Abstraktes Schuldanerkenntnis für fremde Verbindlichkeiten; Annahmefrist bei Zugangsverzicht nach § 151 BGB; Unternehmensbezogene Willenserklärung und Offenkundigkeitsgrundsatz im Stellvertretungsrecht
BGH, Urteil v. 04.04.2000  - XI ZR 152/99 (Dresden)
Fundstelle:

NJW 2000, 2984
JuS 2001, 81 (Karsten Schmidt)


Amtl. Leitsätze:

1. Zur Länge der Annahmefrist bei einem Vertragsantrag an eine große Handelsgesellschaft.
2. Zur Unternehmensbezogenheit der Schuldanerkenntniserklärung eines GmbH-Geschäftsführers.


Zentrale Probleme:

Im Zentrum des Falles steht neben der Frage des abstrakten Schuldanerkenntnisses (s. dazu die Anm. zu BGH NJW 2000, 2501 und BAG NJW 1999, 2059) und dessen Zustandekommen (s. dazu die Anm. zu BGH NJW 2000, 276) das Problem der sog. "unternehmensbezogenen Willenserklärung". Der BGH legt zutreffend dar, daß es sich dabei nicht um eine Ausnahme vom Offenkundigkeitsgrundsatz des § 164 Abs. 1 BGB handelt, sondern nachgerade um eine Ausformung desselben. Es geht nämlich dabei gerade nicht um einen Verzicht des erkennbaren Handelns in fremden Namen, sondern um eine Auslegung der Vertretererklärung zur Ermittlung dieses Erfordernisses. Danach wird, wenn der Handelnde erkennbar für ein Unternehmen auftritt, selbst dann der Unternehmensträger berechtigt und verpflichtet, wenn er der Handelnde den Eindruck erweckt, selbst dieser Unternehmensträger zu sein oder der Unternehmensinhaber falsch bezeichnet wird (s. dazu die Anm. zu BGH NJW 1998, 2897 sowie auch BGH v. 12.4.2012 - VII ZR 13/11).
Von Interesse ist weiterhin die Möglichkeit, ein abstraktes Schuldanerkenntnis auch für fremde Verbindlichkeiten zu erklären. In diesem Fall wird diesselbe Wirkung wie bei einem Schuldbeitritt erzielt. Allerdings wird man in diesem Fall kaum von einem Schuldanerkenntnis i.S.v. § 781 BGB, sondern wegen des Zwecks der erstmaligen Begründung einer Schuld von einem Schuldversprechen i.S.v. § 780 BGB sprechen müssen. Causa dieses Vertrags ist jedenfalls das Bestehen der fremden Schuld.
 
Zur Vertiefung: Larenz/Wolf AT § 46 Rn. 77 f (Unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft); Larenz/Canaris Schuldrecht II/2 § 61 (Schuldanerkenntnis)
Zum Überblick: Lorenz/Riehm, JuS-Lern CD ZivilR I Rn. 66 (Unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft); Rn. 393 ff (Schuldanerkenntnis)
Zur Übung: Köhler, PdW AT Fall 121 (Unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft); PdW Schuldrecht II Fall 128 f (Schuldanerkenntnis)


Zum Sachverhalt:

