den Einbau des
als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in einem solchen Fall auf die
Übernahme eines angemessenen Betrags durch den Verkäufer beschränkt wird."
18 Zur Begründung hat der Gerichtshof im Wesentlichen ausgeführt:
19 Nach dem Wortlaut und den einschlägigen Vorarbeiten zur Richtlinie habe
der Unionsgesetzgeber die Unentgeltlichkeit der Herstellung des
vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch den Verkäufer zu einem
wesentlichen Bestandteil des durch die Richtlinie gewährleisteten
Verbraucherschutzes machen wollen. Die dem Verkäufer in Art. 3 Abs. 3 der
Richtlinie auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen
Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, solle den Verbraucher
vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn davon abhalten
könnten, seine Ansprüche geltend zu machen (Rn. 46). Wenn der Verbraucher im
Fall der Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut vom
Verkäufer nicht verlangen könnte, dass dieser den Ausbau des Verbrauchsguts
aus der Sache, in die es gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck
eingebaut worden ist, und den Einbau des als Ersatz gelieferten
Verbrauchsguts in dieselbe Sache oder die entsprechenden Kosten übernehme,
würde die Ersatzlieferung für ihn zu zusätzlichen finanziellen Lasten
führen, die er bei ordnungsgemäßer Erfüllung nicht hätte tragen müssen (Rn.
47).
20 Zudem seien Nachbesserung und Ersatzlieferung nach Art. 3 Abs. 3 der
Richtlinie nicht nur unentgeltlich, sondern auch ohne erhebliche
Unannehmlichkeiten für den Verbraucher vorzunehmen (Rn. 52). Der Umstand,
dass der Verkäufer das vertragswidrige Verbrauchsgut nicht ausbaue und das
als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut nicht einbaue, stelle zweifellos eine
erhebliche Unannehmlichkeit für den Verbraucher dar (Rn. 53). Weiter sei zu
berücksichtigen, dass der Begriff "Ersatzlieferung", dessen genaue Bedeutung
in den einzelnen Sprachfassungen der Richtlinie unterschiedlich sei, sich -
selbst in der deutschen Fassung - nicht auf die bloße Lieferung eines
Ersatzes beschränke (Rn. 54).
21 Die beschriebene Auslegung von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie entspreche
zudem der im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie genannten Zielsetzung, ein
hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten (Rn. 55), und führe auch
nicht zu ungerechten Ergebnissen, weil der Verkäufer die ihm obliegenden
Leistungen nicht ordnungsgemäß erbracht habe und daher die Folgen der
Schlechterfüllung tragen müsse (Rn. 56). Sie sei unabhängig davon, ob der
Verkäufer nach dem Kaufvertrag zum Einbau des gelieferten Verbrauchsguts
verpflichtet gewesen sei. Die dem Verbraucher in Art. 3 der Richtlinie
verliehenen Rechte seien nicht auf den Umfang der in dem Kaufvertrag
vorgesehenen Ansprüche begrenzt, sondern dienten der Herstellung der
Situation, die vorgelegen hätte, wenn der Verkäufer von vornherein ein
vertragsgemäßes Verbrauchsgut geliefert hätte (Rn. 59 f.). Die finanziellen
Interessen des Verkäufers seien durch die Verjährungsfrist von zwei Jahren
nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie und durch die ihm in Art. 3 Abs. 3
Unterabs. 2 der Richtlinie eröffnete Möglichkeit geschützt, die
Ersatzlieferung zu verweigern, wenn sich diese Abhilfe wegen unzumutbarer
Kosten als unverhältnismäßig erweise (Rn. 58).
22 Hinsichtlich des Verweigerungsrechts des Verkäufers sei festzustellen,
dass die offene Fassung des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie, wonach
der Verbraucher unentgeltliche Nachbesserung oder Ersatzlieferung nur
verlangen könne, sofern diese nicht unmöglich oder unverhältnismäßig sei,
zwar an sich auch Fälle der absoluten Unmöglichkeit erfassen könne. Jedoch
definiere Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie den Begriff
"unverhältnismäßig" ausschließlich in Beziehung zu der alternativen
Abhilfemöglichkeit und begrenze ihn daher auf Fälle der relativen
Unmöglichkeit (Rn. 68). Diese Einschränkung werde durch den elften
Erwägungsgrund der Richtlinie bestätigt. Danach seien Abhilfen
unverhältnismäßig, die im Vergleich zu anderen Abhilfemaßnahmen unzumutbare
Kosten verursachten, wobei zur Beantwortung der Frage, ob es sich um
unzumutbare Kosten handele, entscheidend sein solle, ob die Kosten der einen
Abhilfemöglichkeit deutlich höher seien als die Kosten der anderen Abhilfe
(Rn. 69). Die Begrenzung des Verweigerungsrechts des Verkäufers auf die
Fälle der relativen Unverhältnismäßigkeit rechtfertige sich dadurch, dass
die gegenüber der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands subsidiären
Mittel der Auflösung des Vertrags oder der Minderung des Kaufpreises nicht
dasselbe Verbraucherschutzniveau gewährleisteten (Rn. 72). Der Verkäufer
könne daher die einzig mögliche Art der Abhilfe, durch die sich der
vertragsgemäße Zustand des Verbrauchsguts herstellen lasse, nicht wegen
Unverhältnismäßigkeit der hierfür erforderlichen Kosten verweigern (Rn. 71).
