Anspruch wegen Besitzstörung (§ 862 BGB) gegen
den Zustandsstörer (Fahrzeughalter bei Parken auf fremden Grund); Begriff
des Zustandsstörers; Unterlassungsanspruch, Bestehen von
Wiederholungsgefahr; Aufwendungsersatz nach §§ 683, 670 BGB
(Geschäftsführung ohne Auftrag): Ersatzfähigkeit von Anwaltskosten
BGH, Urteil vom 21. September 2012 -
V ZR 230/11 - LG Stuttgart
Fundstelle:
NJW 2012, 3781
Amtl. Leitsatz:
Überlässt der Halter sein
Fahrzeug einer anderen Person zur Benutzung im Straßenverkehr, ist er
Zustandsstörer, wenn es unberechtigt auf einem fremden Grundstück abgestellt
wird. Auch nach Beendigung der Störung kann er Schuldner eines
Unterlassungsanspruchs sein.
Zentrale Probleme:
Es geht - einmal mehr - um einen Fall des
unberechtigten Parkens auf fremden Grund und die
daraus resultierenden Aufwendungsersatzansprüche des berechtigten
Grundstücksbesitzers (s. zur Thematik bereits BGHZ
181, 233, BGH NJW 2012, 528 sowie
BGH v. 6.7.2012 - V ZR 268/11. Von
allgemeinem Interesse ist die Entscheidung für die Definition des
Zustandsstörers, der - neben dem Handlungsstörer - ebenfalls Schuldner der
Besitzschutzansprüche des Besitzers (hier: aus § 862 BGB) ist. Praktisch ist
das deshalb von überragender Bedeutung, weil damit das Standardargument von
Fahrzeughaltern, nicht selbst geparkt zu haben, wertlos wird. Der Anspruch
auf Aufwendungsersatz ergibt sich deshalb, weil die Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung im Interesse des Fahrzeughalters ist,
da er sonst auf Unterlassung gerichtlich in Anspruch genommen werden kann.
Da auch die weiteren Voraussetzungen der GoA (fremdes Geschäft,
Fremdgeschäftsführungswillen) vorliegen, stellt sich im Rahmen von §§ 683,
670 BGB die Frage, ob der Grundstücksbesitzer seine Aufwendungen (hier:
Einschaltung eines Anwalts) für "erforderlich" halten durfte. Das durfte er
nach Ansicht des BGH nur dann nicht, wenn er etwa schon einmal in einem
gleichgelagerten Fall einen Anwalt eingeschaltet hatte und damit nach dem
"Muster" des vorherigen Falles den Abmahnungsbrief ohne größeren Aufwand
selbst hätte schreiben können. Aus diesem Grund verweist der Senat die Sache
zurück.
Vorsicht: Die Ausführungen zur GoA hat der BGH im
Urteil vom 18. Dezember 2015 - V ZR 160/14 Rn. 31
ff zurückgenommen! S. dazu jetzt auch BGH v.
11.3.2016 - V ZR
102/15 sowie BGH v. 17.11.2023 - V ZR 192/22
.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Der Beklagte ist Halter eines
Sportwagens. In den Abendstunden des 20. August 2010 war das
Fahrzeug für etwa zwei Stunden auf dem durch ein privates Halteverbotsschild
gekennzeichneten, von dem Kläger gemieteten Geschäftsgrundstück unbefugt
abgestellt. Nach Ermittlung des Fahrzeughalters wandte sich der
Kläger an einen Rechtsanwalt. Auf dessen Aufforderung gab der
Beklagte, der vorträgt, er selbst habe den Sportwagen dort nicht geparkt,
eine Unterlassungserklärung ab, ohne jedoch die geforderte Strafbewehrung zu
akzeptieren. Mit der Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten,
unter Meidung eines Ordnungsgeldes es zu unterlassen, den Sportwagen selbst
oder durch eine dritte Person auf seinem Geschäftsgrundstück abzustellen,
sowie die Erstattung der Kosten der Halterermittlung und der
vorgerichtlichen Anwaltskosten. Das Amtsgericht hat die Klage
abgewiesen. Das Landgericht hat den Beklagten zur Unterlassung sowie zur
Erstattung der Kosten für die Halterermittlung verurteilt und die Berufung
im Übrigen zurückgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision
möchte der Beklagte eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils
erreichen. Der Kläger verfolgt mit der Anschlussrevision den Antrag auf
Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten weiter. Beide Parteien
beantragen jeweils die Zurückweisung des anderen Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
2 Das Berufungsgericht bejaht einen Unterlassungsanspruch des
Klägers gemäß § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Beklagte sei mittelbarer
Handlungsstörer oder Zustandsstörer, da er als Halter des Sportwagens durch
dessen Weitergabe an einen Dritten eine adäquate Ursache dafür gesetzt habe,
dass sein Fahrzeug unberechtigt abgestellt werden könne. Aufgrund
des gesamten Verhaltens des Beklagten liege eine Wiederholungsgefahr vor.
