IZPR: Internationale Zuständigkeit nach Art. 15 I
lit. c EuGVO (Verbrauchergerichtsstand) - kein Erfordernis eines
Fernabsatzvertrags
EuGH, Urteil v. 6.9.2012 - Rs.
C-190/11 (Mühlleitner)
Fundstelle:
NJW 2012, 3225
Tenor:
Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom
22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist
dahin auszulegen, dass er nicht verlangt, dass der Vertrag zwischen
Verbraucher und Unternehmer im Fernabsatz geschlossen wurde.
Zentrale Probleme:
Es geht um die internationale
Zuständigkeit nach Art. 15 I lit. c der
EuGVO (Brüssel I-VO): Eine österreichische Verbraucherin kauft bei einem
in Deutschland ansässigen Kfz_Händler einen Pkw und klagt in Österreich auf
Gewährleistung.
Nicht zu prüfen hatte der EuGH, ob bei einem Vertragsschluss infolge der
Kontaktaufnahme durch eine sog. "passive" Webseite ein "Ausrichten" der
Tätigkeit des Unternehmers auf den Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes des
Verbrauchers zu bejahen ist (s. dazu EuGH vom
7. Dezember 2010, Pammer und Hotel Alpenhof, C‑585/08 und C‑144/09), da
das vorlegende Gericht (der österreichische OGH) das bejaht hatte (ein -
schwacher - Hinweis für das "Ausrichten" der Web-Seite des Autohauses kann
hier etwa in der Angabe einer internationalen Vorwahl liegen). Es geht
vielmehr zusätzlich um die Frage, ob die Anwendung von Art. 15 I lit. c
EuGVO einen Vertragsschluss im Fernabsatz voraussetzt (es ist wohl davon
auszugehen, dass sich hier die Käuferin nach Kontaktaufnahme via Internet/mail/Telefon
zum Vertragsschluss - und nicht lediglich zur Abholung - nach Deutschland
begeben hatte). Die Argumentation des EuGH ist vollkommen klar und richtig,
die Vorlagefrage beruhte wohl im Wesentlichen auf einem Missverständnis
einer Aussage des Gerichtshofs im Urteil Pammer und
Hotel Alpenhof. S, dazu auch
BGH v. 24.4.2013 -
XII ZR 10/10. Zur Beweislast s. BGH v. 15.1.2015
- I ZR 88/14.
©sl 2012
Urteil:
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die
Auslegung von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des
Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen
(ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden:
Brüssel‑I‑Verordnung).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen
Daniela Mühlleitner auf der einen und Ahmad und Wadat Yusufi auf der anderen
Seite über die Wandlung eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug wegen
versteckter Mängel, die Rückzahlung des Kaufpreises und Schadensersatz.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 des Übereinkommens von Brüssel vom
27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung
gerichtlicher Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 1972, L 299,
S. 32) in der Fassung der Übereinkommen über den Beitritt der neuen
Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brüsseler
Übereinkommen) bestimmt:
„Für Klagen aus einem Vertrag, den eine Person zu einem Zweck abgeschlossen
hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person
(Verbraucher) zugerechnet werden kann, bestimmt sich die Zuständigkeit,
unbeschadet des Artikels 4 und des Artikels 5 Nummer 5, nach diesem
Abschnitt,
…
3. für andere Verträge, wenn sie die Erbringung einer Dienstleistung
oder die Lieferung beweglicher Sachen zum Gegenstand haben, sofern
a) dem Vertragsabschluss in dem Staat des Wohnsitzes des Verbrauchers
ein ausdrückliches Angebot oder eine Werbung vorausgegangen ist und
b) der Verbraucher in diesem Staat die zum Abschluss des Vertrages
erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen hat.“
4 Nach dem 13. Erwägungsgrund der Brüssel‑I‑Verordnung sollte bei
Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen die schwächere Partei durch
Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als
die allgemeine Regelung.
