Berechtigung zur Rücknahme eines Verkaufsangebots
bei online-Versteigerungen (ebay) bei Anfechtbarkeit des Vertragsangebots
nach § 119 Abs. 2 BGB
BGH, Urteil vom 8. Januar 2014 - VIII
ZR 63/13 - LG Braunschweig
Fundstelle:
NJW 2014, 1292
Amtl. Leitsatz:
Der Erklärungsinhalt eines im
Rahmen einer Internetauktion abgegebenen Verkaufsangebots ist unter
Berücksichtigung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Unternehmens zu
bestimmen, das auf seiner internetplattform das Forum für die Auktion
bietet. Kommt nach diesen Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Falle der
Rücknahme des Angebots ein Kaufvertrag mit dem zu dieser Zeit
Höchstbietenden nicht zustande, sofern der Anbietende gesetzlich dazu
berechtigt war, sein Angebot zurückzuziehen, ist dies aus der Sicht der an
der Internetauktion teilnehmenden Bieter dahin zu verstehen, dass das
Angebot des Verkäufers unter dem Vorbehalt einer berechtigten
Angebotsrücknahme steht (Bestätigung von BGH,
Urteil vom 8. Juni 2011 - VIII ZR 305/10, NJW 2011, 2643).
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung ergeht im Anschluss an
BGH NJW 2011, 2643
und betrifft erneut einen ebay-Fall. Wie in
BGH NJW 2011, 2643 geht es um die
Berechtigung der "Rücknahme" eines Versteigerungsangebots durch den
Verkäufer (zum Vertragsschluss bei ebay-"Auktionen" s. auch die Anm. zu
BGHZ 149, 129 sowie zu
BGH NJW 2005, 53).
Revisionsrechtlich kann muss von folgendem Sachverhalt ausgegangen werden:
Der Beklagte bietet bei ebay einen Motor an, der Kläger ist der
Höchstbietende, noch während der Auktionsdauer zieht der Beklagte sein
Angebot zurück, weil der Motor zwischenzeitlich keine Straßenzulassung mehr
hat. Der Senat begründet das Rücknahmerecht bzw. die Unverbindlichkeit des
Angebots damit, dass nach den AGB von ebay, die im Verhältnis der Parteien
des Empfängerhorizont für die Auslegung darstellen, eine Rücknahme dann
möglich ist, wenn eine "gesetzliche Berechtigung" dazu bestehe. Das sei hier
der Fall, weil der Beklagte ein Anfechtungsrecht nach § 119 II BGB (Irrtum
über eine verkehrswesentliche Eigenschaft) gehabt habe. Diese Lösung ist
insofern bedenklich, als anerkannt ist, dass der Verkäufer nicht nach § 119
II BGB anfechten kann, wenn der Irrtum einen Umstand betrifft, der zugleich
einen Sachmangel begründet (s. dazu
BGHZ 63,
369 und
BGH NJW
1988, 2597). Bei einem bindenden Angebot kann wohl nichts anderes
gelten. S. dazu auch
BGH v. 10.12.2014 - VIII ZR 90/14 sowie
BGH v. 23.9.2015 - VIII ZR 284/14.
©sl 2014
Tatbestand:
1 Der Beklagte bot Ende Dezember 2011
über die Internetplattform eBay einen Kraftfahrzeugmotor zum Verkauf an.
Am 4. Januar 2012 beendete der Beklagte sein Angebot und strich die
bis dahin vorliegenden Gebote. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger
Höchstbietender mit einem Betrag von 1.509 €.
2 Als Grund für die Beendigung des Angebots gab der Beklagte gegenüber dem
Kläger vorprozessual an, er habe außerhalb der Internetauktion ein besseres
Angebot für den Motor erhalten. Im Rechtsstreit begründete er die
Angebotsrücknahme damit, der Motor habe seine Zulassung im Straßenverkehr
verloren; dies habe er bei der Freischaltung des Angebots bei eBay noch
nicht gewusst.
3 Die Versteigerung des Motors erfolgte auf der Grundlage der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen von eBay. Dort heißt es (auszugsweise):
4 § 10 Ziffer 1 Satz 5:
"Bei Ablauf der Auktion oder bei vorzeitiger Beendigung des Angebots kommt
zwischen Anbieter und Höchstbietendem ein Vertrag über den Erwerb des
Artikels zustande, es sei denn der Anbieter war gesetzlich dazu berechtigt,
das Angebot zurückzunehmen und die vorliegenden Gebote zu streichen."