Der Kläger könne gemäß §§ 670, 677, 683 BGB auch Ersatz der Kosten
der Halterfeststellung verlangen. Ein Aufwendungsersatzanspruch für
die vorgerichtlichen Anwaltskosten bestehe dagegen nicht, da die
sofortige Einschaltung eines Rechtsanwalts in der konkreten Situation nicht
erforderlich gewesen sei.
II.
3 Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Dem Kläger steht gegen
den Beklagten ein Unterlassungsanspruch und ein Anspruch auf Erstattung der
Kosten der Halterermittlung zu.
4 1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht einen
Unterlassungsanspruch des Klägers gemäß § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB bejaht.
5 a) Das unbefugte Abstellen des Fahrzeugs auf
dem von dem Kläger gemieteten Grundstück stellt eine verbotene Eigenmacht im
Sinne von § 858 Abs. 1 BGB dar (Senat,
Urteil vom 5. Juni 2009 - V ZR 144/08, BGHZ 181, 233 Rn. 13).
Ob es sich hierbei um eine Besitzstörung oder um eine teilweise
Besitzentziehung handelt, ist für die weitere rechtliche Beurteilung ohne
Belang, da § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB auf den Fall der Besitzentziehung
entsprechende Anwendung findet (Staudinger/Bund, BGB [2008], § 861
Rn. 3; MünchKommBGB/Joost, 5. Aufl., § 861 Rn. 17).
6 b) Der Beklagte war gegenüber dem Kläger als Zustandsstörer
verantwortlich.
7 aa) Zustandsstörer ist derjenige, der die Beeinträchtigung zwar
nicht verursacht hat, durch dessen maßgebenden Willen der beeinträchtigende
Zustand aber aufrechterhalten wird. Voraussetzung hierfür ist, dass der
Inan-spruchgenommene die Quelle der Störung beherrscht, also die Möglichkeit
zu deren Beseitigung hat. Darüber hinaus muss ihm die Beeinträchtigung
zurechenbar sein. Hierzu genügt es nicht, dass er Eigentümer oder Besitzer
der Sache ist, von der die Störung ausgeht. Für die erforderliche Zurechnung
der Beeinträchtigung ist nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs vielmehr erforderlich, dass die Beeinträchtigung
wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers der
störenden Sache zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nicht begrifflich,
sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden.
Entscheidend ist, ob es Sachgründe dafür gibt, dem Eigentümer oder Nutzer
der störenden Sache die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen
(Senat, Urteil vom 1. Dezember 2006 - V ZR 112/06, NJW 2007, 432;
Urteil vom 30. Mai 2003 - V ZR 37/02, BGHZ 155, 99, 105; Urteil vom 11. Juni
1999 - V ZR 377/98, BGHZ 142, 66, 69 f., jeweils mwN).
8 bb) Danach war der Beklagte hinsichtlich der durch das parkende
Fahrzeug hervorgerufenen Beeinträchtigung des Besitzes des Klägers
Zustandsstörer. Er beherrschte die Quelle der Störung, da er - bei
entsprechender Information durch den beeinträchtigten Besitzer - als Halter
des Fahrzeugs in der Lage war, das Fahrzeug wegzufahren. Ihm war die
Beeinträchtigung auch zuzurechnen. Indem er sein Fahrzeug freiwillig einer
anderen Person zur Benutzung im Straßenverkehr überlassen hat, hat er das
Risiko übernommen, dass sich der Nutzer nicht an die allgemeinen
Verhaltensregeln hält und das Fahrzeug unberechtigt auf fremdem Privatgrund
abstellt. Da das Falschparken auf einem Privatgrundstück kein
außergewöhnliches Verhalten eines Verkehrsteilnehmers darstellt, mit dem der
Halter nicht zu rechnen hat, ist es sachgerecht, ihm als Halter die
Verantwortung aufzuerlegen, wenn sich die mit der freiwilligen
Fahrzeugüberlassung geschaffene Gefahr des unberechtigten Parkens
tatsächlich realisiert (vgl. Lorenz, NJW 2009, 1025, 1026;
Schwarz/Ernst, NJW 1997, 2550, 2551; aA Woitkewitsch, MDR 2005, 1023, 1026).
9 c) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die für einen
Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr bejaht. Die von dem
Beklagten abgegebene Unterlassungserklärung hat die Wiederholungsgefahr
nicht entfallen lassen.
10 aa) Die Revision meint, als Zustandsstörer könne der Beklagte zwar auf
Beseitigung einer bestehenden Störung, nicht aber auf künftige Unterlassung
in Anspruch genommen werden, da dem Fahrzeug selbst nicht ein für das
Geschäftsgrundstück des Klägers gefahrenträchtiger Zustand innewohne. Dem
ist nicht zuzustimmen. Es kommt nicht darauf an, ob es sich bei dem
Falschparken um eine dem Fahrzeug "innewohnende Schadensanlage" handelt (so
aber LG München I, DAR 2009, 591 und AG Darmstadt, NJW-RR 2003, 19, 20).
