Schadensersatz wegen
Besitzstörung durch Parken auf fremden Grund; Kostenersatz für
"privates Abschleppen"; Selbsthilferecht des Besitzers; Umfang des
Schadensersatzes; Zurückbehaltungsrecht
BGH, Urteil vom 2. Dezember 2011 - V
ZR 30/11
Fundstelle:
NJW 2012, 528
Amtl. Leitsatz:
1. Zu den erstattungsfähigen Kosten für die
Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs
zählen nicht nur die Kosten des reinen Abschleppens, sondern auch die
Kosten, die im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Abschleppvorgangs
entstehen.
2. Nicht erstattungsfähig sind dagegen die Kosten, die nicht der Beseitigung
der Besitzstörung dienen, sondern im Zusammenhang mit deren Feststellung
angefallen sind, wie etwa die Kosten einer Parkraumüberwachung.
Zentrale Probleme:
S. dazu bereits
BGH NJW 2009, 2530
= BGHZ 181, 233 sowie S. Lorenz NJW 2009, 1025 und den
Telefonkommentar in NJW Audio CD 2/2012. Die Problematik
wird in der Öffentlichkeit unter dem Stichwort "Abschleppabzocke"
hochemotional diskutiert (wohl, weil es um "des Deutschen liebstes Kind"
geht). Juristisch gesehen geht es um grundlegende Fragen sowohl des
Sachenrechts (Besitzschutz, Selbsthilferecht des Besitzers) als auch des
Schuldrechts. Daher auch ein schönes Klausurthema ...
Zur Passivlegitimation im Rückforderungsprozess s.
BGH v. 6.7.2012 - V ZR 268/11. Zum Störerbegriff
(Anspruch auch gegen den Fahrzeughalter) s. BGH v.
21.9.2012 - V ZR 230/11 sowie BGH
v. 11.3.2016 - V ZR
102/15. Zur Anwendung der Geschäftsführung ohne Auftrag s.
BGH v. 17.11.2023 - V ZR 192/22 .
©sl 2011
Tatbestand:
1 Am 5. Januar 2010 stellte die
Klägerin - trotz Hinweisschildes, dass unberechtigt parkende Fahrzeuge
kostenpflichtig entfernt werden - ihr Fahrzeug unbefugt auf dem
Kundenparkplatz eines Supermarktes ab. Aufgrund eines Rahmenvertrages mit
dem Betreiber des Supermarktes, der u.a. die Abtretung von Ansprüchen gegen
unberechtigte Nutzer enthält, schleppte die Beklagte das Fahrzeug ab und
verbrachte es auf einen öffentlichen Parkgrund. Da die Klägerin nicht bereit
war, den Rechnungsbetrag über netto 219,50 € ("Grundgebühr mit Versetzung")
zu begleichen, gab die Beklagte ihr den Standort des Fahrzeugs nicht
bekannt.
2 Die ursprünglich auf Herausgabe des Fahrzeugs Zug um Zug gegen Zahlung von
(nur) 150 € sowie auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung gerichtete Klage
der Klägerin hat das Landgericht abgewiesen. Nachdem die Beklagte der
Klägerin den Standort des Fahrzeuges mitgeteilt hatte, haben die Parteien im
Berufungsverfahren den Herausgabeantrag übereinstimmend für erledigt
erklärt. Hinsichtlich der weiterhin verlangten Nutzungsentschädigung in Höhe
von 3.758 € ist die Berufung erfolglos geblieben. Mit der von dem
Kammergericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte
beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung einer
Nutzungsentschädigung weiter.
Entscheidungsqründe:
I.
