Verjährung von
Bereicherungsansprüchen; Verjährungsbeginn nach § 199 I BGB: Subjektive
Voraussetzungen, Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen
BGH, Beschluss vom 19. März
2008 - III ZR 220/07
Fundstelle:
NJW-RR 2008, 1237
Amtl. Leitsatz:
Die für den
Verjährungsbeginn nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis oder
grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der
Person des Schuldners setzt grundsätzlich keine zutreffende rechtliche
Würdigung voraus. Das gilt auch für Bereicherungsansprüche nach den §§ 812
ff. BGB (hier: Rückforderung der vertraglichen Vergütung wegen Verstoßes
gegen das Rechtsberatungsgesetz).
Zentrale Probleme:
Es geht um die subjektiven Voraussetzungen des
Verjährungsbeginns nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bei der Verjährung eines
Bereicherungsanspruchs (s. dazu auch
BGH NJW 2007, 1584 sowie
BGH, Urteil vom 15. Juni 2010 - XI ZR 309/09. Der BGH bestätigt die h.M., daß grundsätzlich die
Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen ausreicht. Vorsicht: Im
Zusammenhang mit § 814 BGB und § 819 BGB wird das anders gesehen! Dort muss
zumindest eine "Parallelwertung in der Laiensphäre" zu der Erkenntnis
geführt haben, dass ein Anspruch (nicht) besteht. S. auch
BGH v. 23.9.2008 - XI ZR 253/07
sowie BGH v. 23.9.2008 - XI
ZR 262/07 und
BGH v. 24.4.2014 - III ZR 156/13.
©sl 2008
Gründe:
I.
1 Der beklagte Steuerberater war in den Jahren 1975 bis 2000 für den an den
Rechtsmittelverfahren nicht beteiligten Drittwiderbeklagten bei der
Verwaltung von Immobilien beratend tätig. Im Zeitraum von 1992 bis 2000
rechnete der Beklagte hierfür unter anderem umgerechnet 1.782.157,18 € ab,
deren Rückzahlung der Kläger, dem die Ansprüche abgetreten worden sind, aus
dem Gesichtspunkt ungerechtfertigter Bereicherung begehrt. Der Kläger macht
geltend, der Beklagte habe dabei vorwiegend Rechtsberatung ausgeübt.
Infolgedessen seien die zugrunde liegenden Verträge wegen Verstoßes gegen
Art. 1 § 1 RBerG nach § 134 BGB nichtig und die Honorare ohne Rechtsgrund
gezahlt. Hiervon habe der Zedent erst im Jahre 2003 durch seine jetzigen
Prozessbevollmächtigten erfahren.
2 Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage wegen Verjährung
abgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil
richtet sich die vom Kläger eingelegte Beschwerde.
II.
3 Das Rechtsmittel ist unbegründet. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543
Abs. 2, § 544 ZPO).
4 1. Das Berufungsgericht lässt offen, ob dem Kläger die abgetretenen
Bereicherungsansprüche auf Rückzahlung der geleisteten Vergütung zustehen.
Die Forderungen seien jedenfalls verjährt. Die dreijährige Regelverjährung
nach § 195 BGB n.F. habe im Streitfall am 1. Januar 2002 zu laufen begonnen,
da der Zedent bereits vorher Kenntnis von den anspruchsbegründenden
Tatsachen gehabt habe. Er habe gewusst, welche Tätigkeiten der Beklagte
entfaltet habe und dass dieser kein Rechtsanwalt sei. Ob der Zedent darüber
hinaus den Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz erkannt habe, sei ohne
Belang. Ein Rechtsirrtum hindere den Verjährungsbeginn grundsätzlich nicht.
