Unionsrechtliche Staatshaftung für die fehlerhafte Umsetzung von EU-Richtlinien; Voraussetzungen, Erfordernis eines qualifizierten Verstoßes


BGH, Beschluss vom 26. April 2012 - III ZR 215/11


Fundstelle:

noch nicht bekannt


Amtl. Leitsatz:

a) Die Bundesrepublik hat durch die Regelung in § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 1980 nicht in einer einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch begründenden hinreichend qualifizierten Weise gegen Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG verstoßen, indem sie die öffentlichen Spielbanken hinsichtlich der aus dem Betrieb von Geldspielautomaten erzielten Umsätze von der Entrichtung der Umsatzsteuer befreit hat, die Betreiber privater Spielhallen jedoch nicht.
b) Aus dem Umstand, dass die Bundesrepublik die Sechste Richtlinie 77/388/EWG nicht rechtzeitig bis zum 1. Januar 1979 in nationales Recht umgesetzt hat, ergibt sich in Bezug auf die Ungleichbehandlung öffentlicher Spielbanken und privater Spielhallen kein hinreichend qualifizierter Verstoß.


Zentrale Probleme:

Die Entscheidung ist für die Ausbildung nur in Bezug auf die Staatshaftung bei Nicht- oder Falschumsetzung von EU-Richtlinien von Bedeutung. Die spezielle steuerrechtliche Problematik kann selbstverständlich für die universitäre Ausbildung außen vor gelassen werden. Auf europarechtlicher Grundlage haftet ein Staat dem Bürger für die fehlerhafte Umsetzung von Richtlinien. Die Haftung ergibt sich unmittelbar aus dem Unionsrecht (s. dazu EuGH Slg. 1991, I-5357 - Francovich, EuGH Slg. 1999, I-3499 - Rechberger, EuGH, Urt. v. 4.7.2006, Rs. C-212/04 - Adeneler sowie BGH v. 24.11.2005 - III ZR 4/05). Sie setzt aber voraus, dass eine EU-Richtlinie bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, zwischen dem Verstoß und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht und der Verstoß hinreichend qualifiziert ist. Letzteres wird hier verneint (s. die fett markierten Passagen). S. dazu auch BGH v. 18.10.2012 - III ZR 197/11.

©sl 2012


Gründe:

1 Die Kläger zu 1 bis 3 und der Rechtsvorgänger der Kläger zu 4 bis 6 betrieben in Spielhallen Glücksspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit und wurden wegen der insoweit anfallenden Umsätze zur Umsatzsteuer herangezogen. Die Kläger nehmen die beklagte Bundesrepublik wegen der Umsatzsteuerzahlungen in den Jahren 1979 bis 1998 im Wege des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs auf Schadensersatz in Anspruch, weil sie der Auffassung sind, sie seien im Hinblick auf die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. EG Nr. L 145 S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) -, die die Beklagte nicht ordnungsgemäß in das nationale Recht umgesetzt habe, nicht zur Entrichtung von Umsatzsteuer verpflichtet gewesen.

2 Die Vorinstanzen haben die auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 5.858.181,49 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Ansprüche für verjährt gehalten. Das Kammergericht hat lediglich die auf den Veranlagungszeitraum 1979 bezogenen Ansprüche als verjährt angesehen. Im Übrigen hat es zwar angenommen, die Beklagte habe Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie durch § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 1980 nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt. Es hat jedoch einen Schadensersatzanspruch überhaupt verneint, weil die angeführte Richtlinienbestimmung nicht das Ziel habe, dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, weil es - abgesehen vom Veranlagungsjahr 1979 - an einem hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht fehle und weil kein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehe. Es dürfe nämlich berücksichtigt werden, dass die vom Gerichtshof der Europäischen Union beanstandete Ungleichbehandlung der Spielgeräteaufsteller im Verhältnis zu den öffentlichen Spielbanken - wie später durch Art. 2 des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen vom 28. April 2006 (BGBl. I S. 1095) geschehen - dadurch hätte vermieden werden können, dass auch die öffentlichen Spielbanken der Umsatzsteuerpflicht unterworfen worden wären. Bei einer solchen rechtmäßigen Umsetzung der Richtlinie wäre es bei der Umsatzsteuerpflicht der Kläger verblieben.

Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision.

II.

3 Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).

4 1. Art 13 der Sechsten Richtlinie, die - nach Verlängerung - bis zum 1. Januar 1979 in nationales Recht umzusetzen war, sieht in Teil B (Sonstige Steuerbefreiungen) Buchst. f vor, dass die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Umsatzsteuer unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften "Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden," befreien. In der Bundesrepublik blieb insoweit die Bestimmung des § 4 Nr. 9 Buchst. b Satz 1 UStG vom 29. Mai 1967 (BGBl. I S. 545) durch das zur Umsetzung der Sechsten Richtlinie verabschiedete Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze vom 26. November 1979 (BGBl. I S. 1953) unverändert, nach der von den unter § 1 fallenden Umsätzen die Umsätze steuerfrei sind, "die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen, sowie die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind". Nach dieser Bestimmung gehörten die Unternehmen der Kläger keinem Befreiungstatbestand an und wurden daher zur Umsatzsteuer veranlagt.

5 2. Was die Frage der Umsetzung der angeführten Richtlinienbestimmung angeht, ist nach den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. Juni 1998 (C-283/95 - Fischer, Slg. 1998, I-3388 Rn. 27, 30 f) und 17. Februar 2005 (C-453/02 und C-462/02 - Linneweber und Akritidis, Slg. 2005, I-1151 Rn. 29 f) davon auszugehen, dass dem nationalen Gesetzgeber zwar die Befugnis zusteht, die Bedingungen und Grenzen der Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht festzulegen, dass er aber in Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität nicht berechtigt ist, die Steuerbefreiung von der Identität des Veranstalters oder Betreibers dieser Spiele oder Geräte abhängig zu machen. Danach ist hier das Recht der Europäischen Union verletzt worden, weil der nationale Gesetzgeber die öffentlichen Spielbanken (auch) hinsichtlich der aus dem Betrieb von Geldspielautomaten erzielten Umsätze von der Entrichtung der Umsatzsteuer befreit hat, die privaten Unternehmen der Kläger jedoch nicht.

6 3. Wegen dieses Verstoßes der Legislative prüft das Berufungsgericht als einzig mögliche Haftungsgrundlage den vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch, dessen Voraussetzungen es zutreffend wiedergibt. Hiernach kommt eine Haftung des Mitgliedstaats in Betracht, wenn er gegen eine Norm des Unionsrechts verstoßen hat, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. EuGH, Urteile vom 5. März 1996 - C-46/93 und C-48/93 - Brasserie du Pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1131 = NJW 1996, 1267 Rn. 51; vom 24. März 2009 - C-445/06 - Danske Slagterier, Slg. 2009, I-2168 = EuZW 2009, 334 Rn. 20; Senatsurteile vom 4. Juni 2009 - III ZR 144/05, BGHZ 181, 199 Rn. 13; vom 12. Mai 2011 - III ZR 59/10, WM 2011, 1670 Rn. 13, insoweit in BGHZ 189, 365 nicht abgedruckt, jew. mwN). Die Auffassung des Berufungsgerichts, keine der vorgenannten Voraussetzungen sei gegeben, ist indes nicht frei von Rechtsfehlern.

