Abgrenzung von
Mangelfolgeschaden und Nebenpflichtverletzung ("Benzintankfall")
BGH, Urt. v. 26.4.1989
Fundstelle:
BGHZ 107,249
NJW 1989, 2118
zur Fall-Lösung nach der Schuldrechtsreform s. Fall 8 zur Vorlesung "Schuldrechtsreform
nach Anspruchsgrundlagen";
Zum bisherigen Recht s. auch die Anm. zu siehe die Anm. zu BGHZ
66, 208 sowie zu BGH NJW 1999, 1404 und
BGH NJW 1999, 3192,
zum Fortbestand der Problematik nach der Reform s.
Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht,
Rn. 580.
Amtl. Leitsatz:
Der Verkäufer von gleichzeitig geliefertem Normal- und Superbenzin, der
das Normalbenzin in den für Superbenzin vorgesehenen Tank einfüllt, kann
für daraus entstehende Folgeschäden wegen positiver Vertragsverletzung
haften. Ein solcher Schadensersatzanspruch unterliegt nicht der kurzen
Verjährung des § 477 BGB.
Zum Sachverhalt
Der Kläger, der Automobil-Vertragshändler
ist und sich daneben mit der Leistungsverbesserung von Serienmotoren
(Tuning) befaßt, bezog am 19. Juni 1979 von der Beklagten Kraftstoffe für
die erste Befüllung einer auf seinem Betriebsgelände neu errichteten
Tankanlage. Infolge einer Verwechslung wurde dabei der für Superbenzin
vorgesehene Tank mit Normalbenzin und der für Normalbenzin bestimmte
Behälter mit Superbenzin gefüllt.
Da der Kläger die Kaufpreisforderung der Beklagten nur zu einem kleinen
Teil beglich, nahm ihn diese in einem Vorprozeß umgekehrten Rubrums auf
Zahlung restlicher 5591,57 DM in Anspruch. Der Kläger rechnete mit einer
Schadenersatzforderung auf, die er in Höhe von 30 000 DM daraus
herleitete, daß Versuchsfahrzeuge mit dem für Superbenzin gehaltenen
Normalbenzin betankt worden und ihm wegen der unerklärlichen
Versuchsergebnisse zusätzliche Kosten in dieser Höhe bei der Entwicklung
eines 16-Ventil-Motors entstanden seien; außerdem habe er für chemische
Untersuchungen des Kraftstoffs 1 000 DM aufwenden müssen. Die
Kaufpreisklage wurde wegen durchgreifender Aufrechnung rechtskräftig
abgewiesen, weil dem Kläger für die chemischen Untersuchungen 600 DM und
für zusätzliche Entwicklungskosten 4991,57 DM zustünden. Irrtümlich
bezahlte der Kläger jedoch die Kaufpreisforderung.
Mit seiner durch einen am 16. Dezember 1983 eingereichten
Mahnbescheidsantrag erhobenen Klage hat der Kläger von der Beklagten
Schadensersatz in Höhe von DM 107819,48 nebst Zinsen verlangt.
Er hat behauptet, die Verwechslung der Tanks bei der Benzinanlieferung,
die dem Fahrer der Beklagten unterlaufen sei, habe Motorschäden an eigenen
und fremden Fahrzeugen verursacht, weil sie mit dem fälschlich in den für
Superbenzin bestimmten Tank abgefüllten Normalbenzin betankt worden seien,
obwohl sie Superkraftstoff benötigten. Ferner hat der Kläger seine bereits
im Vorprozeß zur Aufrechnung gestellten Ansprüche über 30000 DM
(zusätzliche Entwicklungskosten) und 1 000 DM (chemische Überprüfung) mit
Rücksicht auf die irrtümliche Kaufpreiszahlung in voller Höhe geltend
gemacht. Die Beklagte hat sich demgegenüber auf die Verjährung der
erhobenen Ansprüche berufen und bestritten, daß die Motorschäden durch die
Betankung der Fahrzeuge mit Normalbenzin verursacht worden seien.
Das Landgericht hat der Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung in Höhe
der irrtümlich bezahlten Kaufpreisforderung von 5 591,57 DM stattgegeben
und sie im übrigen abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des
Klägers blieb erfolglos. Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung und
Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
I.
Mit zutreffender und auch von der Revision nicht beanstandeter Begründung
hat das Berufungsgericht das Bestehen eines gesondert neben die
kaufvertraglichen Beziehungen der Parteien tretenden, auf Abfüllung des
Benzins gerichteten Werkvertrags verneint und eventuelle deliktische
Ansprüche des Klägers für verjährt gehalten (§ 852 BGB).
II.
Zutreffend bejaht das Berufungsgericht auch eine kaufvertragliche Pflicht
der Beklagten, den Tankvorgang richtig auszuführen. Ebenso wie der über
die notwendigen Fachkenntnisse verfügende Heizöllieferant (zu dessen
Pflicht, den Abfüllvorgang zu beaufsichtigen, vgl. BGH Urteil vom 24.
