Abgrenzung zwischen Sachmangel und Rechtsmangel bei bestehen einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit; Haftung für Rechtsmängel nach §§ 440 I, 326 BGB, Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung, Konkurrenz zwischen Rechtsmängelhaftung und culpa in contrahendo
BGH, Urt. v. 19. 11. 1999 - V ZR 321/98 (Brandenburg)
Fundstelle:

NJW 2000, 803


Amtl. Leitsatz:

Ist in einem Grundstück eine Fernwärmeleitung verlegt, für die eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zugunsten des Energieversorgungsunternehmens besteht, bedeutet dies einen Rechtsmangel und keinen Sachmangel. 



Zentrale Probleme:

Der Sachverhalt wirft grundsätzliche Fragen des Kaufrechts auf. Im Vordergrund steht die Abgrenzung zwischen Rechts- und Sachmängeln beim Grundstückskauf. Da ein Sachmangel auch in den rechtlichen Beziehungen der Sache zur Umwelt liegen kann, sofern sie in der Sache selbst ihren Grund haben, ist diese Abgrenzung nicht immer leicht zu ziehen. Üblicherweise werden öffentlich-rechtliche Beschränkungen wegen ihrer fehlenden Behebbarkeit als Sachmangel qualifiziert (vgl. auch BGH NJW 2001, 65; s. aber auch BGH NJW 2000, 1256), während privatrechtliche Beschränkungen ausräumbar sind. Sie haben daher weniger in der Sache selbst ihren Grund und werden deshalb als Rechtsmängel qualifiziert. Insbesondere ist es sinnvoll, dem Käufer einen Beseitigungsanspruch einzuräumen (vgl. etwa auch Köhler, PdW SchuldR II Fall 14). Die Ansprüche des Käufers richten sich dann gem. § 440 I BGB nach Allgemeinem Schuldrecht (§§ 320 ff BGB). Je nach Art der Leistungsstörung (Unmöglichkeit oder Verzug) gelten die §§ 323-325 oder § 326. Schadensersatz wegen Nichterfüllung kann dann bei anfänglicher Unmöglichkeit der Beseitigung nach § 325 BGB (Rechtsfolgenverweisung), bei Möglichkeit der Beseitigung nach § 326 BGB verlangt werden. In diesem Fall muß der Käufer dem Verkäufer zunächst eine Nachfrist, verbunden mit einer Ablehnungsandrohung setzen. Dabei war hier zu prüfen (und zu verneinen), ob die Nachfristsetzung ausnahmsweise entbehrlich war.
Weiter befaßt sich die Entscheidung mit der Haftung aus (fahrlässiger) culpa in contrahendo: Anders als in Konkurrenz zur Sachmängelhaftung (s. dazu die Anm. zu BGH NJW 1999, 3192) sieht der BGH hier kein Konkurrenzproblem, die Haftung aus c.i.c. ist also neben der Rechtsmängelhaftung voll anwendbar. Dem ist zuzustimmen, weil sich die spezifischen Konkurrenzprobleme zur Sachmängelgewährleistung, wo durch die Anwendung der c.i.c. die Wertungen der §§ 459 ff BGB nicht unterlaufen werden sollen (insbesondere: §§ 460 [Keine Haftung bei Kenntnis, eingeschränkte Haftung bei grobfahrlässiger Unkenntnis], 463 [Schadensersatz nur bei Zusicherung bzw. Vorsatz], 477 [kurze Verjährung]), bei der Rechtsmängelhaftung nicht stellen. Im Falle einer fahrlässigen Verletzung einer vom BGH zu Recht bejahten Aufklärungspflicht hätte damit der Käufer einen Schadensersatzanspruch aus c.i.c.. Dieser ist nach ständiger, allerdings unrichtiger, Rechtsprechung des BGH ohne weiteres auf den Betrag gerichtet, den der Käufer "zuviel gezahlt" hat.  Er wird dann ohne weiteren Nachweis, daß sich die andere Partei darauf eingelassen hat, so gestellt, als wäre es ihr gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Kaufpreis abzuschließen (vgl. hierzu S. Lorenz NJW 1999, 1001 f sowie die Anm. zu BGH NJW 1998, 2900 f. Vgl. zum Ganzen auch die Anm. zu BGH v. 6.4.2001 - V ZR 394/99.

