Nachbarrechtlicher
Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ("zivilrechtlicher
Aufopferungsanspruch") und zivilrechtlicher Störerbegriff
BGH, Urt. v. 27. Januar
2006 - V ZR 26/05
Fundstelle:
NJW 2006, 992
Amtl. Leitsatz:
a) Der nachbarrechtliche
Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB setzt - wie § 1004
Abs. 1 BGB - voraus, dass der Anspruchsgegner als Störer zu qualifizieren
ist.
b) Als mittelbarer Handlungsstörer kann der Eigentümer für
Störungshandlungen seines Mieters nur verantwortlich gemacht werden, wenn er
dem Mieter den Gebrauch seiner Sache mit der Erlaubnis zu den störenden
Handlungen überlassen hat oder wenn er es unterlässt, den Mieter von dem
nach dem Mietvertrag unerlaubten, fremdes Eigentum beeinträchtigenden
Gebrauch der Mietsache abzuhalten.
Zentrale Probleme:
Die Rechtsprechung erkennt einen
(verschuldensunabhängigen!) nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog §
906 II 2 BGB bei Schäden an, die ein Nachbar durch Emissionen des
Nachbargrundstücks erleidet, die an sich nicht duldungspflichtig sind, die
er aber faktisch nicht abwehren kann (s. dazu etwa
BGH NJW 2004, 603). Erfaßt werden dabei auch
Grobimmissionen wie etwa Feuer, Wasser (s. auch BGH
NJW 2004, 3701: Baumsturz). Das führt etwa bei einem
übergreifenden Brand, der nicht auf Brandstiftung zurückzuführen ist, zu
einem Ausgleichsanspruch der de facto einem Schadensersatzanspruch
gleichkommt (s. dazu BGH NJW 1999, 2896 = BGHZ 142, 66; zur fehlenden
Ausdehnbarkeit dieser Rspr. auf das Verhältnis zwischen Mietern s.
BGH
NJW 2004, 775).
Hier geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Eigentümer
einer Eigentumswohnung als Störer in Anspruch genommen werden kann. Anders
als bei einem Schadensersatzanspruch kommt nämlich eine Zurechnung von
Gehilfenverhalten nach § 278 BGB im Rahmen von § 906 II 2 BGB nicht in
Betracht.
S. auch BGH, Urt. v. 4. Februar 2005 - V ZR 142/04
sowie BGH v. 30.3.2007 - V ZR 179/06;
zur Reichweite eines Anspruchs analog § 906 II 2 s.
BGH v. 1.2.2008 - V ZR 47/07.
©sl 2006
Tatbestand:
Der Beklagten zu 2 a gehört eine vermietete Eigentumswohnung, in der im
Februar 2000 ein Brand ausbrach. Die Rußentwicklung führte dazu, dass die
Fassade des bei der Klägerin gebäudeversicherten Nachbarhauses verunreinigt
wurde. Ob das Feuer durch einen technischen Defekt oder durch unsachgemäßen
Umgang des Mieters mit elektrischen Geräten herbeigeführt wurde, hat das
Berufungsgericht nicht festgestellt. Andere Ursachen - Naturereignisse oder
Einwirkungen von außenstehenden Dritten - sind indes ausgeschlossen. Nach
Ausgleich der für die Fassadensanierung aufgewandten Kosten hat die Klägerin
aus übergegangenem Recht u.a. die Beklagten zu 2, die
„Eigentümergemeinschaft des Hauses A.-straße 36 als Gesellschaft
bürgerlichen Rechts", auf Zahlung des erstatteten Betrags in Anspruch
genommen. Nur insoweit hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben. Auf die
Berufung der Beklagten zu 2 hat das Landgericht lediglich die gegen die
Beklagte zu 2 a in deren Eigenschaft als Sondereigentümerin der Wohnung
gerichtete Klage für begründet erachtet. Entsprechend hat es das
angefochtene Urteil geändert. Dagegen wendet sich die Beklagte zu 2 a (im
Folgenden nur noch Beklagte) mit der von dem Landgericht zugelassenen
Revision, mit der sie eine Abweisung der gegen sie gerichteten Klage
erstrebt. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Klägerin stehe entsprechend
§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen die
Beklagte zu, weil diese als Sondereigentümerin die Nutzung der
ausschließlich in ihrem Eigentum stehenden Wohnung habe bestimmen können.
Die Verunreinigung sei eine nicht mehr entschädigungslos hinzunehmende
Beeinträchtigung. Auszugleichen seien sämtliche für die Sanierung
aufgewandten Beträge.