Februar 1971 - VIII ZR 22/70 = WM 1971,447 = NJW 1971,1036 unter II 1; BGH
Urteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 97/81 = WM 1983,388 = NJW 1983,1108
unter II 2), hat auch der Benzinlieferant für ordnungsgemäßes Einfüllen in
die Tanks der Käufer zu sorgen. Für die Verletzung dieser Pflicht kann er
unter dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung haften. Die
Auffassung des Berufungsgerichts, Ansprüche des Klägers aus einer -
unterstellten - derartigen Pflichtverletzung seien nach § 477 BGB
verjährt, hält jedoch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt: Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs unterlägen der kurzen Verjährungsfrist des § 477 BGB
alle Schadenersatzansprüche aus Nebenpflichtverletzungen, die einen Mangel
herbeigeführt oder Schäden zur Folge hätten, die sich auf einen Mangel
gründeten oder in unmittelbarem, untrennbarem Zusammenhang damit stünden.
Hier bestehe die positive Vertragsverletzung der Beklagten darin, daß sie
einen Mangel der Kaufsache im Sinn des subjektiven Fehlerbegriffs bzw.
eine hier gleich zu behandelnde Falschlieferung verursacht habe;
unmittelbar auf diesem Mangel beruhten die geltend gemachten Motorschäden.
Mangelhaft sei die gelieferte Sache, weil das in den Supertank gefüllte
Normalbenzin für den vertraglich vorausgesetzten Gebrauch (»als« Super)
nicht habe benutzt werden können. Gerade die bestimmungsgemäße Verwendung
des falsch abgefüllten Normalbenzins habe unmittelbar zu den behaupteten
Schäden geführt. Die Anwendung der kurzen Verjährungsfrist sei auch
deshalb gerechtfertigt, weil ebenso wie ein Mangel der Kaufsache auch die
hier geschehene Verwechslung nach kurzer Zeit nur noch unter
Schwierigkeiten festgestellt werden könnte und weil der Kläger
hinsichtlich der Verjährung nicht besser stehen könne als er
beispielsweise bei der in ihren Auswirkungen vergleichbaren Lieferung von
verunreinigtem Superbenzin gestanden hätte.
2. Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts ist zutreffend. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Senats verjähren Ansprüche aus der Verletzung
kaufvertraglicher Nebenpflichten nur dann in entsprechender Anwendung des
§ 477 BGB innerhalb von sechs Monaten, wenn die positive
Vertragsverletzung einen Mangel der Kaufsache verursacht hat oder wenn der
entstandene Schaden in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Mangel oder
einer die Verwendungsfähigkeit beeinflussenden Eigenschaft der Kaufsache
steht (BGHZ 47,312, 319;
66, 208, 213 f. mit Anmerkung Hiddemann in LM
HGB § 377 Nr. 17; 77; 215,219,; 87; 88,93; 88, 130, 136 f. mit Anmerkung
Paulusch in LM BGB § 477 Nr. 39; Urteil vom 29. Juni 1977 - VIII ZR 309/75
= WM 1977; 1027 unter II 4 d; Urteil vom 19. September 1983 -VIII ZR
321/81 = WM 1983,1155 unter II 2 b und Urteil vom 3. Juli 1985-VIII ZR
152/84 = WM 1985,1145 unter III 2). Unrichtig ist aber die Auffassung des
Berufungsgerichts, die zu unterstellende positive Vertragsverletzung der
Beklagten habe hier zu einem Fehler der Kaufsache geführt.
a) Die Feststellung, eine Kaufsache sei fehlerhaft im Sinn der §§ 480,459
Abs. 1 BGB, ist das Ergebnis eines Vergleichs der zum Vertragsgegenstand
gemachten Sache mit der tatsächlich gelieferten. Nicht anders ist zu
verfahren, wenn, wie hier, zwei verschiedene und unterschiedlichen
Verwendungszwecken dienende, aber äußerlich nicht unterscheidbare
Gegenstände gleichzeitig verkauft und geliefert worden sind. Der Kläger
hat die beiden bestellten Benzinsorten in von ihm nicht beanstandeter
Qualität erhalten. Damit fehlt es an einer Abweichung der Kaufsache vom
Vertragsgegenstand.
aa) Aus diesem Grund läßt sich ein Mangel nicht aus der Erwägung des
Berufungsgerichts herleiten, die Beklagte habe Normalbenzin »als«
Superbenzin geliefert. Das würde voraussetzen, daß die Beklagte den auf
die Lieferung von Superbenzin gerichteten Kaufvertragsteil nur mit dem
Kraftstoff erfüllen konnte, den sie in den beim Kläger für Superbenzin
bestimmten Tank abfüllte. Damit würde aber die Verpflichtung der Beklagten
zur richtigen Abfüllung, die das Berufungsgericht zutreffend als
Nebenpflicht eingestuft hat, schon zur Bestimmung und Unterscheidung der
beiden Kaufgegenstände herangezogen. Beides wird dem Inhalt eines auf
Lieferung mehrerer Kraftstoffsorten gerichteten Kaufvertrages nicht
gerecht. Die hier maßgebende Verpflichtung der Beklagten bestand lediglich
in der Lieferung von Superbenzin und nicht in der »Füllung des für
Superbenzin bestimmten Tanks mit Kraftstoff, der für Superbenzin
benötigende Motoren geeignet ist«.