3 Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung
einer Nutzungsentschädigung, da sich die Beklagte mit der Herausgabe des
Fahrzeugs bzw. der Bekanntgabe seines Standortes nicht in Verzug befunden
habe. Die Beklagte habe zu Recht ein Zurückbehaltungsrecht wegen der ihr
abgetretenen Schadensersatzforderung der Supermarktbetreiberin ausgeübt. Die
mit dieser vereinbarten Abschleppkosten in Höhe von netto 219,50 € seien
angemessen. Maßgeblich seien nicht allein die für das Umsetzen eines
Fahrzeugs anfallenden Kosten. Vielmehr seien auch die Kosten mit
einzubeziehen, die der Vorbereitung dieses Vorgangs dienten, da es sich um
Maßnahmen handle, die die normale Mühewaltung eines Geschädigten
überschritten. Schließlich habe die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts auch
nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
4 Das hält einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
5 Zu Recht hat das Berufungsgericht einen Anspruch der Klägerin gemäß § 990
Abs. 1 Satz 2, § 280 Abs. 1 und 2, § 286 BGB auf Ersatz des
Nutzungsausfallschadens verneint, da sich die Beklagte mit der Herausgabe
des Fahrzeugs nicht in Verzug befand. Die Verpflichtung der Beklagten zur
Herausgabe war nicht fällig, weil ihr gemäß § 273 Abs. 1 und 2 BGB ein
Zurückbehaltungsrecht zustand. Durch das unbefugte Parken ist dem Betreiber
des Supermarkts ein Schaden entstanden, dessen Ersatz die Beklagte von der
Klägerin verlangen kann, weil ihr der Betreiber des Markts seine Ansprüche
abgetreten hat.
6 1. Rechtsgrundlage des der Beklagten abgetretenen Anspruchs ist § 823 Abs.
2 BGB in Verbindung mit § 858 Abs. 1 BGB. Wie der Senat bereits entschieden
hat, stellt das unbefugte Abstellen eines Fahrzeugs auf einem privaten
Kundenparkplatz eine verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB dar,
der sich der unmittelbare Grundstücksbesitzer erwehren darf, indem er das
Fahrzeug abschleppen lässt (Senat,
Urteil vom 5. Juni 2009 - V ZR 144/08, BGHZ 181, 233 ff.).
Die Klägerin ist daher verpflichtet, dem Betreiber des Supermarkts den ihm
aus der verbotenen Eigenmacht entstandenen Schaden zu ersetzen.
7 a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bemisst sich der Umfang
des zu ersetzenden Schadens allerdings nicht nach § 249 Abs. 2 BGB, sondern
nach § 249 Abs. 1 BGB. Denn es geht hier nicht um die Beschädigung einer
Sache, sondern um die Beseitigung der Folgen einer verbotenen Eigenmacht.
Ersatzfähig sind solche Schäden, die in adäquatem Zusammenhang mit
der von der Klägerin verübten verbotenen Eigenmacht stehen und vom
Schutzbereich der verletzten Norm erfasst werden.
8 b) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den auf das reine Abschleppen
(ohne Grundgebühr) entfallenden Anteil dem Grunde nach als einen
erstattungsfähigen Schaden des Supermarktbetreibers angesehen.
9 Dass unbefugt auf dem Grundstück des Supermarktbetreibers abgestellte
Fahrzeuge kostenpflichtig abgeschleppt werden, stellt keine überraschende
oder fern liegende Reaktion des unmittelbaren Besitzers dar, sondern die
Verwirklichung der deutlich sichtbaren Ankündigung auf dem aufgestellten
Schild. Diese Schadensfolge liegt auch im Schutzbereich der verletzten Norm.
Indem das Gesetz dem unmittelbaren Besitzer als spontane Reaktion auf eine
verbotene Eigenmacht das Selbsthilferecht (§ 859 BGB) zubilligt, dessen
Ausübung mit Kosten verbunden sein kann, stellt es selbst den notwendigen
Zusammenhang zwischen der Verletzung des Schutzgesetzes (§ 858 Abs. 1 BGB)
und der Schadensfolge her (Senat, aaO, Rn. 19).
10 c) Die "Grundgebühr ohne Versetzung", die über das eigentliche
Abschleppen hinausgehende Zusatzleistungen der Beklagten vergütet, hat das
Berufungsgericht hingegen zu Unrecht ohne Differenzierung als dem Grunde
nach ersatzfähig erachtet.