23 Hingegen schließe es Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie nicht aus, den Anspruch
des Verbrauchers auf Kostenerstattung für den Ausbau des vertragswidrigen
Verbrauchsguts und Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts auf
einen Betrag zu beschränken, der dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn
es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit angemessen
sei (Rn. 74, 76). Im Rahmen der von Art. 3 der Richtlinie verfolgten
Zielsetzung eines gerechten Interessenausgleichs zwischen dem Verbraucher
und dem Verkäufer dürften auch vom Verkäufer angeführte wirtschaftliche
Überlegungen berücksichtigt werden, sofern hierdurch das Recht des
Verbrauchers auf Erstattung der Ein- und Ausbaukosten in der Praxis nicht
ausgehöhlt werde (Rn. 75 f.). Allerdings sei dem Verbraucher im Falle einer
Herabsetzung des Anspruchs auf Erstattung der Ein- und Ausbaukosten die
Möglichkeit zu gewähren, eine Minderung oder eine Vertragsauflösung zu
verlangen, da eine Beteiligung an der Kostentragung für ihn eine erhebliche
Unannehmlichkeit darstelle (Rn. 77).
24 3. An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte gebunden.
Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgrund des
Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV und des Grundsatzes der
Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV zudem verpflichtet, die Auslegung
des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums,
den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und
Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel
zu erreichen (vgl. nur
EuGH Slg. 1984, 1891
Rn. 26, 28 - von Colson und
Kamann/Nordrhein-Westfalen; Slg.
2004, I-8835 Rn. 113 - Pfeiffer u.a./ Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband
Waldshut e.V.).
25 4. Vor diesem Hintergrund ist zunächst § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB
richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die dort genannte
Nacherfüllungsvariante "Lieferung einer mangelfreien Sache" auch den Ausbau
und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache - hier der von der Beklagten
gelieferten mangelhaften Bodenfliesen - umfasst (vgl. Lorenz, NJW
2011, 2241, 2243; Förster, ZIP 2011, 1493, 1500 f.; Staudinger, DAR 2011,
502, 503; Purnhagen, EuzW 2011, 626, 627, 629; i.E. auch OLG Karlsruhe, OLGR
2004, 465; OLG Köln, NJW-RR 2006, 677; OLG Stuttgart, Urteil vom 8. November
2007 - 19 U 52/07, n.v.; LG Itzehoe, Urteil vom 27. April 2007 - 9 S 85/06,
juris; AnwK/Büdenbender, 2005, § 439 Rn. 27; Bamberger/Roth/Faust, BGB, 2.
Aufl., § 439 Rn. 32; Lorenz, ZGS 2004, 408, 410 f.; ders., NJW 2005, 1889,
1895; MünchKommBGB/Westermann, 5. Aufl., § 439 Rn. 13; jurisPK-BGB/Pammler,
5. Aufl., § 439 Rn. 54; Schneider/Katerndahl, NJW 2007, 2215, 2216;
Schneider, ZGS 2008, 177 f.; Witt, ZGS 2008, 369, 370).
26 a) Diese Auslegung ist noch vom Wortlaut des § 439 Abs. 1 Alt. 2
BGB gedeckt (vgl. etwa Lorenz, NJW 2011, 2241, 2243; Greiner/Benedix,
ZGS 2011, 489, 493 [letztere geben allerdings einer analogen Anwendung des §
439 Abs. 2 BGB in Form eines Kostenerstattungsanspruchs den Vorzug]; aA
Kaiser, JZ 2011, 978, 980). Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird
"liefern" zwar verstanden als "bringen" oder "übergeben" einer (bestellten)
Sache (vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 6. Band, 1885, S. 996 f.;
Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 4. Band, 1982, S. 484). Auch
im nationalen Kaufrecht ist unter "Lieferung" grundsätzlich nur die Handlung
zu verstehen, die der Verkäufer vorzunehmen hat, um seine Übergabe- und
Übereignungspflicht aus § 433 Abs. 1 BGB zu erfüllen (vgl.
Senatsurteil vom 15. Juli 2008 - VIII ZR 211/07,
NJW 2008, 2837 Rn. 18; Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl., §
439 Rn. 4; Palandt/ Weidenkaff, BGB, 71. Aufl., § 434 Rn. 53 c).
Dies schließt es jedoch nicht aus, den in § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB
verwendeten Begriff der Lieferung einer mangelfreien Sache weiter zu fassen.
Denn dieser Begriff ist ausfüllungsfähig und eröffnet einen gewissen
Wertungsspielraum (Staudinger, aaO). Der Gesetzgeber hat
die Bestimmung des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB zur Umsetzung des Art. 3 Abs. 2
Satz 1 der Richtlinie geschaffen (vgl.
BT-Drucks. 14/6040, S. 230).
Dabei hat er nicht nur in der Gesetzesbegründung mehrfach den Begriff der
Lieferung einer mangelfreien Sache mit der in der deutschen Fassung der
Richtlinie verwendeten Wortwahl "Ersatzlieferung" gleichgesetzt (BT-Drucks.
14/6040, S. 232), die - wie vom Gerichtshof ausgeführt
(EuGH, aaO Rn. 54) - auch die Deutung zulässt, dass das
vertragswidrige Verbrauchsgut durch die als Ersatz gelieferte Sache
auszutauschen ist. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch den in § 439
Abs. 4 BGB enthaltenen Verweis auf § 346 Abs. 1 Alt. 1 BGB, wonach der
Verkäufer seinerseits die Rückgewähr der mangelhaften Sache verlangen kann,
zum Ausdruck gebracht, dass dem Begriff der "Lieferung einer
mangelfreien Sache" in § 439 Abs. 1 BGB ein gewisses (Aus-)Tauschelement
innewohnt (vgl. Lorenz, NJW 2009, 1633, 1634 f.).