bb) Ebensowenig läßt sich ein Mangel mit der Auffassung des
Berufungsgerichts begründen, das »zur Abfüllung in den Supertank gekaufte«
Benzin sei für den damit vorausgesetzten Verwendungszweck nicht geeignet
gewesen. Der Senat hat zwar in seinem Urteil BGHZ 88,130 für die Anwendung
des § 477 BGB ausreichen lassen, daß die vom Verkäufer verletzte
Nebenpflicht mit einer zwar keinen Mangel begründenden, aber für die im
Vertrag vorausgesetzte Verwendung risikobehafteten Eigenschaft der
Kaufsache zusammenhing. Ein solcher Zusammenhang besteht hier schon
deshalb nicht, weil das gelieferte Superbenzin für den hier
interessierenden vertragsgemäßen Gebrauch - Betankung von Superbenzin
benötigenden Motoren - verwendbar war und daher die fehlende Brauchbarkeit
des Normalbezins für diesen Zweck keine Rolle spielt. Der Zusammenhang
fehlt auch deswegen, weil die Einlagerung der Kaufsache in einen
bestimmten Behälter ohnehin kein Umstand ist, der der Sache selbst
anhaftet (vgl. zu diesem Erfordernis Senatsurteil vom 12. Juni 1985-VIII
ZR 176/84 unter I 2 b bb = WM 1985,1167 = WuB IV A § 477 BGB 1.85 m. Anm.
Emmerich). Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn bei der Lieferung
zweier äußerlich nicht unterscheidbaren Sachen eine Verwechslung beim
Abfüllen dazu führt, daß der Käufer die Sachen nicht zweckentsprechend
verwendet.
Deshalb läßt sich die Erwägung des Senats in dem Urteil BGHZ 88,130, es
könne für die Verjährungsfrage keinen Unterschied machen, ob der Verkäufer
eine Eigenschaft fälschlich zugesichert oder hinsichtlich dieser
Eigenschaft eine Nebenpflicht verletzt habe, auf den vorliegenden Fall
nicht übertragen. Der Kraftstofflieferant kann sich zwar verpflichten, die
Kaufsache beim Käufer in bestimmte Gefäße abzufüllen. Der mit dieser
Verpflichtung bezweckte Erfolg stellt aber keine Eigenschaft der Kaufsache
dar.
b) Die vom Kläger geltend gemachten Schäden können daher allenfalls auf
der behaupteten positiven Vertragsverletzung beruhen, die mit einem
Sachmangel nicht in Zusammenhang steht. Die Ansprüche des Klägers
unterliegen deshalb, nicht anders als in den vom Senat in den Urteilen
BGHZ 66,208 vom 29. Juni 1977 und vom 12.
Juni 1985 (jeweils aaO) entschiedenen Fällen, der regelmäßigen
Verjährungsfrist des § 195 BGB. Es mag zwar zutreffen, daß die
Feststellung, ob der Verkäufer eine Nebenpflicht verletzt hat und ob dies
schuldhaft geschehen ist, nach längerer Zeit auf Schwierigkeiten stößt.
Derartige Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Mängeln der Kaufsache zum
Übergabezeitpunkt haben den Gesetzgeber zur Einführung der kurzen
Verjährungsfrist für Gewährleistungsansprüche bewogen (vgl. Motive II S.
238). Dieser Gesichtspunkt allein rechtfertigt aber die Anwendung der
kurzen Verjährungsfrist auf eine positive Vertragsverletzung ebensowenig
wie der Umstand, daß diese zu Schäden geführt hat, die auch bei Lieferung
einer mangelhaften Sache hätten entstehen können.
c) Auf die vom Berufungsgericht offengelassene und zwischen den Parteien
noch in der Revisionsinstanz streitige Frage, ob die Lieferung der
Beklagten als Schlechtlieferung oder als Falschlieferung (aliud)
einzuordnen sei, kommt es nicht an, wenn es schon an einer Abweichung der
Kaufsache vom Vertragsgegenstand fehlt. Dahinstehen kann auch die von
beiden Parteien in diesem Rechtsstreit nicht erörterte Frage, ob der
Kläger die Verwechslung überhaupt und ob er sie rechtzeitig gerügt hat.
Die Versäumung der sich aus §§ 377,378 HGB ergebenden Rügelast führt nur
dann zum Verlust von Ansprüchen aus positiver Vertragsverletzung, wenn
diese mit einem Mangel der Kaufsache zusammenhängen; die Abgrenzung
erfolgt insoweit nicht anders als bei dem Problem der Verjährung (BGHZ
66,208, 212 f.). |