(Verschuldensunabhängiger) Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog §
906 II 2 BGB bei "faktischer Duldungspflicht": Reichweite des
Ersatzanspruchs
BGH, Urt. v. 1. Februar
2008 - V ZR 47/07
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Der nachbarrechtliche
Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB umfasst auch
Vermögenseinbußen, die der Eigentümer oder Besitzer des beeinträchtigten
Grundstücks infolge der Beschädigung sich auf dem Grundstück befindlicher
beweglicher Sachen erleidet (Abgrenzung zu BGHZ 92, 143).
Zentrale Probleme:
Die Rechtsprechung erkennt einen
(verschuldensunabhängigen!) nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog §
906 II 2 BGB bei Schäden an, die ein Nachbar durch Emissionen des
Nachbargrundstücks erleidet, die an sich nicht duldungspflichtig sind, die
er aber faktisch nicht abwehren kann (s. dazu etwa
BGH NJW 2004, 603,
BGH v. 15.7.2011 - V ZR 277/10,
BGH NJW 2004, 775:
Keine Anwendung zwischen Mietern desselben Grundstücks). Erfasst werden dabei auch
Grobimmissionen wie etwa Feuer, Wasser (s. auch
BGH
NJW 2004, 3701: Baumsturz; BGH v.
15.7.2011 - V ZR 277/10: Wasser). Das führt etwa bei einem
übergreifenden Brand, der nicht auf Brandstiftung zurückzuführen ist, zu
einem Ausgleichsanspruch der de facto einem Schadensersatzanspruch
gleichkommt (s. dazu BGH NJW 1999, 2896 = BGHZ 142, 66). Hier geht es jetzt
in einem Fall eines Wohnungsbrandes um die Frage, ob sich dieser
Ausgleichsanspruch auch auf bewegliche Sachen auf dem Nachbargrundstück bzw.
der Nachbarwohnung erstreckt. Der Senat bejaht dies unter Abgrenzung von dem
sog. "Kupolofenfall" BGHZ 92, 143, in welchem ebenfalls bewegliche Sachen
(Kfz) durch Emissionen geschädigt wurden, die betroffenen Eigentümer aber
nicht Eigentümer des Grundstücks (Parkplatz) waren, auf dem die Fahrzeuge
standen.
S. auch BGH, Urt. v. 4. Februar 2005 - V ZR 142/04.
Zum Störerbegriff s. BGH, Urt. v. 27. Januar 2006 - V
ZR 26/05 sowie
BGH v. 9.2.2018 - V ZR 311/16.
©sl 2008
Tatbestand:
1 Im Juni 2004 geriet eine im Eigentum des Beklagten stehende und von ihm
genutzte Wohnung infolge eines defekten Küchengeräts in Brand. Dadurch wurde
auch das angrenzende Gebäude beschädigt, in dem der Geschädigte in
angemieteten Räumen ein Lederwarengeschäft betreibt. Dieser hatte seine
Betriebseinrichtung und die Warenvorräte bei der Klägerin versichert; ferner
bestand Versicherungsschutz für Betriebsunterbrechungsschäden.
2 Die Klägerin zahlte wegen der an den Warenvorräten durch Rauch, Ruß und
Löschwasser entstandenen Schäden 118.510 € an den Geschädigten sowie 17.000
€ zum Ausgleich seines Betriebsunterbrechungsschadens. Diese Beträge
verlangt sie aus übergegangenem Recht des Geschädigten von dem Beklagten
ersetzt.