5 § 10 Ziffer 7:
"Bieter dürfen ein Gebot nur dann zurücknehmen, wenn sie dazu
gesetzlich berechtigt sind. Weitere Informationen."
6 In den "Weiteren Informationen" wird auf folgendes hingewiesen:
"Nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) können Sie sich
von einer verbindlichen Willenserklärung [...] lösen, wenn ein so genannter
Anfechtungsgrund vorliegt. Ein Anfechtungsgrund liegt vor, wenn Sie sich bei
der Abgabe einer Willenserklärung in einem relevanten Irrtum befanden [. ].
Sofern ein Anfechtungsgrund vorliegt, der Sie dazu berechtigt, sich von
Ihrem Angebot zu lösen, können Sie dies durch das vorzeitige Beenden des
Angebots und Streichung bereits vorhandener Gebote technisch umsetzen. Sie
sollten auf jeden Fall den Grund für die vorzeitige Beendigung des Angebots
dem Höchstbietenden gegenüber zusätzlich gesondert in Form einer
Anfechtungserklärung geltend machen. Die Anfechtung muss dabei unverzüglich
gegenüber dem Höchstbietenden erklärt werden. Geben Sie hierbei den Grund
für die vorzeitige Beendigung an."
7 Mit seiner Klage nimmt der Kläger den Beklagten auf Zahlung von 3.500 €
nebst Zinsen in Anspruch. Er behauptet, der vom Beklagten angebotene Motor
habe einen Marktwert von 5.009 €; für diesen Preis hätte er den Motor
verkaufen können. Durch die Angebotsrücknahme sei ihm ein entsprechender
Schaden entstanden.
8 Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat das
erstinstanzliche Urteil auf die Berufung des Klägers abgeändert und die
Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die
Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
9 Die Revision hat Erfolg.
I.
10 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
11 Der Kläger könne vom Beklagten nach § 281 Abs. 1 Satz 1, § 280 Abs. 1
Satz 1, Abs. 3 BGB Schadensersatz verlangen, der die noch festzustellende
Differenz zwischen dem Gebot des Klägers bei Rücknahme des Angebots durch
den Beklagten und dem tatsächlichen Wert des Motors umfasse.
12 Zwischen dem den Motor anbietenden Beklagten und dem zum Zeitpunkt der
Beendigung der Auktion das höchste Gebot abgebenden Kläger sei ein
Kaufvertrag zustande gekommen.
13 Der Anbieter in einer eBay-Auktion sei nur unter bestimmten
Voraussetzungen berechtigt, die Auktion zu beenden und sein Angebot
zurückzuziehen. Ziehe er das Angebot unberechtigt zurück, sei er dennoch
aufgrund des zustande gekommenen Vertrags zur Leistung verpflichtet.
14 Der Beklagte sei vorliegend zwar "wohl berechtigt" gewesen, sein Angebot
zurückzunehmen, weil ihm ein gesetzlicher Grund im Sinne des § 10 Ziffer 1
der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay zugestanden habe. Denn er habe
sich über Eigenschaften des angebotenen Gegenstands geirrt und habe den
Kaufvertrag daher möglicherweise nach § 119 BGB anfechten können.
15 Aber dieses Anfechtungsrecht hätte den mit der Beendigung der Auktion
zustande gekommenen Vertrag nur dann beenden können, wenn der Beklagte von
der Möglichkeit der Anfechtung gegenüber dem Kläger auch rechtswirksam
Gebrauch gemacht hätte. Daran fehle es, denn der Beklagte habe seinen Irrtum
über die Eigenschaften des Motors erst während des Rechtsstreits offenbart
und damit ersichtlich nicht mehr unverzüglich gemäß § 121 Abs. 1 BGB
angefochten.
16 Es bestehe kein Anlass, im Fall der Internetauktion bereits die
Berechtigung zur Angebotsrücknahme wegen eines zur Anfechtung berechtigenden
Irrtums zur Auflösung des Vertrags führen zu lassen oder sogar davon
auszugehen, dass ein solcher nicht erst zustande komme, anstatt seine
Auflösung von einer Anfechtungserklärung abhängig zu machen. Denn das
Vertrauen des Bietenden in den Bestand des mit der Beendigung der Auktion
zustande gekommenen Vertrags sei genauso schützenswert wie in anderen Fällen
anfechtbarer Verträge. § 10 Ziffer 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
von eBay stehe dem nicht entgegen. Dort würden die Folgen der
Angebotsrücknahme nicht abschließend geregelt, sondern auf die gesetzliche
Lage verwiesen.