Auch eine unübersichtliche und verwickelte Rechtslage, bei der der
Verjährungsbeginn wegen Rechtsunkenntnis hinausgeschoben sein könne, habe
nicht vorgelegen. Die am 30. Dezember 2004 eingereichte und erst am 15. März
2005 zugestellte Klage habe mangels demnächst erfolgter Zustellung die am
31. Dezember 2004 abgelaufene Verjährung nicht mehr hemmen können.
5 2. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs. Gegenteilige Entscheidungen der Instanzgerichte oder
abweichende Stellungnahmen in der Fachliteratur zeigt die Beschwerde nicht
auf. Auch der von ihr herausgestellte Schutz des Bereicherungsgläubigers,
namentlich beim Abschluss eines gegen das Verbot unbefugter Rechtsberatung
verstoßenden und deswegen gemäß § 134 BGB i.V.m. Art. 1 § 1 RBerG nichtigen
Vertrags (vgl. dazu nur BGHZ 153, 214, 218 ff.;
Senatsurteil vom 1. Februar 2007 - III ZR 281/05 - NJW 2007, 1130, 1131 Rn.
13), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das muss nicht erst in einem
Revisionsverfahren geklärt werden.
6 a) Bereicherungsansprüche unterliegen seit dem 1. Januar 2002 der
dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB (BGHZ
171, 1, 6 Rn. 18). Die Verjährung beginnt mit dem Schluss des Jahres, in
dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch
begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder
ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). In
Überleitungsfällen nach Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB müssen für den
Fristbeginn am 1. Januar 2002 auch die subjektiven Voraussetzungen des § 199
Abs. 1 Nr. 2 BGB - Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis - vorliegen (BGHZ
171, 1, 7 ff. Rn. 19 ff.; BGH, Urteile vom 25. Oktober 2007 - VII ZR
205/06 - WM 2008, 40, 41 Rn. 22 f. und vom 9. November 2007 - V ZR 25/07 -
NJW 2008, 506 Rn. 8). Der vereinzelt gebliebenen Auffassung von Staudinger/Peters
(BGB, Neubearbeitung 2003, Art. 229 § 6 EGBGB Rn. 11) und Kandelhard (NJW
2005, 630 ff.), dass die Verjährung dann nach der "Ultimoregel" des § 199
Abs. 1 BGB erst mit dem 31. Dezember 2002 begonnen habe und daher erst zum
Ende des Jahres 2005 abgelaufen sei, folgt der Senat in Übereinstimmung mit
der ganz überwiegenden gegenteiligen Meinung nicht (vgl. nur Erman/Schmidt-Räntsch,
BGB, 11. Aufl., Anh. Vor § 194 Rn. 9; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl.,
EGBGB Art. 229 § 6 Rn. 1, 6, jeweils m.w.N.).
7 b) § 199 Abs. 1 BGB ist wie § 195 BGB dem früheren § 852 Abs. 1 BGB
nachgebildet. Die einheitliche Verjährungsregelung in § 595 BGB für
vertragliche und gesetzliche Ansprüche nach dem Vorbild des § 852 Abs. 1 BGB
a.F. soll das Verjährungsrecht in einer Weise vereinfachen, dass es für die
Praxis leichter durchschaubar und anwendbar wird (BT-Drucks.
14/6040 S. 104 f., 107 f.). Für die Auslegung dieser Vorschriften kann
daher weitgehend auf den Norminhalt des § 852 Abs. 1 BGB a.F. und die dazu
ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden (BGH, Urteil vom 9. November
2007 aaO S. 507 Rn. 15; MünchKomm/Grothe, BGB, 5. Aufl., § 199 Rn. 25). Insofern
ist anerkannt, dass die erforderliche Kenntnis des Verletzten vom Schaden
und der Person des Ersatzpflichtigen grundsätzlich keine zutreffende
rechtliche Würdigung voraussetzt. Es genügt aus Gründen der Rechtssicherheit
und Billigkeit vielmehr Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden
tatsächlichen Umstände (vgl. nur Senatsurteil BGHZ 170, 260, 271 Rn. 28;
BGH, Urteile vom 17. Oktober 1995 - VI ZR 246/94 - NJW 1996, 117, 118; vom
25. Februar 1999 - IX ZR 30/98 - NJW 1999, 2041, 2042; Senatsurteil vom 3.
März 2005 - III ZR 353/04 - NJW-RR 2005, 1148, 1149). Anders kann es nur
dann zu beurteilen sein, wenn es sich um eine unübersichtliche oder
zweifelhafte Rechtslage handelt, so dass sie selbst ein rechtskundiger
Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag (Senatsurteile BGHZ 138,
247, 252; 150, 172, 186 und vom 3. März 2005 aaO; BGH, Urteil vom 25.