3 Die Klage ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Das
Oberlandesgericht hat den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt
erklärt und den Rechtsstreit zur Feststellung der Anspruchshöhe an das
Landgericht zurückverwiesen. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen
Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt der Beklagte
die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
4 Das Berufungsgericht hält die Voraussetzungen eines nachbarrechtlichen
Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB für gegeben. Die durch den
Brand in die Geschäftsräume des Geschädigten eingedrungenen Rauch- und
Rußpartikel stellten rechtswidrige Immissionen dar. Der Ausgleichsanspruch
umfasse den unmittelbar an den Warenvorräten eingetretenen Schaden. Denn er
diene als Kompensation für den Ausschluss primärer Abwehransprüche, die nach
§ 862 Abs. 1 BGB auch dem Besitzer des Nachbargrundstücks und damit dem
Geschädigten als Mieter zustünden. Hätte dieser seinen Abwehranspruch gegen
die von dem Brandereignis ausgehenden Immissionen durchsetzen können, wäre
der Schaden an seinen Warenvorräten nicht eingetreten. Das rechtfertige es,
sie in den Schutzbereich des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs
einzubeziehen. Entsprechendes gelte für den Betriebsausfallschaden, soweit
er nicht durch die Reinigungs- und Sanierungsarbeiten am Gebäude, sondern
möglicherweise auch durch die Dauer der Wiederbeschaffung des Warenbestands
bedingt gewesen sei.
II.
5 Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
6 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Klägerin aus
übergegangenem Recht des Geschädigten (§ 67 VVG) ein nachbarrechtlicher
Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB
zusteht.
7 a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein solcher
Anspruch gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher
Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen,
die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden
muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1
BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das
zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung
übersteigen (vgl. Senat, BGHZ 155, 99, 102 m.w.N.). Hiervon ist
auszugehen, wenn ein Brand auf ein fremdes Grundstück übergreift, da der
Nachbar die Gefahr in aller Regel - und so auch hier - nicht erkennen und
die Einwirkungen auf sein Grundstück daher nicht rechtzeitig abwehren kann.
8 b) Das Berufungsgericht verkennt auch nicht, dass sich der
nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nur gegen einen Störer im Sinne des §
1004 Abs. 1 BGB richten kann (vgl. Senat, Urt. v. 27.
Januar 2006, V ZR 26/05, NJW 2006, 992). Der Senat hat bereits
entschieden, dass der Eigentümer eines Hauses, welches infolge eines
technischen Defekts seiner elektrischen Geräte in Brand gerät, Störer ist
(BGHZ 142, 66). Für den Beklagten als Eigentümer einer selbstgenutzten
Wohnung gilt nichts anderes (vgl. aber auch Senat,
Urt. v. 27. Januar 2006, V ZR 26/05, NJW 2006, 992 für den Fall einer
vermieteten Wohnung).
9 2. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht ferner an, dass sich Inhalt
und Umfang des Anspruchs nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung
bestimmen (vgl. Senat, BGHZ 142, 66, 70 ff.) und dass diese Entschädigung
auch die Nachteile erfasst, die der hier Geschädigte infolge der
Beeinträchtigung seiner Warenvorräte durch Rauch, Ruß und Löschwasser
erlitten hat.
10 a) Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2
Satz 2 BGB dient als Kompensation für den Ausschluss primärer
Abwehransprüche nach §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB (Senat, BGHZ 155, 99,
106), schützt also wie diese das Eigentum und den Besitz an einem
Nachbargrundstück. Die Ausgleichsleistung knüpft an diese Rechtspositionen
an; bei einer Besitzstörung richtet sie sich nach dem Vermögenswert, der auf
dem Recht beruht, den Besitz innezuhaben. Folgt das Besitzrecht, wie
hier, aus einem Mietvertrag über Gewerberäume, ist dies vor allem die
Möglichkeit, den Besitz zur Unterhaltung eines Gewerbebetriebes zu nutzen.
Daher sind die vermögenswerten Betriebsnachteile auszugleichen, die ihre
Ursache in der Besitzstörung haben (vgl. Senat, BGHZ 147, 45, 52 f.).