27 b) Die gebotene richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1
BGB führt - anders als die Revisionserwiderung meint - nicht dazu, dass dem
Käufer im Rahmen des Nacherfüllungsverlangens ein Wahlrecht dahin zusteht,
ob er dem Verkäufer den Aus- und Einbau gestattet oder diese Arbeiten selbst
durchführt und den Verkäufer nur auf Kostenerstattung in Anspruch nimmt.
Der Gerichtshof hat dem Käufer ein solches Wahlrecht gerade nicht
eingeräumt, sondern lediglich dem Verkäufer die Verpflichtung
auferlegt, entweder selbst die notwendigen Aus- und Einbauarbeiten
vorzunehmen oder - in angemessener Höhe - die hierfür anfallenden Kosten zu
tragen.
28 5. Im Rahmen des § 439 Abs. 3 BGB lässt sich das Gebot
richtlinienkonformer Interpretation hingegen nicht im Wege einer einfachen
Gesetzesauslegung im engeren Sinne umsetzen. Denn dem steht der eindeutige
Wortlaut des Gesetzes entgegen.
29 § 439 Abs. 3 Satz 1 BGB erlaubt dem Verkäufer, die vom Käufer gewählte
Art der Nacherfüllung zu verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen
Kosten möglich ist. Die genannte Regelung enthält keine
Anhaltspunkte dafür, dass sie sich auf die Fälle beschränkt, in denen beide
Formen der Nacherfüllung möglich sind und lediglich eine Abhilfevariante im
Verhältnis zu der anderen unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht (relative
Unverhältnismäßigkeit). Vielmehr ergibt sich aus den Bestimmungen des § 439
Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 BGB und des § 440 Satz 1 BGB eindeutig, dass nach
der Konzeption des Gesetzes beide Formen der Nacherfüllung wegen
Unverhältnismäßigkeit verweigert werden können und damit der Begriff der
Unverhältnismäßigkeit absolut zu verstehen ist. § 439 Abs. 3 Satz 3
BGB beschränkt den Anspruch des Käufers für den Fall, dass der Verkäufer die
eine Form der Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigert,
zunächst auf die andere Art der Nacherfüllung, sieht aber weiter vor, dass
das "Recht des Verkäufers, auch diese unter den Voraussetzungen des Satzes 1
zu verweigern", unberührt bleibt. Auf diese Regelung nimmt § 440 Satz 1 BGB
Bezug, der den Käufer unter anderem dann vom Erfordernis einer Fristsetzung
vor der Geltendmachung von Rücktritt oder Schadensersatz befreit, "wenn der
Verkäufer beide Arten der Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 3 [BGB]
verweigert".
30 6. Der von der Rechtsprechung des
Gerichtshofs geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt
von den nationalen Gerichten aber mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne.
Er erfordert auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist,
richtlinienkonform fortzubilden (Senatsurteil
vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 21 mwN).
Daraus folgt hier das Gebot einer richtlinienkonformen
Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion des § 439 Abs. 3 BGB auf
einen mit Art. 3 der Richtlinie zu vereinbarenden Inhalt.
31 a) Eine Rechtsfortbildung im Wege der
teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer
planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (Senatsurteil
vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO Rn. 22 mwN).
Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
32 aa) Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass der Gesetzgeber
die Einrede der Unverhältnismäßigkeit zwar so ausgestalten wollte, dass sie
mit der Richtlinie vereinbar ist, er hierbei jedoch Art. 3 Abs. 3 der
Richtlinie so verstanden hat, dass dieser auch die absolute
Unverhältnismäßigkeit erfasse (vgl. auch Staudinger, aaO). In der
Begründung des Koalitionsentwurfs heißt es in der Einzelbegründung zu § 439
Abs. 3 BGB (BT-Drucks.
14/6040, S. 232) unter anderem:
"Zu Satz 1
Die Nacherfüllung (einschließlich der damit verbundenen Aufwendungen im
Sinne des Absatzes 2) kann im Einzelfall den Verkäufer unangemessen
belasten. (...). Sie kann dem Verkäufer auch unmöglich sein. Artikel 3 Abs.
3 Satz 1 der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sieht deshalb vor, dass der
Verbraucher (Käufer) Nachbesserung oder Ersatzlieferung nur verlangen kann,
sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist.
(.)
Liegt Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 RE nicht vor, kann die Nacherfüllung
doch mit einem erheblichen Aufwand verbunden sein. Dann kommt nach den
allgemeinen Vorschriften ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2
RE in Betracht, das aber nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, die
wertungsmäßig der Unmöglichkeit in § 275 Abs. 1 RE nahe kommen, in Betracht
kommt. § 439 Abs. 3 Satz 1 RE stellt eine besondere Ausprägung dieses
allgemeinen Rechtsgedankens im Kaufrecht und eine gegenüber § 275 Abs. 2 RE
niedrigere Schwelle für die Begründung einer Einrede des Verkäufers dar.
(...) Voraussetzung ist, dass der Verkäufer für die Nacherfüllung in der vom
Käufer gewählten Art Aufwendungen machen muss, die unverhältnismäßig sind.
Es handelt sich dabei um einen Gesichtspunkt, der über den Verbraucherkauf
hinaus Bedeutung hat. Denn die Interessenlage des Käufers gebietet es nicht,
ihm den Nacherfüllungsanspruch auch dann zu geben, wenn sie vom Verkäufer
unverhältnismäßige Anstrengungen erfordert. Der Käufer wird hier auf seine
Ansprüche auf Rücktritt und Minderung (sowie ggf. Schadensersatz) verwiesen.