11 aa) Allerdings beschränkt sich - entgegen der Auffassung der Revision -
der Schadensersatzanspruch der Geschädigten nicht auf die Kosten des reinen
Abschleppens. Zu den durch das konkrete Schadensereignis adäquat kausal
verursachten Schäden gehören auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der
Vorbereitung des Abschleppens entstanden sind, etwa durch die Überprüfung
des unberechtigt abgestellten Fahrzeugs, um den Halter ausfindig zu machen,
die Zuordnung des Fahrzeugs in eine bestimmte Fahrzeugkategorie und durch
die Anforderung eines geeigneten Abschleppfahrzeugs. Der Einwand der
Revision, die Vorbereitungskosten seien deshalb nicht erstattungsfähig, weil
sie den Rahmen der von einem privaten Geschädigten üblicher- und
typischerweise für die Durchsetzung des Anspruchs zu erbringende Mühewaltung
nicht überschritten, greift nicht durch. Zwar kann nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs in der Regel kein Ersatz für den Zeitaufwand verlangt
werden, wenn die Zeit zur Schadensermittlung und zur außergerichtlichen
Abwicklung des Schadensersatzanspruchs angefallen ist und der im Einzelfall
erforderliche Zeitaufwand nicht die von einem privaten Geschädigten
typischerweise zu erbringende Mühewaltung überschreitet (BGH, Urteil vom 2.
Juli 1996 -X ZR 64/94, BGHZ 133, 155, 158 mwN). Um einen derartigen Aufwand
geht es jedoch bei der Vorbereitung des konkreten Abschleppvorgangs nicht.
Auch insoweit dient die Tätigkeit nicht der Abwicklung oder Durchsetzung des
Schadensersatzanspruchs des Grundstücksbesitzers, sondern unmittelbar der
Beseitigung der durch die verbotene Eigenmacht hervorgerufenen konkreten
Störung. Sie ist Teil des ausgeübten Selbsthilferechts gemäß § 859 BGB (vgl.
Lorenz, DAR 2010, 647, 648; ders. NJW 2009, 1025, 1026; Goering, DAR 2009,
603, 604).
12 bb) Nach dem Sachvortrag der Beklagten umfassen die aufgrund des
Rahmenvertrages erbrachten Leistungen neben der Vorbereitung des
Abschleppens auch die Überwachung des Grundstücks im Hinblick auf
unberechtigtes Parken. Dies ergibt sich zudem aus der Anlage 1 zum
Rahmenvertrag, wonach unberechtigt parkende Fahrzeuge "... nach
Kontrollgängen von Schlepp-Co Mitarbeitern" entfernt werden. Der hierauf
entfallende Kostenanteil der Grundgebühr ist von der Klägerin nicht zu
ersetzen. Denn Kosten, die nicht der Beseitigung der Besitzstörung dienen,
sondern im Zusammenhang mit deren Feststellung angefallen sind, wie etwa die
Kosten einer Parkraumüberwachung durch regelmäßige Kontrollgänge, zählen
nicht zu dem adäquat verursachten und damit erstattungsfähigen Schaden.
Solchen allgemeinen Überwachungsmaßnahmen fehlt der Bezug zur konkreten
Besitzstörung, da sie nicht entfallen, wenn die schädigende Handlung
hinweggedacht wird; sie entstehen unabhängig von dem konkreten
schadensstiftendenden Ereignis. Vorkehrungen zur Überwachung des Parkplatzes
sind daher im Verhältnis zum Schädiger der Sphäre des Grundstücksbesitzers
zuzurechnen (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1979 - VI ZR 254/77, BGHZ 75,
230, 237).
13 d) Entgegen der Ansicht der Klägerin muss im vorliegenden Rechtsstreit
nicht geklärt werden, ob der dem Betreiber des Supermarkts entstandene
Schaden der Höhe nach in vollem Umfang erstattungsfähig ist. Das
Zurückbehaltungsrecht setzt allein das Bestehen eines fälligen
Gegenanspruchs voraus, ohne dass es auf dessen Höhe ankommt. Die genaue Höhe
des Schadensersatzanspruchs wäre hier nur dann von Bedeutung, wenn die
Klägerin zumindest den von ihr als zutreffend angesehenen
Schadensersatzbetrag gezahlt oder von der Möglichkeit Gebrauch gemacht
hätte, in dieser Höhe gemäß § 273 Abs. 3 BGB Sicherheit zu leisten. Beides
ist indessen nicht der Fall. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob der
Betreiber des Supermarktes - was der Senat für zweifelhaft hält - aufgrund
seiner Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) verpflichtet war, den
preisgünstigsten Anbieter ausfindig zu machen, oder ob er sich mit der
Auswahl eines (noch) angemessenen Angebots begnügen kann.