5 Art. 2 der Brüssel‑I‑Verordnung stellt den Grundsatz auf, dass
Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben,
ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses
Mitgliedstaats zu verklagen sind.
6 Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung bestimmt:
„Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der
Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder
gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand
des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels
4 und des Artikels 5 Nummer 5 nach diesem Abschnitt,
…
c) … wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen
Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder
gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf
diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses
Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit
fällt."
7 Art. 16 Abs. 1 und 2 der Brüssel‑I‑Verordnung sieht vor:
„(1) Die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner
kann entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen
Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder vor dem
Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.
(2) Die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher kann
nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen
Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.“
8 Im siebten Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf
vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177,
S. 6, im Folgenden:
Rom‑I‑Verordnung) heißt es, dass der materielle
Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung mit denen der
Brüssel‑I‑Verordnung in Einklang stehen sollten.
9 Im 24. Erwägungsgrund der Rom‑I‑Verordnung heißt es:
„Insbesondere bei Verbraucherverträgen … [ist, um] die Übereinstimmung mit
der [Brüssel‑I‑Verordnung] zu wahren, … zum einen als Voraussetzung für die
Anwendung der Verbraucherschutznorm auf das Kriterium der ausgerichteten
Tätigkeit zu verweisen und zum anderen auf die Notwendigkeit, dass dieses
Kriterium in der [Brüssel‑I‑Verordnung] und der vorliegenden Verordnung
einheitlich ausgelegt wird, wobei zu beachten ist, dass eine gemeinsame
Erklärung des Rates und der Kommission zu Artikel 15 der [Brüssel‑I‑Verordnung]
ausführt, ‚dass es für die Anwendung von Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe c
nicht ausreicht, dass ein Unternehmen seine Tätigkeiten auf den
Mitgliedstaat, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, oder auf mehrere
Staaten – einschließlich des betreffenden Mitgliedstaats –, ausrichtet,
sondern dass im Rahmen dieser Tätigkeiten auch ein Vertrag geschlossen
worden sein muss‘. Des Weiteren heißt es in dieser Erklärung, ,dass die
Zugänglichkeit einer Website allein nicht ausreicht, um die Anwendbarkeit
von Artikel 15 zu begründen; vielmehr ist erforderlich, dass diese Website
auch den Vertragsabschluss im Fernabsatz anbietet und dass tatsächlich ein
Vertragsabschluss im Fernabsatz erfolgt ist, mit welchem Mittel auch immer.
Dabei sind auf einer Website die benutzte Sprache oder die Währung nicht von
Bedeutung‘.“
10 Art. 6 Abs. 1 der Rom‑I‑Verordnung sieht vor:
„Unbeschadet der Artikel 5 und 7 unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche
Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen
Tätigkeit zugerechnet werden kann (‚Verbraucher‘), mit einer anderen Person
geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen
Tätigkeit handelt (‚Unternehmer‘), dem Recht des Staates, in dem der
Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer
a) seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in
dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder
b) eine solche Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Staat oder auf
mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet,
und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
11 Aus der Vorlageentscheidung und den Akten ergibt sich, dass
Frau Mühlleitner, die in Österreich wohnt, im Internet nach einem
Pkw einer deutschen Marke suchte, den sie für ihren privaten Bedarf erwerben
wollte. Auf der deutschen Suchplattform „www.mobil[e].de“ gab sie
Marke und Modell des gewünschten Fahrzeugs ein und erhielt eine Liste von
Fahrzeugen, die die angegebenen Eigenschaften aufwiesen.
12 Nachdem sie das Fahrzeug ausgewählt hatte, das ihren
Suchkriterien am besten entsprach, wurde sie zu einem Angebot der Beklagten,
A. und W. Yusufi, weitergeleitet, die über die Autohaus Yusufi GbR (im
Folgenden: Autohaus Yusufi) mit Sitz in Hamburg (Deutschland) einen
Kfz-Einzelhandel betreiben.