Verweigern kann der Verkäufer "die vom Käufer gewählte Nacherfüllung". Das
heißt, das Verweigerungsrecht des Verkäufers bezieht sich selbstverständlich
auf die von dem Käufer begehrte Art der Nacherfüllung (Nachbesserung oder
Ersatzlieferung). Verlangt der Käufer zum Beispiel Nachbesserung und sind
die Aufwendungen des Verkäufers hierfür als unverhältnismäßig zu beurteilen,
(...) so ist damit keine Entscheidung über die Frage getroffen, ob der
Käufer stattdessen Ersatzlieferung verlangen kann oder ob auch insoweit eine
auf § 439 Abs. 3 Satz 1 RE gestützte Einrede des Verkäufers besteht.
Klargestellt wird dies noch durch § 439 Abs. 3 Satz 3 RE. (...)
Zu Satz 3
[§ 439 Abs. 3 ] Satz 3 [RE] enthält die bereits oben angesprochene
Klarstellung des Verhältnisses der beiden Arten der Nacherfüllung
zueinander. Die in § 439 Abs. 3 Satz 1 RE vorgesehene
Verhältnismäßigkeitsprüfung bezieht sich allein auf die vom Käufer gewählte
Art der Nacherfüllung. Ist sie zu Recht von dem Verkäufer verweigert worden,
so hat dies nicht einen Ausschluss des Nacherfüllungsanspruchs des Käufers
insgesamt zur Folge. Vielmehr beschränkt sich der Nacherfüllungsanspruch
dann auf die andere Art der Nacherfüllung, wenn der Verkäufer nicht auch sie
verweigern kann. Erst dann kann der Käufer zurücktreten oder mindern, ggf.
Schadensersatz (.) verlangen."
33 bb) Das der Fassung des § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB
zugrunde liegende Verständnis, dass Art. 3 Abs. 3 der
Richtlinie
auch die absolute Unverhältnismäßigkeit erfasse, ist jedoch fehlerhaft, wie
der Gerichtshof nunmehr mit Bindungswirkung festgestellt hat.
Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie erlaubt es nur, den Anspruch des Verbrauchers
auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und
den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts auf einen angemessenen
Betrag zu beschränken, nicht jedoch, den Anspruch des Verbrauchers auf
Ersatzlieferung als einzig mögliche Art der Abhilfe wegen
Unverhältnismäßigkeit der Ein- und Ausbaukosten völlig auszuschließen. Die
gesetzliche Regelung in § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB steht folglich in
Widerspruch zu dem mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts
verfolgten Grundanliegen, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bis zum Ablauf
des 31. Dezember 2001 ordnungsgemäß umzusetzen (vgl. hierzu auch BT-Drucks.
14/6040, S. 1).
34 cc) Damit erweist sich das Gesetz als planwidrig unvollständig
(Staudinger, aaO; differenzierend Kaiser, aaO S. 980 f., 986; aA
Greiner/Benedix, aaO, S. 495 f.). Es liegt eine verdeckte
Regelungslücke vor, weil der Wortlaut des § 439 Abs. 3 BGB, der ein
Verweigerungsrecht bei absoluter Unverhältnismä-ßigkeit einschließt, keine
Einschränkung für den Anwendungsbereich der Richtlinie enthält und deshalb
mit dieser nicht im Einklang steht. Diese Unvollständigkeit des Gesetzes ist
deswegen planwidrig, weil hinsichtlich der Einrede der Unverhältnismäßigkeit
ein Widerspruch zur konkret geäußerten, von der Annahme der
Richtlinienkonformität getragenen Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers besteht
(vgl. Senatsurteil vom 26.
November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO Rn. 25). Dass
der Gesetzgeber sich - anders als bei der Schaffung des § 439 Abs. 4 BGB -
nicht explizit mit der Frage der Richtlinienkonformität des § 439 Abs. 3
Satz 3 BGB auseinandergesetzt, sondern diese stillschweigend vorausgesetzt
hat, ändert an der Planwidrigkeit der nunmehr aufgetretenen Regelungslücke
nichts (aA Lorenz, NJW 2011, 2241, 2244; Greiner/Benedix, aaO S.
496). Maßgebend ist, dass das ausdrücklich angestrebte Ziel einer
richtlinienkonformen Umsetzung durch die Regelung des § 439 Abs. 3 Satz 3
BGB nicht erreicht worden ist und ausgeschlossen werden kann, dass der
Gesetzgeber § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB in gleicher Weise erlassen hätte, wenn
ihm bekannt gewesen wäre, dass die Vorschrift nicht richtlinienkonform ist.
35 b) Die bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bestehende verdeckte
Regelungslücke ist durch eine teleologische Reduktion des § 439 Abs. 3 BGB
für die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu
schließen. Die Vorschrift ist in solchen Fällen einschränkend dahingehend
anzuwenden, dass ein Verweigerungsrecht nicht besteht, wenn nur eine Art der
Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der
Nacherfüllung zu Recht verweigert. In den zuletzt genannten Fällen
beschränkt sich das Recht des Verkäufers, die Nacherfüllung in Gestalt der
Ersatzlieferung wegen unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, auf das
Recht, den Käufer bezüglich des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des
Einbaus der als Ersatz gelieferten Kaufsache auf die Kostenerstattung in
Höhe eines angemessenen Betrags zu verweisen. Bei der Bemessung dieses
Betrags sind der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung
des Mangels zu berücksichtigen. Zugleich ist zu gewährleisten, dass durch
die Beschränkung auf eine Kostenbeteiligung des Verkäufers das Recht des
Käufers auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten nicht ausgehöhlt wird
(EuGH, aaO Rn. 76).