7 a) Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die verletzte Norm des Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie verleihe den Klägern kein Recht, weil die Bestimmung nicht die Umsatzsteuerbefreiung für Glücksspiele mit Geldeinsatz zum Ziel habe, sondern nur die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Schaffung eines gemeinsamen Mehrwertsteuersystems anstrebe. Daran ist nur richtig, dass eine ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie es nicht ausschließt, dass der nationale Gesetzgeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität und unter Ausnutzung des ihm verbleibenden Regelungsermessens zu einer Lösung kommen kann, nach der Unternehmen wie diejenigen der Kläger nicht von der Entrichtung der Umsatzsteuer befreit sind, wie dies der Gerichtshof in der Rechtssache Leo Libera durch Urteil vom 10. Juni 2010 (C-58/09, Slg. 2010, I-5189 = BFH/NV 2010, 1590) auf die durch die Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG durch das Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen vom 28. April 2006 (BGBl. I S. 1095) veranlasste Vorlage des Bundesfinanzhofs (BFHE 224, 156) entschieden hat.

Die Beschwerde macht jedoch mit Recht darauf aufmerksam, dass der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Linneweber festgestellt hat, Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie entfalte unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter von Glücksspielen oder ein Betreiber von Glücksspielgeräten vor den nationalen Gerichten auf sie berufen könne, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern (Slg. 2005, I-1151 Rn. 38). Er hat darüber hinaus betont, dass ein Mitgliedstaat, der - wie hier - mit seiner Regelung gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoße, sich nicht auf diese Bedingungen oder Beschränkungen stützen könne, um dem Veranstalter solcher Glücksspiele die Steuerbefreiung, auf die dieser nach der Sechsten Richtlinie einen Rechtsanspruch habe, zu verweigern (aaO Rn. 37; vgl. auch Urteil vom 10. November 2011 - C-259/10 und C-260/10 - Rank Group, UR 2012, 104 Rn. 68 bis 74). Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass sich der Einzelne unter Berufung auf Art. 13 Teil B Buchst. f dagegen wehren kann, auf der Grundlage einer mit dieser Bestimmung nicht vereinbaren nationalen Regelung zur Umsatzsteuer herangezogen zu werden. Dem entspricht es, dass in Verfahren des Primärrechtsschutzes in Fällen, in denen ein noch nicht bestandskräftiger Steuerbescheid vorlag oder der Steuerbescheid noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand, die Steuerfreiheit der entsprechenden Umsätze anerkannt wurde (vgl. die Fallgestaltung in der Sache Linneweber, BFHE 200, 149 und BFHE 210, 164, 166 ). Wie der Gerichtshof bereits in der Rechtssache Brasserie du Pêcheur ausgeführt hat, stellt die dem Einzelnen eingeräumte Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift zu berufen, nur eine Mindestgarantie dar, die für sich allein nicht ausreicht, die uneingeschränkte Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten. Deswegen betrachtet der Gerichtshof den Entschädigungsanspruch als notwendige Ergänzung der unmittelbaren Wirkung, die den Gemeinschaftsvorschriften zukommt, auf deren Verletzung der entstandene Schaden beruht (Slg. 1996, I-1131 Rn. 20, 22 f). Die Richtlinie gewährt daher den Klägern das Recht, sich für einen Zeitraum, der - wie hier - einer Regelung im Wege des Primärrechtsschutzes nicht mehr zugänglich ist, im Rahmen des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs darauf zu berufen, dass § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 1980 nicht anwendbar ist.

9 b) Problematisch ist auch die Erwägung des Berufungsgerichts, es fehle an der unmittelbaren Kausalität des Umsetzungsfehlers, weil die Kläger zur Zahlung von Umsatzsteuer verpflichtet gewesen wären, wenn die Beklagte die Richtlinie von Anfang an ordnungsgemäß umgesetzt hätte, indem sie - wie später geschehen - alle Spielgeräteaufsteller einschließlich der öffentlichen Spielbanken der Besteuerung unterworfen hätte. Die Beschwerde sieht hierin eine unzulässige Leugnung der steuerlichen Ungleichbehandlung der Kläger für einen zurückliegenden Zeitraum, die weder nach nationalem Recht noch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unkorrigiert bleiben dürfe. Habe die Beklagte - wie hier aus verfassungsrechtlichen Gründen - davon abgesehen, die öffentlichen Spielbanken für die zurückliegende Zeit der Umsatzsteuerpflicht zu unterziehen, und sie damit steuerlich begünstigt, müsse sie den privaten Spielhallen aufgrund der unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes gebotenen Selbstbindung die gleiche Vergünstigung zukommen lassen (vgl. BVerwGE 118, 379, 383 f). Der Gerichtshof habe in Diskriminierungsfällen auch wiederholt ausgesprochen, dass die benachteiligte Partei einen Anspruch darauf habe, rückwirkend in den Genuss der ihr vorenthaltenen Vergünstigung gesetzt zu werden (vgl. EuGH, Urteile vom 8. März 1988 - C-80/87 - Dik, Slg. 1988, 1612 Rn. 10; vom 11. Juli 1991 - C-87/90 u.a. - Verholen, Slg. 1991, I-3783 Rn. 28 ff).