13 Frau Mühlleitner wollte sich nach dem auf der Suchplattform
angebotenen Fahrzeug erkundigen und kontaktierte die Beklagten
mittels der auf der Website des Autohauses Yusufi angegebenen Telefonnummer,
die eine internationale Vorwahl enthielt. Da das fragliche
Fahrzeug nicht mehr verfügbar war, wurde ihr ein anderes Fahrzeug angeboten,
zu dem später per E-Mail nähere Angaben geschickt wurden. Es wurde ihr auch
mitgeteilt, dass ihre österreichische Staatsangehörigkeit dem Erwerb eines
Fahrzeugs bei den Beklagten nicht im Wege stehe.
14 In der Folge begab sich Frau Mühlleitner nach Deutschland und erwarb
von A. und W. Yusufi mit am 21. September 2009 in Hamburg unterzeichnetem
Kaufvertrag zum Preis von 11 500 Euro das fragliche Fahrzeug, das sie
unmittelbar übernahm.
15 Zurück in Österreich entdeckte Frau Mühlleitner, dass das erworbene
Fahrzeug wesentliche Mängel aufwies, und verlangte daher von den Beklagten,
den Wagen zu reparieren.
16 Da die Beklagten dies verweigerten, klagte Frau Mühlleitner vor dem
Gericht ihres Wohnorts, dem Landesgericht Wels (Österreich), auf Wandlung
des Kaufvertrags über das Fahrzeug, den sie als Verbraucherin mit einem
Unternehmen geschlossen habe, das seine berufliche oder gewerbliche
Tätigkeit auf Österreich ausgerichtet habe – ein von Art. 15 Abs. 1
Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung erfasster Fall.
17 Die Beklagten bestritten die Eigenschaft von Frau Mühlleitner als
„Verbraucherin" und rügten die internationale Zuständigkeit der
österreichischen Gerichte, da der Rechtsstreit ihrer Ansicht nach bei den
zuständigen deutschen Gerichten anhängig gemacht werden müsste.
Außerdem hätten sie ihre Tätigkeit nicht auf Österreich ausgerichtet, und
die Klägerin habe den Vertrag am Sitz ihres Unternehmens in Deutschland
geschlossen.
18 Am 10. Mai 2010 erklärte sich das erstinstanzliche Gericht, das
Landesgericht Wels, für unzuständig und wies die Klage zurück. Es stellte
zwar die Verbrauchereigenschaft von Frau Mühlleitner nicht in Frage,
ging aber davon aus, dass die Möglichkeit, in Österreich die Website des
Autohauses Yusufi aufzurufen, nicht ausreiche, um die Zuständigkeit der
österreichischen Gerichte zu begründen; außerdem sei es der Telefonanruf der
Klägerin gewesen, der zum Vertragsabschluss geführt habe, und aus der
daraufhin versandten E-Mail ergebe sich nicht, dass die Beklagten ihre
Tätigkeit auf Österreich ausgerichtet hätten. Frau Mühlleitner
legte gegen diese Entscheidung Rekurs beim Oberlandesgericht Linz ein.
19 Am 17. Juni 2010 bestätigte das Oberlandesgericht die
erstinstanzliche Entscheidung. Es stellte die Verbrauchereigenschaft von
Frau Mühlleitner ebenfalls nicht in Frage, wies aber auf die gemeinsame
Erklärung des Rates und der Kommission zu Art. 15 und Art. 73 der
Brüssel‑I‑Verordnung aus Anlass des Erlasses der Verordnung (im Folgenden:
gemeinsame Erklärung) hin, wonach eine bloß „passive" Website noch
kein Ausrichten der Tätigkeit auf den Verbraucherstaat sei, und stellte
fest, dass die Website des Autohauses Yusufi eine solche "passive" Website
sei. Außerdem müsse der Vertrag nach dieser gemeinsamen Erklärung
im Fernabsatz geschlossen werden, was hier nicht der Fall sei. Das
Oberlandesgericht ließ allerdings einen Revisionsrekurs zu, da die
rechtliche Tragweite der gemeinsamen Erklärung umstritten sei.