36 c) Die hier vorgenommene Einschränkung des § 439 Abs. 3 BGB ist nach dem
Gebot richtlinienkonformer Rechtsfortbildung erforderlich, weil ein Recht
des Verkäufers, die einzig mögliche Form der Abhilfe wegen (absolut)
unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, mit Art. 3 der Richtlinie nicht
vereinbar ist. Sie belässt dem Verkäufer andererseits in Form einer
Einrede die auch nach der Richtlinie zulässige Beschränkung des Ersatzes für
die Kosten des Ausbaus des vertragswidrigen Verbrauchsguts und des Einbaus
des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts auf einen angemessenen Betrag
unter Benennung der für dessen Ermittlung maßgeblichen Umstände.
Anders lässt sich der Widerspruch zwischen den gesetzgeberischen Zielen -
einerseits Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit im Interesse des
Verkäufers, andererseits Richtlinienkonformität - im Wege richterlicher
Rechtsfortbildung nicht lösen.
37 Zwar sind insbesondere seit Erlass der Entscheidung des Gerichtshofs am
16. Juni 2011 in der Literatur anderslautende Vorschläge für eine
Rechtsfortbildung zur Herstellung der Richtlinienkonformität gemacht worden.
Diese setzen jedoch entweder die Vorgaben des Gerichtshofs nicht hinreichend
um oder überschreiten die Grenzen des Gestaltungsspielraums, der den
Gerichten im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung zusteht (vgl. hierzu
Palandt/ Sprau, aaO, Einl. Rn. 56). Die Ausfüllung einer
Regelungslücke durch die Gerichte muss in möglichst enger Anlehnung an das
geltende Recht vorgenommen werden (BVerfGE 37, 67, 81). Darüber
hinausgehende Änderungen des geltenden Rechts sind dem Gesetzgeber
vorbehalten.
38 aa) Nach dem Vorschlag von Faust (JuS 2011, 744, 747 f.), dem sich die
Revision inhaltlich anschließt, soll der Verkäufer den Aus- und Einbau nach
§ 439 Abs. 3 BGB verweigern dürfen, sofern sich nicht der Verbraucher zur
Beteiligung an den Kosten bereit erklärt. Dieser Ansatz erscheint jedoch
insofern problematisch, als er dem Verkäufer die Möglichkeit einer völligen
Verweigerung des im Rahmen der Ersatzlieferung nach § 439 Abs. 1 Fall 2 BGB
geschuldeten Aus- und Einbaus bis zur Abgabe einer Erklärung des
Verbrauchers eröffnet. Dies ist unvereinbar mit der Vorgabe des
Gerichtshofs, die Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers dürfe nicht
dazu führen, dass die dem Verbraucher zustehenden Rechte in der Praxis
ausgehöhlt werden (vgl. EuGH, aaO Rn. 76).
39 bb) Förster (aaO S. 1500) schlägt vor, § 439 Abs. 3 BGB mit der Maßgabe
anzuwenden, dass der Verkäufer die Ersatzlieferung als einzig mögliche Art
der Nacherfüllung nicht verweigern, sondern nur unter Berücksichtigung von §
439 Abs. 3 Satz 2 BGB der Höhe nach angemessen herabsetzen darf. Diese
Einschränkung des § 439 Abs. 3 BGB ist zur Erfüllung der europarechtlichen
Vorgaben ebenfalls nicht ausreichend. Zum einen setzt sie nur die Aussagen
des Gerichtshofs zum fehlenden Verweigerungsrecht bei der Ersatzlieferung
um, während der Gerichtshof seine Ausführungen auf beide Arten der
Nacherfüllung bezogen hat, also dem Verkäufer ein Verweigerungsrecht wegen
unverhältnismäßiger Kosten auch dann abspricht, wenn die einzig mögliche
Form der Abhilfe nicht in einer Ersatzlieferung, sondern in einer
Nachbesserung besteht (EuGH, aaO Rn. 71). Zum anderen berücksichtigt die
vorgeschlagene Fassung des § 439 Abs. 3 BGB nicht, dass ein
Verweigerungsrecht des Verkäufers hinsichtlich einer Art der Abhilfe auch in
den Fällen nicht gegeben ist, in denen die andere Art der Nacherfüllung zwar
möglich ist, aber ihrerseits vom Verkäufer wegen relativer
Unverhältnismäßigkeit verweigert wird. Problematisch an dem Vorschlag ist
letztlich auch, dass er eine Beschränkung hinsichtlich der Ersatzlieferung
insgesamt und nicht nur bezüglich der Erstattung der dabei entstehenden Aus-
und Einbaukosten vorsieht. Es ist jedoch praktisch nicht durchführbar, die
tatsächliche Vornahme des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus
der als Ersatz gelieferten Sache auf einen angemessen Umfang zu begrenzen
(vgl. auch Ayad/Schnell, BB 2011, 1938, 1939).
40 cc) Ein anderer Lösungsansatz besteht darin, die Anwendung des § 439 Abs.