Zur Lösung des Falles nach der Schuldrechtsreform s. Fall 12 zur Vorlesung "Schuldrechtsreform nach Anspruchsgrundlagen"



Zum Sachverhalt:

Der Bekl. war in ungeteilter Erbengemeinschaft mit fünf weiteren Personen Eigentümer eines Hausgrundstücks in C. Mit notariellem Vertrag vom 20. 9. /30. 10. 1995 kaufte die Kl. das Grundstück von der Erbengemeinschaft zu einem Kaufpreis von 585 000 DM. Auf dem Grundstück befindet sich zur Straßenfront hin ein unterirdisch verlegter U-förmiger Bogen einer Fernwärmeleitung, für den eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zugunsten des Energieversorgungsunternehmens nach dem Grundbuchbereinigungsgesetz vom 20. 12. 1993 besteht. Die Kl. verlangt Schadensersatz für eine aufgrund der Fernwärmeleitung erforderlich gewordene Umplanung ihres Bauvorhabens im Kellerbereich.

I. BerGer. hat ausgeführt: Zwar stelle das Vorhandensein der Fernwärmeleitung auf dem verkauften Grundstück im Hinblick auf die beschränkte persönliche Dienstbarkeit einen Rechtsmangel dar. Für einen Schadensersatzanspruch fehle es aber an einer gem. §§ 440, 326 BGB erforderlichen wirksamen Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung. Der Kl. stehe auch kein Schadensersatzanspruch aus § 823 II BGB i.V. mit § 263 StGB zu, weil sie für einen Betrug des Bekl. beweisfällig geblieben sei. Zwar deuteten Schreiben des Bekl. darauf hin, dass er mindestens mit dem Vorhandensein der Leitungen gerechnet habe. Der Bekl. habe aber nicht eine besondere Vermögensfürsorge- oder Aufklärungspflicht gegenüber der Kl. übernommen. Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nur zum Teil stand.
II. 1. Rechtlich zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des BerGer., wonach das verkaufte Grundstück mit einem Rechtsmangel behaftet ist. Die Verpflichtung des Verkäufers nach § 434 BGB, dem Käufer den verkauften Gegenstand frei von Rechten Dritter zu verschaffen, erstreckt sich beim Grundstückskauf auch auf Dienstbarkeiten (Senat, NJW-RR 1993, 396 = LM H. 7/1993 § 434 BGB Nr. 12; RGZ 66, 316 [317]). Ohne Erfolg macht die Revision geltend, es liege hier ein Sachmangel vor. Zwar lassen sich nicht alle rechtlichen Beziehungen eines Grundstücks von vornherein als Rechtsmängel einordnen. Denn der hiervon abzugrenzende Begriff des Sachmangels kann nicht auf solche Fehler beschränkt werden, die der Sache selbst in ihrer natürlichen Beschaffenheit anhaften. Insbesondere der im Sachmängelrecht vorherrschende subjektive Fehlerbegriff macht eine formelhafte Abgrenzung von Rechts- und Sachmangel unmöglich und verschiebt die begrifflichen Grenzen (vgl. BGHZ 113, 106 [112] = NJW 1991 915 - LM § 434 BGB Nr. 9; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., § 434 Rdnr. 14; H.P. Westermann, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 434 Rdnr. 4). Deshalb kann ein Sachmangel auch in Eigentümlichkeiten bestehen, die in der Beziehung der Sache zur Umwelt begründet sind, wenn sie nach der Verkehrsanschauung für die Brauchbarkeit der Sache oder deren Wert von Bedeutung sind (BGHZ 67, 134 = NJW 1976, 1888 = LM § 459 BGB Nr. 41; Senat, NJW 1998, 534 = LM H. 4/1998 § 434 BGB Nr. 14 = ZIP 1997, 2158 [2159] m. w. Nachw.). Diese Beziehungen können sowohl tatsächlicher, als auch wirtschaftlicher oder rechtlicher Art sein, sich also beispielsweise aus einem Vertrag ergeben. Es kommen aber nur solche Rechtsbeziehungen in Frage, die auf der besonderen