11 Zu diesen Nachteilen zählen die für eine ungestörte Fortführung des
Gewerbebetriebs erforderlichen Aufwendungen. Das umfasst Aufwendungen für
den Ersatz von Inventar, von Warenvorräten und ähnlichen Betriebsmitteln,
die durch die Besitzstörung beschädigt worden sind (vgl. Senat, aaO, S. 55
für unbrauchbar gewordenes Inventar sowie Senat, BGHZ 155, 99, 106 für eine
beschädigte Betriebseinrichtung).
12 Dabei kommt es nicht darauf an, ob die sich auf dem Grundstück
befindlichen Betriebsmittel, hier also die Warenvorräte des Geschädigten,
infolge einer Beeinträchtigung der Grundstücks- oder Gebäudesubstanz (vgl.
Senat, BGHZ 147, 45, 54 f.: Inventar wird durch den Gebäudeeinsturz
zerstört) oder unmittelbar durch die auf das Grundstück einwirkenden
Immissionen beschädigt werden (hier: Schaden unmittelbar an den Waren durch
Rauch, Ruß oder Löschwasser). Denn auch der primäre Abwehranspruch gemäß §§
1004, 862 Abs. 1 BGB, dessen faktischer Ausschluss durch die Entschädigung
kompensiert werden soll, besteht unabhängig davon, welches Schadensbild
infolge der drohenden unzulässigen Störung im Einzelnen zu erwarten ist.
Entscheidend ist, dass der Schaden an den beweglichen Sachen nicht
eingetreten wäre, wenn der Besitzer seinen Unterlassungsanspruch hätte
durchsetzen können, und sich damit als Teil der diesem durch die
Besitzstörung abverlangten Vermögenseinbuße darstellt.
13 Ebenso wenig ist maßgeblich, ob durch die Besitzstörung hervorgerufene
Ertragseinbußen, welche grundsätzlich ebenfalls auszugleichen sind (vgl.
Senat, aaO, S. 54) und hier infolge der Notwendigkeit, neue Lederwaren zu
beschaffen, eingetreten sein sollen, auf eine Beschädigung des Grundstücks
oder darauf befindlicher beweglicher Sachen zurückzuführen sind.
14 b) Eine andere Beurteilung folgt entgegen der Auffassung der Revision
nicht aus dem sog. Kupolofen-Fall (BGHZ 92, 143), in dem auf einem
Betriebsparkplatz abgestellte Fahrzeuge von Arbeitnehmern durch
Staubauswürfe einer benachbarten Schmelzanlage beschädigt worden waren.
Die Begründung, mit der der Bundesgerichtshof einen nachbarrechtlichen
Ausgleichsanspruch der Arbeitnehmer gegen den Betreiber des Schmelzofens
verneint hat - es fehle an dem erforderlichen Bezug der Schäden zu dem von
den Immissionen betroffenen Grundstück - verweist auf die notwendige, im
Kupolofen-Fall aber fehlende Haftungsgrundlage für einen solchen Anspruch.
Da die klagenden Arbeitnehmer bloße Benutzer des Betriebsparkplatzes waren
(aaO, S. 146), stand ihnen ein Abwehranspruch gegen die Immissionen aus §§
1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB nicht aufgrund eines Rechts an dem betroffenen
Grundstück, sondern nur als Eigentümer oder Besitzer der abgestellten
Fahrzeuge zu. Rechte an beweglichen Sachen können - für sich genommen - aber
keinen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch begründen. Als Teil des
Interessenausgleichs für eine sachgerechte Nutzung benachbarter Grundstücke
setzt ein solcher Anspruch auf Seiten des Anspruchstellers stets eine
Störung seines Eigentums oder Besitzes an einem Grundstück voraus (vgl.
Senat, BGHZ 157, 188, 193). Nichts anderes wird in der
Kupolofen-Entscheidung angesprochen, wenn es dort heißt, der
nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch erfasse Folgeschäden nur, wenn und
soweit diese sich aus der Beeinträchtigung der Substanz oder Nutzung des
betroffenen Grundstücks entwickelten.
III.
15 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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