14 3. Der Geschädigte hat den auf Freistellung von seiner
Zahlungsverpflichtung gegenüber der Beklagten gerichteten
Schadensersatzanspruch wirksam an die Beklagte abgetreten, wodurch er sich
in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2010
- III ZR 209/09, BGHZ 185, 310, 315 Rn. 12). Die im Rahmenvertrag geregelte
Abtretung der Ansprüche des Geschädigten ist nicht - wie die Klägerin meint
- wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz nichtig. Die
Beklagte erbringt gegenüber dem Betreiber des Supermarkts Abschleppdienste,
nicht aber eine Inkassodienstleistung im Sinne des § 2 Abs. 2 RDG. Die
Einziehung der von dem Kunden an Erfüllungs statt abgetretenen
Schadensersatzansprüche erfolgt auf Risiko und Rechnung der Beklagten. Mit
der Geltendmachung der abgetretenen Forderung besorgt die Beklagte daher
kein fremdes Geschäft.
15 4. Der abgetretene Schadensersatzanspruch ist auch fällig, § 271 BGB. Die
von der Klägerin im Verfahren verlangte Aufschlüsselung, wie sich der dem
Betreiber des Supermarkts in Rechnung gestellte Betrag von 219,50 € im
Einzelnen zusammensetzt, ist nicht Fälligkeitsvoraussetzung. Im Übrigen hat
die Beklagte die der abgetretenen Schadensersatzforderung zugrunde liegende
Rechnung durch Vorlage des Rahmenvertrages hinreichend erläutert.
16 5. Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts verstößt schließlich
nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
17 a) Als besonderer Anwendungsfall des Verbots unzulässiger Rechtsausübung
(§ 242 BGB) darf das Zurückbehaltungsrecht nicht in einer gegen Treu und
Glauben verstoßenden Weise ausgeübt werden. So kann es gegen das Gebot von
Treu und Glauben verstoßen, wenn eine hochwertige Leistung zum Zwecke der
Durchsetzung eines verhältnismäßig geringfügigen Gegenanspruchs
zurückgehalten wird (vgl. MünchKomm-BGB/Krüger, 5. Aufl., § 273, Rn. 72;
BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 -XZR 173/01, NJW 2004, 3484, 3485; RGZ 61, 128,
133). Allerdings ist nicht schematisch allein auf die Wertverhältnisse
abzustellen. Vielmehr kann ein Zurückbehaltungsrecht auch dann gegeben sein,
wenn der Wert der Forderung, derentwegen die Herausgabe eines Gegenstandes
verweigert wird, erheblich geringer ist als der Wert der herausverlangten
Sache; denn das Recht auf Zurückbehaltung würde seinen vom Gesetzgeber
verfolgten Zweck verlieren, auf den Schuldner Druck auszuüben, wenn es nur
dann ausgeübt werden könnte, wenn das Wertverhältnis in etwa ausgeglichen
ist (BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 -XZR 173/01, NJW 2004, 3484, 3486).
Erforderlich ist vielmehr stets eine Abwägung der konkreten Umstände des
Einzelfalls.
18 b) Bei dieser Abwägung ist hier einerseits zu berücksichtigen, dass die
Beklagte mit der Weigerung, den Standort des Fahrzeugs preiszugeben, die
Klägerin an dem Zugriff auf einen erheblichen Vermögenswert gehindert hat.
Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, hätte sich die Klägerin
andererseits angesichts der relativ geringen Forderung mit einem einfachen
Mittel diesen Zugang wieder verschaffen können, indem sie die Ausübung des
Zurückbehaltungsrechts durch Erbringung einer Sicherheitsleistung gemäß §
273 Abs. 3 BGB abgewendet hätte. Die Klägerin hat jedoch nicht einmal den
von ihr für gerechtfertigt gehaltenen Betrag von 150 € hinterlegt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
|