10 Der Senat neigt zu der Annahme, dass die Veranlagung der Kläger zur Umsatzsteuer unmittelbar auf der angegriffenen früheren Regelung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG beruht, mag der hierdurch entstandene Schaden auch im Verwaltungsvollzug entstanden sein, weil das Finanzamt die genannte Vorschrift angewendet hat. Das wäre jedenfalls auch mit einer wertenden, auf den Haftungstatbestand bezogenen Zurechnung der Haftungsfolgen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Senatsurteil vom 24. Oktober 1996 - III ZR 127/91, BGHZ 134, 30, 39 f) zu vereinbaren. Ob ein rechtmäßiges Alternativverhalten berücksichtigt werden könnte, wenn es die Folge hätte, die Wirkungen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu perpetuieren, während der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch auf sekundärrechtlicher Ebene gerade dem Recht der Union volle Wirksamkeit verschaffen will, könnte nur in einem Revisionsverfahren geklärt werden, weil es sich insoweit um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung handelt.

11 c) Die angefochtene Entscheidung wird jedoch durch die Erwägung getragen, dass der Verstoß der Beklagten gegen Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie nicht hinreichend qualifiziert ist.

12 aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht hinreichend qualifiziert, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtssetzungsbefugnisse die Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat (EuGH, Urteile vom 5. März 1996 - C-46/93 und C-48/93 - Brasserie du Pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1131 Rn. 55; vom 13. März 2007 - C-524/04 - Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Slg. 2007, I-2157 Rn. 118; aus der Rechtsprechung des Senats vgl. Urteile vom 24. Oktober 1996 - III ZR 127/91, BGHZ 134, 30, 38 ff; vom 22. Januar 2009 - III ZR 233/07, NJW 2009, 2534 Rn. 22; Beschluss vom 24. Juni 2010 - III ZR 140/09, NJW 2011, 772 Rn. 7). Diesem restriktiven Haftungsmaßstab, den der Gerichtshof seiner Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung der Union (vgl. jetzt Art. 340 AEUV) entnommen hat, liegt die Erwägung zugrunde, dass die Wahrnehmung gesetzgeberischer Tätigkeit, insbesondere bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen, nicht jedes Mal durch die Möglichkeit von Schadensersatzklagen behindert werden darf, wenn Allgemeininteressen den Erlass von Maßnahmen gebieten, die die Interessen des Einzelnen beeinträchtigen können (EuGH, Urteile vom 5. März 1996 aaO Rn. 45; vom 26. März 1996 - C-392/93 - British Telecommunications, Slg. 1996, I-1654 Rn. 40). Nur wenn der Mitgliedstaat zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, kann schon die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen (EuGH, Urteile vom 8. Oktober 1996 - C 178/94 - Dillenkofer, Slg. 1996, I-4867 Rn. 25; vom 13. März 2007 aaO Rn. 118). Um festzustellen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegt, sind alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen, die für den dem nationalen Gericht vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend sind. Zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen beziehungsweise zugefügt wurde oder nicht, die Frage, ob ein etwaiger Rechtsirrtum entschuldbar ist oder nicht, und die Frage, ob möglicherweise das Verhalten eines Gemeinschaftsorgans dazu beigetragen hat, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise eingeführt oder aufrechterhalten wurden (EuGH, Urteile vom 4. Dezember 2003 - C-63/01 - Evans, Slg. 2003, I-14492 Rn. 86; vom 25. Januar 2007 - C-278/05 -Robins, Slg. 2007, I-1081 Rn. 77; vom 13. März 2007 aaO Rn. 119).