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat der Klage gegen die Beklagte zu Unrecht
stattgegeben. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch entsprechend § 906
Abs. 2 Satz 2 BGB knüpft daran an, dass ein an sich gegebener
Unterlassungsanspruch aus besonderen (meist faktischen) Gründen nicht
geltend gemacht werden konnte (vgl. Senat, BGHZ 85, 375, 384 ff.; 90,
255, 262 f.; 111, 158, 162 f.; 113, 384, 390 f.; 155, 99, 103 ff. m.w.N.).
Er setzt daher - wie § 1004 Abs. 1 BGB - voraus, dass der Anspruchsgegner
als Störer zu qualifizieren ist.
Da vorliegend als Brandursache sowohl ein technischer Defekt als auch ein
unsachgemäßer Umgang des Mieters der Beklagten mit einer Halogenlampe in
Betracht kommt und nicht festgestellt ist, ob die eine oder die andere
Ursache zu dem Brand geführt hat, kann das Berufungsurteil nur Bestand
haben, wenn die Beklagte in beiden Konstellationen Störerin wäre. Das ist
jedoch nicht der Fall. Für eine fahrlässige Brandstiftung ihres Mieters
hätte die Beklagte nicht einzustehen.
Die Voraussetzungen für die insoweit allein in Betracht kommende
Inanspruchnahme der Beklagten als mittelbare Handlungsstörerin liegen nicht
vor. Der Anspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist Ausdruck des
nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses, das eine Zurechnung des
Verschuldens von Hilfspersonen nach § 278 BGB nicht zulässt (vgl. Senat,
BGHZ 42, 374, 380). Vor dem Hintergrund dieser Wertung kann der
Eigentümer für Störungshandlungen seines Mieters nach § 1004 BGB nur
verantwortlich gemacht werden, wenn er dem Mieter den Gebrauch seiner Sache
mit der Erlaubnis zu den störenden Handlungen überlassen hat oder wenn er es
unterlässt, den Mieter von dem nach dem Mietvertrag unerlaubten, fremdes
Eigentum beeinträchtigenden Gebrauch der Mietsache abzuhalten (vgl.
Senat, BGHZ 144, 200, 204). So liegt es hier jedoch nicht. Dass die Beklagte
die Wohnung ihrem Mieter nicht mit der Erlaubnis zu feuergefährlichem
Verhalten überlassen hat, bedarf keiner näheren Begründung. Veranlassung,
ihren bislang nicht als Brandverursacher hervorgetretenen Mieter auf
besondere Feuergefahren hinzuweisen, hatte sie nicht. Die von der Revision
in der mündlichen Verhandlung ins Spiel gebrachte angebliche besondere
Feuergefährlichkeit von Halogenlampen ist in den Tatsacheninstanzen nicht
vorgetragen worden. Nach Ausbruch des Brandes hatte die Beklagte keine
Möglichkeit mehr, den Brand zu verhindern oder einzudämmen.
2. Nach allem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben (§ 562 Abs.
1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil der
Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist im Sinne von § 563 Abs. 3 ZPO.
Weitere Feststellungen zu der genauen Brandursache scheiden aus. Vor dem
Hintergrund der insoweit unergiebig gebliebenen Ermittlungen in dem
strafrechtlichen Ermittlungsverfahren hat die Klägerin beide
Schadensursachen alternativ ins Feld geführt.
III. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 91 ZPO.
Dass die Klägerin die Kosten der - nach wie vor zulässigen -
Nebenintervention zu tragen hat, folgt aus § 101 Abs. 1 ZPO. Entgegen der
Auffassung der Revision ist der Beitritt der Streithelferin nicht durch
Ausscheiden der von ihr unterstützten Partei (vgl. dazu Zöller/Vollkommer,
ZPO, 25. Auflage, § 66 Rdn. 17 f.) beendet worden. Auch wenn der Beitritt
seinem Wortlaut nach zur Unterstützung der Wohnungseigentümergemeinschaft
erklärt worden ist, gilt es zu beachten, dass die Teilrechtsfähigkeit dieser
Gemeinschaft damals noch nicht anerkannt war (vgl. Senatsbeschl. v. 2. Juni
2005, V ZB 32/05, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, NJW 2005, 2061).
Ziel der Nebenintervention war es, einer eigenen Inanspruchnahme
vorzubeugen. Bei verständiger Würdigung ist die Erklärung daher dahin
auszulegen, dass ein Beitritt zur Unterstützung aller Wohnungseigentümer
erfolgen sollte.
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