Die Kl. begehrt vom Bekl. Zahlung aus einem Schuldanerkenntnis vom 20. 6./13. 7. 1994. Die Rechtsvorgängerin der Kl., eine große Mineralölgesellschaft, belieferte die D-GmbH, deren geschäftsführender Gesellschafter der Bekl. war, mit Öl und Treibstoffen. Als die Schulden der GmbH in der ersten Jahreshälfte 1994 den Betrag von 330000 DM überschritten, stellte die Rechtsvorgängerin der Kl. die Belieferung ein. Der Bekl. gab im Namen der GmbH am 10. 6. 1994 ein notarielles Schuldanerkenntnis ab, in dem der Schuldbetrag von 280262,47 DM ohne Mehrwertsteuer aufgenommen war. Am 20. 6. 1994 unterzeichnete er auf einem Formular der Rechtsvorgängerin der Kl., in dem sein Name und seine Privatanschrift handschriftlich vermerkt sind, ohne Vertretungszusatz als „Schuldner" ein Schuldanerkenntnis mit Ratenzahlungsvereinbarung über den Bruttobetrag in Höhe von 322301,84 DM zuzüglich Zinsen, das von der Rechtsvorgängerin der Kl. am 13. 7. 1994 gegengezeichnet wurde. Ein weiteres notarielles Schuldanerkenntnis, das ebenfalls über den Bruttobetrag lautete, gab der Bekl. im Namen der GmbH am 9. 8. 1994 ab. Über das Vermögen der GmbH ist im Jahre 1996 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden. Der Bekl. macht gegenüber dem Zahlungsbegehren der Kl. aus dem Schuldanerkenntnis vom 20. 6./13. 7. 1994 geltend, die Kl. habe das Anerkenntnisangebot nicht rechtzeitig angenommen. Außerdem habe er das Anerkenntnis nicht im eigenen Namen, sondern als Vertreter der GmbH abgegeben; es handele sich nämlich um ein unternehmensbezogenes Geschäft.
Das LG hat den von der Kl. erwirkten Vollstreckungsbescheid über 308890 DM zuzüglich Zinsen aufrechterhalten und den Bekl. zur Zahlung weiterer 5354,05 DM nebst Zinsen verurteilt. Das BerGer. hat das Urteil des LG sowie den Vollstreckungsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Kl. unter Reduzierung der Klageforderung um 13411,84 DM die Zurückweisung der Berufung der Bekl. Ihr Rechtsmittel führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils im Umfang der Revisionsanträge.

Aus den Gründen:

1. Das BerGer. geht davon aus, der Bekl. hafte aus der privatschriftlichen Vereinbarung vom 20. 6./13. 7. 1994 nur dann, wenn er die Verbindlichkeiten der D-GmbH gegenüber der Rechtsvorgängerin der Kl. im Wege eines Schuldbeitritts mitübernommen habe. Dies ist rechtsirrig.
Die Haftung des Bekl. hängt nicht von einem Schuldbeitritt ab. Persönlich gehaftet wird insbesondere auch aus einem abstrakten Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis (§§ 780, 781 BGB). Ein solcher Vertrag kommt auch dann in Betracht, wenn zwischen den Vertragsparteien bisher keine rechtlichen Beziehungen bestanden. Ein Schuldanerkenntnis kann nämlich für fremde Verbindlichkeiten abgegeben werden. Dies hat das BerGer. verkannt und bedingt durch seinen unrichtigen Ausgangspunkt die Prüfung eines Anspruchs der Kl. aus §§ 780, 781 BGB unterlassen.
2. Diese Prüfung hat der erkennende Senat nachzuholen. Die Auslegung des Vertrags kann dabei unabhängig von der Beurteilung des BerGer. erfolgen. Der Inhalt des Vertrags ist nicht individuell ausgehandelt, sondern unter Verwendung eines Formulars festgelegt worden, das von der Rechtsvorgängerin der Kl., einer großen Mineralölgesellschaft, zum Abschluss solcher Verträge in mehreren OLG-Bezirken benutzt worden ist.
a) Die vom Bekl. abgegebene Erklärung ist als abstraktes Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB) anzusehen. Das ergibt sich aus Wortlaut, Inhalt sowie Sinn und Zweck der Vereinbarung. Das von der rechtskundigen Rechtsvorgängerin der Kl. benutzte Formular trägt die Überschrift „Schuldanerkenntnis und Ratenzahlungsvereinbarung". Im Formulartext heißt es, der namentlich aufgeführte Bekl. „erkenne hiermit an", der Rechtsvorgängerin der Kl. 322301,84 DM zuzüglich Zinsen zu schulden. Ein Schuldgrund ist in der Urkunde nicht genannt. Benutzt wurde das Formular in einer Situation, in der die Rechtsvorgängerin der Kl. die Belieferung der D-GmbH eingestellt hatte, weil diese ihren hohen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen konnte. Der Rechtsvorgängerin der Kl. kam es auf ein vom Schuldgrund losgelöstes Anerkenntnis der Verbindlichkeiten durch den Bekl. an, um die Chancen der Realisierung ihrer Forderung zu erhöhen. Der Bekl. sah sich veranlasst, das von der Rechtsvorgängerin der Kl. gewünschte „Schuldanerkenntnis" abzugeben, um die Weiterbelieferung der D-GmbH zu erreichen. Die Vereinbarung erfüllt damit alle Voraussetzungen (vgl. BGH, NJW 1999, 574 [575[ = LM H. 4/1999 § 157 [A] BGB Nr. 38), die an ein abstraktes Schuldanerkenntnis zu stellen sind. Dass die Rechtsvorgängerin der Kl. in dem Formularvertrag eine Erfüllung der Verbindlichkeit in Raten bewilligt hat, ändert nichts. Auch bei einer abstrakten Zahlungsverpflichtung können Ratenzahlungen vorgesehen werden.
b) Gegen das wirksame Zustandekommen des Schuldanerkenntnisses bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Die Rechtsvorgängerin der Kl. hat die Anerkenntniserklärung des Bekl. vom 20.6. 1994 am 13. 7. 1994 durch Gegenzeichnung angenommen. Eine Erklärung der Annahme gegenüber dem Bekl. war nach den Umständen nicht zu erwarten (§ 151 S. 1 BGB). Der Inhalt der von der Rechtsvorgängerin der Kl. gewünschten Anerkenntniserklärung war zwischen dem Bekl. und der Zeugin H, einer Mitarbeiterin der Rechtsvorgängerin der Kl., festgelegt worden. Mit einer weiteren Äußerung der Rechtsvorgängerin der Kl., für die das Schuldanerkenntnis des Bekl. trotz der darin enthaltenen Ratenzahlungsvereinbarung ein im Wesentlichen vorteilhaftes Geschäft war, konnte der Bekl. nur dann rechnen, wenn sie mit dem Inhalt der Anerkenntniserklärung nicht einverstanden war.
Im Zeitpunkt der Gegenzeichnung war die Anerkenntniserklärung des Bekl. noch nicht erloschen (§ 151 S. 2 BGB). Die Erklärung und die Umstände, unter denen sie abgegeben wurde, ergeben nichts für einen Willen des Bekl., seine Bindung auf einen Zeitpunkt vor dem 13. 7. 1994 zu begrenzen. Bei großen Gesellschaften wie der Rechtsvorgängerin der Kl., bei denen Vertragsangelegenheiten von einiger Bedeutung nicht in der Filiale vor Ort, sondern von einer zentralen Stelle bearbeitet und entschieden werden, kann, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, nicht damit gerechnet werden, die Annahme werde bereits binnen weniger Tage erfolgen. Das gilt besonders, wenn die Angelegenheit wie hier in der allgemeinen Urlaubszeit zu bearbeiten ist. Nichts spricht dafür, dass der Bekl. dies nicht berücksichtigt hätte und sich an seine Anerkenntniserklärung nicht bis zum 13. 7. 1994 binden wollte.