13 bb) Gemessen an diesen Maßstäben, die das Berufungsgericht zutreffend wiedergegeben hat, gibt die angefochtene Entscheidung aus der Sicht der Kläger zu einer Zulassung der Revision keinen Anlass.

14 (1) Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, dass Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie keine eindeutigen Vorgaben für die vom nationalen Gesetzgeber festzulegenden Umsatzsteuerbefreiungen enthielt (vgl. insoweit auch BFHE 210, 159), sondern im Gegenteil dem Mitgliedstaat einen nicht näher eingegrenzten Ermessensspielraum überließ, die Bedingungen und Beschränkungen für die Befreiungstatbestände festzulegen. Das Letztere hat auch der Gerichtshof in der Rechtssache Leo Libera in Bezug auf die insoweit wortgleiche Regelung des Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der "Nachfolge"-Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. EG Nr. L 347 S. 1) ausdrücklich bestätigt, indem er dort ausgeführt hat, aus der Formulierung der Richtlinie selbst ergebe sich, dass den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Befreiung oder Besteuerung der betreffenden Umsätze ein weiter Wertungsspielraum eingeräumt worden sei (vgl. Urteil vom 10. Juni 2010 - C-58/09, Slg. 2010, I-5189 Rn. 26, 35; zu Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 1 der Sechsten Richtlinie Urteil vom 19. Januar 1982 - C-8/81 - Becker, Slg. 1982, 53 Rn. 29). Danach war es zunächst dem nationalen Gesetzgeber überlassen, darüber zu befinden, ob er die fraglichen Tätigkeiten ausnahmslos von der Umsatzsteuer befreien wollte, oder im anderen Fall die Kriterien festzulegen, nach denen sich die Steuerbarkeit von Umsätzen richten sollte.

15 (2) In der Rechtssache Linneweber hat die Beklagte, wie sich aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Stix-Hackl vom 8. Juli 2004 ergibt, die Regelung in § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 1980 damit verteidigt, die in den öffentlichen Spielbanken aufgestellten Geldspielautomaten seien mit den in Spielhallen betriebenen Automaten der privaten Anbieter hinsichtlich des Ablaufs, der Gewinnmöglichkeiten, der Spieldauer und der Einsatzhöhe nicht vergleichbar und stünden demzufolge nicht zueinander in Konkurrenz. Die einseitige Befreiung der öffentlichen Spielbanken von der Umsatzsteuer werde auch dadurch gerechtfertigt, dass diese im Ergebnis mit der Spielbankenabgabe erhoben werde (vgl. Slg. 2004, I-1134 Rn. 22 bis 24). Dieser nicht völlig von der Hand zu weisenden Argumentation (vgl. zu diesem Kriterium EuGH, Urteil vom 26. März 1996 - C-392/93 - British Telecommunications, Slg. 1996, I-1654 Rn. 43), die in ähnlicher Weise durch die Regierung des Vereinigten Königreichs in der Rechtssache Fischer vertreten wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juni 1998 - C-283/95, Slg. 1998, 3388 Rn. 26), ist der Gerichtshof in seinen Entscheidungen Fischer und Linneweber zwar nicht gefolgt; die Generalanwältin hat jedoch im Verfahren Linneweber die Auffassung vertreten, es könnten nicht sämtliche Glücksspiele mit Geldeinsatz als gleichartige Dienstleistungen im Sinne der steuerlichen Neutralität anzusehen sein, weil dies den Mitgliedstaaten praktisch jedes Ermessen nehmen würde, und im Weiteren verschiedene Überlegungen angestellt, wie die Gleichartigkeit von Glücksspielen bestimmt werden könne. Sie hat dabei erkennen lassen, dass die Grenze zwischen verschiedenen Glücksspielen oder Formen von Glücksspielen naturgemäß schwer zu ziehen sei (vgl. Slg. 2004, I-1134 Rn. 41 ff).