Beschaffenheit des Kaufgegenstands beruhen und in dieser selbst ihre Ursache haben (BGHZ 67, 134 [136] = NJW 1976, 1888 = LM § 459 BGB Nr. 41 m. w. Nachw.; Senat, NJW 1998, 534 = LM H. 4/1998 § 434 BGB Nr. 14). Darum geht es hier aber nicht, sondern darum, dass der Verkäufer seine Pflicht zur Übertragung von unbelastetem Eigentum nicht erfüllt und rechtliche Hindernisse bei der Ausübung der Eigentümerbefugnisse nicht beseitigt hat (vgl. H.P. Westermann, in: MünchKomm, § 434 Rdnr. 4; Ernst, Rechtsmängelhaftung, 1995, S. 126 ff.). In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass sich das Hindernis tatsächlich auswirkt, der Dritte von seinem Recht also Gebrauch gemacht hat. Es genügt, dass das Recht des Dritten dazu geeignet ist, den Käufer in der ungestörten Ausübung der ihm gebührenden Rechtsposition zu beeinträchtigen (Senat, NJW-RR 1993, 396 = LM H. 7/1993 § 434 BGB Nr. 12), weil der Käufer allein aufgrund der bestehenden Belastung nicht das erhalten hat, was er aufgrund des Kaufvertrags beanspruchen kann (Ernst, S. 127). Das schließt nicht aus, dass die tatsächliche Inanspruchnahme des Rechts - wie hier - auch einen Fehler der Kaufsache begründen mag. Da seine Ursache aber in dem Rechtsmangel liegt, müssen sich die Rechtsfolgen auch allein nach den für diesen maßgeblichen Bestimmungen richten. So liegt der Fall hier. Die Kl. ist an der ungestörten Ausübung ihres Eigentums selbst dann gehindert, wenn die Fernwärmeleitung aus ihrem Grundstück entfernt und außerhalb verlegt würde, weil der aus der Dienstbarkeit Berechtigte jederzeit von seinem Recht wieder Gebrauch machen und die Einrichtung einer neuen Leitung verlangen könnte. Das Risiko, ob sich die nach dem Inhalt des belastenden Rechts mögliche Störung des Grundeigentums verwirklicht, hat der Verkäufer zu tragen (Senat, NJW-RR 1993, 396 1397] = LM H. 7/ 1993 § 434 BGB Nr. 12). Unerheblich ist deshalb auch, ob - wie hier - die tatsächliche Beeinträchtigung vor dem Entstehen der Dienstbarkeit gem. § 9 I GBBerG eingetreten ist.
2. Mit dem BerGer. ist ferner davon auszugehen, dass sich Ansprüche der Kl. aus der Rechtsmängelhaftung hier nach §§ 440, 326 BGB und nicht nach § 325 BGB bestimmen. Das BerGer. hat die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen von Unmöglichkeit nicht verkannt. Wer einen Anspruch aus § 325 BGB geltend machen will, muss die Voraussetzungen der Unmöglichkeit dar legen und beweisen (Senat, NJW 1999, 2034 [2035] = LM H. 10/1999 § 275 BGB Nr. 27; Emmerich, in: MünchKomm, § 325 Rdnr. 152; Baumgärtell Strieder, Hdb. der Beweislast im PrivatR, 2. Aufl., § 325 Rdnr. 1). Wenn das durch die Dienstbarkeit berechtigte Versorgungsunternehmen sich zu einer Verlegung des Leitungsbogens bereit erklärt hat, ist durchaus die Erwartung berechtigt, es werde auf die dann nicht mehr benötigte Dienstbarkeit verzichten.
3. Die Feststellung des BerGer., es fehle an einer wirksamen Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung seitens der Kl., nimmt die Revision hin. Zu Unrecht meint sie aber, eine solche sei entbehrlich gewesen, weil eine vollständige Erfüllung durch den Bekl. nicht innerhalb zumutbarer Frist habe bewirkt werden können.
a) Eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung ist ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn sie sich im Einzelfall als eine zwecklose und überflüssige Handlung darstellen würde. So liegt es, wenn der Verkäufer zur Behebung des Rechtsmangels offensichtlich außer Stande ist (Senat, NJW 1991, 2700 [2701] = LM H. 5/1992 § 434 BGB Nr. 10; NJW 1998, 534 = LM H. 4/1998 § 434 BGB Nr. 14 = ZIP 1997, 2158 [2159]). Die von der Kl. behauptete Bauverzögerung schließt aber eine Beseitigung des Rechtsmangels durch den Bekl. gerade nicht aus.
b) Die Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung ist ferner entbehrlich, wenn der Käufer an der Beseitigung des Rechtsmangels kein Interesse hat (§ 326 II BGB). Dies ist nur dann der Fall, wenn der Käufer die Zwecke, für welche die Leistung bestimmt war, als Folge der Verzögerung überhaupt nicht mehr verwirklichen kann (Emmerich, in: MünchKomm, § 326 Rdnr. 107). Die behauptete Bauverzögerung lässt aber das offensichtlich fortbestehende Interesse der Kl. am Austausch der beiderseitigen Leistungen, das in der Durchführung des Bauvorhabens zum Ausdruck kommt, nicht entfallen.
4. Mit Erfolg macht die Revision dagegen geltend, dass das BerGer. nicht geprüft hat, ob der Kl. nicht ein Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss zusteht. Die Vorschriften über die Rechtsmängelhaftung schließen einen Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss nicht aus (BGHZ 65, 246 [253] = NJW 1976, 236 = LM § 459 BGB Nr. 38; Senat, NJW 1985, 2697 [2698] = LM § 467 BGB Nr. 10; BGH, NJW-RR 1992, 91 [92]; Soergel/Huber, § 440 Rdnr. 58). Die auf dem verkauften Grundstück lastende Dienstbarkeit war ein offenbarungspflichtiger Umstand. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats trifft Vertragspartner, auch soweit sie entgegengesetzte Interessen verfolgen, die Pflicht, einander über solche Hindernisse aufzuklären, die den Vertragszweck vereiteln können und daher für den anderen Teil von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte (Senat, NJW 1979, 2243 = LM § 256 ZPO Nr. 113; BGH, NJW-RR 1990, 78 [79]). So liegt der Fall hier. Nach den Feststellungen des BerGer. ist davon auszugehen, dass die Kl. eine geschlossene Bebauung der Straßenfront beabsichtigt hatte und dies dem Bekl. bekannt war. Durch den U-Bogen war sie daran gehindert, dort auszuschachten und einen Keller zu errichten. Dem kommt eine wesentliche Bedeutung für den Kaufentschluss der Kl. zu. Die Haftung für Verschulden bei Vertragsschluss ist nicht, anders als bei den von dem BerGer. geprüften Schadensersatzanspruch aus einem Betrug des Bekl. (§ 823 II BGB i.V. mit § 263 StGB), auf Vorsatz beschränkt. Sie besteht vielmehr bei jedem Verschulden, also auch bei Fahrlässigkeit (Senat, NJW-RR 1992, 91 [92]). Für das Revisionsverfahren ist davon auszugehen, dass der Bekl. im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von dem U-Bogen hatte, denn das BerGer. hat die Frage des Umfangs der Kenntnis des Bekl. offen gelassen.
III. Das Berufungsurteil kann demnach nicht bestehen bleiben; es ist aufzuheben. Das BerGer. wird bei seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung zur Frage des Verschuldens des Bekl. weitere Feststellungen zu treffen haben. Gegebenenfalls wird das BerGer. zu berücksichtigen haben, dass die am Vertrag festhaltende Kl. nur so gestellt werden kann, als wäre es ihr gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Kaufpreis abzuschließen (BGHZ 69, 53 [58] = NJW 1977, 1536 LM § 276 [Fc] BGB Nr. 5; Senat, NJW 1981, 1035 [1036] = LM § 249 [E] BGB Nr. 6). 

 


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