20 Frau Mühlleitner legte gegen dieses Urteil Revisionsrekurs beim
Obersten Gerichtshof ein.
21 Wie sich aus den Akten ergibt, geht der Oberste Gerichtshof davon
aus, dass die Beklagten ihre Tätigkeit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Buchst. c
der Brüssel‑I‑Verordnung auf Österreich ausgerichtet haben, da die Website
des Autohauses Yusufi dort habe aufgerufen werden können und zwischen den
Vertragsparteien Fernkontakte per Telefon und E‑Mail bestanden hätten.
22 Mit Beschluss vom 9. November 2010 setzte der Oberste Gerichtshof
das Verfahren jedoch bis zum Erlass des Urteils des Gerichtshofs in den
Rechtssachen Pammer und
Hotel Alpenhof (Urteil vom 7. Dezember 2010, Pammer und Hotel Alpenhof,
C‑585/08 und C‑144/09, Slg. 2010, I‑12527) aus, das
Aufschluss über die Wendung "auf den Staat des Wohnsitzes des Verbrauchers
ausgerichtete Tätigkeit" geben sollte.
23 Dieses Urteil hat den Obersten Gerichtshof in seiner
Überzeugung bestärkt, dass A. und W. Yusufi ihre gewerbliche oder berufliche
Tätigkeit auf Österreich ausgerichtet haben. Auch die Verbrauchereigenschaft
von Frau Mühlleitner ist seiner Ansicht nach nicht zweifelhaft.
24 Allerdings stelle sich die Frage, ob sich aus den Randnrn.
86 und 87 des Urteils Pammer und Hotel Alpenhof nicht ergebe, dass Art. 15
Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung nur auf Vertragsabschlüsse im
Fernabsatz anzuwenden sei.
25 Der Oberste Gerichtshof hat daher beschlossen, das Verfahren
auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung
vorzulegen:
Setzt die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der
Brüssel‑I‑Verordnung voraus, dass der Vertrag zwischen Verbraucher und
Unternehmer im Fernabsatz geschlossen wurde?
Zur Vorlagefrage
26 Zunächst ist zu beachten, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der
Brüssel‑I‑Verordnung eine Abweichung sowohl von der allgemeinen
Zuständigkeitsregel des Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung, nach der die
Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet der
Beklagte seinen Wohnsitz hat, als auch von der besonderen
Zuständigkeitsregel des Art. 5 Nr. 1 der Verordnung für Verträge oder
Ansprüche aus Verträgen enthält, nach der das Gericht des Ortes zuständig
ist, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre
(Urteil Pammer und Hotel Alpenhof, Randnr. 53).
27 Daraus folgt, dass diese Abweichung zwangsläufig eng
ausgelegt werden muss, da eine Abweichung oder Ausnahme von einer
allgemeinen Regel eng auszulegen ist.
28 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die in der Brüssel‑I‑Verordnung
– insbesondere in Art. 15 Abs. 1 Buchst. c – verwendeten Begriffe
autonom auszulegen sind, wobei in erster Linie die Systematik und
die Ziele der Verordnung zu berücksichtigen sind, um deren einheitliche
Anwendung in allen Mitgliedstaaten zu sichern (vgl. in diesem Sinne Urteile
vom 20. Januar 2005, Engler,
C‑27/02, Slg. 2005, I‑481, Randnr. 33, sowie
Pammer und Hotel Alpenhof,
Randnr. 55).
29 Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass
Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung in dem mit dieser
Verordnung errichteten System, wie sich aus ihrem 13. Erwägungsgrund ergibt,
denselben Platz einnimmt und dieselbe Funktion, den Verbraucher als
schwächere Partei zu schützen, hat wie Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 des Brüsseler
Übereinkommens (vgl.
Urteil vom 14. Mai 2009, Ilsinger,
C‑180/06, Slg. 2009, I‑3961, Randnr. 41).