16 (3) Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass die vorerörterten Fragen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs erst mit den Urteilen Fischer vom 11. Juni 1998 und Linneweber vom 17. Februar 2005 in ihrer ganzen Tragweite geklärt wurden, wobei der Bundesfinanzhof noch in seinem Beschluss vom 6. November 2002 zur Frage Klärungsbedarf hatte, ob die Unterschiede der Geldspielautomaten in öffentlichen Spielbanken und gewerblichen Spielhallen nicht eine unterschiedliche mehrwertsteuerliche Behandlung rechtfertigten (vgl. BFHE 200, 149, 153 f). Mangels Vorliegens früherer Auslegungsrichtlinien aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es daher nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht für die Zeit vor Erlass des Urteils in der Rechtssache Linneweber - und damit auch für die hier zur Entscheidung stehende Zeit bis einschließlich 1998 - einen hinreichend qualifizierten Verstoß verneint hat.

17 cc) Die Beschwerde setzt sich mit diesen Überlegungen des Berufungsgerichts nicht im Einzelnen auseinander, sondern vertritt die Auffassung, der Gesetzgebungsakt, durch den § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 1980 Gesetz geworden sei, erweise sich als erhebliche sowie offenkundige Verletzung des Gemeinschaftsrechts, was zum Einen aus dem Verfassungsrang des verletzten Diskriminierungsverbots und zum anderen aus dem Umstand folge, dass die Gewährung der Umsatzsteuerbefreiung nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Richtlinienbestimmung der gesetzliche Regelfall sei. Dem ist nicht zu folgen und ein Zulassungsgrund wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ergibt sich hieraus nicht. Wie ausgeführt, überließ die Richtlinie dem Mitgliedstaat ein weites Wertungsermessen, das gerade die Frage einer möglichen Differenzierung einschloss. Darüber hinaus hat der Gerichtshof in der Rechtssache Leo Libera bestätigt, dass auch eine gesetzliche Regelung mit dem Recht der Union vereinbar ist, bei der weniger als die Hälfte der von ihr erfassten Umsätze dem Befreiungstatbestand der Richtlinie unterliegt (vgl. Slg. 2010, I-5189 Rn. 37).

18 dd) Anders als das Berufungsgericht meint, ist ein hinreichend qualifizierter Verstoß auch nicht für das Veranlagungsjahr 1979 anzunehmen. Zwar ist die Sechste Richtlinie, die nach ihrem Art. 1 zunächst bis zum 1. Januar 1978 umzusetzen war, aber nach Verlängerung der Umsetzungsfrist aufgrund der Neunten Richtlinie 78/583/EWG des Rates vom 26. Juni 1978 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (ABl. EG Nr. L 194 S. 16) unter anderem in der Bundesrepublik Deutschland erst zum 1. Januar 1979 umgesetzt sein musste, mit dem am 1. Januar 1980 in Kraft getretenen Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze vom 26. November 1979 (BGBl. I S. 1953) erst ein Jahr nach Ablauf dieser Frist in das nationale Recht umgesetzt worden. Hieraus ergibt sich jedoch unter den besonderen Umständen dieses Falles kein hinreichend qualifizierter Verstoß.