Denn die Verantwortlichkeit des Beklagten als Zustandsstörer ergibt
sich nicht allein aus dessen Stellung als Halter des Fahrzeugs. Die
Zurechnung der durch das Falschparken hervorgerufenen Besitzbeeinträchtigung
beruht vielmehr darauf, dass diese mittelbar auf seinen Willen zurückging,
indem er das Fahrzeug freiwillig einer anderen Person zur Benutzung
überlassen hat. Hieran ist auch bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr
anzuknüpfen.
11 bb) Die tatrichterliche Würdigung, ob Wiederholungsgefahr besteht, ist im
Revisionsverfahren nur auf Rechtsfehler zu überprüfen (Senat, Urteil vom 14.
Oktober 1994 - V ZR 76/93, NJW 1995, 132, 134). Solche liegen nicht vor.
12 Schon das einmalige unbefugte Abstellen des Fahrzeugs auf dem
Betriebsgrundstück des Klägers durch den Beklagten begründet die
tatsächliche Vermutung dafür, dass sich die Beeinträchtigung wiederholt
(Senat, Urteil vom 17. Dezember 2010 - V ZR 46/10, ZUM 2011, 333,
336; Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1036). Durch
die Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung hat der Beklagte die
Wiederholungsgefahr nicht ausgeräumt. Dies kann regelmäßig nur durch
die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung geschehen
(BGH, Urteil vom 25. Juli 2012 - IV ZR
201/10, WM 2012, 1673, 1682; Urteil vom 3. Dezember 2009 - III ZR 73/09, MMR
2010, 173). Rechtsfehlerfrei sieht das Berufungsgericht auch in dem Umstand,
dass der Beklagte nach seinem eigenen Vorbringen eine Ermahnung "an alle
möglichen Nutzer" ausgesprochen hat, das Fahrzeug künftig nicht auf dem
Geschäftsgrundstück des Klägers abzustellen, keinen Umstand, der es
rechtfertigen würde, einen Wegfall der Wiederholungsgefahr anzunehmen.
13 2. Zu Recht hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers
auf Erstattung der Kosten von 5,65 € für die Halterermittlung bejaht. Diese
Aufwendungen waren zur Vorbereitung der an den Beklagten gerichteten
Unterlassungsaufforderung erforderlich und sind daher gemäß §§ 683, 677, 670
BGB (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2012 - I ZR 70/11, GRUR 2012,
759) ersatzfähig.
III.
14 Die Anschlussrevision des Klägers hat Erfolg. Die Begründung des
Berufungsgerichts, mit der es einen Anspruch des Klägers gemäß §§ 683, 677,
670 BGB auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten für die Aufforderung an den
Beklagten zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ablehnt,
hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
15 1. Nach § 670 BGB sind ersatzfähig solche Aufwendungen, die der
Geschäftsführer den Umständen nach für erforderlich halten darf.
Entscheidend ist, was er nach sorgfältiger Prüfung der ihm bekannten
Umstände vernünftigerweise aufzuwenden hatte (RGZ 149, 205, 207;
MünchKomm-BGB/Seiler, 5. Aufl., § 670 Rn. 9; PWW/Fehrenbacher, BGB, 7.
Aufl., § 670 Rn. 5). Dies kann nicht allgemein bestimmt werden, sondern
bemisst sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles, deren Würdigung
der tatrichterlichen Beurteilung obliegt.
16 2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, es handle sich um einen einfach
gelagerten Unterlassungsanspruch, für dessen Durchsetzung anwaltliche Hilfe
nicht benötigt werde, steht im Widerspruch dazu, dass es zur Klärung der -
in der Rechtsprechung kontrovers erörterten - Frage, ob gegenüber dem
Fahrzeughalter ein Unterlassungsanspruch besteht, die Revision zugelassen
hat. Soweit das Berufungsgericht zusätzlich darauf abstellt, dass der Kläger
aus vorangegangenen Verfahren genau gewusst habe, was zu tun sei, vermag
dies die Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs ebenfalls nicht zu
tragen. Zwar ist die Einschaltung eines Rechtsanwaltes dann nicht
erforderlich, wenn der von der Störung Betroffene anlässlich vorangegangener
Parkverstöße Dritter diese in der Vergangenheit anwaltlich zur Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert hat und er daher über die
Vorgehensweise bei der Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs informiert
ist. Zu Recht macht die Anschlussrevision mit der in der mündlichen
Verhandlung erhobenen Verfahrensrüge aber geltend, dass das Berufungsurteil
keine Feststellungen enthält, die die Schlussfolgerung zuließen, der Kläger
habe seine Rechte und die gebotene Vorgehensweise gekannt. Der
bloße Hinweis auf nicht näher konkretisierte "vorangegangene Verfahren"
vermag die erforderlichen konkreten Tatsachenfeststellungen des
Berufungsgerichts nicht zu ersetzen. Insoweit ist das Urteil daher
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit es die Berechtigung des
Anspruchs erneut prüfen kann.
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