c) Verpflichtet aus dem abstrakten Schuldanerkenntnis ist der Bekl. persönlich, nicht die D-GmbH, deren Geschäftsführer er war. Die Darlegungs- und Beweislast für ein Handeln in fremdem Namen trägt, was das BerGer. nicht berücksichtigt hat, derjenige, der ein Vertreterhandeln behauptet (Senat, NJW 1992, 1380 = LM H. 9/1992 § 164 BGB Nr. 73 = WM 1992, 567 [568]). Diesen Beweis hat der Bekl. nicht erbracht.
aa) Aus der Formularvereinbarung vom 20. 6./13. 7. 1994 ergibt sich kein Anhaltspunkt für ein Vertreterhandeln. Als Vertragspartei war bei der Unterzeichnung im Kopf der Urkunde nur der Bekl. persönlich unter seiner Privatanschrift, nicht aber die D-GmbH aufgeführt. Seine Unterschrift trägt keinen Zusatz oder einen Stempel, der auf ein Handeln für die D-GmbH hinweist. Auch dem Urkundentext „ich, der Unterzeichner, erkenne hiermit an" ist dafür nichts zu entnehmen.
bb) Das Ergebnis der Beweisaufnahme und die sonstigen festgestellten Umstände rechtfertigen entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung auch nicht die Annahme, der Schuldanerkenntnisvertrag sei als unternehmensbezogenes Geschäft zwischen der Rechtsvorgängerin der Kl. und der D-GmbH zu Stande gekommen. Die Grundsätze über unternehmensbezogene Geschäfte ändern nichts an dem im Vertretungsrecht geltenden Offenkundigkeitsprinzip. Auch in diesen Fällen muss der Vertragspartner, das Unternehmen, für den Geschäftspartner von vornherein eindeutig erkennbar sein. Nur wenn das Geschäft in dem Sinne unternehmensbezogen ist, dass es mit einem bestimmten Handelsunternehmen abgeschlossen und ersichtlich der Inhaber dieses Unternehmens Vertragspartner werden sollte, wird der tatsächliche Unternehmensinhaber Vertragspartner. Es handelt sich bei diesem Grundsatz nicht um eine Beweis-, sondern um eine Auslegungsregel, die voraussetzt, dass der Handelnde sein Auftreten für ein Unternehmen hinreichend deutlich macht (Senat, NJW 1992, 1380 = LM H. 9/1992 § 164 BGB Nr. 73 = WM 1992, 267 [269]; BGH, NJW 1995, 43 = LM H. 3/1995 § 164 BGB Nr. 77 = WM 1994, 2233 [2234] jew.m.w. Nachw.). Davon kann hier keine Rede sein.
Die Zeugin H hat ausgesagt, ihr sei es bei dem Schuldanerkenntnis vom 20. 6./13. 7. 1994 gerade um eine persönliche Verpflichtung des Bekl. gegangen, dem Bekl. sei auch bewusst gewesen, dass er sich persönlich verpflichte. Der Zeuge F konnte dazu keine Angaben machen; nach seinen Bekundungen hat er von der Existenz des Schuldanerkenntnisses des Bekl. erst im Verlaufe des Rechtsstreits erfahren. Der als Partei vernommene Bekl. hat zwar in Abrede gestellt, dass er sich habe persönlich verpflichten wollen. Auch aus seiner Aussage ergibt sich aber nicht, dass er hinreichend deutlich gemacht hat, nur für die D-GmbH auftreten zu wollen.
Aus dem Umstand, dass das Schuldanerkenntnis auf Verbindlichkeiten der D-GmbH basiert und der Bekl. persönlich nicht in der Lage war, die vereinbarten monatlichen Raten zu erbringen, ergibt sich entgegen der Ansicht des Bekl. ein Auftreten für die GmbH nicht. Das Schuldanerkenntnis wurde in einem Zeitpunkt abgegeben, in dem die GmbH die Forderungen der Rechtsvorgängerin der Kl. nicht begleichen konnte und diese deshalb die Belieferung der GmbH eingestellt hatte. Wenn der Geschäftsführer der GmbH in einer solchen Situation unter seiner privaten Anschrift ohne Vertretungszusatz ein Schuldanerkenntnis unterschreibt, um die Weiterbelieferung der nicht leistungsfähigen GmbH zu erreichen, so spricht dies für eine persönliche Verpflichtung des Geschäftsführers. Das gilt besonders, wenn dem Gläubiger - wie hier - ein notarielles Schuldanerkenntnis der GmbH über den weitaus größten Teil ihrer Verbindlichkeiten, sowie eine Lastschrifteinzugsermächtigung für ein Geschäftskonto der GmbH bereits vorliegen. Zumindest bleiben ernsthafte, nicht auszuräumende Zweifel an der Unternehmensbezogenheit des Geschäfts. Diese gehen zu Lasten des Bekl. (vgl. BGH, NJW 1995, 43 = LM H. 3/1995 § 164 BGB Nr. 77 = WM 1994, 2233 [2234]).
d) Auf Grund des abstrakten Schuldanerkenntnisses ist der Bekl. zur Zahlung des von der Kl. noch begehrten Betrags von 300832,21 DM zuzüglich Zinsen verpflichtet.