30 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass nicht zu prüfen
ist, ob die gewerbliche Tätigkeit von A. und W. Yusufi auf Österreich
ausgerichtet war, da das vorlegende Gericht diese Voraussetzung bereits als
erfüllt angesehen hat.
31 Die vorgelegte Frage ist im Licht dieser Erwägungen zu beantworten.
32 Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob
Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung dahin auszulegen ist, dass
er verlangt, dass der Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer im
Fernabsatz geschlossen wurde. In diesem Zusammenhang wirft das vorlegende
Gericht die Frage auf, ob sich aus den Randnrn. 86 und 87 des Urteils Pammer
und Hotel Alpenhof ergibt, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der
Brüssel‑I‑Verordnung nur auf im Fernabsatz geschlossene Verbraucherverträge
anzuwenden ist.
33 Auch wenn Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung
dem Verbraucherschutz dient, impliziert dies nicht, dass dieser Schutz
absolut ist (vgl.
Urteil Pammer und Hotel Alpenhof, Randnr. 70). Außerdem
wird das Erfordernis eines Abschlusses der Verbraucherverträge im Fernabsatz
in der gemeinsamen Erklärung und im 24. Erwägungsgrund der Rom‑I‑Verordnung,
in dem diese gemeinsame Erklärung aufgegriffen wird, erwähnt.
34 Alle Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, und die
Kommission tragen jedoch auf eine grammatikalische Auslegung, die
Entstehungsgeschichte und eine teleologische Auslegung gestützte Argumente
vor, die dafür sprechen, die Vorlagefrage zu verneinen.
35 Erstens ist festzustellen, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der
Brüssel‑I‑Verordnung seine Anwendung nicht ausdrücklich davon abhängig
macht, dass die von ihm erfassten Verträge im Fernabsatz geschlossen wurden.
36 Nach ihrem Wortlaut findet diese Bestimmung nämlich Anwendung, wenn
zwei spezifische Voraussetzungen erfüllt sind. So ist
erstens erforderlich, dass der Gewerbetreibende seine berufliche
oder gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausübt
oder sie auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere
Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet, und zweitens,
dass der streitige Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.
37 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in der
Begründung zu ihrem am 14. Juli 1999 in Brüssel vorgelegten Vorschlag für
eine Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(KOM[1999] 348 endg.) ausgeführt hat, dass "[d]ie Streichung der Bedingung
im alten Artikel 13 [des Brüsseler Übereinkommens], dass der Verbraucher in
seinem Staat die zum Abschluss des Vertrags erforderlichen Rechtshandlungen
genommen haben musste, … mit sich [bringt], dass Artikel 15 Nummer 3 [jetzt
Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung] auf Verträge, die in
einem anderen Mitgliedstaat geschlossen wurden als jenem, in dem der
Verbraucher seinen Wohnsitz hat, anwendbar ist".
38 Auch der Gerichtshof hat festgestellt, dass der Wortlaut des Art. 15
Abs. 1 der Brüssel‑I‑Verordnung nicht in jeder Hinsicht mit dem des Art. 13
Abs. 1 des Brüsseler Übereinkommens identisch ist. Er hat insbesondere
ausgeführt, dass die Anwendungsvoraussetzungen, die Verbraucherverträge
erfüllen müssen, nunmehr in allgemeinerer Form als zuvor aufgeführt sind,
damit angesichts der neuen Kommunikationsmittel und der Entwicklung des
elektronischen Geschäftsverkehrs ein besserer Schutz des Verbrauchers
gewährleistet ist (vgl.
Urteil Pammer und Hotel Alpenhof, Randnr. 59).
39 Der Unionsgesetzgeber hat hierbei die Voraussetzungen, dass auf der
einen Seite der Gewerbetreibende im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ein
ausdrückliches Angebot gemacht oder Werbung betrieben haben musste und auf
der anderen Seite der Verbraucher die zum Vertragsschluss erforderlichen
Rechtshandlungen in diesem Staat vorgenommen haben musste, durch
Voraussetzungen ersetzt, die sich allein auf den Gewerbetreibenden beziehen
(Urteil Pammer und Hotel
Alpenhof, Randnr. 60).