3 Satz 3 Halbsatz 2 BGB für die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs ganz
auszuschließen (Purnhagen, aaO S. 629 f.; Staudinger, aaO S. 506; Lorenz,
NJW 2011, 2241, 2244). Hierbei fehlt es jedoch an einer
überzeugenden rechtlichen Konstruktion, die es dem Verkäufer gleichwohl
ermöglicht, den Ersatz der Ein- und Ausbaukosten auf einen angemessenen
Betrag zu begrenzen. Eine solche ist jedoch erforderlich, um dem
vom deutschen Gesetzgeber mit der Schaffung des § 439 Abs. 3 BGB verfolgten
Ziel einer Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers (vgl. BT-Drucks.
16/6040, S. 232) in dem europarechtlich (noch) zulässigen Umfang Rechnung zu
tragen.
41 (1) Teilweise wird versucht, eine Begrenzung der
Kostentragungspflicht des Verkäufers dadurch zu erreichen, dass dieser im
Hinblick auf den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der als Ersatz
gelieferten Kaufsache von vornherein nicht zu deren Vornahme, sondern nur
zur Erstattung der dafür erforderlichen Kosten verpflichtet sein soll und
diese angemessen reduziert werden können (vgl. Pfeiffer, LMK 2011,
321439 sowie den Alternativvorschlag von Faust, aaO). Dieser Ansatz
übersieht jedoch, dass die Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 1 BGB nach dem
Willen des deutschen Gesetzgebers auch dazu dienen soll, dem Verkäufer die
"Möglichkeit zur zweiten Andienung" einzuräumen (BT-Drucks.
16/6040, S. 220; vgl. hierzu Senatsurteil
vom 23. Februar 2005 - VIII ZR 100/04, BGHZ 162, 219, 227
f.). Mit dem hierdurch zum Ausdruck kommenden Ziel, bereits im
Rahmen des § 439 Abs. 1 BGB auch den Interessen des Verkäufers Rechnung zu
tragen, wäre es nur schwer zu vereinbaren, wenn der Verkäufer im Rahmen der
Ersatzlieferung den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der als Ersatz
gelieferten Sache nicht selbst vornehmen dürfte, sondern von vornherein dem
Käufer die hierfür erforderlichen Kosten schuldete. Denn der Verkäufer wird
in vielen Fällen den Aus- und Einbau günstiger bewerkstelligen können als
der Käufer (vgl. Lorenz, NJW 2011,
2241, 2243).
42 (2) Ein anderer Vorschlag geht davon aus, dass der Verkäufer zur Vornahme
des Aus- und Einbaus verpflichtet sei; komme er dem nicht nach, habe der
Käufer einen verschuldensunabhängigen Anspruch aus § 280 Abs. 1 und 3, § 281
BGB auf Erstattung der hierfür erforderlichen Kosten, wobei die Höhe auf
einen angemessenen Betrag reduziert werden könne (Purnhagen, aaO S. 629).
Diese Konstruktion trägt jedoch dem gesetzgeberischen Ziel, auch die
Verkäuferinteressen zu schützen, in der Praxis ebenfalls nicht hinreichend
Rechnung. Es wurde bereits ausgeführt, dass eine Beschränkung der Pflicht
des Verkäufers, den Aus- und Einbau tatsächlich vorzunehmen, auf einen
angemessenen Umfang faktisch nicht durchführbar ist. Da der Verkäufer den
Käufer rechtlich aber nicht zwingen kann, anstelle der Vornahme der
Nacherfüllung (inklusive Aus- und Einbau) Schadensersatz wegen deren
Nichterfüllung zu verlangen, bliebe die allein mögliche Begrenzung des
Kostenerstattungsanspruchs auf einen angemessenen Betrag für ihn praktisch
wertlos. Denn ein wirtschaftlich denkender Käufer würde in den Fällen, in
denen der Ausbau der mangelhaften und der Einbau der als Ersatz gelieferten
Kaufsache unverhältnismäßige Kosten verursacht, nicht - den bezüglich der
Aus- und Einbaukosten auf eine angemessene Höhe begrenzten - Schadensersatz
wegen Nichterfüllung der Nacherfüllung verlangen, sondern den Verkäufer
stets auf Erfüllung seiner Ersatzlieferungspflicht (inklusive
uneingeschränktem Aus- und Einbau) in Anspruch nehmen.
43 dd) Einen anderen Weg gehen Kaiser und Greiner/Benedix, die sich in
diesem Zusammenhang für eine europarechtskonforme Auslegung der
Kostentragungsregelung des § 439 Abs. 2 BGB dahin aussprechen, dass den
Käufer gegen Kostenerstattung eine Mitwirkungsobliegenheit zum Ausbau der
mangelhaften und Einbau der neuen Sache trifft (Kaiser, aaO S. 985 ff.;
Greiner/Benedix, aaO S. 493). Die Rechte des Käufers sollen sich von
vornherein auf einen auf die angemessenen Kosten begrenzten
Erstattungsanspruch beschränken (Kaiser, aaO S. 987). Damit wird aber -
zumindest faktisch - die dem Verkäufer vom deutschen Gesetzgeber
ausdrücklich eingeräumte "Möglichkeit zur zweiten Andienung" (vgl.
BT-Drucks. 16/6040, S. 220) beschnitten. Dies wird vermieden, wenn man die
Kostenerstattungspflicht als Folge einer Einrede aus dem teleologisch
reduzierten § 439 Abs. 3 BGB ausgestaltet.
44 d) Die dargestellte Regelungslücke besteht aus europarechtlicher
Sicht zwar nur im Hinblick auf den im Verhältnis zu § 13 BGB engeren
Verbraucherbegriff des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie. Die
Ausfüllung der Lücke im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung ist
jedoch auf alle Konstellationen des Verbrauchsgüterkaufs und damit des
Verbraucherbegriffs gemäß § 13 BGB zu erstrecken, weil insoweit der
Einheitlichkeitswille des nationalen Gesetzgebers in Bezug auf den
Verbraucherbegriff zu berücksichtigen ist (vgl.
Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII ZR
200/05, aaO Rn. 27 mwN).
45 e) Die vom Senat für den Verbrauchsgüterkauf vorgenommene teleologische
Reduktion des § 439 Abs. 3 BGB führt schon deswegen nicht zu dessen
faktischer Derogation, weil die Regelung in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs
hinsichtlich der relativen Unverhältnismäßigkeit anwendbar bleibt (aA
Kaiser, aaO S. 986). Es bedarf deshalb hier ebenfalls keiner Erörterung, ob
im Rahmen einer gemeinschaftsrechtskonformen Rechtsfortbildung auch die
vollständige Nichtanwendung einer Norm gerechtfertigt sein kann (vgl.
Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII ZR
200/05, aaO Rn. 29 mwN).
46 f) Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit spricht ebenfalls nicht
gegen die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung.
47 Das Prinzip der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) bedeutet in erster
Linie Vertrauensschutz für den Bürger. Durfte die betroffene Partei mit der
Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und verdient dieses Interesse
bei einer Abwägung mit den Belangen des Vertragspartners und den Anliegen
der Allgemeinheit den Vorzug, liegt ein Eingriff in rechtlich geschützte
Positionen vor (Senatsurteil vom 26.
November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO Rn. 33 mwN). Das ist
hier schon deshalb nicht der Fall, weil die teleologische Reduktion des §
439 Abs. 3 BGB sich im Rahmen vorhersehbarer Entwicklung hält. Eine
uneingeschränkte Anwendung der Vorschrift konnte nicht als gesichert
angesehen werden, weil ihre Richtlinienkonformität von zahlreichen Stimmen
im Schrifttum zumindest problematisiert wurde (vgl. Bamberger/Roth/Faust,
aaO Rn. 40 f.; Doehner, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund der
Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, 2004, S. 242 ff.; Glöckner, JZ 2007, 652,
663; Kirsten, ZGS 2005, 66, 67 f.; Leible in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht
unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., Kap. 10 Rn. 89; Pfeiffer, ZGS 2002,
217, 218 f.; Staudinger/ Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2004, § 439 Rn.
41 f.; Thürmann, NJW 2006, 3457, 3460; Unberath, ZEuP 2005, 5, 19 ff.;
Unberath/Cziupka, JZ 2009, 313, 315 f.).
48 7. Soweit der Gerichtshof in seinem Urteil vom 16. Juni 2006 (aaO Rn. 77)
ausgeführt hat, der Verbraucher müsse in Fällen der Herabsetzung des
Anspruchs auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten die Möglichkeit haben,
eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder die
Vertragsauflösung zu verlangen, da die Nacherfüllung für ihn infolge der
Herabsetzung mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden ist, enthält das
nationale Recht in § 440 Satz 1 3. Alt. BGB eine entsprechende Regelung.
Danach bedarf es der für die Geltendmachung von Rücktritt (und
Schadensersatz statt der Leistung) im Regelfall notwendigen Fristsetzung zur
Nacherfüllung nicht, wenn dem Käufer die ihm zustehende Art der
Nacherfüllung unzumutbar ist. Die Vorschrift, die über § 441 Abs. 1 Satz 1
BGB auch auf die Minderung Anwendung findet, dient ausweislich der
Materialien der Umsetzung des in Art. 3 Abs. 5 Spiegelstrich 3 der
Richtlinie erfassten Konstellation, dass eine Abhilfe mit erheblichen
Unannehmlichkeiten für den Verbraucher verbunden ist (BT-Drucks. 14/6040, S.
233).
49 8. Der - auf eine angemessene Höhe begrenzte - Anspruch des Klägers auf
Erstattung der für den Ausbau der mangelhaften Fliesen entstehenden Kosten
setzt entgegen der Ansicht der Revision auch nicht voraus, dass der Kläger
den Austausch bereits vorgenommen hat und die Kosten schon entstanden sind.
Der Kläger kann vielmehr den Anspruch bereits vor Durchführung des
Ausbaus in Form eines abrechenbaren Vorschusses geltend machen (so
auch Kaiser, aaO S. 984 f.). Dies ergibt sich aus dem in der Richtlinie
enthaltenen Unentgeltlichkeitsgebot.
50 Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie kann der Verbraucher vom Verkäufer die
unentgeltliche Nachbesserung oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung
verlangen. Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie stellt klar, dass sich der Begriff
der Unentgeltlichkeit auf alle für die Herstellung des vertragsgemäßen
Zustands des Verbrauchsguts notwendigen Kosten erstreckt, insbesondere auf
Versand-, Arbeits- und Materialkosten. Diese
dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen
Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, soll den Verbraucher
vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn in Ermangelung
eines solchen Schutzes davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu
machen (EuGH, NJW 2008, 1433
Rn. 34 - Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen und
Verbraucherverbände). Der Verbraucher kann daher
für Kosten, die ihm im Rahmen der Nacherfüllung entstehen, aber vom
Verkäufer zu ersetzen sind, auch einen Vorschuss verlangen (Senatsurteil
vom 13. April 2011 - VIII ZR 220/10, NJW 2011, 2278 Rn. 37,
zum Abdruck in BGHZ vorgesehen).