19 Zwar ist in der Rechtsprechung des Gerichtshof die verspätete Umsetzung einer Richtlinie der klassische Fall eines hinreichend qualifizierten Verstoßes, weil die Umsetzungsfrist klar bestimmt ist und der Mitgliedstaat kein Ermessen hat, von sich aus eine andere - spätere - Frist vorzusehen, um der Richtlinie nachzukommen. Trifft also ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen Art. 288 Abs. 3 AEUV (vgl. früher Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag und Art. 249 Abs. 3 EGV) keinerlei Maßnahmen, obwohl dies zur Erreichung des durch die Richtlinie vorgeschriebenen Ziels erforderlich wäre, so überschreitet er offenkundig und erheblich die Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Oktober 1996 - C-178/94 u.a. - Dillenkofer, Slg. 1996, I-4867 Rn. 26). Gleiches hat der Gerichtshof angenommen, wenn der Mitgliedstaat zwar rechtzeitige Umsetzungsmaßnahmen vorgenommen hat, sie aber in Einzelpunkten so ausgestaltet, dass der Einzelne das ihm verliehene Recht nicht bereits in dem Zeitpunkt wahrnehmen kann, zu dem die Umsetzungsfrist verstrichen ist, weil der Mitgliedstaat auch insoweit keinen Entscheidungsspielraum hat, die Wirkungen der Richtlinie erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten zu lassen (
EuGH, Urteil vom 15. Juni 1999 - C-140/97 - Rechberger, Slg. 1999, I-3522 Rn. 51).

20 Der hier zu entscheidende Fall ist mit den Konstellationen, die den Urteilen des Gerichtshofs in den Rechtssachen Dillenkofer und Rechberger zugrunde lagen, nicht zu vergleichen. Die nicht hinreichende Umsetzung von Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie beruht hier nicht auf einer - auch partiellen - Untätigkeit des Gesetzgebers, sondern auf dem Umstand, dass die Beklagte in dieser Hinsicht mit Rücksicht auf den ihr in dieser Richtlinienbestimmung eingeräumten weiten Wertungsspielraum die Auffassung vertrat, die im damals geltenden § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG vorgenommene Differenzierung zwischen Umsätzen öffentlicher Spielbanken und anderer privater Glücksspielveranstalter sei im Hinblick auf die Richtlinie unbedenklich. Dem entspricht es, dass die Bundesregierung unter dem 5. Mai 1978 einen Gesetzentwurf für das Umsatzsteuergesetz 1979 eingebracht hat, der der Anpassung des Umsatzsteuerrechts an die Sechste Richtlinie dienen sollte und der namentlich zu § 4, wie der Einzelbegründung zu entnehmen ist, auch Änderungen im Hinblick auf den Katalog der in Art. 13 der Sechsten Richtlinie aufgeführten Steuerbefreiungen vorsah (vgl. BT-Drucks. 8/1779 S. 31 ff). Dass das Gesetzgebungsvorhaben nicht - wie an sich vorgesehen - bis zum 1. Januar 1979 verwirklicht werden konnte, beruhte auf dem Umstand, dass wegen anderer Fragen, die mit der Umsetzung der hier in Rede stehenden Richtlinienbestimmung nicht im Zusammenhang standen, dreimal der Vermittlungsausschuss angerufen werden musste, ehe das Gesetz endgültig verabschiedet werden konnte (vgl. hierzu Zimmermann, DB 1979, 2339). Wäre das Gesetz rechtzeitig verabschiedet worden, hätte es aus den erörterten Gründen, die keinen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Recht der Union darstellen, denselben Inhalt gehabt.

21 ee) Eine Vorlage nach Art. 267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union ist wegen dieser Frage nicht erforderlich. Denn es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts ist, anhand der vom Gerichtshof genannten Kriterien (siehe oben 3 c aa) die erforderlichen Feststellungen zu treffen und damit darüber zu befinden, ob ein Verstoß gegen das Recht der Europäischen Union hinreichend qualifiziert ist (vgl. U
rteile vom 30. September 2003 - Rs. C-224/01 - Köbler, Slg. 2003, I-10290 = NJW 2003, 3539 Rn. 54; vom 25. Januar 2007 - C-278/05 - Robins, Slg. 2007, I-1081 Rn. 76).

22 4. Mit Rücksicht hierauf kann offenbleiben, ob mögliche Ansprüche der Kläger verjährt sind.