Februar 1999 aaO). Die Rechtsprechung zur Kenntnis von ärztlichen
Behandlungsfehlern, auf die die Nichtzulassungsbeschwerde verweist (s. BGH,
Urteil vom 31. Oktober 2000 - VI ZR 198/99 - NJW 2001, 885 f. m.w.N.,
insoweit in BGHZ 145, 358 nicht abgedruckt), macht davon keine Ausnahme,
sondern verlangt im Rahmen der notwendigen tatsächlichen Grundlagen
lediglich auch das Wissen um solche Tatsachen, aus denen sich für den
medizinischen Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen
Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach
ärztlichem Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen
erforderlich waren. Ähnliches gilt für die Rechtsprechung des Senats zur
erforderlichen Kenntnis des Geschädigten vom Vorliegen einer
widerrechtlichen und schuldhaften Amtspflichtverletzung (vgl. etwa BGHZ 138
aaO; 150 aaO).
8 c) Die zu § 852 Abs. 1 BGB a.F. entwickelten Grundsätze gelten
gleichermaßen für Bereicherungsansprüche nach den §§ 812 ff. BGB (vgl. etwa
Staudinger/Peters, aaO, Neubearb. 2004, § 199 Rn. 46 f.). Bei der
Neuregelung des Verjährungsrechts haben dem Gesetzgeber gerade auch
derartige Ansprüche vor Augen gestanden. Er hat dennoch davon abgesehen,
wegen von der Schuldrechtskommission berücksichtigter Schwierigkeiten des
Gläubigers bei der Durchsetzung ihm unbekannter gesetzlicher Ansprüche
Differenzierungen vorzunehmen, und hat dazu betont, auch ein gesetzlicher
Anspruch werde durch einen tatsächlichen Umstand ausgelöst, der dem
Gläubiger in aller Regel sofort bekannt sein werde, so z.B. bei Vorgängen,
die auf seine Kosten zur Bereicherung eines anderen führten (BT-Drucks.
14/6040 S. 103). Das ist bei der Auslegung des neu gefassten § 199 BGB
ebenso zu beachten wie der Umstand, dass jeder Ausnahmetatbestand in der
Rechtsanwendung dem erklärten gesetzgeberischen Ziel, das Verjährungsrecht
zu vereinfachen und praktikabler zu machen, zuwiderlaufen würde. Bei der
gebotenen typisierenden Betrachtung wird ein Bereicherungsgläubiger dadurch
nicht unangemessen benachteiligt. Kennt er die der Vermögensverschiebung
zugrunde liegenden Umstände nicht, beginnt die Verjährung nicht zu laufen.
In anderen Fällen stehen ihm wie den Gläubigern sonstiger gesetzlicher oder
vertraglicher Ansprüche, bei denen sich das Vorliegen eines Anspruchs
ebenfalls erst nach Klärung nicht immer geläufiger Rechtsfragen ergeben
kann, zumindest drei Jahre zur Verfügung, um den Vorgang rechtlich prüfen
und sich entsprechend beraten zu lassen.
9 d) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass nach
diesen Maßstäben der Zedent bereits vor dem 1. Januar 2002 über eine
hinreichende Kenntnis derjenigen Tatsachen verfügt hat, die einen Verstoß
des Beklagten gegen das Rechtsberatungsgesetz und einen auf § 812 Abs. 1
Satz 1 BGB gestützten Anspruch auf Rückforderung des Geleisteten begründen
könnten. Die Einschätzung, dass es sich hierbei nicht etwa um eine unklare
und zweifelhafte Rechtslage handelte, ist ebenso wenig zu beanstanden.
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