51 9. Die von der Revision erhobene Rüge, das Berufungsgericht sei
verfahrensfehlerhaft zu der Ansicht gelangt, den Kläger treffe mangels
Erkennbarkeit der Mangelhaftigkeit der Fliesen vor deren Verlegung kein
Mitverschulden bezüglich der Höhe der durch den Ausbau entstehenden Kosten,
hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer
Begründung wird gemäß § 564 ZPO abgesehen.
III.
52 Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts, soweit die Revision
eröffnet ist, keinen Bestand haben; es ist insoweit aufzuheben. Der Senat
hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil keine weiteren Feststellungen
erforderlich sind und die Sache damit zur Endentscheidung reif ist (§ 563
Abs. 3 ZPO).
53 1. Die Beklagte hat als Verkäuferin der mangelhaften Bodenfliesen
das Recht, den Kläger hinsichtlich des allein noch in Rede stehenden Ausbaus
der mangelhaften Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe eines
angemessenen Betrags zu verweisen. Von diesem
Leistungsverweigerungsrecht hat die Beklagte im Ergebnis Gebrauch gemacht.
Sie hat in ihrem letzten Schriftsatz und auch in der mündlichen
Revisionsverhandlung deutlich gemacht, dass sie den Ausbau der gelieferten
Bodenfliesen davon abhängig macht, dass der Kläger ihr den die angemessenen
Ausbaukosten übersteigenden Geldbetrag zuschießt oder jedenfalls eine
verbindliche Erklärung über eine entsprechende Kostenbeteiligung abgibt.
Ein solch umfassendes Leistungsverweigerungsrecht steht der
Beklagten jedoch - wie oben ausgeführt (unter II 6 c aa) - nicht zu, weil es
mit der Forderung des Gerichtshofs nicht in Einklang zu bringen ist, die
Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers dürfe nicht dazu führen, dass
die dem Verbraucher zustehenden Rechte in der Praxis ausgehöhlt werden
(vgl. EuGH, aaO Rn. 76). Das von der Beklagten geltend
gemachte Leistungsverweigerungsrecht umfasst aber auch - sozusagen als Minus
- die Erklärung, die Beklagte sei im Hinblick auf den hiermit verbundenen
unangemessenen Kostenaufwand zu einem Ausbau der Bodenfliesen auf eigene
Rechnung nicht bereit, sondern verweise den Kläger insoweit auf das Recht,
die Erstattung eines angemessenen Kostenbetrags zu verlangen.
54 b) Die Bemessung dieses Betrags kann der Senat selbst
vornehmen.
Zwar obliegt in erster Linie dem Tatrichter die Beurteilung, welcher Betrag
von einem Verkäufer geschuldet ist, wenn er den Käufer hinsichtlich der bei
der Nacherfüllung anfallenden Aus- und Einbaukosten auf eine
Kostenbeteiligung verweist. Da vorliegend jedoch weitere Feststellungen
nicht in Betracht kommen, kann der Senat den Anspruch des Klägers auf
Erstattung der für den Ausbau und die Entsorgung der mangelhaften
Bodenfliesen entstehenden Kosten abschließend bemessen. Der Anspruch
ist auf insgesamt 600 € zu begrenzen. Dieser Betrag erscheint dem Senat
unter Berücksichtigung der Bedeutung der Vertragswidrigkeit (optischer
Mangel der Fliesen ohne Funktionsbeeinträchtigung) und des Werts der
mangelfreien Sache (circa 1.200 €) angemessen. Der Senat sieht
davon ab, Grenz- oder Richtwerte für die Bestimmung der angemessenen Höhe
einer Beteiligung des Verkäufers an den Aus- und Einbaukosten in Fällen der
Ersatzlieferung zu entwickeln; die durch die Entscheidung des
Gerichtshofs aufgedeckte Gesetzeslücke durch eine generelle Regelung zu
schließen, ist dem Gesetzgeber vorbehalten.
55 Entgegen der Auffassung der Revision ist der Betrag nicht deshalb weiter
herabzusetzen, weil der Anspruch des Klägers auf Erstattung der für den
Einbau der neuen Fliesen entstehenden Kosten vorliegend bereits
rechtskräftig aberkannt wurde. Die Reduzierung der Gesamtkosten für den Aus-
und Einbau auf eine angemessene Höhe hat nicht durch verhältnismäßige
Herabsetzung der Ausbaukosten einerseits und der Einbaukosten andererseits
zu erfolgen. Vielmehr geht es darum, die den Verkäufer treffende Pflicht,
sich an den Aus-und Einbaukosten zu beteiligen, im Ergebnis auf einen
angemessenen Betrag zu reduzieren. Sind - wie vorliegend -
Einbaukosten nicht geschuldet, stellt sich daher allein die Frage, inwieweit
eine Beteiligung des Verkäufers an den Ausbaukosten der Höhe nach angemessen
ist.
56 Da dem Kläger bereits rechtskräftig ein Betrag von 273,10 € - wenn auch
unter dem nicht einschlägigen Gesichtspunkt der Minderung - zugesprochen
worden ist, hat er Anspruch auf Zahlung weiterer 326,90 €.
57 Das dem Kläger wegen einer Herabsetzung des Ersatzes für Aus- und
Einbaukosten zustehende Recht auf Rücktritt vom Kaufvertrag oder Minderung
des Kaufpreises hat er nicht in Anspruch genommen.
58 Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit das Berufungsgericht der
Zahlungsklage über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag von 273,10 €
hinaus in Höhe von mehr als weiteren 326,90 € - jeweils nebst Zinsen -
stattgegeben hat. Die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil
ist insoweit zurückzuweisen.
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