40 In diesem Zusammenhang ist auf den Bericht des Ausschusses für Recht
und Binnenmarkt des Europäischen Parlaments vom 18. September 2000 über den
Vorschlag für die künftige Brüssel‑I‑Verordnung (Dokument endgültig
A5-0253/2000, Änderungsantrag 23 und Begründung) hinzuweisen, in dem die
Diskussion über die Zweckmäßigkeit einer Aufnahme der Voraussetzung, dass
die Verbraucherverträge im Fernabsatz geschlossen wurden, und die Argumente,
die schließlich dazu geführt haben, dass ein entsprechender Änderungsantrag
nicht angenommen wurde, erwähnt werden.
41 Die weniger restriktive neue Formulierung des alten Art. 13 des
Brüsseler Übereinkommens spiegelt sich auch, wie der Generalanwalt in Nr. 17
seiner Schlussanträge ausführt, in Parallelübereinkommen zum Brüsseler
Übereinkommen und zur Brüssel‑I‑Verordnung wider, insbesondere in Art. 15
Abs. 1 Buchst. c des Übereinkommens, das dem Beschluss 2007/712/EG des Rates
vom 15. Oktober 2007 über die Unterzeichnung – im Namen der Gemeinschaft –
des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl.
L 339, S. 1) beigefügt ist.
42 Zweitens ist zur teleologischen Auslegung von Art. 15 Abs. 1
Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung festzustellen, dass das zusätzliche
Erfordernis eines Vertragsschlusses im Fernabsatz dem mit dieser Bestimmung
in ihrer weniger restriktiven neuen Formulierung verfolgten Ziel – Schutz
der Verbraucher als der schwächeren Vertragspartei – zuwiderliefe.
43 Drittens hat der Gerichtshof in den Randnrn. 86 und 87 des
Urteils Pammer und Hotel Alpenhof
zum Vorbringen der Hotel Alpenhof GesmbH, Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der
Brüssel‑I‑Verordnung sei nicht anwendbar, weil der Vertrag mit dem
Verbraucher an Ort und Stelle und nicht im Fernabsatz geschlossen werde,
festgestellt, dass dieses Vorbringen im konkreten Fall ins Leere ging, da
die Buchung des Hotelzimmers und ihre Bestätigung tatsächlich im Fernabsatz
erfolgt waren.
44 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 36 bis 38 seiner Schlussanträge in
der vorliegenden Rechtssache ausgeführt hat, geht der Gerichtshof in den
Randnrn. 86 und 87 des Urteils nur auf das Vorbringen der Hotel Alpenhof
GesmbH ein, ohne dass diesen Ausführungen eine über die spezifischen
Umstände dieser Rechtssache hinausreichende Bedeutung beizumessen wäre. Es
bleibt dabei, dass die entscheidende Voraussetzung für die Anwendung von
Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung die der beruflichen oder
gewerblichen Tätigkeit ist, die auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers
ausgerichtet ist. Insoweit sind sowohl die Aufnahme von Fernkontakt, wie sie
im Ausgangsverfahren erfolgt ist, als auch die Buchung eines Gegenstandes
oder einer Dienstleistung im Fernabsatz und erst recht der Abschluss eines
Verbrauchervertrags im Fernabsatz Indizien dafür, dass der Vertrag an eine
solche Tätigkeit anschließt.
45 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 15
Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung dahin auszulegen ist, dass er
nicht verlangt, dass der Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer im
Fernabsatz geschlossen wurde.
Kosten
46 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren
ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die
Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem
Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom
22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin
auszulegen, dass er nicht verlangt, dass der Vertrag zwischen Verbraucher
und Unternehmer im Fernabsatz geschlossen wurde.
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