II.
17 Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Mit der vom
Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch des
Klägers dem Grunde nach nicht bejaht werden. Entgegen der Auffassung
des Berufungsgerichts ist zwischen den Parteien kein Kaufvertrag zustande
gekommen, wenn der Beklagte, was revisionsrechtlich zu unterstellen ist, zur
Anfechtung seines Angebots nach § 119 BGB berechtigt war.
18 Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Erklärungsinhalt eines
im Rahmen einer Internetauktion abgegebenen Verkaufsangebots unter
Berücksichtigung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Unternehmens zu
bestimmen, das auf seiner Internetplattform das Forum für die Auktion bietet
(Senatsurteil vom 8. Juni 2011 - VIII ZR 305/10,
NJW 2011, 2643 Rn. 15 ff.).
19 Nach § 10 Ziffer 1 Satz 5 der im Streitfall geltenden Allgemeinen
Geschäftsbedingungen von eBay kommt ein Kaufvertrag bei Ablauf der Auktion
oder bei vorzeitiger Beendigung des Angebots - insoweit übereinstimmend mit
den §§ 145 ff. BGB - durch Annahme des Verkaufsangebots durch den
Höchstbietenden zustande, es sei denn, der Anbieter war gesetzlich dazu
berechtigt, das Angebot zurückzunehmen und die vorliegenden Gebote zu
streichen. Unter welchen Umständen der Anbietende sein Angebot zurückziehen
kann, wird in § 10 Ziffer 7 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und den
daran anknüpfenden "Weiteren Informationen" näher erläutert.
20 Der Senat hat im Urteil vom 8. Juni 2011 (VIII
ZR 305/10, aaO), bei dem inhaltlich gleichlautende Bestimmungen zu
beurteilen waren, ausgeführt, dass auf der Grundlage dieser Regelungen kein
Kaufvertrag zustande kommt, sofern der Anbietende gesetzlich dazu berechtigt
war, sein Angebot zurückzuziehen. Denn aufgrund der genannten Bestimmungen
ist das Angebot des Verkäufers aus der Sicht der an der Auktion
teilnehmenden Bieter (§§ 133, 157 BGB) dahin zu verstehen, dass es unter dem
Vorbehalt einer berechtigten Angebotsrücknahme steht. Ein solcher Vorbehalt,
der die Bindungswirkung des Verkaufsangebots einschränkt, verstößt nicht
gegen Grundsätze über die Bindungswirkung von Angeboten (§§ 145, 148 BGB),
sondern ist zulässig. Denn gemäß § 145 BGB kann der Antragende die
Bindungswirkung seines Angebots ausschließen; ebenso kann er sie
einschränken, in dem er sich den Widerruf vorbehält (Senatsurteil
vom 8. Juni 2011 - VIII ZR 305/10, aaO Rn. 17).
21 Diese rechtlichen Vorgaben hat das Berufungsgericht im Streitfall nicht
hinreichend beachtet. Denn es ist der Auffassung, dass ein Kaufvertrag
ungeachtet der Angebotsrücknahme selbst dann zustande gekommen sei,
wenn dem Beklagten ein Anfechtungsrecht nach § 119 BGB wegen Irrtums über
eine verkehrswesentliche Eigenschaft des angebotenen Motors (fehlende
Zulassung für den Straßenverkehr) zugestanden habe. Dabei hat das
Berufungsgericht übersehen, dass nach § 10 Ziffer 1 Satz 5 der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen von eBay schon das Angebot des Verkäufers nicht
bindend ist, wenn ein Tatbestand vorliegt, der den Verkäufer bei einem
zustande gekommenen Vertrag zur Lösung vom Vertrag berechtigen würde.
III.
22 Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Eine
abschließende Entscheidung in der Sache ist dem Senat nicht möglich, da den
Feststellungen des Berufungsgerichts nicht mit ausreichender Sicherheit
entnommen werden kann, ob dem Beklagten tatsächlich ein Anfechtungsrecht
zustand, aufgrund dessen er berechtigt war, sein Angebot zurückzuziehen.
Dies wird das Berufungsgericht zu klären haben. Die Sache ist daher zu neuer
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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